Die Avatare von Pandora - eine Ethnopsychoanalyse

Teil I – die Ur-Verdrängung

Auch wenn man den Film nicht kennt, eine tiefenpsychologische Sicht auf das Geschehen in dem Film Avatar – Aufbruch nach Pandora,  ist schon bei Kenntnis dieser zwei Namen möglich. Denn die Na’vi, die den Menschen und noch mehr den Indianern des früheren Amerika sehr ähnlichen Bewohner Pandoras machen kein Hehl daraus, dass sie die große Muttergöttin Eywa verehren und die mit ihr verbundene Fauna und Flora für heilig halten. Man fühlt sich sofort an die orientalische Ishtar, die altägyptische Hathor und die indische Kali erinnert. Eine Verehrung der Liebes-und-Mutter-Göttin gibt es auch heute noch bei manchen Primärvölkern bei uns auf dem Planeten Erde, auch wenn sie nur noch in verschwindender Anzahl existieren. Umso mehr existieren esoterische oder feministische Gruppen, die die Verehrung und Beschwörung ähnlicher matrilinearer Kulturen favorisieren, wie sie in Avatar gezeigt werden. Für den Psychoanalytiker ist all dies nicht fremd, denn diese große, mythisch-magische Muttergestalt spielt auch hier eine dominierende Rolle. Doch während Eywa eine mystisch omnipotente Kraft, Person und liebesenergetische Göttin in Einem  ist, geht man in der Psychoanalyse anders vor, obwohl es sich um das Gleiche handelt. Doch hier ist es etwas Trinitarisches, da man es von der Mengenlehre übernommen hat, mit der Drei anzufangen. Die absolute Eins ist nur der Traum des psychisch Kranken.

 

Man geht in der Psychoanalyse von der sogenannten Triade aus, die aus der frühen Mutter (Reales), Kind (Imaginäres) und die Mächtigkeit  des schwer fassbaren Vaterwortes (Symbolisches) besteht. Es geht darum, dass die frühe Mutter, diese Ur-Andere mit dem noch ganz kleinen Kind in der Welt des Real-Imaginären in Beziehung tritt, da das Kind ja noch nicht sprechen kann und somit Körperempfindungen und Bilder eine wesentliche Rolle spielen. Doch beim Menschen gibt es nicht nur ein sogenanntes Sprach-Gen (Cox2-Gen), vielmehr ist er noch mehr durch die symbolische Ordnung, wie sie auch einen Sprache darstellt, geprägt. Der Mensch befindet sich also von vornherein in einem real-imaginär-symbolischen Zusammenhang,[1] den er in seiner Komplexität jedoch gar nicht erfassen und handhaben kann (auch oft später nicht, wenn er angeblich erwachsen ist). Mit anderen Worten: die Beziehung des Kindes zur frühen Mutter ist mangelhaft, sie ist mit einem generellen Fehlen behaftet, das im Real-Imaginären eine nur äußerst wenig geordnete Lösung findet, weil die Sprachwelt noch nicht zur Verbesserung der Enthüllung und Kommunikation voll zur Verfügung steht.

Das Kind greift daher, um diese Kluft, diesen Mangel oder dieses Fehlen zu überbrücken  noch ganz  unbewusst auf Phantasiebildungen zurück, so z. B. auf ein ‚Verschmelzungs-phantasma‘ eben mit dieser märchenartigen Muttergestalt, die geben kann, aber auch nimmt, die da ist, aber auch nicht, kurz: die wirklich eine Pandora ist, die Büchse vielschichtiger  Möglichkeiten, vieler Reizungen und Überreizungen, Lüste und Unlüste. Soll man es gut oder schlecht nennen, dass dieser Frühzustand des Kindes mitsamt seiner Mutter solch mystische Ausmaße hat, auf jeden Fall  mischt in dieser frühen Phase auch das Symbolische schon etwas mit, so dass das Fass aus (unverbrüchlichem) Realem, (bildhaft) Imaginärem und (worthaft) Symbolischen zum Überlaufen kommen kann. Freud, der Entdecker der Psychoanalyse, hat diesbezüglich von ‚Reizüberflutung‘ gesprochen, gegen die das Kind sich nicht genügend wehren kann. Doch die ‚Reizüberflutung‘ ist auch eine des Auftauchens seltsamer Erscheinungen, die nicht nur bildhaft sind, sondern auch Bedeutungen haben, die beginnende Symbole sind, Klangzeichen, die man auch – aus der Linguistik entnommen – Signifikanten nennt.

Damit bekommt das ganze Geschehen der frühkindlichen Pandora – wenn man es einmal so übergreifend sagen darf – nicht nur das Wesen einer ‚Reizüberflutung‘, sondern das nicht mehr auszuhaltender Bedeutungen, die total aus diesem frühseelischen Bereich verdrängt, abgespalten und verworfen werden mussten, was Freud die Ur-Verdrängung nannte. Abgespalten vom direkten Naturzugang und den angeborenen Instinkten,  ist der Mensch somit  aus dem sogenannten Paradies vertrieben, kann aber jetzt mehr und mehr das Worthafte, das Sprachliche ausbauen und nutzen, und sich so eine Welt aus Regeln und Symbolen schaffen, mit der er erneut – oder in anderer Weise – den Mangel, das primäre Fehlen, übertünchen kann. Doch die Ur-Verdrängung hat er damit noch nicht aufgelöst. Sie bleibt wie der von den Astrophysikern beschriebene Mikrowellenhintergrund des Urknalls weiter bestehen. Der Urknall ist nur eine physikalische Anfangsorientierung, so wie Gott nur eine solche im ‚spirituellen‘ Bereich darstellt.

