Die Wort-Börse

Das von Freud hinsichtlich seiner Psychoanalyse konzipierte Unbewusste ist eine Art von Wort-Börse. Lacan sagt, dass das Unbewusste strukturiert ist wie eine Sprache – und zwar die Sprache des Anderen. Der Andere ist nicht jeder beliebige andere, sondern der bedeutend Andere, weshalb Lacan ihn mit großem A schreibt. Früher waren die Eltern Repräsentanten dieses großen Anderen, des bedeutenden A. in der Psychoanalyse ist es der Psychoanalytiker. A könnte auch eine Beziehung zu Gott haben oder einfach zu den vielschichtigen Bedeutungskonten, die in unserem Unbewussten herumgeistert. Denn die Bedeutungen, die schon etwas wortbezogen vorgeformt sind, die Signifikanten, verhalten sich tatsächlich wie die Werte in der Börse, wo sie ihren Bezügen entsprechend gehandelt werden.


In der herkömmlichen Psychoanalyse findet dieser Wort-Werte-Handel schon in der Art statt, wie der Patient (der Analysand) seine freien Einfälle, seine „freien Assoziationen“ äußert, was für Gesten er dazu macht, wie seine Stimme klingt etc. Geburt, Tod, Eltern, Geschwister, Partner, Liebe, Gewalt und tausend andere Wertpapiere und Firmenaktien werden gehandelt, und aus all dem Gerede, Geflüster, Phantasieren und Deuten kristallisieren sich – entsprechend natürlich auch dem Zutun des Börsenmaklers (Analytiker) die Kurse und Hoch und Tiefs heraus, Hausse und Baisse wie es eben an einer Börse üblich ist. Liebesverrat beispielsweise steht hoch im Kurs, Ethik und Vernunft dagegen werden recht niedrig gehandelt, je nachdem, wer auf der Couch liegt und hinter ihr sitzt. Nur die Regeln der Börse bleiben konstant und garantieren einen Ablauf, einen gewissen Halt, eine Plattform, eine Gesetzmäßigkeit.


Liebesverrat ist schlimmer als Verlust, Angst schlimmer als körperlicher Schmerz. Doch die Käufe und Verkäufe kommen nur bruchstückhaft zur Geltung. Sie sind ja auch Buchstaben und Silben, aus Wortfetzen und puren Verlautungen gemacht. Bis ein wirklicher Kurswert feststeht, kann es lange dauern und müssen hektische Steigerungen und depressive Abwertungen durchlaufen werden. All diese Vorgänge dauern in einer klassischen Psychoanalyse sehr lang und sind oft umständlich zu einem positiven Ende zu bringen.  Es ist jedoch eine große Erleichterung, wenn die Verläufe des Börsenhandels für einen Tag schon gut vorsortiert, durch zahlreiche Meldungen vorgeordnet und abgecheckt sind. Das ist der Versuch mit dem Verfahren der Analytischen Psychokatharsis ein positives Ende auf einfacherem Wege zu erreichen und so die Langzeitanalysen verkürzen. Denn um was es in der Psychoanalyse geht und wie man in der Börse wenigstens ohne Verlust und vielleicht mit einem ganz kleinen Gewiss schnell wieder herauskommt, kann man auch in ein paar Sätzen sagen.


Es geht darum, das Innerste der menschlichen Natur zu finden und ihr entsprechend zu leben. Dazu muss man auf A in seiner kompaktesten Form treffen, denn jeder Personalisierung, egal ob durch Eltern, Lehrer, Priester oder Psychoanalytiker führt nur wieder dazu, sich an dieser Art von A festzuhalten und nicht selbstständig zu werden. In der Analytischen Psychokatharsis wird A daher in seiner sowohl von der Natur wie auch von der Sprache her kompaktesten Kombination erfasst. A ist hier nunmehr das Schatzhaus der Signifikanten, wie Lacan es nannte. A ist die Börse samt ihren Protagonisten. Doch A ist wie die Börse dazu da seine innerste Natur preiszugeben, damit man eben ohne Verlust und mit dem angemessenen Gewinn herauskommt. Dieser Gewinn ist eine präzise Sicht in die Zukunft.


Diese Sicht in die Zukunft dient dazu, aus der Vergangenheit das Wichtige zu schöpfen um damit die eigene Geschichte neu schreiben, d h. für die Zukunft zutreffend schreiben zu können. Man muss sich ein bisschen mit den Frühmenschen, die auch den Frühmenschen in uns selbst betreffen, beschäftigen. Dann ein bisschen mit dem Beginn der ersten Hochkulturen, um zu sehen, was die Menschen mit diesem „Hoch“ bereits von dem Vorher schon wieder verloren haben. Dann etwas mit dem Mittelalter und erst dann mit dem Heute. Wenn man weit zurückgeht – wie gerade geschildert – nennt man dies in der Psychoanalyse eine Regression. Auch auf der Börse nennt man dies so. In der Analytischen Psychokatharsis spreche ich diesbezüglich gerne von einer Involution, weil dies der äußeren Evolution entspricht, die wir in Psychoanalyse und Börse wiederum eine Progression nennen. Die in der Analytischen Psychokatharsis verwendeten Formel-Worte tragen regressive, also involutive  und progressive Elemente in sich. Sie können daher den Prozess des auf frühe Entwicklungsstufen Zurückgehens und wieder Fortschreitens ideal abbilden und in Gang setzen.


Man muss sich das so vorstellen: durch die „freie Assoziation“ wird in der Psychoanalyse ein regressiver Vorgang eingeleitet. Der Patient spricht im Idealfall wie träumend vor sich hin und enthüllt damit Inhalte seines Unbewussten, die ihm selbst rätselhaft erscheinen können. Indem der Analytiker diese Äußerungen mit ihm bespricht und deutet, kommt ein progressiver Vorgang zustande. Der Patient schreibt – regressiv zurückgreifend auf seine vergangenen oder inadäquaten Erfahrungen – anhand der Deutungen und der Zusammenarbeit mit dem Analytiker seine Geschichte neu. Neu ausgerichtet in die Zukunft. So schreibt auch der Börsianer zurückgreifend auf die unruhigen Märkte seinen Handel in progressiver Richtung fort, seine Arbeit erhaltend und fördernd. Und auch die Natur greift stets auf frühere Lebensformen zurück, wenn der Überlebenskampf es erfordert und entwickelt neue beständigere Formen des Lebens und des evolutiven Geschehens.


Für alle diese Zurück-und-Vorwärts-Vorgänge stehen in der Analytischen Psychokatharsis die Formel-Worte. Das Zurück ermöglichen sie durch ihre rein wort-bild-klangliche Struktur, die scheinbar nichts sagt, sondern wie die Assoziationen des Patienten rätselhaft erscheinen. Das Nach-Vorne erzeugen sie jedoch durch die wort-bild-inhaltliche Struktur, durch die Anregung eines aus vielen unzusammenhängenden Bedeutungen gemachten Sinns. Dieser Sinn kann die Katharsis sein oder die Pass-Worte oder beides zusammen. Selbst in der Baisse geht die Wertschöpfung weiter, da sie ja letztlich eine Klärung, Reinigung, Katharsis des Marktes ist, um dann wieder zu einer Hausse zu führen, die Sinn macht. In der Analytischen Psychokatharsis besteht der Sinn darin, das Innerste der menschlichen Natur und der Beziehungen unter den Menschen erkannt, erfahren, stabilisiert und erlebbar gemacht zu haben. Mehr Lebenszweck kann es nicht geben. Das Subjekt ist dann mit seinem A vereint.