Die körperlich kranke Seele I und II - STRAHLT und SPRICHT

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Diese beiden Triebkräfte bestehen also einerseits in dem von Freud so benannten Schautrieb (von mir vorhin bereits umfassender Wahrnehmungstrieb genannt), den ich in seiner konkretesten, unmittelbarsten Repräsentanz auch als ein ES STRAHLT bezeichne.[2] Sämtliche körperlichen Funktionen aber auch verschüttete seelische Erfahrungen werden nämlich auch in Gehirnfunktionen (wir können auch sagen: im Unbewussten) „gespiegelt",[3] d. h. es gibt einen „virtuellen Körper" im Unbewussten, eine unbewusste sich spiegelnde Struktur, die an jeder Krankheit mitwirkt. Neurowissenschaftler erklären uns,[4] dass dieses Virtuelle vorwiegend im Stammhirn - und d. h. hier durch Nervenver­schaltungen - repräsentiert ist. Aber eine solche Auffassung ist natürlich typisch „gehirnwissenschaftlich", denn wie für jede Krankheit eine derartige Nervenverschaltung, aussehen soll, ist nicht zu sagen. Das zutreffende Sagen, das authentische Benennen, das Rhetorische, bleibt auf der Strecke, insbesondere dann wenn man mit psycho-somatischen Störungen anschaulich umgehen will. Trotzdem aber man könnte es sich gut so denken, dass es vereinfacht gesagt auf der einen Seite um die Mitwirkung „spiegelnder" Vorgänge oder eben noch besser unbewusster seelischer Spiegelungen, um Virtuelles, „Bildhaftes", geht, und auf der anderen um Rhetorisches, „Worthaftes". Die innerseelischen Spiegelungen oder das „Bildhafte" nenne ich also - weiterhin vereinfacht ausgedrückt - ein ES STRAHLT (Es Scheint, Es Oszilliert). Es ist identisch mit dem Wahrnehmungs- oder Schautrieb, den man nicht weiter zerlegen oder messen kann. Und eben deswegen benötigt man andererseits ein zweites Prinzip oder Triebkraft, um sie dieser ersten entgegen zu stellen. Diese zweite Triebkraft, dieses zweite Grundprinzip, ist also der Entäußerungstrieb (beim Menschen besser Sprechtrieb genannt[5]), und ich will ihn ebenso vereinfacht ein ES SPRICHT (Es Verlautet) nennen. In ihm steckt das Rhetorische, das „Worthafte", das Symbolisierungen Ermöglichende, also etwas völlig anderes als im ersten Grundtrieb. Mit dem Konzept des STRAHLT / SPRICHT sind also beide Grundtriebe, - kräfte, möglichst formal - konkret benannt.

Es erscheint dies alles vielleicht etwas theoretisch, ist aber im Grunde genommen einfach und für das Gesamtverständnis notwendig. In diesem Bereich der Psychologie gibt es keine rein objektiven Fakten, keine direkten Objekte, und man muss sich auf derartige ultimative „Kräfte" oder Triebe verlassen, wie sie die Psychoanalyse erarbeitet hat. Es gibt also einerseits ein „Bildhaftes" im Unbewussten, das man als virtuell strukturiert oder auch als ein STRAHLT erfassen kann und das das kathartische Element des Verfahrens darstellen wird. Positive Spiegelung, ein positives „Strahlen", wird nämlich als reinigend, ja manchmal direkt durch ein inneres Schaudern, „Durchrieseln" (also körperbildhaft) erfahren.[6] Zweitens handelt es sich um ein ebenso ursprüngliches „Worthaftes" im Unbewussten, das man genau so wie ein inneres Sprechen, ein SPRICHT in sich aufgreifen, erlauschen und somit dann "entäußern" kann. In der klassischen Psychoanalyse kann dieses worthafte „Verlauten" aus dem Unbewussten über die Träume und ihre Deutung, über die sogenannten „freien Assoziationen" und deren Interpretationen oder über die Deutung von Fehlleistungen und Versprechern bewusst gemacht werden. Darin ist das „Bildhafte" zwar einbezogen, kommt aber viel zu kurz und wird nicht genug körpernah erfahren. Umso mehr ist in der herkömmlichen Psychoanalyse der „worthafte" Teil zu komplex und zu kompliziert ausgeweitet.