Bioanalyse und "gelungene" Verdrängung

Freud war davon ausgegangen, dass nicht jede Verdrängung unbedingt als pathologisch anzusehen ist. Es gibt auch, so schreibt er, normale Verdrängung (normale Abwehr des Peinlich-Unerträglichen durch Anerkennung, Überlegung, Urteil und zweckmäßiges Handeln. Freud,S., GW Bd. XVI, S. 255). Lacan sprach diesbezüglich auch von der „gelungenen Verdrängung“, die eine Art von normalem Vergessen ist. S. Ferenczi, ein Schüler Freuds, entwickelte auf dieser Basis die Gedanken einer Bioanalyse, in der es eben nach psychoanalytischem Vorbild auch eine Verdrängung „biologischer Tatsachen“ gibt (Ferenczi, S., Versuch einer Genitaltheorie, Intern. Psychoanal. Verlag (1924) S. 118).  Er bezeichnet diese Verdrängung auch als Rückentwick-lung zu „früheren Lebens- und Todeszuständen“. Dabei stützt sich Ferenczi zuerst auf die schon vor Freud bekannte Konversion der Hysterischen. Auch hier fand man ja eine Entwicklung zurück zu früheren Seelenzuständen, gleichzeitig jedoch auch eine in die Tiefe zu körperbezogenen Bereichen. Die Körperbezogenheit ist jedoch bei der Konversion keine, die bis in die realen Körpergewebe und Organe greift, sondern die sich im Nervensystem bzw. im tief Unbewussten abspielt und die libidinösen Erregungen nur in die Körperregionen projiziert. Ferenczi sucht jedoch einen Bezug zum Körper, der bioanalytisch real ist (er spricht auch analog zum psychoanalytischen vom bioanalytischen Realitätsprinzip).


Um all dies wissenschaftlich zu erhärten, geht Ferenczi von einer Reintegration aus, bei der das Unbewusste bzw. die Libido Strukturen der erwähnten früheren Lebens- und Todeszustände in den Geweben gespeichert sind und dort wiederbelebt und dann eben wieder ins Subjekt integriert werden können. Derartige Vorstellungen sind uralt. Auch heute noch ist in sogenannten Reinkarnationstheorien oder im indischen Yoga der Gedanke gang und gäbe, dass frühere Erlebnisstufen wieder erfahren, erlebt und durchwandert werden können. Eine naturwissenschaftliche Grundlage haben all diese Vorstellungen natürlich nicht, dennoch wäre es gerade heutzutage nicht schwer, sich eine solche ohne mystische Auffassung zu erstellen. Die moderne physikalische Stringtheorie z. B. erlaubt in ihren Annahmen von Paralleluniversen, die jedoch nicht weit außerhalb unseres Universum zu finden sind, sondern gleichzeitig nur eine Plack-Länge (eine ungeheuer extrem kurze Strecke vom 10-35 cm) von uns entfernt liegen, also praktisch mit uns identisch sind. Doch auf solche Spekulationen muss man hier nicht eingehen. Eine psychische Erfahrung von evolutionär früheren Gewebs- und Organzuständen kann man sich auch anders zusammenreimen.
So war schon Freud der Ansicht, dass sich - beispielsweise im Fieber - die Libido auf topisch elementarere Stellen im Organismus zurückziehen kann, um von dort dann zu einer Neuverteilung der libidinösen Besetzungen zu gelangen. Ein derartiger Vorgang ist bei der rein psychischen Besetzung das Übliche, so kann etwa eine narzisstische Besetzung zu einer erotisch besetzter Objekte werden und umgekehrt. Doch auch die Libidoverteilung beim Fieber reicht nicht aus, um die Fenrenczi´sche Theorie zu belegen. Eine Temperaturerhöhung kann nicht so intensiv wie körperfremde Antigene ins Immun- oder Zellsystem eingreifen, um dort sogar neue Zellklone zu erzeugen, die Antikörper gegen das Antigen bilden können. Dennoch schließt Freud nicht aus, dass körperhafte Vorgänge direkt libidinös erzeugt werden können, ohne das Nervensystem zu benutzen. Gerade ja bei den sexuellen Vorgängen glaubte er, es würde eines Tages ein hormoneller Mechanismus gefunden werden, der seine Sexualtheorie bekräftigte.
Trotzdem: bei Freud bleibt die Konzeption seines Trieb-Struktur-Modells zwischen biologischen und andererseits jedoch auch sehr stark literarischen Aspekten aufgeteilt. Lacan hat diese Auffassungen durch sein Signifikanten-Modell elegant überbrücken können. Er lieh sich das Wesen der Signifikanten (der Bezeichner, Bedeuter) von der Linguistik, wandelte jedoch die dort übliche Gegenüberstellung von Signifikant zu Signifikat (dem Bezeichneten)  in eine von zwei gleichwertigen Elementen, ja fast schon realen Wesenheiten um. Ein Signifikant repräsentierte seiner Meinung nach ein Subjekt für einen anderen Signifikanten, es stehen sich also zwei solche Wesenheiten gegenüber, und das menschliche Subjekt ist zwischen zwei solchen Elementen konflikthaft eingebunden. Vereinfacht kann man sagen, dass die Signifikaten bei Lacan die Freud´schen Triebe wiederspiegeln:  Eros- und Destruktionstrieb beispielsweise, die Lacan jedoch plausibel als Wahrnehmungstrieb und Sprechtrieb konzipiert. Damit ergeben sich ganz andere Möglichkeiten wieder zu Ferenczi zurückzukehren.
