Trieb-Struktur-Konzept

Das Freud´sche Trieb-Struktur-Konzept ist noch immer nicht in eine einfache Form gebracht worden. Schon der Begriff des Triebs macht Schwierigkeiten. Ist er mehr somatisch oder psychisch? Einerseits sieht Freud den Trieb als somatischen Reiz an, der im Seelenleben eben durch den Trieb repräsentiert ist, also psychische Qualität hat (Freud, S., GW Bd. X, S.215). Andererseits haben jedoch diese Repräsentanzen äußerst vielschichtige Formen. Es können Vorstellungen repräsentiert sein oder Affekte. Unter den Vorstellungen sind Sach- und Wortvorstellungen möglich. Es handelt sich jedoch stets um „unbewusste Vorstellungen“, ein in sich etwas widersprüchlicher Begriff. Dazu kommt, dass den Trieb gleich an seinem Ursprung eine „Urverdrängung“ befällt, durch die er erst einmal völlig verändert wird, gleichzeitig aber seine Fixierung im Unbewussten erhält. Schließlich und endlich sind die Triebe auch „mythische Wesen, großartig in ihrer Unbestimmtheit.“ (Freud, S., GW Bd. XV, S. 101). Zudem sind sie auch noch etwas Energetisches, wobei der Ener-giebegriff hier etwas überstrapaziert ist, denn mit rein physikalischer Energie hat es nichts zu tun.

Ich habe vermittels der Umformulierung des Freud´schen Konzeptes durch J. Lacan für mein Verfahren der Analytischen Psychokatharsis folgende Vereinfachung finden können. Die Triebe sind in ihrem Wesentlichen weder somatisch noch psychisch, sondern universelle konstante Grundkräfte, die auch außerhalb des biologischen Körpers existieren (auch Freud benutzt hier den Begriff einer „konstanten Kraft“. Der Begriff „Kraft“ ist hier durchaus auch von der Physik her gedeckt, wenn wir sehen, wie heute z. B. in der String-Theorie an solchen „Kräften“ gearbeitet wird, die jenseits von materiellen und energetischen Begriffen fungieren. Trotzdem bleibt ein Rest an Mythischem an ihm hängen).


Vor allem beim Menschen nehmen sie den Charakter zweier konstanter erfahrbarer Grundkräfte an, die von den bei den übrigen Lebewesen gefundenen Art- und Selbsterhaltungstrieben – die man daher auch besser Instinkte nennt -  völlig  verschieden sind. Freud ist von diesen zwei Trieb-Instinkt-Formen ausgegangen und hat dann beim Menschen zwar zwei andere Grundformen gefunden, diese jedoch strukturell an die im Tierreich konstatierten Instinkte angelehnt. Er spricht von den Eros-Lebenstrieben einerseits und dem oder den Todestrieben andererseits. Die letzteren sind mit Aggressivität und Destruktivität verbunden, was immer ein gewisses Rätsel geblieben ist.


Denn ein reiner, konstanter Zerstörungstrieb würde der Menschheit keine Aussicht auf wirkliche Freiheit und gedankliche Größe ermöglichen. Selbst wenn man diesem Trieb den anderen, den erotischen zumischt, kommt allenfalls ein sado-masochistischer Zug zustande. Tatsächlich ist das Freud´sche Konzept sehr stark auf eine derartige Lösung konzentriert. Freud hatte jedoch auch den an die Wahrnehmung angelehnten und vielleicht ursprünglich mit ihr identischen Wahrnehmungs-trieb, Schautrieb, erwähnt, und Lacan hat diesem Trieb den Entäußerungstrieb, der beim Menschen vorwiegend ein Invokations- bzw. Sprechtrieb ist, gegenüber gestellt. Damit sieht die Sache gleich ganz anders aus. Diese beiden konstanten Grundkräfte, Schau- und Sprechtrieb, können vielfältigste Vermischungen eingehen, und hier hat der Mensch eine Chance, zu besonders hochgradigen, sublimierten, gelungenen Vermi-schungen zu kommen, die Freiheit und gedankliche Größe vermitteln können.


