Der direkte Dialog mit dem Unbewussten

Bei der Anwendung der Analytischen Psychokatharsis ist nicht unbedingt ein begleitender Therapeut notwendig. Anfänglich mag dies gut sein, mit mehr Übungserfahrungen jedoch und auch einem vermehrten Auftreten der Pass-Worte kann sich ein direkter Dialog mit dem Unbewussten einstellen. In der klassischen Psychoanalyse findet ja dieser Dialog durch Vermittlung des Therapeuten statt, indem diesem Wissen und Fähigkeiten unterstellt werden, d. h. Übertragung stattfindet, die interpretiert werden muss. Man geht hier also nach dem Schema Unterstellung / Übertragung vor, wobei der Schrägstrich zwischen den beiden Begriffen die Interpretation darstellt, die laut Lacan ja das unbewusste Begehren selbst repräsentiert. In der Analytischen Psychokatharsis befindet man sich im Schema der Ur-Verdrängung / Ur-Übertragung, indem hier der Schrägstrich durch das Pass-Wort charakterisiert ist.

 Folgender Dialog entspann sich einmal bei einem Übenden der Analytischen Psychokatharsis. Zuerst tauchte das „Pass-Wort“ >höchste Dienste< auf, das dem Probanden nicht unvertraut klang, weil er damit sofort seinen Anspruch verstand: wenn schon Dienste leisten, dann doch am besten die, die als höchste gelten. Doch was sollten diese sein war seine Frage, die in ihm gleichzeitig auftauchte und worauf er ein weiteres „Pass-Wort“ vernahm, nämlich >es geht auch Anderes<. Sollte das heißen, dass es also doch wieder nichts mit den „höchsten Diensten“ auf sich hat? Könnten es also auch mittlere oder niedere Dienste sein oder gar etwas ganz „Anderes“? Ja, es klang danach, dass auch ganz „Anderes“ ginge. Doch was „Anders“? Es kann sich ja nicht um „alles Andere“ handeln, also eine völlig freie und damit auch ins Irrationale und Weitschweifige reichende Empfehlung. Doch damit war ein Dialog eröffnet, den der Proband jetzt auch bewusst weiterführen konnte.


Denn selbstverständlich kann das Unbewusste keine direkten Empfehlungen aussprechen. Wenn ich mit den „Pass-Worten“ auch einen Vergleich hinsichtlich der im frühen Jahren der menschlichen Kulturgeschichte aufgetretenen Offenbarungen religiöser Art gezogen habe, so habe ich doch auch den Unterschied ganz klar gestellt. Von der Geisterbeschwörung angefangen bis zu Eingebungen der verschiedensten Götter und schließlich zu den Offenbarungen monotheistischer Religionen gibt es einen gewissen, abgestuften Weg. Die letzteren wirken auf uns besonders bedeutend, da sie auf ein umfassendes, grandioses und wichtiges Wesen zurückführbar erscheinen. Nun ist das Unbewusste nicht weniger umfassend und wichtig, es ist vielleicht nicht so grandios und ein personales Wesen, von dem der Mensch ja als ein Abbild verstanden wird. Aus der Religionsgeschichte ist das Personbezogene und dem Menschen Vorbildliche aus der ursprünglichsten Vater-Metapher her verständlich. Der monotheistische Gott ist immer auch Schöpfergott und nicht nur moralische Vaterfigur. Doch dem Unbewussten zentral vergleichbar ist die Tatsache, dass es ein „Spricht“ gibt. In der Religion würden wir von einem „Er Spricht“, beim von der Psychoanalyse her konzipierten Unbewussten eher von einem „Es Spricht“ reden.