Die Wahrnehmung als Trieb ist ja tatsächlich stark an die eigentliche biologische Wahrnehmung angelehnt. Es handelt sich sozusagen um deren Lustanteil, und dieser ist sicherlich beim Menschen in seiner Schaulust (Kunst, Landschaften, Erotik) sehr ausgeprägt. Dennoch kann man sich vorstellen, dass sich Wahrnehmung auch mit geringerem Lustanteil im Sinne der „Organlibido“ (ein Ausdruck der sich bei Freud wie bei Ferenczi findet) im Organismus irgendwie rudimentär erhalten hat. Ebenso gilt dies für Entäußerungen, die beim Menschen sich bis zu einem Sprechtrieb, einer vokalischen Entäußerung gesteigert haben. Wenn es nunmehr so aussieht, als hätten wir zu ganz frühen wie auch immer gearteten Zuständen keinen Zugang, so deswegen, weil die beiden Triebe, die beiden Grund-Signifikanten, eben keine Kombination eigegangen sind oder heute so leicht eingehen, dass wir damit etwas anfangen könnten. Ferenczi selbst konnte ja kaum davon ausgehen, dass mit der klassischen Psychoanalyse an solche Frühformen der libidinösen Besetzungen heran zu kommen sei. Er hat zwar versucht, durch sogenannte „aktive Psychoanalyse“ und andere Interventionen und weitreichende Manipulationen seinem Ziel einer effektiven Bioanalyse näher zu kommen. Doch er ist damit gescheitert.
Nun ist es nicht so, dass mit einer sehr ausgedehnten hochfrequenten Psychoanalyse es nicht möglich wäre, auch körperliche Symptome zu heilen. F. Henningsen berichtet beispielsweise in mehreren ihrer so geführten Analysen, dass im Zuge vermehrter psychischer Einsichten auch krankhafte Körpersymptome verschwanden (Henningsen, F., Psychoanalysen mit traumatisierten Patienten, Klett-Cotta (2012).  Trotzdem wird man sich diese Erfolge mit Einwirkungen über das Nervensystem erklären. Die von ihr behandelten Patienten hatten keine Einsichten in reintegrierte organlibidinöse Vorgänge, die an das Leben von Eidechsen erinnern würden (Ferenczi hatte nämlich die Verdrängung in seiner Bioanalyse mit der Autotomie verglichen, also mit dem Geschehen des Abtrennens des Eidechsenschwanzes bei Bedrohung). Zwar spalten, schneiden traumatisierte Patienten tatsächlich ganze Teile ihres Seele, ihres Ichs so weit ab, dass sie sie trotz beginnender Aufdeckung gar nicht mehr ganz erinnern und somit wieder in sich selbst integrieren können, aber dies ist und bleibt eben ein rein psychischer Vorgang. Ich schreibe dennoch diesen Artikel, um der Bioanalyse noch einmal Auftrieb zu geben.
In der von mir entwickelten Analytischen Psychokatharsis kommt man nämlich den Ferenczi´schen Vorstellungen wieder näher. Bei dieser Methode werden nicht wie in der herkömmlichen Psychoanalyse Bedeutungen auf den daneben sitzenden Analytiker übertragen und aus dieser Übertragung heraus Symptome gedeutet. Vielmehr übt man zwar wissenschaftliche, nach Lacan konfigurierte am Rande des Sprachlichen stehende Wortklangbilder. Diese sind jedoch so wie die echten Signifikanten aufgebaut, d. h. nicht vorwiegend linguistisch, sondern mehr Bildklanglich, direkt wortlautlich, durch Schnittstellen wie am Computer geformte Interface-Effekte. Diese tief einschneidenden „Rechenmaschinen“ (ein Ausdruck, den Ferenczi im Zusammenhang mit seiner Bioanalyse einführt), können die libidinösen Körperbezüge viel direkter verrechnen, verschieben, verdichten (Begriffe Freuds für die Arbeit des Unbewussten). Dadurch kann man selbst erleben, wie ein Körpersymptom im Körper von einer Stelle zu einer ganz anderen wandert und schließlich verschwindet, indem es ebenfalls eine analytische Erkenntnis freigibt (genaueres kann ich hier nicht ausführen, ich verweise auf die Broschüre „Die körperlich kranke Seele“ auf der Webseite >analytic-psychocatharsis.com<).
Bei dieser Methode hat man auch tatsächlich Einblicke in Phasen, die ich – da sie der Evolution gegenläufig sind – involutiv nenne. Diese Involution trifft sich jedoch genau mit Ferenczis Wiederkehr organischer Libidobesetzungen und deren Integration. Ich verweise jedoch darauf, dass ein Verbleiben bei diesen Eindrücken nicht förderlich ist. Sie helfen einem zwar die Methode zu verstehen, sind aber nicht das eigentliche therapeutische Ziel. Dieses besteht wie in der Freud´schen Psychoanalyse mehr in der intellektuell miterfassten Einsicht und Erkenntnis. Dabei bleibt die Verdrängung weitgehend im „gelungenen“ Bereich. Man wird sie gewahr, muss sie aber nicht durch Übertragung, Deutung, Gegenübertragung und Gegendeutung so aufdecken, dass ein sehr langwieriger und mühsamer Bereich durchlaufen werden muss. Die mitlaufende kathartische Erfahrung bei der von mir inaugurierten Methode erlaubt eine leichtere und schnellere Integration.