Übertragung in Yoga und Psychoanalyse

Nach den vielen zum Teil auch kritischen Bemerkungen zu Yoga, Meditation und Esoterik in meinem Buch 'Yoga und Psychoanalyse' habe ich ein Kapitel dem Prinzip der Übertragung, Ur-Übertragung gewidmet, das ich hier auszugsweise darstelle. Ich sehe nicht nur den Yoga, sondern auch die herkömmliche Psychoanalyse kritisch, wie übrigens auch viele Psychoanalytiker selbst.[1] Ausnahme stellen lediglich einige der begrifflichen Instrumente aus der Lehre Lacans dar, die ich in meine Formulierungen mit aufnehme. Sehr vereinfacht könnte ich jetzt sagen: Im der Psychoanalyse wird das Spricht (das assoziative und dialogische Sprechen) dazu benutzt, um seine Wichtigkeit im Strahlt aufzusuchen und zur Artikulation eines letztlichen Strahlt / Spricht über F hinaus zu bringen. Im Yoga wird das Strahlt (Spiritualität, Figur des Guru, Askese über F hinaus) benutzt, um in das Spricht so hinein zu leuchten, dass genau so ein kompetentes Strahlt / Spricht erreicht wird.

 

Wie schon kurz angedeutet, steht im Zentrum der Psychoanalyse die Übertragung. Sie ist im Grunde genommen eine positive Einstellung in Bezug auf den Analytiker und zum Therapieverfahren und zur die gemeinsame Arbeit an der Seele. Der zum Psychoanalytiker kommende Kranke unterstellt dem Therapeuten eine Fähigkeit oder ein  Wissen und überträgt dabei und dadurch auf ihn  Bedeutungen, die aus der eigenen früheren Geschichte oder aus anderen Beziehungen stammen. Um diese somit verschobenen und verdrängten Bedeutungen (z. B. verführerische Mutter) sichtbar und bewusst werden zu lassen, muss der Patient völlig frei Einfälle, Träume, Phantasien äußern (frei assoziieren), die der Therapeut dann - aus der Bezogenheit auf ihn heraus - durch Deutungen interpretieren kann. Das ist der entscheidende Angelpunkt, der immer auch um die erotische Mächtigkeit kreist, mit der die Menschen sich in Verstrickungen einlassen. Interpretationen, die der Therapeut nur auf einer sachlichen Ebene gibt, sind genauso wie wenn er sie emotional, aus seiner persönlichen Sicht heraus geben würde, fehl am Platz. Er muss aus der Übertragung heraus deuten, also von der Tatsache her gesehen, dass er für den Patienten immer wieder ein Anderer ist.

Auch die Übertragung enthält zwei verschiedene Momente, ein imaginäres (Strahlt) und ein symbolisches (Spricht). Der Psychoanalytiker kann diese vielschichtige Bezogenheit auf ihn nur erfassen, wenn er selber mit „gleichschwebender Aufmerksamkeit“ – quasi für die  Zwischentöne sensibilisiert – zuhört.[2] Nur dadurch werden für ihn und in der Folge auch für den Patienten die Verschiebung und Verdrängung der Bedeutungen zunehmend bewusst, und kann eine damit verbundene Auflösung der ja irrelevanten und inadäquaten Aspekte der Übertragung des Patienten schließlich zu Klarheit, Einsicht und Symptomfreiheit beim Patienten führen. Diese Auflösung der Übertragung ist entscheidend, denn nur so können die irrelevanten Aspekte verschwinden und aus dem Patienten immer wieder neue Aspekte zur Sprache kommen. Im Hintergrund all dieser Vorgänge besteht und agiert die anerkannte Methode der Freudschen Wissenschaft (seiner Sexualtheorie), also die Theorie ‚infantiler erotischer Regungen’, wie ich sie mit dem Begriff des ‚Oralen‘ schon angedeutet habe. Die Auflösungsarbeit der Übertragung erfasst jedoch meist nicht alles, nicht die ganz archaischen, wilden Übertragungen wie sie z. B. J. J. Gedo beschrieben hat.[3] Hier stehen oft totale Verschmelzungswünsche im Vordergrund, und frühere, direktere Kombinationen des Strahlt / Spricht wie ich sie in den Blickbeziehungen beschrieben habe, können nicht berücksichtigt werden. Dies ist ein Mangel der psychoanalytischen Methode, indem eben hier das symbolische Moment der Übertragung zu sehr vorherrscht.

