Die Liebes-Macht und der Graph des Begehrens nach Lacan


Der Ausdruck Liebes-Macht findet sich direkt zwar weder bei Freud noch bei Lacan, dennoch ist er in vielen Begriffen der Psychoanalyse immanent. Auch sonst ist er in der gesamten Literatur (auch zusam-mengeschrieben als Liebesmacht) nicht zu finden, wohingegen von der Macht der Liebe oft geredet wird. Doch dies ist etwas völlig anderes, als ich es mit dem Wort Liebes-Macht meine, in dem Liebe und Macht völlig gleichwertig sind. Beim üblichen Reden von der Macht der Liebe ist von vornherein klar, dass es sich popularistisch um die tagtägliche Liebe handelt und worin diese ihre angeblich irrationale Macht ausübt. Dass Liebe und Macht sich in einem Wort geschrieben die Waage halten, scheint dagegen auf etwas ganz anders hinzuweisen. Es erinnert an den Philosophen M. Foucault, der in seinem Buch „Der Wille zum Wissen“ klargelegt hat, dass man sich die Welt von zwei Seiten her denken muss: von einer „Macht ohne Machthaber“, ohne Herrscher also, und von einem „Sex ohne Gesetz“, ohne Normierung und Regeln. Unter „Macht ohne Machthaber“ versteht Foucault auch ein System von Kräften, Kraftlinien, „Strahlen“, besser noch: ein „Es Strahlt“, und unter „Sex ohne Gesetz“, der also immer irgendeine Form hat (Hetero-, Homo-, Transsexualität etc.). Beim „Sex ohne Gesetz“ geht es vielmehr um den „Körper als solchen und seine Lüste“, ein unmittelbares Sich-Entäußern, eine unmittelbare Invokation, fast könnte man sagen eine „Sprech-Lust“, ein „Spricht“, das man verbal gar nicht ausdrücken kann, so genussvoll ist es.


In meinem Ausdruck von der Liebes-Macht wäre die Liebe also das „Strahlt“ der Kraftlinien und das „Spricht“ das eines  normierungslosen Sexes. Genau eine derartige Ausdrucksweise entspricht übrigens auch der der Lacanschen Linguisterie, eines Begriffs, in dem Lacan das „Strahlt“ der Hysterie aufs Engste verbindet mit dem „Spricht“ der Linguistik, wobei man auch umgekehrt in der Neurose ein verstecktes „Spricht“ und in der Sprachwissenschaft die Linien eines verzweigtes „Es Strahlt“ beobachten kann.  Natürlich vermeidet Foucault in dem erwähnten Zusammenhang zu sagen, was Liebe ist, denn dazu bedarf es komplexerer Darstellung, aber er schafft einen neuen und präzisen Zugang, indem er betont, dass Liebe auf jeden Fall auch mit dem Wissen zu tun hat. Und zwar mit dem Wissen, das man nicht einfach durch einen Willen, auch nicht einem Willen zum Wissen, erreicht, sondern das schon da ist, und das man daher an seiner Wurzel fassen muss, indem man diesen ständigen Gebrauch der Liebes-Vokabeln, dieser hohlen Signifikate, zerpflückt. Denn Foucault sagt, dass wir von Liebe und vor allem vom „Sex“ dauernd nur reden, und dass es das alles gar nicht gibt. Seine Formel von „Macht“/„Sex“ ist nur eine Null-, eine Basis-Formel. Damit trifft er sich tatsächlich exakt mit Lacan, der stets sagte: „es gibt kein Geschlechtsverhältnis.“ Damit meint er jedoch nicht das pure reale Geschehen, sondern das, was „signifikanten Charakter“ hat, was man sich also wie bei Foucault so denken muss und was die spezifisch menschliche Art der Erfahrung davon ist.
Lacan verwendet als Symbol der Liebes-Macht gerne das Zeichen Φ (griechisch Phi) für Phallus, obwohl es hierbei nicht um das geht, was üblicherweise mit dem vom Männlichen dominierten Sex gemeint ist. Φ ist tatsächlich nur das Symbol der Liebesmacht, einer im weitesten Sinne erotischen Macht, während man beim dem, was also so üblicherweise unter Sex verstanden wird, ja eher von einer Machtliebe sprechen müsste, in der die Liebe jemanden einfach mit Macht aufgedrückt wird. Dies ist nicht zuletzt ja auch in der Religion der Fall, wenn vom allmächtigen und liebenden Gott gesprochen wird. Dieser lässt uns die Liebe ja nicht einfach in uns und aus uns selbst heraus erfahren, sondern sie ist Ausdruck seiner Macht, ja gar Allmacht. Nach psychoanalytischer Auffassung, die hier sozusagen signifikanter (wissenschaftlicher, neutraler) ist,  spielt Φ als Symbol der Liebes-Macht in dem Dreieck von Vater, Mutter und Kind die Rolle eines vierten Punktes, oder besser eines vierten Signifikanten (eines Bezeichners, „Bedeuters“) zu dem alle eine Beziehung haben. Damit wird das Begriffspaar Liebe und Macht weiter entzerrt und doch auch bekräftigt.