Zudem vereinfacht dieses Konzept das Problem der somatischen und psychischen Repräsentanzen. Diese beiden Triebe, konstanten Grundkräfte, sind ständig als sie selbst repräsentiert, nämlich in der Wahrnehmungslust einerseits, die ich vereinfacht auch ein Es STRAHLT genannt habe, und in der Äußerungslust andererseits, einem Es SPRICHT  (Auch hier ist der Begriff „Lust“ sehr universell zu verstehen. Ich habe in einem anderen Artikel (Lust-Topologie) dazu Stellung genommen). Man muss diese Kräfte nämlich nur in ihrer elementarsten Grundform aufgreifen, eben in der, wie sie auch sonst in der Welt repräsentiert sind, um sie nutzbar machen zu können. Was das STRAHLT angeht, hat Lacan auch vom „ultrasubjektiven Ausstrahlen“ gesprochen, und auch seine ganze Bild-Blick-Theorie hat mit einer derartigen universellen Form der Wahrnehmungslust zu tun. Insbesondere beim Menschen steht diesbezüglich nicht das Auge oder die tastende Hand im Vordergrund, sondern der Blick bzw. der „innere Sinn“, der könästhetische Sinn, der mit dem Getast zu tun hat. Lacan sagt, dass beim Menschen der Blick über das Auge triumphiert (und der „innere Sinn“ über die Haut.  Der Psychoanalytiker A. Green spricht diesbezüglich auch vom Haut-Ich, d. h. das Ich hat seine Haut nach innen gestülpt und äußert Empfindungen so, als kämen sie von innen und außen zugleich). Wir blicken also nicht nur photographisch oder instinktgeleitet, sondern werden gleichzeitig wie von überall her erblickt. Wir stehen ständig im Blickfeld, aus dem heraus wir auch selber sehen, uns aber auch als gesehen wahrnehmen. Diesen Charakterzug haben ja insbesondere die neuen Medien mit ihrer Multiplizität verstärkt demonstriert, indem manche Menschen nur noch von einem „ich sehe und werde gesehen, also bin ich“ ausgehen.


Blick-Schau-Felder und Verlautungs-Sprech-Kontexte kombinieren sich also aufs vielfältigste und geben unserem Leben extreme Möglichkeiten der Kräftegestaltung. Auch das oben angeschnittene Problem der „Urverdrängung“ und der Trieb-Fixierung lässt sich so leichter erklären. Schau-und Sprechtrieb, STRAHLT / SPRICHT kombinieren sich so, dass der eine gegenüber dem anderen wie „urverdrängt“ erscheint, und dadurch fixieren sie sich auch bereits in frühester Kindheit. Freud nannte dies Triebschicksal, und diese Bezeichnung kann man genau so stehen lassen. Natürlich können solche enormen Möglichkeiten der Trieb-Kombination auch ins total Negative führen. Selbstverständlich gibt es in diesem Konzept auch die Gefahr der Destruktivität, aber sie ist nicht als solche triebbestimmt. Sie kommt vielmehr aus einer fehlerhaften, misslungenen Vermischung, und damit eröffnet sich ein neues problematisches Feld. Doch meine ganze bisherige Darstellung hängt an Wörtern, die nie ganz klar bestimmt sind. Das ist das Problem aller Bücher.


Deswegen empfehle ich die analytische Psychokatharsis, weil sie hier anfängt, wo mein Text abbricht. In ihr und mit ihrer Hilfe kann jeder diesen Text hier selbst weiterschreiben so wie es für ihn wichtig ist und ohne dass die Wissenschaftlichkeit eingebüßt wird. Denn die Subjektbezogenheit steht im Vordergrund. Das STRAHLT / SPRICHT wird in der Analytischen Psychokatharsis rein und extrem formal zum Selbstüben angeboten. Dadurch muss ich nichts mehr hinzufügen. Wenn diese zwei konstanten Grundkräfte universell sind und es einen einfachen pragmatischen Zugang zu ihnen gibt, kann jeder von da ausgehen, wo letztlich alles ausgeht.