Dieses zentrale Übertragungs-Geschehen und dessen Auflösung existiert auch im Yoga. Auch hier überträgt man Gefühle und Bedeutungen auf den Guru, aber sie werden nicht so direkt, nicht so intellektuell und persönlich bearbeitet und dadurch aufgelöst. Im Yoga überträgt der Adept aber nur zum Teil unbewusste Bedeutungen auf seinen Yoga- und Meditations-Lehrer. Zu einem anderen Teil findet eine ganz andere Art der Übertragung statt, nämlich eine zwar ebenso positive Einstellung, die sich jedoch auf das Dunkel, auf das Nichts und die Leere in der Meditation selbst richtet. Ich habe diese Art der Übertragung daher mit dem Begriff der Ur-Übertragung gekennzeichnet, indem in ihr das imaginäre Moment  vorherrscht. Sie ist sozusagen ursprünglicher, stärker, direkter, und so muss mit ihr auch anders umgegangen werden. Sie korreliert besser mit dem Begriff der Ur-Verdrängung, die Freud als aller Verdrängung vorlaufend als eine Art von seelischer ‚Gegenbesetzung‘ konzipiert hat. Die Auflösung dieser Ur-Übertragung erfolgt im Inneren des Yoga selbst, indem die abschweifenden Gedanken und die auftauchenden Erinnerungen immer wieder zugunsten der Übungen weggeschoben werden müssen. Auch dieses Verfahren ist sehr aufwendig und ein Mangel der Methode.

Nun ist es im üblichen Yoga so, dass der Guru in der Meditation infolge dieser Ur-Übertragung wie ‚anwesend‘ erscheinen kann, entweder visuell oder einfach nur „gespürt“ wie es z. B. Bhagwan Raijneesh, der Show-Guru der Siebziger Jahre empfahl. All dies zeigt, dass hier wiederum das imaginäre Moment der Übertragung zu sehr im Vordergrund steht. Als seine Schüler ihn fragten, wie sie in der Meditation ihren Kopf auch noch von der leersten, gähnendsten Leere leermachen sollten, empfahl er durch die auftretende große Angst hindurchzugehen und nicht zu erschrecken, wenn dann seine physische Gegenwart, seine „Anwesenheit zu spüren“ wäre: D. h. er entließ seine Schüler in eine Art Halluzination, um sie auf diese Weise die Angst  überwinden zu lassen, riskierte aber dafür deren geistige Störung.[4] Denn wie soll der Schüler jemals von der Anwesenheit als Gegenwart, als Präsenz von etwas Physischem loskommen, also von dem Gefühl, dass immer zwei real spürbar im Raume sind, wie der Guru es empfiehlt, wenn man  eigentlich alleine da ist? Auf jeden Fall wird dadurch die Übertragung nicht gut genug aufgelöst, sondern nur verschoben, was nichts bringt.

