Die körperlich kranke Seele I und II - Vorläufige Zusammenfassung

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Vorläufige Zusammenfassung

Bevor wir jetzt erneut zu den Übungen kommen noch eine kurze Zusammenfassung des bisher Gesagten. Naturwissenschaften wie etwa die Neurowissenschaften, aber auch die Religionen und Philosophien genügen nicht mehr für das Verständnis von seelisch-körperlicher Krankheit und deren Behandlung. Was die wissenschaftliche Verständnisseite angeht, eignet sich hierfür ideal die Psychoanalyse. Was die mehr praktische, die Behandlungsseite angeht, empfehlen sich meditative Übungsverfahren. Auf den ersten Anhieb scheinen sich aber therapeutische Methoden wie die Psychoanalyse und die Meditation (z. B. autogenes Training) total zu widersprechen. Aber es genügt jedoch schon eine einfache Betrachtung, um zu sehen, dass beide doch das gleiche betreffen und sehr ähnlich sind: So hört der Analytiker mit - wie Freud es nannte - „gleichschwebender Aufmerksamkeit" seinem Patienten zu, während in der Meditation der Übende selbst mit ebenso schwebender Aufmerksamkeit in sich hineinhorchen muss. Genau so entsprechen die „freien Assoziationen", die freien Einfälle in der Analyse, dem freien Auftauchen von Einfällen in der Meditation, insofern diese durch eine einfache Anleitung geführt werden.[13] Lediglich in dem therapeutischen „Geführt-werden" besteht ein Unterschied. Denn der Analytiker ist während der Anwendung des psychoanalytischen Verfahrens viel mehr persönlich gegenwärtig (als Übertragungs-Objekt und als Deuter), während in der Meditation die physische Person des Lehrers in den Hintergrund tritt. Hier findet die Übertragung sozusagen in den reinen virtuellen Raum hinein statt. Man hat dies immer schon generelle, wilde Übertragung oder Übertragung außerhalb der Analyse genannt.

Verwendet man also in der Meditation Formulierungen, die sich am Rande der Sprachlichkeit bewegen und wissenschaftlich genau dem psychoanalytischen (besser noch: dem psychoanalytisch - linguistischen) Konzept entsprechen (also die bereits erwähnten FORMEL-WORTE), kann man auch diesen noch restlichen Unterschied zwischen Psychoanalyse und meditativen Methoden vernachlässigen und überwinden. Denn letztlich besteht die „Gegenwärtigkeit" des Meditations-Lehrers genau so wie die des Analytikers in erster Linie in der Struktur von etwas stark Symbolischem, Worthaften, Bedeutungsbezogenem (SPRICHT), das aber gleichzeitig einen klaren Aufbau hat (STRAHLT). Der Lehrer ist nicht die Figur, die nur fertiges Wissen im Kopf hat. Er ist also vielmehr das Objekt der Übertragung, d. h. unbewusste Bedeutungen werden vom Schüler, Patienten, auf ihn übertragen und können so von ihm zur Deutung gebracht oder gelenkt werden. „Objekt der Übertragung" und „Deutung" dieser Übertragung sind konzentriertestes Symbolisches, Signifikantes, Essenz des Worthaften, des SPRICHT, aber auch ein bisschen des Bildhaften, des STRAHLT schlechthin. Sie sind nicht einfach nur Gegebenheiten, Figuren, Formen, sondern sind mit Bedeutung aufgeladen, so wie etwa in der Antike das Delphische Orakel. Dort konnte man an eine Priesterin (Objekt der Übertragung) eine Frage stellen, die dann mit einem kryptischen Satz (Deutung) beantwortet wurde (meist nicht ausreichend und natürlich auch nicht wissenschaftlich). Und so ist es auch mit dem Lehrer in der Meditation: er gibt ein kryptisches Wort, gegen das man an-meditieren muss, um es aufzubrechen und mit eigenem Beitrag zu lösen. Den gleichen Vorgang nennt man in der Psychoanalyse das „Durcharbeiten", was natürlich modernen wissenschaftlichen Ansprüchen besser genügt (während das Orakel in Delphi und auch Meditationstechniken sowie religiöse Vorstellungen mythisch aufgebaut sind).

