Lacans Graph des Begehrens

 

Um Lacan für das Verfahren der Analytischen Psychokatharsis zu verwenden,  muss ich doch einbisschen auf eines seiner wesentlichsten Darstellungen verweisen, nämlich auf den sogenannten Graph des Begehrens‘ (Abbildung nächste Seite). Natürlich unterscheidet man das Begehren von der Liebe, und doch ist es oft so, dass gerade das mit der Liebe eng verbundene Begehren, wie es etwa bei den Mystikern zu finden war, für die der ‚Liebe unterstellte Wissenschaft‘ das interessanteste ist. Es handelt sich bei dieser Art von Verbindung um etwas, das mit der Selbstsublimation, von der ich schon eingangs sprach, zusammenhängt, und darum geht es in Lacans Graphen eigentlich nicht. Eigentlich, denn ich glaube zeigen zu können, dass es ein Begehren nach einer Vollständigkeit dieser Verbindung und Selbstsublimierung gibt, das bei etwas anderer Lesart mittels des Graphen erfasst werden kann.

Mir geht es bei dem ‚Graphen‘ vorwiegend um die durch  die Pfeile  angezeigten Chiffren  $ <> a  und  $ <> D. Zur erleichternden Einführung kurz Folgendes: Ausgangspunkt des Graphen ist die Intention (das Bedürfnis, das Begehren, die bewusst/unbewusste Strebung) des menschlichen Subjekts rechts unten, das auf seinem Weg nach oben zuerst in A  (der, das Andere) auf die von links kommende Signifikantenkette (also die Kette der Bedeutungseinheiten und des Sprachlich-Strukturellen),  trifft. Zurückkehrend zu sich (im unteren Rundbogen nach links) passiert es den Kreis s (A), die Botschaft, die es vom groß zu schreibenden Anderen bekommt, der die Eltern und Lehrer waren und später vielleicht der Analytiker ist. So kann es sich als Ich-Ideal etablieren, also als etwas, das zwar sein wahres Sein maskiert, aber mit dem es doch im gesellschaftlichen Leben reüssieren kann. Das ist eine rein formale Darstellung der aufs Sprachliche bezogenen Grundverhältnisse, wie sie bewusst ablaufen und die nicht für mein Vorhaben in diesem Buch nicht weiter wichtig ist.  

Hier kann nämlich das Sprechen samt der resultierenden Botschaft – wie Lacan sagt  – oft nur  ‚metonymisch‘ ausgedrückt werden. Metonymisch bedeutet eine simple Art des Palaverns, ein Wort nach dem anderen von sich geben, so dass Lacan hier vom ‚metonymischen Erfolg’ oder dem ‚authentischen Gelingen’ des Signifikanten spricht. Es wird einfach so dahergeredet,    der Signifikant bleibt in seiner Bedeutungseinheit stecken, gelangt also nicht zur Vielschichtigkeit seiner Kette. Man kann dies gut am politischen Jargon sehen. Die Linken z. B. stellen die ‚kollektive Spinnerei’ dar, sie wickeln sich im Jargon einer sozialen Utopie ein, fertig (authentisches Gelingen des Signifikanten). Die Rechten stellen die ‚kollektive Schurkerei’ dar, sie helfen sich nur gegenseitig im Jargon eines Macht-Clans (ebenso authentisches Gelingen ihrer Ideologie).

Es leuchtet ein, dass für den unteren Teil des Graphen ein Strahlt vorherrschend ist. Aber nicht nur das metonymische Sprechen ist hier abgebildet, es kann auch zum metaphorischen Sprechen kommen, indem nicht nur ein Wort nach dem anderen herauspalavert wird, sondern eines sich dem anderen unterstellt, wodurch eine Metapher, also eine wirkliche Sinngebung möglich wird. Dies hängt davon ab, wie der untere Teil des Graphen mit dem oberen kombiniert wird. Insgesamt ist jedoch der untere Teil des Graphen hinsichtlich seiner formalen Struktur interessant, weil dann auch der obere Teil besser fassbar wird. Denn eine Etappe weiter oben zeigen sich die Verhältnisse wie sie für die Psychoanalyse als vorwiegend vom Unbewussten her bestimmt bedeutend sind. Hier passiert die Intention des Subjekts die mit den großen Pfeilen versehenen Etappen, die nunmehr wichtig sind. 