Ich habe schon ethische Lebensweise, vegetarische Ernährung und die regelmäßigen Meditationen erwähnt, die im Surat Shabd Yoga ebenso der Hinsicht einer Auflösung der Ur-Übertragung wirkten. Sie verschoben die Ur-Übertragung immerhin ein bisschen in gewiss ökologisch ganz sinnvolle Aktionen. Man musste wie schon angedeutet zwei Übungen machen, deren erste in der Konzentration auf das innere ‘Licht’ bei gleichzeitiger rein gedanklicher Wiederholung der Sanskritnamen bestand. Bei der zweiten Übung sollte man sich auf den ‘Laut’ konzentrieren. Kirpal Singh gab von beiden Übungen eine sogenannte „Ersthanderfahrung“. Schließlich – und darin liegt im Yoga wiederum das Entscheidende –  sollte diese Meditation dahin führen, den ‚Meister‘ innerlich genauso wie auf der äußeren Ebene zu ‚sehen‘ und  mit ihm  ‚sprechen‘ zu können. Doch dies hält den Übenden wieder auf der Übertragungsebene. So ist es im allerletzten Sinne erst der physische Tod des Gurus, der eine weitgehende Auflösung der Übertragung quasi erzwingt.

Den Guru sichtbar, wahrnehmbar zu verinnerlichen ist also ein im Yoga generell üblicher Vorgang. Was im Surat Shabd Yoga hinzukam, war allerdings dieses „sprechen“ mit dem inneren Guru, dieses innere Spricht. Ich habe gerade ‚sehen‘ und ‚sprechen‘ in Anführungszeichen geschrieben, weil man dies alles nicht so als absolut und unmittelbar verstehen darf. Erstens ist es befremdlich, dass man mit jemanden innerlich kommunizieren soll, mit dem man dies auch äußerlich tun kann. Zweitens – wenn es wirklich zu so etwas wie dieser inneren Kommunikation kommt – handelt es sich doch nur um eine auf den Yoga-Diskurs eingeschränkte Kommunikation. Die äußeren strengen Regeln setzen sich ja im Inneren fort und lassen nicht unbedingt einen völlig freien, authentischen und realen Dialog zu, bei dem man erwarten kann, auf die entlegendsten Fragen eine spezifische Antwort zu bekommen. Kirpal Singh sprach von sich gewissermaßen in der dritten Person, um auf diese Weise seine Bedeutung und Besonderheit distanzierter herausheben zu können, was sich – wie gesagt -  in der Meditation innerlich in Form eines begrenzten Dialogs fortsetzte. Es besteht also auf der Ebene des Spricht  nur ein seltsamer Echo-Diskurs, das eigentliche Spricht muss dann aus dieser meditativen Kommunikation in noch authentischerer Form selbst kommen.

Dieses eingeschränkte, echoartige Spricht im Yoga ist jedoch wieder sehr gut vergleichbar mit der Einschränkung in der Psychoanalyse, die ich weiter oben als Fixierung durch die Freudsche Sexualtheorie gegeben und als Förderung eines gewissen Pessimismus durch das Todestriebkonzept erwähnt habe.  Dies schmälert nicht Freuds Pioniertat. Dennoch glaube ich sagen zu können, dass nur Lacan durch Hereinnahme der Linguistik – was das Spricht angeht – und der Blick- und Bildtheorie – was das Strahlt angeht – eine Erweiterung der Theorie und damit einen Ausweg aus der Einengung innerhalb der Psychoanalyse entwickelt hat. Denn eine zu sehr festgelegte Theorie behindert genauso wie der echoartige Diskurs im Yoga die völlige Auflösung der Übertragungen.

Ich wiederhole kurz das Gesagte: Der in der Psychoanalyse so wichtige Begriff der Übertragung existiert in zwei Momenten, zwei Schwerpunkten: einem Schwerpunkt auf der mehr symbolischen Seite (Spricht) und einem mehr auf der imaginären Seite (Strahlt), was ich auch Ur-Übertragung genannt habe. Das Imaginäre, Bildhafte, Spiegelnde ist immer schneller als das Wort, das zumindest auf rudimentäre Satzbildungen angewiesen ist. Auf Grund der gerade geschilderten enormen Höhe und Besonderheit des Gurus sowie der Meditationstechnik im Yoga finden in viel stärkerem Maße Übertragungs-Vorgänge auf den Guru wie auch in das Dunkel und Nichts der Meditation hinein statt, doch können diese vorerst einmal nicht so gut aufgelöst werden. Andererseits korreliert dieser in der herkömmlichen Psychoanalyse ja nicht verwendete Begriff der Ur-Übertragung mit dem der Ur-Verdrängung, die Freud von Anfang an als der Verdrängung vorausgesetzt konzipiert hat. Sie wird dort in Form einer direkten „psychischen Gegenbesetzung“ aufgefasst, also als direkte starke Spiegelung, als das Strahlt früher Anteile des Triebes selbst.