Die Verwendung dieses komplex Wort- und Bildhaften im STRAHLT / SPRICHT verbindet sich mit einer Formel-Formulierung wie dem R-a-d-i-c-i-t so sehr zu einer idealen Kompaktheit, Festigkeit, ja, fast müsste man sagen: es verknotet, verdichtet, verdeutlicht sich dazu. Deswegen habe ich es in Gegenüberstellung zum Übertragungs-Objekt und der Deutung in der klassischen Psychoanalyse ein „Übersetzungs-Objekt" genannt. Es nimmt nicht nur Bedeutung an, Deutung, die Sinn vermitteln kann, sondern übersetzt auch gerade den spiegelnden, bildhaften Teil ins Worthafte und sein objekthafter Teil selbst ist bildhaft (dies zeige ich nachher noch in einer kreisbezogenen Schreibweise des FORMEL-WORTES, denn dieses ist ja ein stilisiertes, abstrahiertes „Übergangs-Objekt", das man eher ein „Übersetzungs-Objekt" heißen müsste).[14] Wenn die soeben erwähnte Vorübung etwas Wesentliches vom STRAHLT vermittelt hat, dann ist es nicht nur so etwas wie ein Entspannungsgefühl, sondern auch eine Art von Topologie,[15] also eine mathematisch elementare, direkt erfahrbare Struktur, die diesem „Übersetzungs-Objekts" mit zugrundeliegt. Auch das früheste Tasten und auch alle anderen frühesten Wahrnehmungen werden nach der gleichen Art, nämlich rein strukturell, „topologisch"im Psychischen organisiert, gespeichert oder verarbeitet.

Man kann dies z. B. ganz gut durch das sogenannte „Blindsehen" (Neglect-Syndrom) verstehen. Personen, deren Sehrinde im Gehirn zerstört ist, können trotzdem mit dem Rest des Gehirns noch „sehen", obwohl das Bild auf der Netzhaut und im Gehirn nicht mehr verarbeitet werden kann. Sie „sehen" rein „topologisch" oder besser: sie „sehen" mit dem, was im Gehirn den Dingen außen irgendwie identisch ist, sie „spiegeln" einfach neurologisch, virtuell. Es findet ein STRAHLT statt, aus dem diese Patienten Informationen der Umgebung entnehmen. Für die Analytische Psychokatharsis genügt es, dass es einfach bei diesem STRAHLT bleibt und nichts sonst „visualisiert" oder „gesehen" werden muss (im Gegensatz zu rein mythisch-mystischen Methoden der Meditation, wo oft von „Licht"- und ähnlichen Visionen geredet wird). Es, das Freudsche ES, das ES STRAHLT hat Objektcharakter und kann im Zusammenhang mit dem ES SPRICHT und dem FORMEL-WORT klare Bedeutung annehmen, also „Übersetzungs-Objekt" sein.

Schema

Abb. 2 Schema der Psychoanalyse, der Meditation und der daraus entwickelten Aspekte des STRAHLT und SPRICHT als umfassendere Begriffe für die Analytische Psychokatharsis. Psychoanalyse und Meditation werden in der Analytischen Psychokatharsis durch die drei in der Mitte stehenden Begriffe, „Objekte", Formel-Formulierungen ersetzt.

Auch der andere Teil des „Übergangs-Objekts", das Worthafte, der Sprechtrieb, Entäußerungstrieb, SPRICHTist somit etwas anders zu verstehen, als nur ein Trieb, ein Drang zu Sprechen. Es ist vielmehr um eine allgemeine Strebung zur symbolischen Äußerung, Entäußerung gemeint, ein ES (etwas Objektartiges), das SPRICHT. Einen derartigen Trieb, eine derartige Strebung, sich sprachlich zu entäußern, gibt es beim Tier nicht (auch für die Wahrnehmung, für das STRAHLT gilt dies, es besteht eine ganz andere Art der Visibilität beim Menschen als es die Wahrnehmung beim Tier ist). Das SPRICHT verdichtet, ja, vollendet aber die Deutung. Es gibt der bedeutenden Erscheinung des STRAHLT - vor allem im Zusammenhang mit den FORMEL-WORTEN - im „Übersetzungs-Objekt" eine wirklich klare Deutung und Lösung, die ich schon mit den „wie von weit her formulierten Gedanken" oder „Spruch" angedeutet habe und letztlich ein KENN- oder PASSWORTnenne. Nochmals ein kleines Schema, das wieder diese grundlegende Struktur darstellt (Abb. 2).

Jede menschliche Tätigkeit ist irgendwie auch symbolische Äußerung, Verlautung eines komplexeren Zusammenhangs. Nicht umsonst sprechen wir vom Beruf als von etwas, in dem das Wort Ruf, Berufung steckt. Diese Strebung, eine irgendwie nach grammatischen Zeichen geordnete Artikulation zu tun, nenne ich also analog zum STRAHLT auch ein SPRICHT. Genau so finden wir es nämlich auch in der Meditation wieder, wenn etwa Formelworte (Mantren, suggestive Formeln, Gebete, Koans) innerlich, gedanklich, wiederholt vorgesagt werden sollen (diese sind allerdings nicht wissenschaftlich begründet). Dieses SPRICHT, also der zweite Grundtrieb, das zweite Grundprinzip, bildet zusammen mit dem ersten das menschliche Unbewusste (das sowohl Bild- und Worthafte), sowie es auch die Basis jeder Meditation ist. Übt man damit, dann kann man dieses Unbewusste öffnen eben im Sinne eines „Übergangs-Objekts".