Solche Gedanken machte sich also der gerade genannte Proband und kam zu dem Schluss: Der Dialog mit Gott wird heute beherrscht von einem „fundamentaltheologischen“ Diskurs. Niemand spricht ja mehr so direkt dialogisch mit Gott wie es etwa im Alten Testament von vielen Personen, nicht nur den kanonisierten Propheten erfahren worden ist. Die Krise der Religionen heute liegt in ihrer theoretischen und akademischen Überfrachtung, die selbst „höchste Dienste“ in Form von sozialen, materiellen und kirchlichen Zuwendungen nicht zu einer lebendigen, authentischen und starken Religion ergänzen können. Ein „Spricht“ aus dem Unbewussten erscheint somit viel persönlicher, wahrhafter und praxisbezogener. Doch so ist auch klar, dass ein Dialog mit diesem Unbewussten nicht in klare, übergeordnete Empfehlungen ausgehen kann. Das Unbewusste wird keinen Sündenkatalog erstellen, keine moralischen Imperative ausdrücken. Aber es wird auch nicht ganz ohne Richtung, ohne fassbare Orientierung sein und dies vor allem dann nicht, wenn es durch eine an Linguistik, Semiotik und Psychoanalyse strukturierte Vorgehendweise geweckt wird.


Aber gerade diese Auseinandersetzung mit dem Dialogischen als solchem ist ja besonders interessant. Man kann die Gedanken, die die Psychoanalytiker bisher hervorgebracht haben, auf diese Weise in neuer Art weiterführen, war die abschließende Bemerkung  meines hier  zitierten Probanden. Dem kann ich hinzufügen, dass dies gewiss einen leichten Paradigmawechsel gegenüber Freud, beinhaltet, doch diesen hat zu einem kleinen Teil auch Lacan, so sehr er auch ein strikter Freudianer war, schon vollzogen. Und natürlich wird ein Lacanianer,  wie ich es bin,  nichts daran ändern, wenn auch meine Auffassung vom direkten Dialog mit dem Unbewussten innerhalb der Analytischen Psychokatharsis einen kleinen Paradigmawechsel bedeuten könnte. Alle sind aufgefordert, an diesem Dialog durch authentische „Worterfahrungen“ wie es die „Pass-Worte“ sind weiter zu arbeiten.

Es ist keine leichte Arbeit. Wenn die „Pass-Worte“ noch zu tief im Unbewussten, im Traumduktus stecken, können sie natürlich weitgehend unverständlich sein. Dann muss doch eine psychoanalytische Deutungsarbeit helfen. Ich hatte selbst einmal mein unbewusstes Denken in einem >lors its schell< erfasst und mich dabei an Worte aus dem Englischen erinnert. Es hätte >lores it´s shell< heißen können, also etwa „Überlieferungen, das ist Schale, Hülle.“ Rein asso-ziativ würde ich bei lors eher an das französische „alors“ denken, „also“, „dann“, was mehr Sinn ergäbe: „also dann ist´s Schale“, im Sinne von „ist´s Fassade“. Mir fielen dazu die Cantos von Ezra Pound ein, der in einer einzigen Gedichtzeile mehrere Sprachen zu Wort kommen ließ. Freilich hat auch er nichts anderes getan, als sich seinem Unbewussten völlig zu überlassen, und doch war es nicht ein „Spricht“ aus dem Unbewussten wie Freud und Lacan dies verstehen würden. Es war an vielen Verfolgungsideen ersichtlich, dass Pound eine Paranoia hatte, aber in seinen Cantos schimmert auch eine schizoide Persönlichkeitsstörung, wenn nicht gar Psychose, durch.


Denn in Worten, Silben, sprachlichen Anklängen dahin zu flanieren mag schnell in Nichtssagendes abgleiten, und das kann nicht der Sinn einer Arbeit mit der Analytischen Psychokatharsis sein. Zu sehr spekulative Deutungen muss man stehen lassen, weitere „Pass-Worte“ können eher Klärung bringen. Das Verfahren befindet sich einfach noch in seiner Entstehung und so habe ich aus dem oben gerade erwähnten „Pass-Wort“ und den dazugehörigen Assoziationen nichts gemacht.