Die übliche Auflösung der Übertragungsvorgänge im Yoga findet zum Teil also gar nicht statt, weil der Meditationslehrer ja auch keine Interpretationen ihrer selbst abgibt. Dafür existiert jedoch ein innerer Dialog mit dem Guru, der sehr intensiv ist, auch wenn er durch seine programmatischen Festlegungen ein eingeengter, ein echoartiger Diskurs ist, der weiterhin durch Imaginäres (die Vision des Gurus) gestützt wird. Dies erleichtert das Wegschieben inadäquater Erinnerungen und Gedanken. Nun wird auch in der herkömmlichen Psychoanalyse etwas künstlich gestützt. Man haftet zwanghaft am Freudschen Wortlaut und tritt seit vielen Jahren auf der Stelle der klassischen Freudschen Sexual- und Todestrieb-Theorie. Dies wird zwar von vielen Analytikern selbst heftig beklagt, doch das allein hilft nicht aus der Einengung heraus.[5] Die Psychoanalyse ist gut akademisiert, aber es fehlt die körpernahe Praxis und dieses rhythmisch Kreative, wie es etwa von dem Psychoanalytiker S. Leikert gefordert wird.

Eine  letztliche Auflösung all der Übertragungsvorgänge findet somit im Yoga aber auch in der üblichen Psychoanalyse nicht statt. Allerdings ereignet sich eine Auflösung der Übertragung  – wenn man so sagen will - heftig und abrupt, wenn der „Meister“ das Zeitliche segnet und in der Psychoanalyse der Therapeut noch während der Behandlungsphase schwer erkrankt oder stirbt. Diese abrupte Auflösung durch den Tod des Lehrers im Yoga  ist doch heftig und schwer zu ertragen. Auch wenn man wie in der Religion argumentiert, dass Christus uns ja nie verlassen hat, und so auch der Yoga-Lehrer stets innerlich verbleibt, darf man dies wohl nur allegorisch verstehen. Es bleibt ein Strahlt / Spricht  auf einer primären Ebene, es ist noch nicht das des großen Anderen als solchem wie ich gleich erörtern werde. Während man in der Psychoanalyse einen neuen Therapeuten finden kann – wenn dies auch nicht ideal und problematisch ist, so bleibt man im Yoga alleine, denn den Dialog im Inneren – so sehr er auch eingeschränkt ist, und schon gar den Dialog im Äußeren kann man nicht plötzlich mit einem anderen Guru führen.

Auch Goel äußert sich zu dieser Thematik. Er schreibt, dass die Übertragung zum Guru unproblematischer ist. Weil man nicht so eng aufeinandersitzt wie in der Psychoanalytischen Behandlung, würde es nicht so zu negativen emotionalen Regungen kommen (negativen Übertragungen), aber auch nicht störenden Gegenübertragungen. Nun will es gerade die Ironie des Schicksals,  dass hinsichtlich seines Gurus Sathya Sai Baba negative Regungen wegen der geschilderten Tricks und Verfehlungen durchaus gepasst hätten. Goel hat sich täuschen lassen. Was die Auflösung der Ur-Übertragung angeht, erwähnt er jedoch zutreffend ‚Stimmen‘ aus dem Unbewussten, die ihm Weisung gaben und mit deren Aussagen  er Wesentliches seiner „psychoanalytische Meditation“ formulieren konnte. Ich werde jedoch zu diesem Punkt, der auch in der Analytischen Psychokatharsis eine Rolle spielt, zeigen, dass diese ‚Stimmen‘ zu deutlich selbst gemacht sind und allenfalls aus dem sogenannten Vorbewussten kommen können. Die Aussagen sind auch zu lang und zu sehr nach syntaktisch-grammatikalisch bewussten Regeln geformt (weiteres im vorletzten Abschnitt).

