Die letzten Tage am Obersalzberg

Über End- oder Untergangsjustiz

In meinem neuen Buch Politik / Therapie habe ich Auszüge aus einem Buch meines Vaters veröffentlicht. Mein Vater war im Dritten Reich Ministerialrat im Wirtschaftsministerium und hatte so - geschützt durch die Neutralität eines Wirtschaftsberaters - einen tiefen Einblick in die damaligen Machtverhältnisse als unmittelbarer Zeitzeuge. In den Jahren 1939 - 45 war er oft auf dem Obersalzberg,

Hitlers Alpenfestung. Über die letzten Tage dort berichtet er sehr authentisch und detaillierter, als es wohl die meisten Historiker bisher vermochten, die dort ja nicht zugegen waren. So sollte mein Vater am Schluss dafür sorgen, dass Göring gefangen genommen werden musste und auf Hitlers ausdrücklichen Befehl noch im letzten Moment hätte erschossen werden sollen. Mein Vater erfand einen Ausweg, Göring nach Mauterndorf in Österreich zu bringen und ihn dort zu internieren.

Im allerletzten Akt die engsten Vertrauten umzubringen ist eine häufig anzutreffende und entlarvende Einstellung großer Potentaten. Aber auch kleine Potentaten haben sich in den letzten Stunden des Dritten Reiches in dieser Art einer End- oder Untergangs-Justiz hervorgetan. So wurden in München noch kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner noch einige Personen gehängt, die den Befehlen der Nazis nicht mehr nachkommen wollten, nachdem der Krieg ja für alle sichtbar verloren und zu Ende war. Aber die Henker genießen noch den letzten Moment ihrer Macht, um dann sozusagen in den Untergang oder in die Flucht nach irgendwo zu verschwinden. Im Moment des Verlustes wollen sie noch einmal triumphieren und zeigen, dass sie bis in die groteskeste Konsequenz hinein einer Idee treu und ergeben bleiben können. Wie kann man sich dagegen schützen, selbst eines Tages vor einer Entscheidung zu stehen, die ähnlich brisant ist und doch unbedingt nicht falsch entschieden werden darf. Denn wie der Soziologe H. Welzer in mehreren Büchern beschrieben hat, handeln wir alle in einem kulturellen, sozialen, ökonomischen und geistigen Bezugsrahmen, dem wir in hohem Maße unterliegen. So erklärt Welzer auch wie die Täter in den Konzentrationslagern ihre eigenen Taten vor sich und ihrem Gewissen rechtfertigen konnten auch wenn sie diese Taten später anders werten mussten.

Um sich vor einseitigen Bezugsrahmen zu schützen, brauchen wir eine Methode der Selbstanalyse, wie ich sie in der Form der Analytischen Psychokatharsis beschrieben habe. Dieses wissenschaftlich von der Psychoanalyse hergeleitete Verfahren kann einen auf Schritt und Tritt begleiten, man muss es nicht in einem Institut viele Stunden lang erlernen.