Hochintellektuelle Blödelei

Der Autor stellt eine Struktur-Triade auf. Es gibt das Fragile, Zerbrechliche, Schwache und den dementsprechenden Menschentypen. Sodann das Robuste, Standfeste, aber auch Statische, Rigide, Starre. Über all dies hinausgehend findet man das Antifragile, das Kontrapunktische, meist etwas „Anders-herum-Greifende“ Stochastisch-Heuristische. Dieses Letztere, das Antifragile,  führt der Autor in hunderten von Beispielen und in allen nur denkbaren Bereichen an. Es ist die wichtigste Kategorie, diejenige, die man am meisten befolgen sollte. Taleb beschreibt sie hauptsächlich in dem Bereich der Ökonomie, von wo der Autor hergekommen ist, aber auch in Naturwissenschaften, Medizin, Philosophie und anderen Lebensbereichen findet Taleb seine drei Strukturen bzw. Kategorien wieder.  Manches ist recht originell, manches eher kurios oder irrelevant. Vieles aber ist schon altbekannt und so könnte man generell das Antifragile auch durch bekannte Begriffe wie Spontaneität, Phantasiereichtum und Kreativität ersetzen. Zudem fungiert – so wie Taleb es beschreibt - die Antifragilität nach relativ pauschalen Vor-gaben.


So ist sie z. B. durch Begriffe wie Unberechenbarkeit, Zufälligkeit, Irrationalität, Volatilität, Optionalität und Nichtlinearität gekennzeichnet. Die gegenteiligen Einstellungen sind eben fragil oder allenfalls robust. Doch waren Überkorrektheit, extreme Rationalisierung, Süchtigkeit nach Objektivierung immer schon Bezeichnungen für negative Einstellungen und lassen sich genauso kritisch darstellen ohne Antifragilität benutzen zu müssen. Es ist nichts Neues, wenn Taleb sagt, dass Zuvorkommenheit gegenüber einer Person, die Schändliches getan hat, diese Person letztlich entschuldigt. Oder dass man keinem anderen etwas zufügen soll, was man auch für sich selbst nicht möchte. Und auch dass „Abwesenheit einer Her-ausforderung die Besten der Besten schlechter werden lässt“ (oder zumindest lassen kann) ist auch keine aktuelle Feststellung. Doch wenn er die Mafia für antifragil hält, weil Ehrgefühl bei ihr groß geschrieben wird und sie durch Morde - ähnlich wie Dynastien früher durch Königsmorde – abgenutzte Herrschaftsformen volatil reguliert, klingt das nicht so gut. Natürlich korrigiert er diese Botschaft wieder, indem er zeigt, dass es auch Antifragilität auf Kosten anderer gibt, speziell auch in der Finanzbranche. Doch was bleibt dann noch von dem guten antifragilen Begriff übrig?
Talebs Aufstieg begann mit einem einfachen Rechenexempel. Er studierte, wie herkömmliche Finanzmathematik betrieben wurde und stellte fest, dass man größere Zeiträume meist nicht berücksichtigte. Also kaufte er Optionen (geringe Kosten) auf Aktien, die noch 100 Dollar kosteten, um solche später evtl. für 90  Dollar verkaufen zu können. Dann fielen sie tatsächlich eines Tages auf 80 Dollar. Also kaufte er welche um sie für die gemietete Option von 90 Dollar wieder zu verkaufen. Über Nacht war er ein reicher Mann. Nun begann er über die Paradoxie der Welt nachzudenken. „Schwarze Schwäne“ nannte er solche Ereignisse, die fast unberechenbar erscheinen, aber mit denen man doch spekulieren kann, wenn man nur antifragil genug ist. Doch auch hier gibt es wieder positive und negative Schwarze Schwäne. Negative sind eben wieder die, die zu vielen schaden und nur wenigen nutzen. Schließlich definiert er die Antifragilität sogar als eine Mischung aus Aggressivität und Paranoia. Na ja, er meint es nicht so krass.