Wenn ich in diesen vier vorausgehenden Seiten so umständlich über die Übertragungsphänomene der Übertragung berichtet habe, so deswegen, weil eine Zwischenform in dem von mir aus Psychoanalyse und Yoga heraus entwickelten Verfahren der Analytischen Psychokatharsis zur Geltung kommen wird, was das Verständnis aber auch die Praxis  deutlich erleichtert. Hier liegt auch eine große Chance in einem übergeordneten Verfahren beide Übertragungs-Momente zusammenzuführen In diesem Verfahren richtet sich die Übertragung nicht wie in der Psychoanalyse auf eine Person und nicht als Ur-Übertragung wie im Yoga auf das Dunkel und das Nichts in der Meditation, sondern auf einen besonderen Namen. Der Eigenname mehr im Sinne von ‚eigentlichem, unbewussten Namen‘ spielt bereits in der Psychoanalyse Lacans eine besondere Rolle. Hier, in der Analytischen Psychokatharsis ist dieser ‚eigentliche Name‘ in Form einer worthaften Formulierung gegeben, in der mehrere Bedeutungen stecken, so dass man sich auf keine einzelne festlegen kann.

Ich gehe im Kapitel  4.2 und 4.3 genau darauf ein, warum solch ein Formel-Wort wie ich diesen besonderen Namen auch nenne, ein ideales Übertragungs- und Übungsobjekt ist, weil es all den oben genannten Aspekten gerecht wird und doch auch wissenschaftlich begründet und einfach handzuhaben ist. Es ist auch mit dem identisch, was Lacan einen ‚linguistischen Kristall‘ nennt. Linguistisch steht für Spricht, Kristall für Strahlt.[6] Der ‚linguistische Kristall‘ ist zugleich die beste Definition des Unbewussten. Es handelt sich wieder um die Kombination der beiden Grund-Triebe. Auch was die Auflösung der Übertragungen angeht, ist die Vorgehensweise in der Analytischen Psychokatharsis besser geklärt. Es verhält sich einerseits ähnlich wie im Yoga, dass der Übende in das Strahlt der Ur-Verdrängung eintaucht während er erst einmal – hauptsächlich und stark gestützt durch den besagten ‚linguistischen Kristall‘– im Spricht der Ur-Übertragung verweilt, was immer dies – rein formal gesagt – heißen mag. Es kreiert sich dadurch im Inneren der/des Andere als solches in einem Maße, wie es in der Psychoanalyse zwar bekannt ist, jedoch zu wenig zur Geltung kommt.[7] Mit zunehmenden Übungen bekommt die Kombination des Strahlt / Spricht des Anderen eine Stärke, die direkt aus dem Unbewussten sogenannte Pass-Worte entstehen lässt, die wie die Deutungen des Analytikers eine Auflösung der Übertragung und Ur-Übertragung ermöglicht. 