So vermittelt das $ <> D, wie das Subjekt im Bezug zum Trieb, zur grundlegenden ‚Forderung‘ der Triebansprüche (D für Demande) in sich gespalten ist. Dies ist die Stelle, wohin das Subjekt in der Psychoanalyse regredieren, zu seinen seelischen Anfängen zurückkehren  muss, um zu erfassen, wie es seinen unbewussten Wünschen Anspruch verleiht (z. B. dem oralen Anspruch auf ein Gesättigtwerden). Hier dominiert also die Verschlüsselung des Anspruchs, und so sehe ich an diesem Punkt vorwiegend das Spricht als unbewusstes am Werk, denn die Regression müsste bis dorthin gehen, zum Primärvorgang des Sprechtriebs also, wo das Subjekt im Schrei nach Sättigung, nach Liebe und weiß Gott sonst was gespalten ist. Ich habe erst vor kurzem ein zweieinhalbjähriges Kind gesehen, dass extrem außer sich war im Schreien nach seiner Mutter, die gerade mal für zehn Minuten auf eine Toilette gegangen war.  Bis zu solchen entgrenzenden ‚Forderungen’, müsste man in der Analyse kommen, um diese Seite wirklich durchgearbeitet zu haben.

Doch selbst wenn der Genusswunsch des Subjekts in S (Ⱥ) [1] ankommt, er kann dort nicht ausgelebt werden, denn es hat in den Signifikanten von A, eine Bremsung, Hemmung gegeben, was die Psychoanalytiker als ‚Kastration‘ bezeichnen. Man kann die Dinge nicht in einem vollen Zug hindurch genießen, A zeigt, dass er/es selbst blockiert ist. A, der/das Andere, ist Garant der symbolischen Artikulation, doch auch dort kann man nicht das letzte Vertrauen und alle Gewissheit finden, denn dort ist kein Signifikant der die Wahrheit zusichern würde, vielmehr bedeutet S (Ⱥ) den Signifikanten eines Mangels im Anderen, weil das Begehren nicht bezeichnet werden kann obwohl es dort wirkt. Weil Größe da ist, aber doch zurecht gestutzt. Die ‚sexuelle Metapher‘ funkt hier dazwischen, ist sie doch der Angelpunkt der psychoanalytischen Auffassung des Grund-Seelischen.

Das Gleiche passiert in $ <> a, in dem zweiten mit einem Pfeil versehenen Kreis, in dem das Subjekt wieder als gespaltenes, schräg durchgestrichenes S markiert ist, diesmal aber dem Objekt seines Begehrens in seinem Ur-Phantasma, seiner ursprünglichsten unbewussten Phantasie begegnet. Dieses Phantasma steht meist im Zusammenhang mit dem Wesen der frühen Mutter. Oft hat es perverse Inhalte, die dem neurotischen Subjekt nicht ganz bewusst sind, die sich aber hartnäckig dort halten und – gerade in der heutigen oft allzu offen liberalen Zeit – auch verbal verteidigt werden, da sie doch im modernen Dasein sichtbarer erscheinen. Ich sehe hier genauso wie im S (Ⱥ) einewesentliche Kombination des Strahlt/Spricht am Werk, die unmittelbare Verbindung des Wahrnehmungs-Schautriebs mit dem Sprechtrieb.