Meist fängt man – um das Seelenleben der Menschen psychoanaly-tisch zu erklären – bei der Mutter an. Man nennt die Mutter daher das Primärobjekt. Natürlich ist die Mutter ein Subjekt, aber aus der ursprünglichsten Perspektive des Kindes ist sie erst einmal ein Nahrung und Liebe spendendes Objekt. Doch dieses Objekt hat auch Beziehung zu Φ insofern, weil auch der Vater dazu Beziehung hat und sich ja beide eben unter dem Mantel der Liebes-Macht zusammengefunden haben. Dabei haben sie auch Sex gehabt und ein Kind gezeugt. Egal, wichtig ist für den Psychoanalytiker nicht nur, dass es eine Liebe zwischen Mutter und Kind gibt, die mal glücklicher, mal unglücklicher, mal harmonischer, mal durch Missverständnisse getrübt verläuft. Wichtig ist für den Psychoanalytiker, dass in der Beziehung Mutter-Kind auch der erotisierte Liebes-Macht Signifikant Φ eine Rolle spielt. Sie ist nämlich auch der „reale Andere des Anspruchs“, also die, an die sich als scheinbar mächtigen Anderen der Anspruch des Kindes richtet.
Denn das Kind muss, um sich geliebt und begehrt zu fühlen, nicht nur auf die Mutter als Primärobjekt eingehen, sondern auch als Handhaberin, als realen Anderen der LiebesMacht, auf ihr Begehren, auf etwas, das sich in ihr auch auf den Vater und dessen Begehren bezieht. Manche haben daher vereinfacht gesagt, das Ich des Kindes ist anfänglich nichts anderes als das Begehren der Mutter.  Was sich im Kind anfänglich als seelische Instanz etabliert, ist das mütterliche Objekt als ein selbst Begehrendes. Damit kommt man freilich nicht allzu weit. Spätestens dann, wenn das Kind in so sogenannte ödipale Phase kommt, also in die Phase, in der es sich als Geschlechtswesen identifizieren muss, wird anderes wichtig. Es sind die Insignien von Vater und Mutter als allgemeine und geschlechtliche, die nun wichtig werden. Sie führen zu dem, was die Psychoanalytiker ein Ich-Ideal nennen. Man kann all dies anschaulich bei Lacan gezeichnet finden.
Um den Graph des Begehrens (eine Zeichnung der seelischen Kräfte) nach Lacan zu vermitteln, hält man sich am besten zuerst einmal an die untersten Linien des Begehrens, dargestellt in der Abbildung unten. Die eine Linie geht rechts unten vom menschlichen Subjekt als einem in sich gespaltenen (Stadium des zerstückelten Körpers) und daher so S geschriebenen aus. Das also noch undifferenzierte Begehren (man könnte es schon als einen Fühl-Suchtrieb bezeichnen oder als unspezifische Intention) trifft gleich auf die Linie, die das i (das ich) mit dem Bild i (imago)  des (a), des klein geschriebenen anderen (bleiben wir einfach zuerst beim Stillvorgang, dann ist (a) die an den Lippen des Säuglings gefühlt hängen gebliebene Mutterbrust, indem der Säugling weiterhin seine Lippenlust z. B. durch Daumenlutschen besänftigen muss) verbindet. Von dort sucht das begehrende Streben aus einer primären, quasi autoerotischen Eigenliebe zu sich zurück, um schließlich in I (A), einer Art Idealbildung dieses Ichs sein Ziel zu finden.
A steht hier schon für den groß zu schreibenden Anderen (sagen wir zu etwas anfänglich noch völlig unbestimmtem Elterlichem). Nach meiner Nomenklatur zeichnet sich dieser Liniengang ganz durch das „Strahlt“ aus, also einfach durch eine „Kraftlinie“, eine erste Linie der Liebesmacht, die etwas mit ersten Fühl-, Wahrnehmungsstrebungen zu tun hat. Selbst noch in der Linie A-i_i(a)-s(A) ist noch das primäre-primitive Begehren am Werk, wie es auch ein Tier hat.
Was das alles heißen soll wird klarer, wenn man die nächste Linie betrachtet, die also bei i (a) weiter zu der Linie führt, die s (A) und A verbindet (wobei es noch eine rückläufige Linie von A mach s(A) gibt), und erst von dort wieder zu I (A) zurück geht. Was im Frühstadium der menschlichen Entwicklung noch nicht zu sehen war, ist nun der im Einfluss des „Spricht“, eines Begehrens noch ohne Gesetz, ohne Regel, aber schon mit signifikanten Charakter. Wieder trifft das Kind aufs Orale, aber diesmal differenzierter. Die Mutterbrust ist zur ersten symbolischen Objekt geworden, zu Ma, zu MaMa, zu einem Namen, zu einem rufbaren akustischen Bild, zu einem echten Anderen, also A.
