Selbstanalyse durch AP

SELBSTANALYSE durch Analytische Psychokatharsis.

In der klassischen Psychoanalyse ist der Begriff der Selbstanalyse nicht sehr geschätzt.

Zwar haben schon früh Autoren wie K. Horney und K. König in speziellen Büchern einen selbstanalytischen Weg propagiert, aber eine gewisse Selbsttäuschung ist natürlich bei einem Verfahren, dass nicht einen Anderen, neutral Fremden, in Psychoanalyse Ausgebildeten als kritischen Begleiter mit einsetzt, leicht möglich. Etwas anderes ist es, wenn man aus dem theoretischen Grundlagen der Psychoanalyse selbst ein kritisches Verfahren entwickeln kann, bei dem dieser neutral Andere und ausgebildete Psychoanalytiker nur noch ganz selten, nur für gelegentliche Besprechungen einer derart kritisch geführten Selbstanalyse notwendig ist. Dies ist bei der Analytische Psychokatharsis der Fall, wobei hier das Wort Selbstanalyse eigentlich ersetzt werden müsste durch einen Begriff wie etwa: Selbstanalyse auf der Basis wissenschaftlicher, psycho-linguistischer Grundlagen, wie sie z. B. von J. Lacan erarbeitet wurden.

Die Analytische Psychokatharsis beruht zudem nicht nur auf psychoanalytischen Grundlagen und ist nicht nur im Gefolge der Freudschen und Lacanschen Wissenschaft entstanden. Sie hat auch Forschungen anderer Wissenschaftler und Psychologen aufgegriffen. Der Arzt und Psychologe Carl Albrecht hat beispielsweise Mitte letzten Jahrhunderts eine rational kritische Methode der Selbstanalyse entworfen und jahrelang selbst praktiziert. Er übte sich in dem Verfahren des In-Sich-Hineinhörens durch Abschalten von Alltagsgedanken und Konzentration auf einen von innen kommenden wortbezogenen Begriff. [1] Er versuchte die ihm zukommenden Worte rational zu prüfen, um ihnen eine ‚echte' und profunde Wertung geben zu können. Es leuchtet aber sofort ein, dass man hier schwer von wirklich exakter wissenschaftlicher Methode reden kann.

Bei C. Albrechts Technik des in sich Hineinhörens auf das von „innen" kommende mystische Wort, also eines meditativen in sich Hineinlauschens, spürt man sofort, dass sich ihm durch die "mystisch ankommenden Worte" nicht ein wirklich neues, reales Wissen aufdrängt, sondern dass es ein Wissen ist, das er - Freud würde sagen: im Vorbewussten - bereits hat. Er verdrängt etwas, er ist schon zu bewusst in seinem Wissen, dass seine „ankommenden Worte" etwas Elegisches beinhalten werden und spricht dies dann nur noch aus. Die "mystischen" Eingebungen sind wie Gedichte, die stets etwas dunkel Erhabenes, den "Urgrund", "heilige Hallen", "Licht" wiederholen und auch Erinnerungen ans Altdeutsche wecken, etwas also, das er schon von irgendwoher kennt, z. B. von theosophischer Dichtung oder religiösen Anspielungen her. Ihm fehlt der Freudsche oder auch der Sokratische Eros, irgend etwas traut sich in ihm keine gewagteren Behauptungen zu, und so liest sich sein Daimonion (die innere Stimme bei Sokrates) wie religiöse Lyrik, aber nicht mehr. Trotzdem war sein Versuch mutig und interessant.

Was C. Albrecht fehlte war genau das kritische Übertragungsobjekt, als das wir den Analytiker bezeichnen. Der Psychoanalytiker ist das Objekt, auf das alle möglichen und meist irrelevanten Bedeutungen und Gefühle unbewusst übertragen werden. Aus seiner Funktion eben dieses Objekt zu sein, muss er dann seine Deutungen gestalten, die er dem Patienten zurückgibt. C. Albrecht hatte hier nur seine Bildung, seine sicher lautere und ernsthafte Absicht und seinen allgemeinen christlich-mythisch-mystischen Glaubens-Hintergrund. Für ein seriöses wissenschaftliches Verfahren war dies jedoch zu wenig. In meinem Buch Analytische Psychokatharsis habe ich weitere zahlreiche derart meditative Methoden untersucht, die alle diesen wissenschaftlichen und mit der Psychoanalyse konfrontierten Kriterien nicht standhalten können. Allen fehlt dieses Objekt der Übertragung, das dann ja auch noch zudem ein Objekt der Deutung, der Übersetzung sein müsste.