Die mit dem mütterlichen Körper und Begehren verknüpften Bilder haben noch die Urkraft des Trieb-Primärvorgangs und müssen in der analytischen Therapie lange durchgearbeitet werden. Hinsichtlich des Strahlt schreibt Lacan Folgendes: „ . . das Subjekt sieht sich als gesehen werden, man sieht das Subjekt als gesehenes, aber selbstverständlich sieht man nicht schlicht und einfach, sondern im Genießen, in dieser Art Ausstrahlung oder Phosphoreszenz, die sich dadurch freisetzt, dass das Subjekt sich in einer Position befindet, die aus man weiß nicht welcher ursprünglichen Kluft entstammt . . .“[2] Ich kann sagen, woraus diese Kluft besteht: sie besteht aus der allerursprünglichsten Kluft des Strahlt / Spricht. Darauf ist Lacan ja selbst schon fast gekommen, als er – wie erwähnt – diese beiden Triebe, Kräfte, Prinzipien, Freud gegenüber umformuliert dargestellt hat. Denn das Spricht ist hier beteiligt, auch wenn es nur seine Interpunktionen setzt.

Ich fasse zusammen und stelle dieser Zusammenfassung nochmals kurz die Beschreibung, die Lacan selbst vom Graphen gegeben hat, voran: „Die zweite Linie   [gemeint ist die oberhalb der untersten im Graphen] stellt genau den Anspruch dar, insofern sie vom Anspruch zu Identifizierung übergeht und dabei durch die Position des Anderen im Verhältnis zum Begehren hindurchgeht. Sie sehen so den zerfällten Anderen. Jenseits von ihm gibt es das Begehren. Die Linie geht durch das Signifikat von A hindurch, das hier auf diesem Schema seinen Platz hat . . . Aufgrund von etwas, welches das ist, was wir suchen, wird er sich in einer zweiten Zeit teilen und sich in einem nicht einfachen, sondern doppelten Verhältnis, das ich im übrigen bereits auf anderen Wegen angeschnitten habe, zu zwei signifikanten Ketten errichten.“[3]

Dies ist nur eine Kostprobe, ich glaube, dass mein Strahlt / Spricht alles einfacher erklärt. Dabei handelt es sich bei dieser Kostprobe nur um den unteren, bewussten, linguistischen Teil des Graphen, der obere Teil, der das Unbewusste betrifft, wird von Lacan noch komplexer beschrieben und in seinen Seminaren immer wieder mal etwas anders interpretiert. Lacans Schüler haben schon zu Lebzeiten unter den verklausulierten Lektionen ihres Lehrers gestöhnt, und das ist auch heute nicht anders.

Ich kann jedoch betonen, dass selbst wenn alles bei Lacan klar verstanden wird, es für das, was ich hier schildern möchte, nicht so wesentlich ist. Eine Vereinfachung genügt, denn ich ergänze Lacans Theorie vorwiegend durch eine Praxis, die umso notwendiger geworden ist, umso mehr seine Theorie unter seinen Epigonen weiter verwirrt wird. Zwar hat Lacan auch hinsichtlich der Praxis Neues versucht. Er hat Kurzsitzungen von oft nur fünfzehn bis zwanzig Minuten eingeführt, weshalb er aus der psychoanalytischen Gemeinschaft ausgeschlossen wurde, da man dort auf den international üblichen Standard von fünfzig Minuten beharrte. Aber dies ist nicht das Entscheidende, was ich anmerken möchte. Diese seine Praxis hatte ihren Platz, aber sie ist kaum von jemandem nach ihm aufgenommen worden. Manche Klienten kamen jeden Tag für diese Kurzsitzungen zu ihm, was nur in einer Großstadt wie Paris mit guten Verkehrsverbindungen möglich war. Zudem musste ja Lacan selbst das Ende der Sitzung bestimmen, wogegen ein fester Zeitrahmen neutraler ist. So musste Lacan, damit die Patienten sich nicht brüskiert fühlten, nach jeder schnell beendeten Sitzung mit extrem liebenswerter Stimme sagen: „Wann kommen Sie wieder    morgen?“