Denn der Name als solcher (als Formel-Wort) vereint Buchstabenbild, Imaginäres, und Wort, Symbolisches in sich selbst, und wenn er nunmehr durch Bedeutung – weil wissenschaftlich aufgebaut – an Kraft gewinnt, sind alle Übertragungs-Aspekte vereint. Zugleich aber können sie wieder aufgelöst werden, wenn hinter diesem Namen der eigentliche Name, das Pass-Wort wie ein festes, ‚symbolisches Objekt‘, auftaucht und sich dadurch ein mehr als nur üblicher Dialog ergibt. Lacan theoretisiert diesen Zusammenhang mit dem Begriff des „Vater-Namens“, der Vater-Metapher, benutzt dabei allerdings die im Französischen häufige Homophonie: er hat rein wortklanglich in „Les noms du père (Die Namen des Vaters), Les non du père (Die Nein des Vaters) und Les non Dupes errent (Die Nicht-Blöden irren)“, eine formelwortartige Formulierung geschaffen, die genau den Formel-Worten entspricht, so dass gewisse Erhöhung des Wortes ‚Vater’ relativiert wird und eine symbolisch-imaginäre Kombination entsteht, die noch dazu recht hintersinnig ist.[8]

Das gleiche Phänomen lässt sich auch hinsichtlich des Spricht und des ihm korrespondierenden primären ‚Anspruchs‘  herausarbeiten. Am Anfang steht ein Ruf (psychoanalytisch: Invokations-, also Anrufungstrieb), ein ‚Es Verlautet‘, von dem man nicht weiß und unterscheiden kann, ob es von innen oder von außen kommt. Deswegen nenne ich es den primären ‚Anspruch‘ auf dem Feld der „genießenden Substanz“. Dieser ‚Anspruch‘ genießt sozusagen seinen ureigenen Laut, was an das Konfabulieren des Kindes erinnert, aber auch auf das Feld der Musik verweist, wo der musikalische Ton als solcher vor der Melodie oder anderen Ausweitungen rangiert. Es gibt in der Musik nichts, worin das Subjekt sich spiegelnd wiedererkennen könnte, so wie ich es weiter oben mit den Spiegelungen als dem Strahlt beschrieben habe.

Die Musik, insbesondere der absolute ‚Klang‘ hat etwas Monadisches an sich, wie der Psychoanalytiker S. Leikert sagt. Man kann diesen ‚Klang‘ nicht fixieren, nicht festhalten, und so dient die Musik nicht dem Erkennen der Wahrheit, sondern ihrem Vollzug und Genießen.[9] Die Musik ist „sinnfreier Sprachklang“ und in einer Symphonie – so Leikert weiter – begegnen sich der Klangleib des Orchesters mit dem undefinierbaren Klangpunkt im Hörer, so dass man immer denken kann, die Töne kämen eigentlich von irgendwoher, aus dem nicht bestimmbar Unbewussten. Während die Sprache ein Objekt repräsentiert, suggeriert die Musik eine unbestimmbare, aber umso intensivere, intimere Präsenz.

Zurück zu Yoga und Psychoanalyse. Auch hinsichtlich der bereits erwähnten Prinzipien des Patanjali-Yogas, würde ‚chit‘ am besten mit Strahlt und ‚vriti‘ mit Spricht übersetzt. Chit ist Bewusstsein, ist das Strahlt einer grundlegenden Blickhaftigkeit und damit an Wahrnehmung und Bewusstsein gekoppelt ‚Vriti‘ kommt von der Wurzel ‚vrt‘ und bedeutet existieren, aber auch transformieren, wandeln. Auch der Yogakenner I. K. Taimni ist dieser Ansicht, dass ‚vrt‘ etwas zu wandeln, modifizieren heißt, etwas dazu aufrufen.[10] Existieren ist passiv, aber verwandeln aktiv und symbolisch. Auf jeden Fall ist ‚Schwingung‘ – wie oft übersetzt wird – zu wenig, es sind vielmehr ‘Laut’-Schwingungen, ‚Wortklangbilder‘, ein Spricht. Auch in der Psychoanalyse passen die Bezeichnungen des Spricht / Strahlt recht gut für die Trieb–Begriffe bei Freud, indem das, was ich vorhin bereits als Primärvorgang (Primärprozess) bezeichnet habe, besser erläutert ist.

