Der fundamentale Diskurs

Analytische Psychokatharsis als Annäherung an den ‚fundamentalen Diskurs‘. Warum ich den Auftrag habe, die Psychoanalyse mit einem ergänzenden Verfahren zu erweitern.

Shakespeares Hamlet besteht aus einer Paradoxie. Hintergrund des Dramas ist die Ermordung des dänischen Königs, Hamlets Vater, was wohl einen historischen Hintergrund hat. So weit so gut, doch schon im ersten Akt beginnt die Widersprüchlichkeit des Ganzen. Hamlet erscheint der Geist seines Vaters und ruft ihm zu, ihn zu rächen. Nachdem Tote ja nicht lügen können, wirkt der Auftrag seines Vaters für Hamlet plausibel, für uns Leser und Zuschauer aber ist klar, dass es sich um eine Projektion Hamlets selber handelt, denn Geister gibt es nicht. Nicht nur wurde der Vater von seinem eigenen Bruder vergiftet, Hamlet ist selbst vom Gift der Rachegedanken durchtränkt, schließlich hat sich sein Onkel auch die Krone, die doch ihm, Hamlet, zugestanden hätte, unter den Nagel gerissen und sogleich seine Mutter geheiratet (gleich mit den Resten des Leichenschmauses das Hochzeitsmahl gefeiert – wie es heißt).


Nun ist der Auftrag die Psychoanalyse zu ergänzen mir in einer ähnlichen Weise zugekommen wie Hamlets väterliche Order. Ich habe mit einem meditativen Verfahren der Selbstanalyse und Selbstsublimierung entsprechend psychoanalytischen Vorgaben, den groß zu schreibenden und ‚bedeutsamen’ Lacanschen Anderen so in die Ecke getrieben, dass er nicht anders konnte, als mir den besagten Auftrag zu geben. Lacans Anderer ist im Leben des Menschen anfänglich durch die Mutter repräsentiert, indem diese auf den Anspruch des Kindes so gut es geht reagiert (‚antwortet’ wäre für die Situation in der Frühphase vielleicht zu weit und elaboriert ausgedrückt). Lacan schreibt dies formelartig so:   A  /  D   (Demand = Anspruch, A = Anderer). Doch schon im nächsten Moment wird die Mutter als  A  zu  Sr, zum realen Subjekt, das nun dem  D  gegenübersteht ( Sr  /  D), also dem nicht mehr so glatt erfüllbaren und erfüllten (und daher durchgestrichenen) Anspruch. Der Anspruch wird zum allgemeinen Liebesanspruch, weil in einem weiteren Schritt das reale Subjekt,  das  Sr,  zum selbst  unberechenbaren A geworden ist, das also dem weiter gereiften S keinen Garantie mehr für die perfekte intersubjektive Beziehung abgibt. Lacan nennt dies sein synchronisches Schema der Dialektik des Begehrens, das schließlich zu der   Formel  a  /  $  führt  (a für Objekt des Begehrens, des Wunsches, $  für das nunmehr in sich gespaltene Subjekt, das erwachsen werdende Kind, das nicht mehr unschuldige Menge ist, sondern in sich unbewusst und durch Verdrängungen gespalten ist).
Diesem Gespaltensein kann man durch vielerlei Methoden zu einem gewissen Grade auskommen, durch Arbeit, Dienst an der Gemeinschaft, Kunst, körperliche Ertüchtigung und vieles mehr, was alles an A etwas ändert, aber $ so lässt wie zum Schluss angezeigt, nämlich gespalten. Mit einer meditativen Selbstsublimierung der Analytischen Psychokatharsis, die dem gleichen wissenschaftlichen Vorgehen wie die Psychoanalyse unterstellt ist, gelingt es jedoch wieder zum Anfang unter ganz neuen und geänderten Bedingungen zurückzukommen. Damit gilt eine neue Formel:  A  /  S . Jetzt ist das ursprüngliche Subjekt  S  selbst zum realen Partner von A geworden, das ihm, diesem Anderen (A) kooperativ gegenübersteht. Ist nicht Lacan selbst so etwas gewesen? War er nicht das Subjekt, das mit A gleichgezogen hat?  Hat er uns nicht somit den Auftrag hinterlassen, diesem von ihm noch und doch so konflikthaft dargestellten   A  als reines  S gegenüberzustehen und die Antwort nun nicht mehr aus seinem Mund – der ja nicht mehr existiert – sondern zwischen A  und  S  selbst entstehen zu lassen?