Ich wiederhole also: Lacan führt einerseits das Wesen der Signifikanten bzw. ihrer Ketten in die psychoanalytische Theorie ein. Er konstatiert, dass diese symbolische Ordnung, dieses Signifikantensystem an allem Vorgängen im menschlichen Seelenleben, vor allem im Unbewussten, beteiligt ist und alles mitbestimmt. Es ist dem menschlichen Subjekt immanent, kommt ihm aber auch von außen und schon von jeher in dieser Weise zu. Es handelt sich um ein ‚universales Gemurmel‘ wie er auch sagt, und das ich deswegen einfach ein Spricht nenne, ein Verlautet, eine Invokation, einen Anspruch. Ich sehe in der Lacanschen ständigen Gegenüberstellung von Anspruch und Begehren die Kombination der zwei Grundtriebe,  das Spricht und das Strahlt, wobei letzteres von Lacan eben als ‚ultrasubjektives Ausstrahlen‘, als Phosphoreszenz des Genießens, tituliert wird. Auch die Invokation, das Spricht ist eine zu genießende Entäußerung, und so haben wir also auch im Graphen des Begehrens nur diese zwei Aspekte als wesentlich anzusehen.

Ich kann nun ganz leicht das Konzept der Analytischen Psychokatharsis, das die Kombinatorik von Strahlt / Spricht als Ausgangspunkt benutzt, weiter vorstellen. Doch den Punkt S (A) bzw. S (Ⱥ) muss ich noch weiter beschreiben. Denn er stellt das Wesentliche der Psychoanalyse wie auch meines Verfahrens dar. In den offiziellen Schriften Lacans, die von seinem Schwiegersohn J. A. Miller herausgegeben wurden, findet sich die Schreibung S (A) nicht, vielmehr ist dort das A genauso schräggestrichen wie das $. J.-B. Pontalis hat jedoch an mehreren Stellen seiner Mitschriften der Seminare IV bis VI die obige Schreibweise verwendet, weil sie auch von Lacan anfänglich so geschrieben wurde.[4] Auch findet sich dort noch eine weitere Schreibung, die in dem von Miller veröffentlichen Seminar V nicht aufgeführt ist, nämlich die mit einem  A <> d im oberen rechten Eck (siehe Ausschnitt in der obenstehenden Abbildung). Ich gehe also nochmals zu den Bedeutungen  der oberen Kette, wo dem S (A) das A <> d gegenüber steht und nicht das S <> D.

A <> d bedeutet den Anderen in seinem Bezug zum Begehren, und S (A) ist hier nicht der Signifikant des durch die ‚sexuelle Metapher‘ quergestrichenen Anderen. A ist hier hinsichtlich der „Willkür seines guten Willens“ zu sehen wie Pontalis referiert, und damit kommt man an dieser Stelle der ‚Metapher des Genießens‘ näher, denn die Intention des Subjekts trifft hier auf den rätselhaften Anderen, der die Mutter und seine anderen Bezugspersonen gewesen sind (evtl. auch der Vater in seiner noch nicht ganz geklärten Funktion),  und was sich nun in A samt dem Widerhall derer Begehren in einer nicht gebarrten Form etabliert hat. In seinem Genussstreben findet das Subjekt hier einen gewissen Halt im Signifikanten dieses Anderen, also in S (A), weil es sich – anfänglich und in einem gewissen Maße – mit dem „Rätsel identifizieren“ kann (Pontalis), das der Andere ihm auferlegt. Kurz gesagt: das Subjekt kann hier aushalten, dass Vater oder Mutter, Lehrer oder Analytiker zwar in bisschen von ihrer Begehrensstruktur zeigen, aber nicht so viel, dass man völlig unsicher, halb-pervers oder verrückt werden müsste. Die von Miller unterschlagene Darstellung S (A) und A <> d stellt also das dar, was vor oder außerhalb der Analyse passiert und allgemein beim Nicht-Neurotiker Alltag ist.

