Die Stimme aus dem Off

Die Stimme aus dem Off, die Stimme des „Objekts“ und die von ENS-CIS-NOM.  

 Gott  - so es ihn doch wohl gibt – ist  d i e  Stimme aus dem Off, die  ideale jenseitige Stimme. So ist sie vor Jahrtausenden gehört worden, wenn man auch damals nicht so ein wissenschaftliches, informatik- und digital-bezogenes Verständnis hatte wie wir heute. Trotzdem ist es sinnvoll sich einmal in dieser modernen Sprache vom Off- und Online auszudrücken. Denn vor zwei, drei oder mehr tausend Jahren, als man die Stimme Ahura Mazdas, Jahwes oder die des Christengottes vernahm, hat man sie noch stark personalisiert. Man hat sie nicht einer totalen Stimme aus dem Nichts, dem perfekten Off verstehen können, sondern einer mehr oder weniger geistigen  Person zugeschrieben, die wie ein menschliches Subjekt gesprochen hat oder in einer so geformten Art gehört werden konnte. Diese Personenbezogenheit ist bei der Stimme aus dem unmittelbaren Off nicht unbedingt nötig. Wir würden darunter heute vielmehr eine Stimme verstehen, die nicht mehr digitalisierbar ist, also nicht mehr unter einem  0 – 1 – Code zu subsumieren ist. Unter der Stimme aus dem absoluten Off  muss man also eine verstehen, die eher dem „weißen Rauschen“ der Redundanz als der Information der Resonanz zuzuordnen ist. Sie ist dennoch ganz klar eine Stimme, die aber nicht wohlgeformt, nicht berechenbar und nicht digital darstellbar ist.


Mit einer solchen Stimme haben vielleicht die Frühmenschen gesprochen, die noch keine Klick- und Verschlusslaute bilden konnten. Sie konnten nur Frikative und Plosive äußern, was schon sehr einem sich Anraunzen, daher Nuscheln und Grunzen glich. Tatsächlich haben Paläoanthropologen sich so über die Kommunikation der Frühmenschen, z. B. der Neandertaler geäußert. Dies ist jedoch eine abwertende Diskriminierung, denn dafür haben diese Menschen viel direkter, sozusagen von Stimmband zu Stimmband, von Bauch zu Bauch miteinander gesprochen. Egal, es soll für diese Off-Stimme kein akustisches System mehr geben, das eben digital darstellbar und irgendwie – wissenschaftlich oder poetisch - objektivierbar wäre. In einer ausgeprägten akustischen Halluzination könnte man z. B. vom Stimmenhören sprechen, das ständig seine Verschlüsselung so stark ändert, dass man eben von rein subjektbezogenen Stimmen reden müsste, die nicht mehr digital darstellbar wären und die sich daher für die Betreffenden oft wie eine derartige Off-Stimme anhört. Aber freilich brauchen wir auch eine zusätzliche Möglichkeit, die Stimme aus dem Off wenigstens teilweise in unsere On-Welt zu übertragen.
Die Psychoanalytiker haben in diesem Zusammenhang den Begriff der „Stimme des Objekts“ eingeführt. Man muss hier „Objekt“ in Anführungszeichen setzen, denn mit einem feststellbaren objektiven Objekt hat es letztendlich nichts zu tun. Es geht es in der Psychoanalyse um das psychische „Objekt“, also das, was sich im Menschen als psychische Gegebenheit so gefestigt hat, dass man von „Objekt“ sprechen kann. Eines der bekanntesten psychischen „Objekte“ ist das an der Mundzone und an dem Verschlingungs- und Verinnerlichungsmechanismus hängende Oral-Objekt, anfänglich also die introjizierte Mutterbrust und später andere sie ersetzende „Objekte“ wie etwa das Rauchen. Um nicht an diesen infantilen „Objekten“ hängen zu bleiben muss man diese „Objekt-Beziehungen“ sublimieren, also verfeinern oder ganz lösen. Denn nur so ist ein genereller gesellschaftlicher Umgang möglich. Auch hier muss also die orale Off-Stimme in etwas On-Form gebracht werden. Würde man das Oral-Objekt in seiner aggressiv-erotischen Urform nicht sublimieren, würden sich die Menschen wie die Tiere gegenseitig auffressen. In sublimierter Form können die „Objekte“ angeblich sogar eine gewisse „Objekt-Konstanz“ erreichen, also etwas, das gesellschaftlich akzeptiert und gleichzeitig dauerhaft als inneres Grundgefühl, als verbindlicher Subjektzustand gelebt werden kann. Aber was soll das genau sein? Das Oral-Objekt könnte man vielleicht noch digital vermitteln, aber dass das Subjekt gleichzeitig sein eigenes „Objekt“ ist, ist nicht nur ein philosophischer Widerspruch. So weit kommt man in der Psychoanalyse wohl doch nicht.
