Am Anfang war

E N S   C I S                                 Ein linguistischer Kristall zur
    N O M                                     Befragung des Unbewussten

N O M E N S C I S  oder  E N S C I S N O M, egal von welchen Zeichen bzw. Buchstaben oder Runen ausgehend man das im Kreis Geschriebene (siehe unten)  liest, es kommt jedes Mal eine andere Bedeutung zustande und ein anderer Sinn heraus. Hier liegt die lateinische Sprache zugrunde, aber es könnte auch eine andere sein. Da die Formulierung in ihrer Viel-schichtigkeit keine endgültige Bedeutungs- oder Sinnzusammenhänge ermöglicht, entsteht die Frage, was das Ganze überhaupt soll. Nun, es soll der einzig mögliche Anfang sein, der heutzutage noch in der Wissenschaft gemacht werden kann. Üblicherweise beginnen Geisteswissenschaftler in etwa so:

‚Am Anfang war . . . . . . .‘, aber macht es Sinn so zu beginnen? Mit dem Wörtchen ‚Am‘ ist ja schon etwas gemacht worden, was eigentlich den Anfang schon darstellt. Eine Bedeutung ist gesetzt worden, auch wenn der Sinn noch offen bleibt. Mit dem Wort ‚Anfang‘ ist es noch schlimmer, und wenn dann auch noch ‚war‘ dazugesetzt wird, ist der Blödsinn fast vollendet. ‚Am Anfang war der Anfang‘ wäre noch ein ganz witziges tautologisches Vorgehen, was bereits viele Philosophen als Urformel gewertet haben. Die Astrophysiker sagen: anfänglich war der Urknall. Im Neuen Testament heißt es: Am Anfang war das Wort, das letztendlich Gott war und ist (Johannes 1,1),  und in Goethes Faust heißt es unter anderem, dass die Tat den Anfang gemacht habe. Noch kurioser haben es die Linguisten versucht, das A des Anfangs zu begründen.

Sie haben behauptet, einen grammatikalisch einwandfreien Satz gefunden zu haben, der sinnlos und damit ein Modell für das Vorsprachliche ist. Die Linguisten wollten damit zeigen, dass die Grammatik die Urformel schlechthin darstellt. Erst später haben sich daraus Syntax und Satzbau entwickelt. Der gerade zitierte Satz lautet folgendermaßen:
 „Colorless green ideas sleep furiously“ (farblose grüne Ideen schlafne fürchterlich). Nun ist dieser Satz absolut nicht sinnlos. Er wurde vielleicht in einer Zeit erfunden, als es noch keine Grünen Parteien gab oder entsprechende Politiker. Denn dass ‚grüne Ideen‘ ‚farblos‘ sein können und vielleicht sogar gerade dadurch ‚fürchterlich schlafen‘, klingt – zumindest rein linguistisch – gar nicht so unsinnig. Politisch mag man darüber diskutieren oder gar das Gegenteil zutreffen. Später haben die Linguisten daher einen anderen Satz gewählt: „Der Gnafel gircht, dass Inkeln schnofel sind“. Aber auch hier ist eindeutig – vielleicht sogar noch beser als im ersten Satz  – ein Sinn heraus zu lesen. Der ‚Gnafel‘ ist ein Jemand, möglicherweise eine mythisch märchenhafte Figur, ein Kobold oder Gnom, egal, er ist auf jeden Fall einer, der nicht moderne Sprache spricht sondern ‚gircht‘, raunzt, grunzt oder röchelt. Auch hier ist es wieder egal, denn er drückt ja etwas aus, und zwar dass die ‚Inkeln‘ (wohl andere Wesen als die ‚Gnafels‘) ‚schnofel‘ sind (blöd, schäbig, schofelig oder sonst was).