Denn auch die Kunst und der Mut mal dumm zu sein, kann durchaus als antifragil gelten. Ebenso argumentiert er meiner Ansicht nach nicht unkorrekt, dass in der Psychologie mit dem Begriff der „posttraumatischen Belastungsstörung“ oft Schindluder getrieben wird und setzt ihm daher den Begriff des „posttraumatischen Wachstums“ entgegen. Doch es ist bekannt, dass manche Menschen durch einen Unfall oder schreckliches Schicksal einen entscheidenden Schritt im Leben gelernt haben, während andere sich nicht davon erholen können. Psychotherapeuten wissen das und müssen eben unterscheiden können, ob jemand Hilfe braucht oder nicht. Dahin passt auch die Geschichte mit „Buridans Esel“. Der mittelalterliche Philosoph Buridan meinte, dass ein Esel verhungern würde, stellte man links und rechts von ihm zwei Fresskörbe im gleichen Abstand auf. Tatsächlich vermittelt dieses Beispiel auf ganz originelle Wiese das, was wir in der Psychotherapie eine Ambivalenz nennen. Und die gibt es wirklich, man kann sich für keine Seite, keine Option entscheiden. Taleb meint daher, man müsste den Esel anstoßen und so auch manche Menschen. Doch mit Sicherheit verhungert der Esel auch als Nichtangestoßener nicht. Wenn er im Moment eines starken Hungergefühls gerade mal nach links geschaut hat, fängt er sofort an dort zu fressen. Nur die Menschen verharren oft in ewig langen Ambivalenzen.
Dennoch ist Talebs Buch über etliche Strecken hin amüsant zu lesen.700 Seiten sind natürlich zu viel, doch das einleitende Inhaltsverzeichnis verbraucht schon fast 60. Einige Male verspricht der Autor auch endlich genau zu zeigen, wie man Antifragilität erlernt. Aber eine wirkliche Anleitung gibt er nicht und kann er auch gar nicht geben, dazu ist der Begriff der Antifragilität zu vielschichtig. Kurz: er ist selbst zu fragil. Er lebt von seinem Anti und hat keinen eigenen Namen. Taleb hätte seinen Begriff der Antifragilität selbst antifragil formulieren müssen. Mein Verfahren der Analytischen Psychokatharsis passt  jedoch genau hierhin. Die darin verwandten Formel-Worte sind absolut antifragil, denn sie sind kontrapunktisch, unberechenbar und fürs Erste völlig unverständlich und irrational. Ein Formel-Wort wie das lateinische ARE- VID-EOR im Kreisgeschrieben vermittelt  überhaupt keine fragile oder robuste Klarheit, sondern nur Kontextlosigkeit (auch etwas antifragiles), eine absolute „bottom up“ und nicht „top down“ Strategie und ist ein „Nicht-naiver Interventionalismus“ (ebenso alles antifragile Eigenschaften). Dennoch sind die Formel-Worte wissenschaftlich, psychoanalytisch, psycho-semiotisch klar aufgebaut. Sie sind nur in sich selbst antifragil, weil sie – angefangen von verschiedenen Buchstaben aus gelesen immer wieder eine andere Bedeutung enthüllen.
Der Interventionalismus spielt  in der Medizin eine Rolle. Ganz zu Recht stellt Taleb die Überaktivitäten, Manipulationen und Leitlinien-Interventionen der modernen Medizin an den Pranger. Man kann so viele Krankheiten durch kurzes, abwartendes Beobachten, durch kleine gezielte Untersuchungen und erst im Moment erkannter Wichtigkeit eingesetzter hochtechnischer Methoden besser diag-nostizieren und behandeln, als wenn man gleich mit der ganzen Modernität über den Kranken herfällt. Auch ARE-VID-EOR dringt in den Kranken ein wie ein Endoskop, aber es weckt erst einmal das Unbewusste, die semantische und nicht gleich die rein physikalische Anatomie. Entsprechend sind auch die Folgen. Die Übungen mit ARE-VID-EOR oder anderen Formel-Worten pressen der semantischen Anatomie etwas Antifragiles ab, das dann – innerhalb dieser Mischung aus Bedeutung und Gefühl, körperlich Erspürtem und Gedanklichem, Fragilem und Robusten (und von mir aus auch Aggressivem und Paranoischem) – ganz eigen-konstruktiv verwendet werden kann (Genaueres bei analytic-psychocatharsis.com) 
PS.: Noch ein ulkiges Beispiel aus Talebs Buch. Er meint, dass das Schwert des Damokles, das aus Foltergründen an einen dünnen Faden über ihm hing, ideal das Fragile beschreibt. Es kann jederzeit herunterfallen. Der Phönix, der sich immer wieder neu und ganz aus seiner eigenen Asche erhebt, ist für Taleb das Beispiel des Robusten. Erst die Hydra, der nach jedem Abschlagen einer ihrer Köpfe zwei neue nachwachsen, ist der klassische Fall der Antifragilität. Wir sollten uns die Köpfe abschlagen lassen, meint daher der Autor, dort, wo uns zwei neue wieder nachwachsen. Genauere Anleitungen gibt er auch hier nicht.