Dies ist bei der Analytischen Psychokatharsis anders. Sie führt direkt ein „Übertragungs-Deutungs-Objekt" ein, freilich nur in einer rein formalen, aber dafür klar wissenschaftlich fundierten Form. Es handelt sich um das, was Lacan den „inneren Satz" nannte, der den Kern des Unbewussten bei jedem Menschen darstellt. Viele Psychoanalytiker sprechen diesbezüglich auch vom „Schlüsselsatz" oder „-sätzen", weil sie die Patienten gezielt mit ihren unbewussten Konflikten konfrontieren. Buchheim, Kächele et al. haben in  kenspintomographischen Untersuchungen sogar nachweisen können, dass derartige „Schlüsselsätze" sich als Ausdruck der Stimulation bestimmter Hirnareale nachweisen lassen.[2] Nun kann man auch „Schlüsselsätze" rein formal so konstruieren, dass sie, übt man sie wiederholt rein gedanklich, sich in die entsprechenden „Schlüsselsätze", Übertragungs-Deutungs-Objekte im Unbewussten einschreiben und intervenieren. Die formalen Schlüsselsätze (ich nenne sie Formel-Worte) bringen sozusagen die bestehenden zum leuchten oder drängen sie sogar aus ihrer Ruhelage (Fixierung) heraus, so dass sie sich - oder Teile davon - deutlich artikulieren können.

Um all dies ganz zu verstehen, muss ich nochmals zum Anfang zurückkehren. Selbstanalyse heißt, dass einem nicht ständig ein Anderer vorschreibt, wie man sich zu verstehen hat. Natürlich tut man dies auch in der herkömmlichen Psychoanalyse nicht, da ja nur die eigenen „freien Assoziationen" gedeutet werden sollen. Aber wie man sie deutet, darin fließt dann doch meist etwas Suggestives mit ein. Auch wenn sie gar nicht so „frei" sind - diese „Assoziationen", ist man schon ein bisschen in der Falle der Fehinterpretationen. Es wäre also ideal, würden die „Schlüsselsätze" kernspintomographisch kontrolliert aus uns direkt so heraussprudeln, kurz: das irrational Unbewusste sich einfach so rational entäußern können. Weil es dies eben nicht tut, braucht man - wie es C. Albrecht schon richtig begonnen hat, nur in sich hineinzuhören, diesmal jedoch mittels eines Übertragungs-Übersetzungs-Gerätes, „Schlüsselsatz-Gerätes", das perfekt nach wissenschaftlichen, psychoanalytischen Kriterien gebaut ist.

Eine bildhafte Darstellung kann dies alles schneller klar machen. Die Abbildung zeigt das Formel-Wort  O R S - A C E - R A M, das der lateinischen Sprache entnommen iast, im

orsaceram0001

Kreis geschrieben. Fängt man beim A links unten an, liest man amor sacer (die Liebe ist heilig), fängt man beim M an, heißt es mors acer (der Tod ist bitter), vom C aus gelesen: C eram orsa (hundertmal war ich mein Beginnen). Aber auch mors ac era (der Tod und auch die Herrin). Auch cera (Wachs) und ramo (durch den Zweig) stecken darin, so dass der Leser schon recht verwirrt sein wird, wenn er diesen "Schlüsselsatz" verstehen will. Aber genau dies ist ja erwünscht. Denn in diesem Fall, im Fall der Analytischen Psychocatharsis, wo der Schlüssel ja anders herum verwendet wird, muss er so beschaffen sein, dass nicht der bewusste Leser, sondern das Unbewusste selbst damit zu recht kommen muss. Und das Unbewusste tut dies gerne.