Lacan meint daher zu Recht, dass jeder grammatikalisch geformte Satz auch Sinn habe. Er wollte damit auf den Sinn des Unbewussten hinweisen, jenes seelischen Bereiches, der – wie er sagt – ‚wie eine Sprache strukturiert ist‘. ‚Wie eine Sprache‘ soll eben heißen: einer symbolischen Ordnung, einer Zeichen-Ordnung folgend aufgebaut ist, so dass die Dimension der Wahrheit eine Rolle spielen kann. Denn die Natur kennt keine Wahrheit. Es gibt in ihr vielleicht richtig und falsch, aber nicht Wahrheit und Lüge. Das ist auf jeden Fall etwas anderes als das blanke Sein, als die Materie, als Biologie, als Energie etc.  Deswegen existiert in all diesen Bereichen, in den Naturwissenschaften wie auch den Geisteswissenschaften, aber auch zum großen Teil  in Kunst und Kultur die Gefahr, dass man sich auf das ‚präformierte Modell einer richtigen Antwort’ stützt und nicht auf den Kampf um die Wahrheit (Lacan, J., Seminar I, Walter (1986) S. 202).

Dieser Kampf beginnt eben mit den ersten Sätzen und daher wollte ich nicht mit ‚Am’ oder gar ‚Anfang’ beginnen, weil damit schon der Rahmen klar abgesteckt ist, den doch eigentlich der Leser selbst bestimmen können sollte. Mag ja sein, dass er es gar nicht will, aber er sollte die Möglichkeit haben, es tun zu können. Eine Ausnahme machen die Psychoanalytiker, da sie ja ihre Adepten reden lassen, was immer denen einfällt. Erst dann, wenn der Betreffende nicht mehr reden kann oder Blödsinn fabuliert, geben sie vorsichtig eine Interpretation nach Maßgabe dessen, was sie selbst in solch einer Situation, nämlich in ihrer eigenen Analyse, in ihrer Lehranalyse, gelernt haben. Das ist ein guter Ansatz, und er hat auch über hundert Jahre lang ganz gut funktioniert. Doch schon seit einiger Zeit bröckelt die Aufrichtigkeit. Das Formulieren einer letztlichen Wahrheit will nicht mehr so gelingen wie noch in den ersten Jahren nach dem Krieg. Man klammert sich heutzutage weltweit an eine feste Zeit für die analytische Sitzung, immer mehr werden Rekonstruktionen des gedanklichen Materials, das von den Patienten geäußert wird, in recht künstlicher Form erstellt.

So wird vom ‚interpretativen Enactment’ gesprochen, dass die herkömmliche Deutung ersetzen soll, wenn diese auf Grund mangelnder ‚freier Assoziationen’ des Patienten nicht gelingt. Das Enactment besteht darin, die Gegenübertragung (es ist die Übertragung des Analytikers als Reaktion auf die Übertragung von Bedeutungen des Patienten auf ihn) zur Therapie zu nutzen. Damit geraten auch die Psychoanalytiker heute in die Region des ‚präformierten Modells (zu fester Wissenskodex) einer richtigen Antwort' (auf die engere Freudsche Sexualtheorie festgelegte Interpretationen). Erst vor kurzem erschien in der Zeitschrift PSYCHE ein Artikel von ca. hundert bekannten Psychoanalytikern, die die Krise in ihrer Wissenschaft deutlich zum Ausdruck brachten. Anpassung, Institutionalisierung, biopolitische Kontrolle, Psychiatriesierung und vieles mehr bedrohen Freuds ursprüngliche geniale Öffnung zur Einsicht und Bewusstwerdung, zur Kreativität und Verwirklichung neuer autonomer Lebensformen.