Lacan bezeichnet diese Form des Diskurses, diese Form sprachlichen Umgangs, als den ‚fundamentalen Diskurs’ (Seminar II, S. 412). Die üblichen Diskurse zeichnen sich dadurch aus, dass sie sprachlich irgendetwas beherrschen wollen, eine gewisse Thematik z. B., während der psychoanalytische Diskurs davon ausgeht, nichts beherrschen zu wollen (Seminar XVII, S. 79). Das sprachliche Vorgehen in der Psychoanalyse überlässt die Macht dem Unbewussten und eben dies geschieht im ‚fundamentalen Diskurs’ am effektivsten und direktesten. Während man nun in der Psychoanalyse eine Antwort nur diejenige nennt, die durch eine treffende Deutung des Therapeuten beim Patienten herausgelockt und heraufbefördert wird, ist sie im Sprechen zwischen  S und A dadurch gegeben, dass sie „zugleich paradox und in ihrer Bedeutung voll ist“ (Seminar I, S. 81). Tatsächlich trifft dies auch auf Hamlet zu, und dass es auch für die Anwendung der Analytischen Psychokatharsis gilt, kann ich kurz so erläutern:
Die Methode der Analytischen Psychokatharsis ist ein meditatives Verfahren, das mit sogenannten Formel-Worten arbeitet. Diese enthalten in einem Wortzug, der im Kreis geschrieben ist, mehrere Bedeutungen, je nachdem von welchem Buchstaben aus man diesen Wortzug liest. Reverberiert man gedanklich diesen oder mehrere derartiger Formel-Worte, kommt es oft dazu, dass ein Gedanke aus dem Unbewussten auftaucht – eine wirkliche Antwort, die zwar die grundlegende Spaltung weiter in sich enthalten wird, denn sie wird sprachlich einen Bruchstelle, einen Schnitt haben. Aber sie kann durch rationales Nachbessern, Nachdenken, Deuten eine befriedigende Lösung bieten. Es ist das, was ich in meinen Büchern als Pass-Worte beschrieben habe. Ein Beispiel mag alles erhellen (zitiert aus dem Buch ‚inter-hot’, Gespräche mit dem Unbewussten, BoD (2015)).
Als ich einen Text über das Verfahren der Analytischen Psychokatharsis schrieb und zwischendurch immer wieder meditierte und mich ich mich auf das innere ‚universale Gemurmel‘ (ein Ausdruck Lacans für das Unbewusste), auf den ‚Klang‘ des Unbewussten konzentrierte und schon aufgeben wollte, vernahm ich in der Meditation plötzlich die Formulierung: „inter – hot“. War es ein eigener oder fremder Gedanke? Egal, er war klar erfahrbar und sicher einer, der von Unbewussten in eben dieser konkreten, durch die gedanklich wiederholten Formel-Worte angestoßenen Weise zustande kam. Ich dachte sofort an ‚Interpol’, ‚internet’, an ‚hot-spot’ und natürlich auch an das von Psychoanalytikern wahrscheinlich favorisierte Heiße (‚hot’)  eines  zwischen (‚inter’) den Menschen stattfindenden Vorgangs. Damit meine ich eine Bedeutung, die in Richtung des englischen Wortes ‚inter-course’ geht, das neben anderen Bedeutungen ja oft oder manchmal sogar ausschließlich im Sinne von ‚sexual inter-course’, ‚sexueller Verkehr’, benutzt wird. Es ist sicher etwas dran, dass mit dem „inter-hot“ derartiges gemeint war.
Dafür gibt es mindestens zwei Gründe. Erstens bin ich jetzt beim Schreiben dieses Textes hier bereits in meinem fünfundsiebzigsten Lebensjahr. Es ist bekannt, dass mit zunehmenden Alter die Sache mit dem ‚inter-course’ Probleme machen kann. Man ist nicht mehr so überzeugt davon. Zweitens aber verhält es sich auch so, dass ich seit vierzig Jahren die Seminare von Lacan lese, in denen auf jeder dritten Seite steht, dass der ‚sexual inter-course’ gar nicht existiert. Für Lacan hat nur all das ein wirkliches Sein, was man auch sprachlich, symbolisch und echt ausdrücken kann, und vom Sex, so viel man auch darüber redet, kann man nichts Definitives, nicht ganz Bestimmtes oder gar Logisches sagen und erfahren. Er kann geschehen und man kann auch darüber reden, aber nichts davon sagen, was das Geschlechtsverhältnis überhaupt ist, was es ausmacht, was es heißt. Nicht zuletzt aus diesem Grund hatten die alten Griechen gar kein Wort für Sex. Während die Psychoanalyse eine ‚logische Praxis‘ ist (ein Ausdruck, der den ihr oft abgesprochenen Wissenschaftsanspruch ersetzen soll), ist der Sex pure Praxis ohne Logik - jedenfalls weitgehend.
Ich bin also vom ‚inter-course’ nicht mehr so überzeugt wie früher. Schon Freud meinte, dass das Sexuelle stark überbewertet wird und Lacan setzt dem hinzu, der sexuelle Akt sei eine Freudsche Fehlleistung und gehe ohnehin mehr oder weniger immer daneben. Eine echte, klare, wahre und definitive Aussage hat noch niemand davon gemacht. Dies ist auch unter Schriftstellern bekannt, die sich immer wieder daran versuchen, den Akt zu beschreiben, wozu es schon Preise für die kuriosesten Schilderungen und Mondkalbereien auf diesem Gebiet gegeben hat. Man kann das Tun beschreiben, das Drumherum, das Ontische, aber nicht das Wahre. Man kann Filme davon anschauen, aber nichts enthüllen, was es mit dem Geschehen zwischen den Geschlechtern  in Wahrheit auf sich hat. Es geht um ein Erleben, das einfach nicht voll verifizierbar ist.
