Higgs-Boson und Unbewusstes

Heute (4.7.12) haben Physiker am CERN bekanntgegeben, dass das lange gesuchte Higgs-Boson, das letzte fehlende Elementarteilchen gefunden worden ist. Gefunden ist freilich ein nicht ganz zutreffender Ausdruck, denn man konnte aus den bisherigen Erkenntnissen der Teilchenphysik schon lange ein derartiges Teilchen vorhersagen. Man musste es sozusagen finden,

denn man hatte ja schließlich dafür etliche Milliarden ausgegeben, um den größten Teilchenbeschleuniger der Welt zu bauen. Auch ist der Begriff des Teilchens fragwürdig, denn eigentlich ist es mehr ein Mechanismus.

Nach meiner laienhaften aber doch gut abgesicherten Vorstellung sind alle Elementarteilchen in etwas „eingebettet“, in ein Fluidum, ein alles durchdringendes Etwas, das man eben nach seinem Erfinder den Higgs-Mechanismus nennt. Die Elementarteilchen würden ohne diesen Mechanismus frei im luftleeren Raum schweben, und das geht eben nicht. Irgendwie und –wo müssen sie ja aufgehängt, zusammen@hängend sein.

Ich schreibe dieses Wort mit dem @-Zeichen in der Mitte, weil dieses Zeichen sich gang gut dafür eignet, den Mechanismus des Aufgehängtseins zwischen dem zusammen und dem hängen zu verbildlichen. Man würde eigentlich immer etwas brauchen, das die Verbindung, das Bindeglied, die Kopula als solche darstellt. Denn ich schreibe diesen Artikel als Psychoanalytiker und nicht als Physiker oder als allgemein interessierte Laie. Ich schreibe es deswegen, weil es schon seit ewigen Zeiten Leute gibt, die zwischen Physis und Geist besondere Zusammen@hänge herstellen wollen.

Bei Heraklit war dies noch ganz einfach, wenn auch mythisch überfrachtet, weshalb er auch der „Dunkle“ genannt wurde. Für ihn war das Feuer das All-Eine, darin war er schon fast auf der Stufe des französischen Psychoanalytikers J. Lacan, der sagte, das Ein bewirke das Sein und nicht umgekehrt. Man kann sich dennoch ganz gut darin einfühlen, dass das Lodernde, Lebendige, zu Zähmende und doch auch wieder ungezähmt Wilde des Feuers als etwas All-Eines zu verstehen ist.Das Heraklitsche Feuer kann sich auch in sein Gegenteil, in das Wasser wandeln, ja in den ganzen Kreis der Elemente, und es ist auch mit dem Logos verwandt, der eben von diesem Feuer etwas aussagen kann. Das Großartige an Heraklit sind allerdings seine Wortspiele wie der vom Bogen ( βίος, bios), der das Leben(βιός, bios), dessen Tun aber der Tod ist. Darin ist er sogar wahrhaft Lacanianer.

Die Mystiker des Mittelalters bis hin zu F. Capra, der vom Tao der Physik sprach, gibt es dann also weitere mythische Theoretiker, die glauben machen wollten, dass der Geist die Physik irgendwie direkt beherrschen kann. R. Penrose, Mathematiker, meinte wie einige andere auch, dass in den Gehirnzellen Strukturen zu finden sind, die direkt mit der Quantenmechanik in Zusammen@hang zu bringen sind. Doch von der makrophysischen Welt zur Quantenmechanik ist es ein wahnsinnig weiter Weg. So einfach geht das nicht. „Wenn man definitive numerische Werte für Eigenschaften makroskopischer Objekte anerkennt und wenn man die Quantenmechanik als vollständige Beschreibung der mikrophysikalischen Wirklichkeit anerkennt, dann muss man die Möglichkeit des Übergangs zu wohlbestimmten numerischen Werten in die Dynamik einbauen, die man für die Zeitentwicklung von Quantensystemen ansetzt.“[1]

Wohlbestimmte numerische Werte, also klare Zahlen muss es geben können, um einen Zusammen@hang von Quantenmechanik oder von Higgs-Bososn und Gehirn oder Geist herzustellen. Und die hat bisher noch niemand gefunden oder verwendet.Dennoch will ich zugeben, ist es einfach zu faszinierend und interessant, sich die Frage des menschlichen Geistes, den wir Psychoanalytiker das Unbewusste nennen, und dem Zusammen@hang mit der physischen Welt zu stellen und zwar in einer Weise, die direkter ist als der Zusammen@hang vermittels des Gehirns. Die neurowissenschaftlichen Erklärungen, die es dazu gibt, sind biologisch-informatische, weisen aber keine direkten Zusammen@hänge nach. Dagegen konnte die Psychoanalyse Lacans hier Fortschritte darstellen. Lacan spricht einerseits vom „ultrasubjektiven Ausstrahlen (Freud würde hier vom Schau- oder Wahrnehmungstrieb sprechen) im Unbewussten des Menschen und andererseits auch vom „Sprechtrieb“ im gleichen unbewussten Geschehen.

Zwischen diesen beiden Trieben, Kräften, Phänomenen gibt es einen Zusammen@hang in Form der „Signifikanten“ (unscharfer Bedeutungsträger, unbestimmter Bezeichner), die also etwas Subjekt-Objekt-Artiges zugleich sind. Ich kann die Lacansche Theorie hier nicht weiter ausführen und verweise vorerst auf meine anderen Artikel über dieses Thema. Auf jeden Fallliegt hier am ehesten das @ des Zusammen@hangs, von dem ich ausgegangen bin. Während wir somit von der psychoanalytischen Seite schon weit fortgeschritten sind, hinkt die physikalische noch etwas nach.

Denn das Higgs-Boson ist noch nicht der letzte Mechanismus, mit dem sich @ und @ zusammen@hängen lassen. Es gibt da noch die Gravitation, die Gravitonen und anderes völlig Ungeklärtes, das wir noch brauchen würden, damit wir mit unserem bewusst / unbewusstem Geist etwas bewegen können.Soviel kann man jedoch sagen: das Higgs-Boson ist ja etwas, das das ganze Universum aber auch uns selbst unglaublich tief und nahe durchdringt. Wir können es nur nicht sehen, empfinden oder sonst nachweisen. Dazu brauchen wir eben so eine gigantische (gigantomane?) Maschine wie den LHC am CERN. Aber es könnte ja gelingen, von einer neuen Wissenschaft her, die die „Signifikanten“ Psychoanalyse mit solchen der Natur besser verbindet, das Rätsel von@ zu lösen (Fortsetzung dieses Artikels folgt).



[1] Esfeld, M., Das Wesen der Natur, Spectrum der Wissenschaft, 6/11, S. 57