Freilich ist alles richtig und doch auch nicht. Denn am Anfang des Menschseins – wenn die Patienten alles gesagt haben und alles gedeutet ist – steht den Psychoanalytikern zufolge ein doppelt Wahrgenommes, ein Bildhaftes, Imaginäres, das schon mal wahrgenommen ist. Ein Modellbild, ein Urbild, eine Remineszenz, man kann nur so sagen, dass es eben zugleich paradox und voll Bedeutung ist. Die Beziehung zum anderen nämlich, das ursprünglichste Begehren des menschlichen Subjekts beinhaltet immer eine fundamentale Umkehrung oder Verneinung. Das Kleinkind kann in seiner Wahrnehmung nicht alles gleich und umfassend anerkennen, es muss immer einen Teil negieren, verwerfen (der Ausdruck ‚verdrängen‘ wäre hier zu schwach). Der Neurologe D. B. Linke spricht in diesem Zusammenhang einerseits vom doppelten „Zufassen“ des Blicks (man muss zweimal hinschauen , um wirklich zu sehen) und andererseits von den zwei visuellen Systemen (Großhirn und Stammhirn), die hierbei beteiligt sind.  Diese frühe Spaltung tragen wir alle noch in uns.

Deswegen haben sie alle, die davon reden, was am Anfang war, nicht Recht; und doch muss man auch zugeben, wie hätten sie es anders sagen können? Neuere astrophysikalische Beobachtungen versuchen es mit einem Kompromiss: Der Urknall ist nur der Anfang desjenigen Teils des Multiversums, in dem wir leben. An gewissen Stellen wird es immer wie-der vollkommene Zusammenbrüche und Neuanfänge geben. Und so ähnliche Lösungen kann man auch für Gott und Goethe finden. Vielleicht kommen die Psychoanalytiker einer treffenden und für die heutige Zeit passenderen Aussage näher, wenn sie konstatieren, dass man Anfang der Mangel war, die ‚Minus Eins‘. Dann kann nämlich jeder, der das liest selbst den Anfang machen, den Anfang für sich und seine ihm zugehörige Welt, was ja sehr weit reichen kann, sehr sehr weit.

Und damit bin ich wieder bei meinem N O M E N S C I S oder wie man es immer schreiben mag. Damit ich nicht jetzt schon meinen Text beenden muss, verrate ich noch kurz, wie man diesen Anfang für sich selbst vereinfacht erreichen kann, ohne dass ich dem Leser diese Arbeit abnehme. Diese Vereinfachung sieht also so aus wie in der Abbildung gezeigt. Das Ganze ist so geschrieben, dass man zweimal hinschauen muss, um die Zeichen zu entziffern. Doch das ist nicht das Wesentliche, es ist nur ein zusätzlicher spielerischer Effekt. Liest man von oben ausgehend im Uhrzeigersinn, heißt es ENS – CIS – NOM. Man könnte aber auch beim S ganz rechts anfangen und SCI – SNO – MEN oder links unten vom N aus N O M E N S C I S lesen, um nochmals diese seltsamen Zeichen zu bemühen.

Bevor ich die verschiedenen Bedeutungen erkläre, die beim Lesen von jeweils einem anderen Buchstaben aus zustande kommen, nochmals zum Anfang des Anfangs zurück. Dem doppelten Zufassen des Blicks bei der Wahrnehmung korreliert das Überlappen von Zeichenketten beim Spracherwerb. Das symbolische System, die Sprache, konstatiert Lacan, ist großartig verschlungen. Verschlungenheit bedeutet linguistische Überkreuzung Überlappung, denn jedes noch so isolierte linguistische, symbolische, Element ist nicht bloß der Gesamtheit des Systems verhaftet, sondern überschneidet sich ständig mit ihr. Der Spracherwerb resultiert also aus einer ersten Erfassung der Gesamtheit des symbolischen Systems und nicht aus der Aneignung einzelner Worte. ‚Haus‘, ‚Türe‘ ‚Teller‘, ‚Mutter‘,  ‚Geschwister‘, ‚Garten‘ etc. sind vielleicht als einzelne Elemente, Wörter, schon angeeignet worden, aber erst in dem Moment, wo Mutter mit Teller durch die Türe kommt, werden die Worte wirklich anerkannt und im Sinne von ‚jetzt gibt es Essen‘ oder Ähnlichem als fertige Sprache bestätigt.