Denn dort hat der Vater als A, als Ort der Signifikanten-Ordnung, Ort des Gesetzes, auf weitere Frauen verzichtet. Selbst wenn er manchmal an eine andere denkt, stellt er doch ein Vertrauen her, bietet eine Verlässlichkeit und Sicherheit. Sein Signifikant ist nicht nur der Mangelsignifikant, der für das phallische Begehren steht und demgegenüber er die Kastration erleiden muss, mit der er nun auch das Subjekt konfrontiert. Sein Signifikant hat etwas mit den originären und grundsätzliche A zu tun, indem dies  das Wesen der Sprachstruktur, der symbolischen Ordnung, des Schatzhauses der Signifikanten selbst abbildet. Lacans Graph mit dem quergestrichenen A betrifft insbesondere den Neurotiker.

Denn beim ausgeprägt neurotischen Menschen, der sich in Analyse begibt, liegt der Fall eben anders. Hier muss zu sehen sein, dass der Signifikant des Anderen als S (Ⱥ ) geschrieben wird, weil das Genießen dort schon als betont phallisches Genießen angekommen ist und das Rätselhafte nunmehr selber das unbewusste Begehren geworden ist. Das Subjekt hat bereits im Durchgang bei $ <> D  in seinem Anspruch, in seiner Forderung Gewicht bekommen, bezüglich dessen es in A keine so halb glückliche Antwort mehr erwarten kann, wie in der Konstellation von A <> d und S (A). Die Antwort ist vielmehr eine verstörende des Begehrens von A, vereinfacht und alltäglich gesagt: warum braucht der Vater so viele Frauen? Wo soll ich nun mit meinem Begehren hin? Muss ich gar den Vater umbringen, wie Freud dies in seinem Buch ‚Totem und Tabu‘ beschrieben hat, um an die Frauen zu kommen?

Ja, für das Vorgehen in der klassischen Psychoanalyse gilt dies. Der Analytiker sitzt am Platz des A und muss nun sehen, wie ihn die Aggressionen seines männlichen Klienten treffen. Er muss seinem Klienten den Ödipuskomplex anhand dieser auf ihn gerichteten Übertragungen interpretieren. Ich schildere jetzt alles etwas pauschal und mit deftigen Worten, aber in Wirklichkeit kommt es in dem, was ich hier schreibe, gar nicht so darauf an, was in einer üblichen Psychoanalyse passiert. Ich will nur die verschiedenen Schreibweisen des oberen Teil des ‚Graphen des Begehrens‘ aufdecken und dafür nutzen, das Verfahren der Analytischen Psychokatharsis plausibel zu machen, ganz Nach Lacan. Ich will zeigen, dass es – in einem gewissen Idealfall – die ‚Metapher des Genießens‘ gibt, die freilich auch ‚kastrierende‘ Grenzen aufzeigt, aber eine günstigere Prognose hat.

In diesem, meinem Verfahren  wird diese andere Möglichkeit sichtbar. Das S (A) (aber im Fall meines Verfahrens sogar auch das S (Ⱥ ), das A <> d (wie auch das $ <> D) könnten nämlich mittels der Übungen der Analytischen Psychokatharsis leicht durch ein S1 / S2 ersetzet werden, indem damit Lacans Grundregel ausgedrückt ist, nämlich dass ein Signifikant (S1) ein Subjekt (/) für einen anderen Signifikanten (S2) repräsentiert und etabliert. Dies spielt sich ja speziell in A ab. A ist zwar nicht selbst das Subjekt, aber für das betroffene Subjekt spielt sich die Signifikanten-Kombination dort ab und lässt es für sich selbst deutlich werden, auch im Rahmen der „sexuellen Metapher“, die eben hier nicht so phallisch betont ist. Und genau dies ist in der Analytischen Psychokatharsis noch besser zu sehen und noch wirksamer als in der herkömmlichen Psychoanalyse umzusetzen. Denn dort interveniert an dieser obersten Linie des Graphen das oder die Formel-Worte,[5] die das Ganze in die knappste, elementarste Kombinatorik zwingen, die möglich ist, eben in die von S1 / S2.