Dadurch wird nochmals deutlich, dass der Trieb in der Psychoanalyse nichts mit Triebhaftigkeit zu tun hat. Er hat zwar den Charakter eines Drängens, bezieht sich aber nicht auf den genitalen Sexualtrieb. Der Schautrieb z. B. ist durch den Begriff des „unbewusstes Sehens“ zu verstehen, wenn auch damit nur schlecht bezeichnet. Vielmehr geht es um ein Strahlt, um die Blickfaszination, die Schaulust dieses unbewussten Sehvorgangs.[11] Lacan Spricht vom „ultra-subjektiven Aus-Strahlen“, der „Objektalität“ des Begehrensobjektes,  in Form der Blick-Faszination und einer engen Korrelation von Blicken und Angeblicktsein.[12] Das Gleiche gilt für das Spricht, das nicht nur ein unbewusstes Sprechen ist, sondern eine in sich drängende Rhetorik, das Drängennach sprachlicher Entäußerung, eine Korrelation von ‚Laut‘ und Bedeutung. All dies spielt sich vor dem Hintergrund dieser „genießenden Substanz“ ab, zu dem auch der ‚spirituelle‘ Weg Sawan Singhs und Kirpal Singhs gehört, aber auch die Psychoanalyse.



[1] Dahmer, H., Kontroverse. Zur gegenwärtigen Situation der Psychoanalyse, PSYCHE 5 (2014) S. 477 - 484

[2] Auch diese ‚Aufmerksamkeit‘ ist also stark vom Unbewussten her bestimmt. Es handelt sich nicht mehr um die Konzentration auf ein äußeres Merkmal, sondern auf die unbewusste Verbindung zwischen Therapeut und Patient, auf das Strahlt / Spricht, das zwischen den beiden vor sich geht. Man könnte geradezu von einem ‚Aufmerksamkeits’-Feld reden, in dem sich beide befinden.

[3] Gedo, J.J., The psychoanalytic management of archaic transferences, Am J. Psychoanal. Ass. 25 (1977)  S. 787-803

[4] Bhagwan Shree Rajneesh, Sprengt den Fels der Unbewusstheit (1979)

[5] Dahmer, H., Kontroverse. Zur gegenwärtigen Situation der Psychoanalyse, PSYCHE 5 (2014) S. 477 - 484

 

[6] Auch hier ist wieder zu sehen, dass die Bezeichnung ‚Kristall‘ darauf hinzielt, formlos zu sein, Strahlend. So ist auch der Schautrieb, das Wesen der ‚Aufmerksamkeit‘ zu verstehen, nämlich als ‚Körper ohne Gestalt‘, als Kraft ohne Form.

[7]  Bei Lacan geht dieser/dieses Andere über das hinaus, was Freud bereits mit dem Überich als einer inneren Struktur, die auf die Stimme der Eltern, insbesondere des Vaters als  Richtliniengeber zurückzuführen ist. Früher hat man allgemein auch vom Gewissen, einer grundlegenden ‚inneren Stimme‘ gesprochen.

[8]  Es stecken darin das Nein gegenüber dem ödipal rivalisierenden Sohn, aber auch die Tatsache, dass die Klugscheißer immer irren.

[9] Leikert, S., Die vergessene Kunst, Psychoanalyse der Musik, Psychosozial Verlag (2005) S. 25 - 44

[10] Taimni, I. K., The Science of Yoga, USA (1961) S. 8

[11] Das Strahlt  trifft  auf  jeden  Fall besser als ‘Licht’ das Wesen  der  Spiegelungsszene, und das Spricht eignet sich besser als der ‘Laut’ für  den Echo-Diskurs. Unbewusstes Schauen ist ein Schauen des Gehirns, des Unbewussten eben, nicht des Auges. Das Unbewusste Strahlt aber so wie Es (das Freud´sche Es) Spricht. Hauptsächlich werde ich also die Formulierung Strahlt / Spricht  im Weiteren verwenden.

[12] Lacan, J., Seminaire X, Mitschrift S. 262