Denn der Titel einer der Abhandlungen Lacans heißt : "Das Drängen des Buchstaben im Unbewussten".[3] Lacan bezieht sich hier darauf, dass das Unbewusste sich  w i e  einer Linguistik bedient, in der nämlich der Buchstabe zwei Seiten hat, die des Signifikats (Bezeichneten) und die des Signifikanten (Bezeichners, Bedeuters). Um den Funken des wirklichen Sinns zu erzeugen, müssen jedoch mehrere Signifikanten in einer Kette auftreten, wobei die Sinnspitze, die eigentliche Metapher, besondres dadurch erreicht wird, dass "die größte Disparität der bezeichneten Bilder gefordert ist". Das heißt, um volle Wirkung im Unbewussten zu erzielen, darf das c eram orsa mit dem mors acer und der amor sacer und der mors ac era nicht in einem vordergründigen Sinn zusammengehen, vielmehr muss durch die große Disparität dieser Bedeutungen der scheinbare Unsinn provoziert werden, damit dann das Unbewusste selbst  s e i n e n , den je ihm eigenen Sinn herausgeben kann (so deutet ja auch der Analytiker aus dem Unsinn des Traums den wahren Sinn des Träumers heraus). Der Buchstabe drängt nach außen, aber direkt (vom Irrationalen zum Rationalen) - wie oben gesagt - kann er das nicht. Er brauchtr dieses Gerät der Psycholinguistik, diese rein formale "Schlüsselsatz" - Maschine,  um etwas heraus zu geben, das der Rationalität zugänglich ist.

Nunmehr also kann jeder mit der Selbstanalyse beginnen. Detaillierte Beschreibung der Praxis finden sich unter dem freien Download der Analytischen Psychocatharsis - Broschüre. Zum Schluss jedoch noch ein Hinweis zu der Frage, wie ein aus dem Unbewussten aufsteigender "Schlüsselsatz" in Bezug zu den bewussten Gedanken treten kann. Bei C. Albrecht hatte ich ja betont, dass die ihm zukommenden mystischen Worte bzw. Begriffe nicht wirklich aus dem Unbewussten stammten, sondern schon vorbewusst waren. Das Üben mit den Formel-Worten lässt nun einen derartigen Kurzschluss aus dem Vorbewussten nicht zu. Die Aufmerksamkeit auf das Formel-Wort verhindert jeden auch nur annähernd noch vorbewussten Gedanken. Erst wenn das "Drängen der Buchstaben" aus den chaotischsten, irrationalsten Bereichen kommt, können sie zum Bewusstsein durchbrechen.Und sie brechen natürlich dann eben gerade nur als Kurzsätze, formelhafte Formulierungen durch, denn ihre Kette wird sehr schnell wieder vom Wiederholen des Formel-Wortes durchkreuzt und damit unterbrochen.

Das ist ein ganz wesentlicher Vorgang und auch Vorteil der Methode der Analytischen Psychocatharsis. Wie ich schon in meiner Abhandlung "Sprachentstehung und Psyche" erwähnt habe, können dadurch auch nicht lange Tiraden und durch komplexe Argumentationen bestärkte ideologiche oder wahnhafte Vorstelölungen Gehör bekommen. Die Ratio wird eingeschaltet und muss erst prüfen, was ein derartiger "Schlüsselsatz" nun wirklich bedeutet. Sicher ist durch den Ausdruck "Schlüssel" schon gewährleistet, dass die Eingebung sofort verstanden werden kann. Aber sie sollte zusätzlich noch - gerade auch von psychoanalytischer Seite her und hier evtl. natürlich auch wieder mit Hilfe eines Therapeuten - endgültig gedeutet werden. Auch hierzu finden sich Beispiele in der erwähnten Broschüre. Und ein allerletzter Hinweis. Hildegrad von Bingen hat bekanntlich einighe Seiten über die "lingua ignota" geschrieben. Sie wollte damit exakt dahin, wo die "Schlüsselsätze" stehen oder ihre meditative, vom normalen Sprachbezug entfernte Wirkung haben. Nur Formel-Worte, die am Rande der Sprachlichkeit stehen sind hier durchschlagend. Aber selbstverständlich sollten sie eben doch noch klar in der verbalen Sprache ebenso einen Bezug haben. Die von mir genannten Bedeutungen im Formel-Wort sind alle noch normalsprachlich, erst durch ihre Verflechtung bekommen sie den Schlüsselcharakter. Bei Hildegards "lingua ignota" war es nicht anders: es sind fast alles Substantive, die allein teine Satz bilden können, aber für sich doch wie ein Satz wirken. Das war ihr Terick, Formel-Worte zu kreieren. Sehr kreativ, aber für uns heute eben nicht wissenschaftlich.



[1] Albrecht, C., Das Mystische Wort,  (1951) S. 185

[2] Buchheim, A., Kächele, H., et al.: Psychoanalyse und Neurowissenschaften, Nervenheilkunde 2008; 27: 441-45

[3] Lacan, J., Schriften II, Walter (1975) S. 15