Weil es das vielleicht auch nicht sein muss, hat der französische Philosoph J. Nancy ein Buch veröffentlicht, das die Lacan´sche These zu konterkarieren schien (Nancy, J., Es gibt – Geschlechtsverkehr, diaphanes (2012). Der Text bezieht sich  bei Nancy deutlich nur auf das Gegebene, das „Ex-sistieren“ in der sexuellen Beziehung. Nancy stellt ganz besonders das „Verhältnis“ und nicht den Sex als ‚Ex-sistierendes’ (außerhalb Beharrendes) bzw. als ein eigenständiges Wesen heraus. Was wirklich gilt, schreibt er, ist der „Intimitäts-Zwischenraum“, in dem es um ein „Verhältnis zum Verhältnis geht“, das nicht „ein Seiendes ist, sondern das sich zwischen dem Seienden ereignet“, schreibt Nancy in typisch abstrakter, philosophischer Manier. Das Sexuelle, schreibt er weiter, sei seine eigene Differenz, es ist ein „Eins-Nichts“, was  heißen soll, dass man eigentlich nur wetten kann, ob es existiert oder nicht. Der ‚inter-course‘ bleibt einfach ein Zwischenvorgang und sonst lässt sich nichts weiter damit anfangen. Und so sagt Nancy auch: diesen seinen Text lesen heißt, ihm bei seiner Art Sex zu haben zuzuschauen. Sein Schreiben ist seine eigentliche Lust.
So trifft sich Nancy dann doch noch mit Lacan, der meinte, wahren Sex gäbe es nur vom bewussten Ich zu einem ganz und total unbewussten Anderen, zu diesem „Schatzhaus der Signifikanten“, der auch Hort der Lustworte ist, der Erosvokabeln, und das eignet sich natürlich viel mehr dazu, ein echt erotisches Verhältnis zu kreieren. Weil der wahre Sex eben da abgeht, wo er scheinbar ist, d. h. da, wo nur Geschlechtsverkehr ist, gibt es kein wirkliches Verhältnis der Geschlechter, das irgendwie „signifikant“ wäre, wahr lebbar, wahr aussagbar, real symbolisierbar. Der übliche und schlichte Sex sei eben ein Patt, ein Patzer. Im Rausch des Höhepunktes gibt es ein Danebengehen, eine Hilflosigkeit, d. h. ein Nicht-Wissen wie es hätte weitergehen sollen.
Es ist nicht schwer zu sehen, dass ‚inter-hot’ – wie ich Lacan zitierte - in sich paradox und zugleich in seiner Bedeutung voll ist. Es enthält eine Schnittstelle, eine Spaltung, nämlich die zwischen dem ‚inter’ und dem ‚hot’. Sie kommt eben gerade dadurch zustande, dass im bewussten Sprechen so etwas nicht so gesagt wird, ja gesagt werden kann. Auch in Shakespeares Hamlet konnte es nicht anders gesagt werden, was es mit dem Komplex zwischen Vater und Sohn auf sich hat. Doch die Übersetzung, die Nachbesserung von ‚inter-hot‘ ist nicht schwierig gewesen. Der ‚fundamentale Diskurs’ kann kaum anders erstellt werden, aber so ist er am direktesten. In der herkömmlichen Analyse muss der Patient viele Assoziationen zusammenfassen und viele Gedanken des Therapeuten müssen miteinbezogen werden, um dem eigentlichen zugrundeliegenden Diskurs gerecht zu werden. In der Analytischen Psychokatharsis dagegen ist der ‚fundamentale Diskurs’ unmittelbar gegeben und somit praktischer zu handhaben.
Nochmals zusammengefasst: Der/das Andere (A), eine Instanz, die sich im Inneren gebildet hat durch Erfahrungen mit bedeutenden Anderen in der Außenwelt, steht dem menschlichen Subjekt (S) als dem Eigenen gegenüber. Doch es kommt keine unmittelbare, direkte Beziehung von A / S zustande. Der eigene Anspruch (D) und seelische Begehrensobjekte (a) treten dazwischen. Erst durch psychoanalytische Aufarbeitung stellt sich ein Gleichgewicht und eine Lösung zwischen diesen Instanzen her. Einfacher und direkter gelingt dies mit dem meditativen Üben von Formel-Worten, die schon in sich das ‚paradoxe und gleichzeitig in seiner Bedeutung Volle enthalten‘ – wenn auch nur rein formal. Doch mit diesem Formalen kann die Meditation zum Ergebnis führen, wo es nunmehr eine wirkliche Antwort aus dem Unbewussten ist, die nichts beherrschen will, sondern einen Zugang zur Wahrheit ermöglicht.
(Wird fortgesetzt)