Die Stimme aus dem Off, wenn sie denn Gott wäre, könnte man als ideal bezeichnen, nur hört sie heute niemand mehr, während  in der Psychoanalyse kein „ideales Objekt“ - was ja die „Objekt-Konstanz beinhalten würde - existiert. Der ideale Psychoanalytiker könnte so ein Objekt sein, aber schließlich muss man ihn ja wieder einmal loswerden und seine Stimme ist so nur im On vorstellbar. Er müsste schon halb delirierend sein Fachwissen kund  tun, wie es annähernd bei J. Lacan der Fall war. Lacan betonte immer wieder, dass man ihn gar nicht so gut verstehen sollte, weil dies nur Verinnerlichung der eigenen On´s wäre. Dagegen erklärte er einmal ausdrücklich, dass er gar nicht zu seinen Zuhörern spreche, sondern zu den Mauern, zu den Wänden ringsherum. Als dann einige protestierten und sagten, „wenn Sie nur zu den Wänden sprechen, können wir ja nach Hause gehen“, erwiderte Lacan ungefähr: durch den Widerhall von den Wänden erzeuge ich ein Sprechen aus dem Off. Gerade weil ich mich nicht bemühe, eine Form von Höflichkeit und absoluter Verständlichkeit meinen Zuhörern gegenüber zu bewahren, spreche ich authentischer und so, wie eben auch das Unbewusste spricht. Wenn man sich immer nur darum kümmert, es allen recht zu machen, bleibt das eingeengte On unter sich. Nur eine Stimme aus dem Off kann uns wecken und Elementares vermitteln. Lacan konnte jedoch durch solche Methoden wie das Sprechen zu den Wänden bei gleichzeitigem inhaltlich brillanten intellektuellem Ausdruck den Off-On-Kontakt recht gut herstellen.
Auch der Gott der einfachen Gläubigen, der konfessionell Gläubigen und der der Theologen ist vorwiegend vom On beherrscht und zwar nicht nur, weil er zu niemanden mehr direkt aus dem Off spricht. So sehr uns die Berichte aus der Bibel wie aus uralter, jenseitiger Zeit klingen, sind sie doch von vordergründigen historisch fixierten Inhalten, von Übertragungs- und Interpretationsfehlern durchsetzt. Alles ist konfessionelle Resonanz an ihnen, die perfekt On ist: theologisch in fast manieristischer Art durchdacht und glaubensmäßig nie ganz frei von blinden Flecken. Wie ja schon oben erwähnt, selbst die Religionsgründer haben durch die Personenbezogenheit ihres Gottes nicht das allerletzte Off erreicht, wenn es auch schon sehr gelungen war. Doch heute ist die Stimme dieser Gottheiten von On´s verflacht und zerlesen worden. Und auch Lacan hat nicht immer perfekt aus dem Off sprechen können, wenn auch sehr viele Menschen sagen, dass seine Schriften nicht verstanden werden können obwohl sie absolut Zutreffendes enthalten. Und so etwas gilt ja schon seit jeher als ein perfektes Zeichen der Off-Stimme. Man denke nur ans Delphische Orakel, einer Stimme aus dem Off, die ins On übersetzt werden musste und voll zutreffend war (natürlich auch für uns heute kein Thema mehr).
