Über das "Spricht"

„Das menschliche Subjekt“, sagt Lacan, „ist eine Botschaft des konkreten Sprechens, des konkreten Diskurses“. Meistens wird nicht zugegeben, was  Sprechen beherrschen soll, denn der Anfang des Sprechens war der sogenannte „Herrendiskurs“, also so etwas wie eine Anhäufung von Machtworten. Irgendjemand hat angefangen, seinen Identitätsausruf, seine Kennung, sein „Passwort“ könnte man modernerweise sagen, zum ersten Wort einer Sprache zu machen, um damit sich, seine Situation, aber auch andere beherrschen zu können.  Auf jeden Fall ist somit „das Sprechen in erster Linie ein Mittel, um anerkannt zu werden“.  Und wer anerkannt wird, ist – primär-primitiv ausgedrückt - ein Herr. Deswegen nimmt der Psychoanalytiker Abstand vom Herrendiskurs und muss zugeben, muss sich daran halten, nichts beherrschen zu wollen, wenn er mit seinem Patienten spricht bzw. ihm zuhört.


Doch davon zu unterscheiden wäre das, was ich ein „Spricht“, ein Es „Spricht“ nenne. Denn der Herr weiß nicht immer genau, was er sagt. Er weiß vielleicht auch gar nicht, dass es in ihm ein Unbewusstes gibt, etwas, das ihn zu diesem oder jenem drängt, treibt, und das dies nicht nur mechanisch, biologisch tut, sondern bedeutungsbezogen, symbolisch, signifikant. Der Patient in der Psychoanalyse ist aufgefordert alles zu sagen, was ihm gerade einfällt, um damit diesem Unbewussten nahe zu kommen, d. h. es sprechen zu lassen, Es, das ohnehin schon in ihm „Spricht“. Um den Faden des „Spricht“ in sich selbst aufzunehmen, benötigt er jedoch den Analytiker, der zwischen den Zeilen heraushören muss, um was es eigentlich geht, was es eigentlich zu sagen gibt. Er könnte jedoch auch diesen Faden direkt in sich aufnehmen, und wie dies geht, beschreibe ich in meinem Verfahren der Analytischen Psychokatharsis. Wie mehrfach veröffentlicht, geht es dabei nicht nur um das „Spricht“, sondern auch um das, was ich parallel dazu ein „Strahlt“ nenne (siehe den Artikel: Über das „Strahlt“).
Doch bleiben wir beim „Spricht“. Natürlich nimmt der Patient in der Analyse den Faden seines „Spricht“ deswegen nicht direkt auf, weil er ja aufgefordert wird, auch Peinliches und Blödheiten zu sagen, eben alles, was ihm in der Sinn kommt. Er weiß ja, dass ihm jemand zuhört, der dafür zuständig ist, mit ihm zusammen den Faden zu finden. Kurz: das psychoanalytische Verfahren ist etwas umständlich. Der Patient wird, wie man dort sagt, in einer Übertragungsneurose versetzt. Hat man doch schon selbst eine Neurose, kommt nunmehr eine zweite dazu. Doch der Schwerpunkt liegt auf dem Wort Übertragung. Der Patient überträgt, wie es heißt, auf seinen Therapeuten Bedeutungen aus früheren Phasen oder auch anderen Beziehungen seines Lebens. Aus dieser Tatsache kann der Therapeut seine Deutungen ziehen und so können beide, Patient und Analytiker, den Faden des „Spricht“ herauskristallisieren und zum klaren Diskurs machen. Doch auch der Analytiker hat „Gegenübertragungen“, und auch dies macht die Sache etwas umständlich.
Doch Übertragungen gibt es auch außerhalb der Analyse. Wir bemerken meist nicht, wie wir auf andere Menschen, denen wir Fähigkeiten oder Wissen unterstellen, Gefühle und Bedeutungen übertragen, die wir dann natürlich nicht wie in der Therapie ansprechen und auflösen können. Auch wenn wir uns hinsetzen und gar nichts tun, wenn wir uns ganz zur Ruhe kommen lassen wie etwa in einer Meditation, übertragen wir etwas in die Leere oder in die Dunkelheit oder das Nichts vor uns. Dies ist in gewisser Weise auch in der Religion der Fall. Wir übertragen etwas ins Jenseits, in die Transzendenz, in der Hoffnung oder doch wenigstens in der Erwartung, dass irgendetwas dadurch passiert, ja, dass etwas zurückkommt oder widerhallt. Genau all dies zeigt, dass es ein „Spricht“ gibt, denn was sollte widerhallen, wenn nicht so etwas Wort- oder Bedeutungsbezogenes. Denn wo es eine Übertragung gibt, muss es auch eine Unterstellung geben (bei der Übertragung auf den Therapeuten ist es wie gesagt die Unterstellung, dass er etwas weiß, bei der Übertragung auf das Nichts, das Dunkel vor einem, ist es die Unterstellung, dass da etwas ist, existiert).
Vielleicht könnte man es so sagen: in der Übertragung wird etwas bewegt, das ein „Spricht“ ohne laute Worte ist, ohne präzise Vokabeln. Es ist einfach ein kristalliner Diskurs, der unbewusst abläuft, so wie Lacan auch das Unbewusste selbst einen „linguistischen Kristall“ nennt. D. h., dass das „Spricht“ ein Pendant, einen Kameraden braucht, den ich statt Kristall auch als das „Strahlt“ bezeichnen kann. „Strahlt“ und „Spricht“ sind ja Grundkräfte, Grundtriebe sowie Freuds Eros und Thanatos. Sie beziehen sich eben nur auf Wahrnehmung und Entäußerung, Schau- und Sprechtrieb, wie sie Lacan auch genannt hat. Damit wird auch klar, dass man das „Spricht“ nicht weiter benennen kann, sondern nur der Jeweilige selbst, das Subjekt selbst, kann seinem „Spricht“ Ausdruck verleihen. Wenn er dies nicht mit Hilfe eines Therapeuten auf etwas umständliche Weise tun will, kann er es auch in der Analytischen Psychokatharsis erlernen.
Hier wird nämlich durch einen kleinen Kunstgriff das direkte Aufnehmen des oben genannten „Spricht“-Fadens ermöglicht. So etwas ist selbstverständlich bei jeder Meditation der Fall, bei der eben – wie geschildert – eine Übertragung in das Nichts hinein stattfindet. Man würde aber in Verwirrung geraten, hätte man überhaupt keine Anleitung dafür, wie zu meditieren ist. In der Analytischen Psychokatharsis beruht diese Anleitung jedoch auf einem wissenschaftlichen, psycho-linguistischen Zugang. Während bei allen Arten von passivem Yoga, Meditation oder Entspannungsverfahren mythisch, magische oder mystische Vorgaben gegeben werden, ist hier bei der Analytischen Psychokatharsis auf psychoanalytischer Basis das „Spricht“ von seinen signifikanten Strukturen her selbst erfasst. Es werden Formel-Worte benutzt, die wie das Unbewusste mehrfache Bedeutungen in einer Formulierung enthalten (siehe Genaueres unter entsprechenden Artikeln auf www.analytic-pschocatharsis.com).