Die Formel S1 <> S2 (oder S1 / S2 geschrieben) würde auch gut zu der Formel Strahlt / Spricht passen. Dass es sich wirklich so verhält hat mit dem zu tun, wie die Formel-Worte aufgebaut sind und wie sie wirken. Denn sie intervenieren genau an der Stelle der Signifikanten-Kombinationen. Sie intervenieren absichtlich: das ist etwas, was man in der üblichen Psychoanalyse nicht macht, obwohl immer mehr Analytiker angesichts der nicht im Unbewussten repräsentierten ‚Objekte‘ durch sogenannte ‚Enactments’, wie man solche Interventionen in der Psychoanalyse nennt, wenn man eine Deutung ohne ausreichenden Hintergrund gibt, dazu übergehen. Man hilft dann mehr oder weniger suggestiv etwas nach.

Es handelt sich bei den Formel-Worten um Formulierungen, die mehrere Bedeutungen in einem Wortzug enthalten, ohne dass damit geklärt ist, welche nun bevorzugt wird. Genau dies ist ja für die Konstitution der Signifikanten wesentlich. Der einzelne Signifikant ist keiner Bedeutung fähig, aber in einer Kette sind sie fähig, Bedeutung und Sinn zu erzeugen, insbesondere dann, wenn sie sich an sogenannten ‚Polsterknöpfen’ – wie Lacan sagt – überschneiden. Ich stelle eine derartige Formulierung schon hier einmal hier vor, auch wenn sie erst später ausführlicher kommentiert wird. Wenn man diese Formulierung, die der lateinischen Sprache entstammt, im Uhrzeigersinn liest, kommt – angefangen mit irgendeinem der Buchstaben fast bei jedem Mal eine andere Bedeutung heraus (die einzelnen Bedeutungen sind im folgenden Kapitel aufgeführt, hier will ich vorerst nur die formalen Zusammenhänge beschreiben).

Damit ist der Vorgang in den Linien des Graphen ganz anders zu werten als es in der herkömmlichen Psychoanalyse der Fall ist. Die Intention des Subjekts ist meiner Ansicht nach zuerst einmal die des Schautriebs, das Strahlt, das sich wie ein sich ausstreckender Fühler nach oben schiebt. Von Freud wird die Libidobesetzung (Objekte werden mit Lustenergie besetzt) an vielen Stellen seines Werkes mit ‚Pseudopodien’ verglichen, also mit herauswachsenden oder sich auch blitzartig vorschiebenden und sich wieder einziehenden Gliedern.[6] Diese Intention des Strahlt wird nun von einer des Spricht gekreuzt, indem der Signifikant bzw. dessen Kette als ein Es Spricht von links hereinschneidend die erste, die formale Kombination der beiden Grundtriebe ergibt.

In seinem „Entwurf einer Psychologie“ hat Freud ein Konzept der menschlichen Psyche beschrieben, das ganz mechanischen und neurobiologischen Vorgaben entspricht. Andererseits zeichnet es sich jedoch auch durch eine geradezu poetische und mythische Vielfalt von Begriffen aus, die dieses Konzept zu einer interessanten und gleichzeitig faszinierenden Lektüre machen. Trotzdem hat Freud es selbst nicht zu Lebzeiten veröffentlicht und zwar wohl deshalb, weil es ihm selbst noch zu mystisch, zu psychophysisch erschien. Vereinfacht gesagt treffen die von der Wahrnehmung kommenden Intentionen (das Strahlt) auf „Schalter“ und „Regler“ (Freud sprach von Kontaktschranken und anderen Reglermechanismen) im Inneren, Diese Verknüpfungen und „Verschaltungen“ haben deutlich den Charakter einer symbolischen Intervention, also von einem Code, einem Es, das Spricht, das sich mit dem hereinkommenden Strahlt kreuzt.