Eine wirkliche, ideale Stimme aus dem Off lässt sich besser beschreiben, wenn man heute all die uns zustehenden Wissenschaften wie Mathematik, Psychoanalyse, Semiotik, Semantik, Linguistik etc. benutzt und dies dann jeden einzelnen, jedes individuelle menschliche Subjekt selbst zur Äußerung bringen lässt. Denn da sich das Off ja nicht digital und schon gar nicht analog herstellen lässt, kann dies nur heißen, dass es jeder durch sich selbst finden muss. Das Off ist das ganz Andere, quasi Fremde. Dennoch können die oben genannten Wissenschaften dazu beitragen, es in den Griff zu bekommen. Denn das Off in der Mathematik lässt sich z. B. in Lacans Formel von der Eins, die eine Null für eine andere Eins repräsentiert ganz gut darstellen. Damit ist nämlich die bis heute empirisch nicht theoretisierbare Folge der ersten ganzen Zahlen, also das On unserer gesamten heutigen Mathematik, umgangen. Der Versuch der Mengenlehre diesen Schritt eben mit der Vielheit als Ausgangspunkt zu gestalten ist zwar einleuchtend, läuft aber letztlich genau auf die Lacan´sche Formel zu. Denn wenn die Eins in der Drei oder Vielheit steckt, ist die Zwei so etwas wie eine andere Eins, die dadurch den Abstand zur Null zumindest andeuten, wenn auch nicht genau berechnen kann. Erst wenn die Eins ein Subjekt ist, das auf ein anderes Subjekt als einer anderen Eins trifft, wird klar, dass beide darum ringen müssen, wie sie sich zum grundsätzlichen Ganz-Zahlen-Abstand situieren. Wir brauchen also ein sub-jektbezogene, semantische Mathematik.
Das Gleiche gilt für die anderen Wissenschaften, z. B. der Linguistik. Der Signifikant als Bezeichner, Bedeuter, kann seinen Wert nicht nur aus dem Bezug zum Signifikat (der Bezeichnung, dem Bezeichneten) ableiten. Ein menschliches Subjekt kann seinen Status nicht allein aus der Bezeichnung oder dem, als das es bezeichnet wird, ableiten. Auch hier gilt Lacans Satz, dass ein Signifikant ein Subjekt nur für einen anderen Signifikanten repräsentieren kann. Das menschliche Subjekt, jeder von uns also insofern er sich als Individuum einem Kollektiv unterstellt (subiectus = unterstellt) sieht, muss sich zwischen zwei Signifikanten ausgesetzt wissen (Ich beziehe mich hier auf Lacans Satz, dass das Kollektiv das Subjekt des Individuums ist. Auch wenn das Kollektiv heutzutage nicht mehr die Nation ist, nicht nur die Gleichgesinnten, ist es doch die Humangesellschaft, die Verbindung aller Menschen durch Rechte und Pflichten, also eine doch relativ groß zu fassende Gemeinschaft). Er muss von diesem ihm eben meist unbewusst bleibenden Konflikt wissen, dass – wie Goethe sagte – „zwei Seelen in seiner Brust wohnen“, wobei die „eine sich zudem noch von der anderen trennen“ will. Aber genau dies gibt ihm eine Chance, nämlich zu dem Off seiner ihn sonst beherrschenden On´s zu kommen. Goethes Faust Teil II ist wie aus dem Off geschrieben, denn Faust lebt zugleich im Hier und Heute und trifft doch auf Helena, diesem – auf ihn selbst bezogen - ganz anderen Wesen aus einer anderen Zeit. Natürlich ist auch Goethes Stimme nicht und nicht mehr die ideale Stimme aus dem Off. Auch bei Sokrates, der in Form seines „Daimonions“, seiner „inneren Stimme“ zu einem solchen Off Zugang hatte, ist nicht mehr ausreichend, wenn auch bildend.
Ich habe beispielsweise mit ENS – CIS – NOM eine B(r)uch – staben – Formulierung gefunden,  die ideal die Stimme aus dem Off für jeden einzelnen – insofern er sich dafür interessiert – vermitteln könnte. Die Psychoanalytikerin Oudee Dünkelsbühler weiß, dass Buchstaben im Unbewussten der menschlichen Subjekte meist gebrochen daherkommen (in Träumen, Versprechern etc.: Oudee Dünkelsbühler, U., Zeugnis und Schrift: B(r)uch - staben an der Couch, Les Etats Généraux de la Psychanalyse (2001)). Die Stimme aus dem OFF des Unbewussten ist in sich gebrochen und daher ja – wie erwähnt – meist unverständlich. Sie ist nur als Widerhall von den Wänden her kommend zu erreichen und doch hat sie eben Bedeutung, Inhalt, Aussage. Man muss sich ihre Wahrheit erarbeiten. Nur die On-Wahrheiten sind im gelangweilten Zuhören zu bekommen. Doch wenn man etwas nicht versteht, aber weiß, dass etwas an diesen Buch- oder B(r)uch – staben dran ist, wird man wach dem Vortrag lauschen. Und genau dies kann ENS – CIS – NOM. Diese Formulierung ist der lateinischen Sprache entnommen, und doch wird der Lateiner sie erst nicht verstehen. Es sind nämlich exakt im Sinne von B(r)uch – staben mehrere, ja viele Bedeutungen darin enthalten, je nachdem von welcher Bruchstelle man die Formulierung liest. Diese ideale Stimme aus dem Off lässt sich dennoch gut verstehen, wenn man sie einfach meditiert. Wenn man sie sich gedanklich wiederholt, wird irgendwann – wenn der Wiederholungsmechanismus leer läuft – sich ein Gedanke äußern, der aus dem Off nunmehr jedoch ins alltägliche On integrierbar erscheint.