Dies lässt sich also nur durch eine retroaktive Linie verstehen. Noch könnte in A die Mundlust triumphieren, wenn Ma, MaMa immer perfekt zur Stelle wäre. Doch dies ist kaum je der Fall, retroaktiv, wie von hinten her kommend, hat sich der Kreis um die Linie 2 geschlossen, und so eine Fixierung geschaffen. Dies ist ein ganz wichtiger Punkt bei Lacans Auffassungen. Der Signifikant signifiziert sich hier ständig selbst, der Mensch kommt aus seinem – eigentlich falschen – Selbstbewusstsein nicht mehr heraus. Das Unbewusste insistiert mit dieser dauernden fehlerhaften Selbstbestätigung, die dann als Egoismus, Narzissmus und in Form von Symptomen und Ver-sprechern konterkariert erscheint. Ein erster Ausweg besteht darin, dass sich in s (A) haben die Insignien (s) des A gemeldet haben. Sie sind zusammen mit der Begehrensstrebung des Kindes S in A eingetroffen, es haben sich das „Strahlt“ mit dem „Spricht“ wesentlich gekreuzt (in der ersten Linie Nr. 1 war dies noch nicht zu sehen, quasi noch nicht existent). Erst jetzt (Linie 2) erfasst das Kind „im Blick des Anderen seine eigene Position). 
Man kann dies alles ganz einfach drastisch veranschaulichen. Das Begehren des Lustmörders wird z. B. ideal durch die Line 1 und auch den Rückweg von A-i-i(a)-s(A) dargestellt. Der Lustmörder genießt nicht die Tötung, vielmehr unterstellt er seinem Opfer, dass die Bewegungen des Zappelns, Aufbäumens, Krümmens und die Sterbens-Laute des Stöhnens, des Aufschreis und gurgelnden Atmens - alles Laute der Lust sind. So glaubt der Lustmörder in der Lust mit seinem Opfer vereint zu sein, und dies genießt er, nicht die Tötung. Diese ist ihm - anschließend an sein vom Sexuellen her gesteuertes Werk - eher peinlich, unangenehm und schmerzlich. Denn was ihm fehlt betrifft genau diese Linie Nr. 2 und der darüber gezeichneten Rückläufigkeit, in der er dem Signifikanten des Anderen begegnet wäre und wo er hätte erkennen müssen, das der andere nicht nur sein Spiegelbild in i(a) ist, sondern auch seine Botschaft in s(A) und A. Mit den Insignien des A ausgestattet, hätte er nicht mehr so einfach glauben können, dass das gewaltsame Sterben für den anderen eine Lust ist. Sein eigenes Ideal-Ich  I(A) hätte er wahrscheinlich so nicht befriedigen können.
Ich sage wahrscheinlich, denn das Ich-Ideal kann auch so pervertiert sein, dass es mit der wahnhaften Botschaft töten zu müssen verbunden ist. Man denke nur an die matristischen Kulte der Kindstötung und die der Rachegöttinnen, aber auch an die überhand nehmende Aggressivität der Kriege.  Erst wenn in den oberen Linien, in der 4. Linie als einem „Jenseits der Mutter“ (des mütterlichen Gesetzes) oder in der gebogenen Linie zwischen Nr. 2 und Nr. 3 das Gesetz des Vaters wirksam wird, wird es keinen Lustmörder und auch keine Gewalttäter mehr geben. Daher zeigt die oberste Linie an, dass das wirklich befreite Subjekt die Verhältnisse umkehren muss. Das Genießen kann nicht mehr direkt ein Genießen des Begehrens sein, sondern muss in sich seine Regulation (Beschränkung, symbolische Kastration) selbst finden. Der Graph zeigt das ganze Drama der menschlichen Entwicklung
Nun kann man in der Analytischen Psychokatharsis eine Vereinfachung in positiver Richtung sehen, also in einer Richtung, die dem Lustmörder und Gewalttäter entgegengesetzt ist (und die einen entsprechend veranlagten Menschen daher auch zu helfen vermag). In s (A), an der Stelle der Insignien des Anderen setzen die FORMEL-WORTE an. Sie sind die Insignien des signifikanten Anderen, das S(A), weil sie durch keine andere Regel als ihre eigene bestimmt sind. Sie können somit die von links herkommende Signifikantenkette verändern, indem sie ihr eine signifikante Interpunktion, Ausrichtung, Verdichtung geben. In A, hinter dem nach rechts die Stimme erscheint, kommt hier tatsächlich die Stimme der PASWORTE zustande, die die Wahrheit des Unbewussten jetzt in relativ direkter Wiese vermitteln können. Eine Rückläufigkeit findet nur noch in geringem Maße statt, solange es eben Reste des unbewussten Begehrens gibt, die hängen bzw. liegen geblieben sind und den Diskurs nochmals durchlaufen müssen. Damit findet die Liebes-Macht ihr Ziel, das jeder selbst wird benennen können, indem es eine Kombination aus Macht ohne Machthaber und Sex ohne Gesetz sein wird. Denn die Macht ohne Machthaber als senkrechte Linie nach oben und wieder nach unten zurückkehrende, wird sich nur noch