Man kann diesen Vorgang recht gut auch an Hand des psychotischen Krankseins oder des Kreuzworträtsels verstehen. Bei Letzterem überlappen sich Buchstaben-ketten und von diesen Schnittstellen aus lässt sich das Rätsel lösen. Und in der Psychose bricht das, was in dem oben genannten Sinne nicht anerkannt, nicht irgendwie primär symbolisiert und bestätigt worden ist, unter der Form einer Halluzination, einer rein bildhaften Überlappung, ins Bewusstsein ein. Auch für die Erklärung der Wahrnehmung lässt sich dieses Phänomen nutzen: ‚Haus‘, ‚Türe‘ ‚Teller‘, ‚Mutter‘, ‚Geschwister‘, ‚Garten‘ etc. werden in einem ersten Blick angeeignet, aber erst in einem zweiten Blick als wirklich Gesehenes anerkannt. Im Blick muss man zweimal zufassen, und beim Sprechen muss man wenigstens drei Überlappungen zustande gebracht haben, um als Mensch tatsächlich zu sehen und sprachlich zu verstehen.

Damit habe ich wieder die zwei Grundprinzipien dargelegt, die ich in vielen früheren Büchern bereits diskutiert habe, das Bildhafte und das Worthafte. Warum jetzt wieder darüber schreiben? Ist es einfach immer noch nicht gut genug geschrieben und verstanden worden? Aber lesen wir zuerst nochmals, was in der Abbildung steht. Gehen wir einmal vom M oben links aus. So heißt MENS CIS NO, der Gedanke diesseits, innerhalb von No, vom N ausgehend: NOMEN SCIS, du kennst den Namen, OMEN SCIS N, du kennst das Omen N,   CIS  NO,  MENS,  diesseits schwimme ich, oh Geist, ENS CIS NOM, das Ding diesseits von Nom, C IS NOMEN S, hundert, dieser Name S, usw. So unsinnig einzelne der Bedeutungen auch sind, sie sind doch grammatikalisch und syntaktisch nor-mal. Sie stellen perfekt diese linguistische Struktur dar, die durch ihre Überlap-pungen Lüge, Versprecher und Zerredung ausschließen und doch Sprache sind. Sprache am Rande von Sprache, aber eben dadurch gerade kompakt, konkret, vereinfacht bis zur Unkenntlichkeit hin. Und liest man den Kreis mehr als nur eine Runde oder mehrere derartiger Formel-Worte, wird der Effekt noch ausgeprägter.

Lange bevor der Mensch im vollen, bewussten, rationalen Sinne sprechen kann, sind seine unbewussten Strebungen, Begehren und libidinösen Wünsche ausge-reift, stumm artikuliert und ausdrucksbezogen. Aber „bevor das Begehren nicht lernt sich durch das Symbol anzuerkennen, wird es nur im anderen gesehen.“  Es gibt nur eine (bildhafte) Spiegelung, keine (worthafte) Verifizierung. So sind die Bilder von Anfang an verhunzt und führen im Extremfall zur Aggressivität. Denn um die Spiegelspannung auszuhalten, muss man entweder himmelhoch jubilieren, dass man mit dem anderen so identisch ist, oder ihn beseitigen. Doch auch im Bereich des Worthaften fließt man nicht gleich von Wahrheiten über, sondern verfällt den Viertelwahrheiten, die bereits Lügen sind oder bodenlose List. Oft ist das Wort Liebe nicht anderes als eine Vorform des Selbstmords,  und der Begriff der Leidenschaft nur der Betrug mittels eines Jahrtausende alten Irrtums. Genau deswegen kann es gut sein, mit Buchstaben konfrontiert zu sein, die – im Gegensatz zu den obigen Beispielen der Linguisten – wirklich Sprache sind ohne etwas Definitives zu sagen.

Das Definitive muss nämlich das Unbewusste selbst sagen. D. h. es muss den Anfang machen, den es ja ohnehin – wie oben beschrieben – mit seiner primären Artikulation gemacht hat. Den Rest kann das Vorbewusste (wie Freud es genannt hat) oder auch das schon fast Bewusste tun.