Das Ganze kann leicht an Zen, Yoga und andere Meditationserfahrungen erinnern. Nur besteht hier das gleiche Problem: alle Verfahren sind zu mystisch, magisch, mythisch aufgebaut. Sie sind interessant, aber für heute nicht mehr so brauchbar. Die Koans, die Rätselworte im Zen-Buddhismus klingen sehr nach der Stimme aus dem Off. Doch sie sind ganz subjektiv an die Person des Lehrers gebunden. Der Lehrer kann ein Geschichte über die Philosophie des Zen erzählen, und dann – ganz plötzlich – baut er einen Satz ein wie etwa: „Rote Socken hängen an der Leine“. Die Schüler sind verdutzt und müssen nun den Clou, die Wahrheit, den tiefen und letzten Sinn davon meditieren. Sie werden sehen, dass der Lehrer einen in die Wüste schickt, ins Nichts, ins Dunkel der völlig ungeleiteten Meditation. Irgendwann werden sie verstehen, dass man den Lehrer trotzdem Lehrer sein lassen muss, auch wenn er einen an den Rand des Wahnsinns getrieben hat. Der Vater muss für den Sohn weiterhin Vater bleiben, auch wenn er Fehler gemacht hat, war Freuds Divise. Natürlich muss er ein bisschen etwas dafür tun. Ich kannte einen der bedeutendsten Yogalehrer Indiens, Sant Kirpal Singh. Wie üblich wurde er wie ein Gott verehrt, aber er versuchte diese Idolatrie heftigst abzuwehren und die Schüler ebenso wie der Zenlehrer in die Einsamkeit der Meditation zu schicken. Durch solche Idealisierungen – meinte er - würden alle nur im On stecken bleiben. Wenn seine Schüler es nicht lernen würden, solange er lebt, würden sie es lernen, wenn er gestorben sei. Denn zweimal im Leben sollte es Wehklagen und Weinen geben: bei einem selbst während der Geburt, bei den anderen, wenn man stirbt. Und tatsächlich, als er starb, mussten fast alle Schüler erst damit anfangen, seine Stimme aus dem Off zu hören. Sie hätten es schon vorher in der Meditation haben können.
Es ist also nicht eine Sache der Mystik, des Zen oder des Yoga. Auch nicht eine Sache des Ge-hirns – oder nur zum Teil eine solche. Das von Freud und seinen Nachfolgern konzipierte Unbewusste ist vielleicht der beste Begriff für den Ort, von dem aus die ideale Off-Stimme hörbar werden kann. Der Geist- oder Gott-Begriff ist - wie oben zitiert - zu hoch, zu ins fast Wahnhafte hin stilisiert. Der Neuro-Begriff der Nervenvernetzung im Gehirn ist zu computer-ähnlich, zu sehr also wieder der digitalen Welt angepasst. Aber es ist ja auch egal, wie man es nennt. Die beste, ideale Stimme aus dem Off ist zweifelsohne die, die jeder sich selbst erarbeiten muss. Er kann in eine Psychoanalyse gehen, kommt aber hier nicht bis zum Letzten. Das Verfahren mit den von mir auch Formel-Worten genannten B(r)uch – staben – Formulierungen wie etwa dem ENS – CIS – NOM ist die direkteste und subjektbezogenste Möglichkeit, sich selbst aus dem Off zu hören und die damit zum Vorschein kommende Wahrheit zu nutzen. Detaillierte Ausführungen sind auf dieser Webseite zu lesen, auch zu den einzelnen On-Bedeutungen im Off-Wort ENS – CIS – NOM.