Das "Irr-Licht" und das "Koffer-Wort"

J. Lacan meinte einmal, der Psychoanalytiker, der zuhörende und spre-chende Lehrer, solle nicht ein perfektes Licht auf dem Pfad der Selbsterkenntnis sein, sondern eher ein „Irrlicht“!  Er ist ein „Licht“, aber es flackert und fackelt so herum, so dass der Schüler, der Analysand, sich anstrengen muss, es zu fassen. Erst im Laufe vieler Gesprächs-Sitzungen wird das flackernde „Licht“ klarer und klarer werden und sich erzählen, sprechen, lassen, bis es schließlich durch die Deutungen des Analytikers in eine endgültige Kombination, Konjektur gebracht wird. Die symbolischen, verbalen Signifikanten haben in der Analyse das Schwergewicht, aber auch das „Irr-Licht“ als ein imaginärer Signifikant ist wichtig. Denn dem Gehör – sagt Lacan – macht der Blick starke Konkurrenz.


Leider verstehen sich die meisten heutigen Analytiker nicht als „Irr-Licht“, sondern eher als Gurus, als perfekte Lehrer, als Leuchten ihrer Wissenschaft. Nun geht es ja der Psychoanalyse ganz besonders ums Genießen, und dazu braucht man einen Körper. Der Körper muss für das Echo, für den Widerhall   mütterlicher Reverie und für die Spiegelung der Triebe – also für Sprech- und Schautrieb- sensibel sein.  Man kann diesem Körper nicht einfach ein Licht aufsetzen oder einpflanzen, noch kann man ihn einfach so zum Sprechen bringen wie die Polizei dies bei ihren Verhören tut. Daher kann ich in der Analytischen Psychokatharsis den Menschen nur ein Irr-Licht geben und dazu auch noch ein paar Koffer-Worte.
Die Koffer-Worte, auch Schachtelworte genannt, franz. Portmanteaus, enthalten mehrere Bedeutungen in einem Wortzug wie etwa Bombay und Hollywood in „Bollywood“. Nun sind die Koffer-Worte der Analytischen Psychokatharsis, die Formel- und Pass-Worte nach sprachwissenschaftlichen Kriterien erstellt und stellen somit eine andere Kategorie dar als die mehr banal-alltäglichen Ausdrücke wie der gerade oben genannte. Für die psychoanalytische, mathematische und linguistische Sichtweise sind auch mindestens drei und mehr Bedeutungen im Wortzug notwendig. So etwas erfüllen herkömmliche Koffer-Worte nicht. Lacan hat sehr viel mit derartigen Wortspielen gearbeitet, hier allerdings auch mehr nach psycholinguistischen Aspekten wie z. B. in ce qu´on dit ment (was man sagt, lügt) und ce condiment (dieses Gewürz). Allerdings wirkt hier die im Französischen häufig anzutreffende Homophonie mit. Besser ist L´amour rire (die Liebe lachen) und La mourir (das Sterben). Diese Wortspiele haben Lacan dazu gedient, das Wirken des Unbewussten darzustellen. Das Unbewusste richtet sich nämlich gerne nach Wort-Klang-Bildern. In den bekannten Freud´schen Versprechern kommt dies deutlich heraus. Wenn die ehemalige Justizministerin Frankreichs R. Dati statt Inflation von Fellatio gesprochen hat, ist dies ein gelungenes Beispiel. Ganz Europa hat gelacht und die Pikanterie war noch zudem groß, weil Dati ein scheinbar geheimes Liebesleben führte. Sie verriet nie, wer der Vater ihres Kindes war.
Doch bei der Analytischen Psychokatharsis geht es ernsthaft zu. In der durch das Irr-Licht angeregten Katharsis und den durch die Formel-Worte provozierten Pass-Worten kommt es meist zu erstaunlichen und unkonventionellen Einsichten ins eigene Unbewusste. Die Deutungen des Analytikers können kaum je in eine derartige tiefsinnige Schicht des Unbewussten vordringen, wie sie durch die kompakte, enge und geradezu konkretistische Wort-Klang-Bild Struktur gegeben ist. Auch die freien Assoziationen des Patienten reichen kaum in diese psycho-linguistischen Ebenen hinein. Er muss sich schon deutlich versprechen wie im Beispiel oben gezeigt. Doch niemand will und kann sich so gelungen versprechen. So etwas kommt nur durch den reinen Zufall zustande, indem z. B. der libidinöse Druck einer Sexualmetapher schon sprungbereit unter der vom Bewussten beherrschten Oberfläche lauert.
Irr-Licht und Koffer-Wort sind irgendwie eng verwandt. Beide verführen sie zur Irrationalität und zum Absurden. Doch gerade darin steckt ja die tiefte Form des Unbewussten, die auch gleichzeitig zur höchsten des Bewussten werden kann. Es gibt kaum eine Gottesgestalt, die nicht im Hintergrund mit der Häme, mit dem Konterkarierten und Paradoxen eines Gegenspielers, Teufels oder der als geringfügig dargestellten Menschenkreatur verbunden ist. Die Liebe Gottes schließt immer die entsetzlichsten Dinge auf Erden ein und der als recht und perfekt angepasste Mensch sieht sich immer mit den skurrilen Außenseitern konfrontiert. Durch die Kombination des Irr-Lichts in der Analytischen Psychokatharsis mit dem Koffer-Wort-Charakter der Formel-Worte wird es zur warmen, lichthaften Katharsis. Manchmal nimmt es körperbezogene Formen an, wie ich sie mit dem Begriff des „Durchrieselns“ beschrieben habe. Andererseits erreichen die Pass-Worte dadurch einen Strahlt-Aspekt und wird die Katharsis durch einen bedeutenden Sinn sprachlicher Art gekrönt. Ein besseres Ziel ist nicht vorstellbar.