Im oberen Teil des Graphen verhalten sich die Dinge nun umgekehrt. In  $ <> D  ist die Intention viel unbewusster aufgefasst, das ‚Pseudopodium‘ hat sich durch das Passieren des Codes in eine andere Form des Spricht, nämlich in die des unbewussten Anspruchs gewandelt und das Subjekt jetzt endgültig gespalten zurück gelassen. Nunmehr kommt von der anderen, der linken Seite, das libidinöse Genießen (auch eine Art des ‚Pseudopodiums‘) in Form eines Es Strahlt, wodurch das Subjekt zum Klingen, zum Verlauten der ursprünglichsten Signifikanten gebracht wird, was ich als S1 / S2beschrieben habe. Durch die Intervention der Formel-Wort-Formulierungen jedoch gehalten, wird es dieser S1 / S2 – Kombination einen Identitätsausdruck, ein Pass-Wort verleihen. So etwas geht nicht ohne eine Tendenz zur Selbstsublimierung vor sich, auf die ich am Anfang dieses Kapitels hingewiesen habe.

Der Identitätsausdruck kommt also strukturell und ganz elementar, ganz formallogisch verpackt zustande, nämlich in der gleichen Art von  ‚B(r)uchstaben‘,[7] und dies hat andere Auswirkungen als in der Psychoanalyse üblich. Hier wird wirklich ins Zentrum der Signifikantenketten eingegriffen ohne einen vorzeitigen, suggerierten oder auch sonst irgendwie schon vorverfassten Sinn zu geben. Hier greift ausschließlich eine direkte, heftige und wissenschaftlich abgesicherte Intervention in das Geschehen ein. Hier handelt es sich nicht um ein Enactment. Hier ist das Unbewusste unmittelbar angesprochen, wie es elementarer im Anspruch nicht ausgedrückt sein könnte. Man könnte auch sagen, dass die ‚B(r)uchstaben’ auf der primärsten Strukturstelle, am naivsten Analogieelement ansetzen.

Der orale Anspruch beispielsweise, wie er sonst in $ <> D auftreten kann, wird links liegen gelassen, was aber nicht heißt, er würde erneut verdrängt. In S (Ⱥ) wird er, sollte er tatsächlich eine Rolle spielen, in den dort sich zur Botschaft aus dem Unbewussten vereinigenden Signifikanten mit zum Ausdruck kommen. Was dort aus dem Unbewussten direkt erfahrbar, hörbar, denkbar geworden herauskommt, nenne ich wegen seiner Identitätskraft ein Pass-Wort, Identitätsvokabel, dem Bewussten bereits nahekommende Chiffre. Das Pass-Wort korreliert eben den ‚B(r)uchstaben‘ des oder der Formel-Worte und den in sich selbst oft auch gebrochenen Triebansprüchen. Zu dieser Verwendung in der Analytischen Psychokatharsis später Genaueres.



[1]  Ich beziehe mich hier auf die Schreibweise in denen das A durchgestrichen, also eben auch vom Signifikanten gespalten, ‚gebarrt’ ist. Von Pontalis existiert die hier gezeigte Version, auf die ich noch zurückkommen werde.

[2]  Lacan, J., Seminar V, Turia & Kant (2006) S. 371

[3] Lacan, J., Seminar V, Turia & Kant (2006)  S. 403

[4] Pntalis, J.-B., Zusammenfassende Wiedergabe der Seminare IV – VI von J. Lacan, in RISS-Extra 3 (1998)

[5] Die Formel-Worte sind mit Schnittstellen versehene Formulierungen, die ich im nächsten Kapitel beschreiben werde.

[6] Freud, S., GW  X 141, XI 431, XII 6, XVII 73.

[7] Oudee Dünkelsbühler, U., Zeugnis und Schrift: B(r)uchstaben an der Couch, Les Etats Généraux de la Psychanalyse (2001). Der Begriff B(r)uchstaben erscheint mir eine ideale Formulierung für dieses zugleich Wort- und Bildhafte zu sein, indem es „Buch“ (Spricht) mit „Staben“ (Linien, Strahlt) genau durch das ihnen eigene Element verbindet.