Der eigentliche Anfang des Menschen beruht psychoanalytisch gesehen auf dem in der Ur-Verdrängung bewahrten Geheimnis von Signifikanten, von  ‚Bezeichnendem‘, das keiner mehr richtig lesen kann, weil es unbewusst ist, aber doch Bedeutung hat. Es hat vor allem Bedeutung als eines Restes von Wahrheit, denn das Unbewusste ist das Fremde und doch Eigene, es „ist das Kapitel meiner Geschichte, das weiß geblieben ist oder besetzt gehalten wird von einer Lüge,“[2] von einer Selbsttäuschung, von einem Es-Nicht-Zugenau-Wissen-Wollen, was mit einem los ist. Es kann Narzissmus sein, zu starke Eigenliebe, die diese Lüge und Täuschung des Selbst besorgen, aber eben noch in extremerer Form kann es die Ur-Verdrängung sein, in der sich dieser letzte Rest von Wahrheit versteckt.

All dies ist im Film Avatar – Aufbruch nach Pandora zu sehen, allerdings in phantastische, aber auch überkünstelte und monströse Welten getaucht. Aus dem schwülstigen Old Shatterhand und der Häuptlingstochter Nscho-tschi ist J. Sully und Neytiri geworden, die Apachen aber sind so ziemlich die gleichen geblieben. Sie sind die Guten, die noch Gefühl und Liebe für alles Mensch-Natürliche haben, und die Welt durch magische Riten und überirdische Operationalisierungen beherrschen. So kann man die wilden Tiere nicht mit Maschinengewehren, sondern nur mit Pfeilen erschießen. Aber dann werden die Na’vi von Science-Fiction-Riesen-Maschinen und kaltblütigen Mörder-Menschen angegriffen und fast vernichtet. So ähnlich schreit auch das erst Monate alte Kind auf, es gestikuliert mit allen Extremitäten, stammelt und weiß von nichts oder hat nur eine phantasmatische Ahnung.  Wo ist die große schemenhafte Mutter? Gibt es überhaupt schon Mutter, ist da nicht nur etwas, das man selber ist und doch wieder nicht, die lebenspendende Brust, in der man sich selber trinkt? Man muss sich die Psyche des kleinen Kindes genau so vorstellen, wie es die Na’vi erleben?  Irre reichhaltig und doch bedroht?  

Trotzdem wird der Mensch mit dem vollen Eintritt in die Sprachwelt und mit deren grandios ausufernden Aufbau schließlich zu dem zivilatorischen Menschen, die mehr und mehr sagen, die sogar philosophieren können und alles dem Rationalen unterordnen wollen. Das sind wir heute, die von der Grammatik besessenen modernen Wissenschaftler, die sich selbst als dem noch mystisch-magisch verbunden Primärmenschen, den Na’vi  auf Pandora,  gegenüberstehen, weil sie sie selber einmal waren. Doch beide haben sie das gleiche Unbewusste, und deswegen gehen die Erd-Menschen zum Psychoanalytiker, während die Na’vi zu den Urkräften von Mutter  Natur beten. Beide finden nicht die letzte Lösung, die ein Zusammenleben auf der Welt oder im Universum darstellen würde, und so trennen sie sich in Film scheinbar endgültig und scheinbar siegreich für Pandora.  Aber muss man nicht sagen, dass sie beide gescheitert sind? Sie sind gescheitert so wie die Ethnopsychoanalytiker, die ich auf dieser Webseite geschildert habe, weil sie nicht die gleiche Sprache gefunden haben, obwohl es so aussieht, als würden sie dies tun. Doch sie vokalisieren nur gleich, sie verbalisieren nicht,  sie drücken sich nicht genial aus.  So  wird die Geschichte weitergehen, denn irgendwie und irgendwann trifft alles wieder aufeinander, irgendwo wird wieder ein Zeichen auftauchen, eine  Chiffre, ein heraldischen Symbol, oder es wird ein Schrei, ein Ruf, ein Klangzeichen sein, was neuen Kontakt schaffen und neues Beginnen zwischen den zwei Extremen erzeugen wird.

Schon vor dem Film Avatar hat es Bemühungen gegeben, diese zwei unterschiedlichen Lebensweisen zu verbinden. Epische Dramen haben dies versucht genauso wie moderne Neurowissenschaft oder Psychologie. Der Wissenschaftler und Autor F. J. Tipler ist noch einen Schritt weiter gegangen in der Spekulation um die materielle (reale) Interpretation des Menschen auch in seinen biologischen (imaginären) und psychologischen (symbolischen) Perspektiven. Er ist zudem ein gutes Beispiel dafür, dass er - fast möchte man sagen – Pandora-Häuptling für alles ist und dazu noch Psychoanalyse betreiben will, obwohl er mehr oder weniger Physiker bleibt. Er versucht eine totale Umformulierung der Wissenschaft und zwar nicht nur der Physik, sondern auch der  Theologie/Psychologie.[3] Dabei bleibt er aber den jeweiligen klassischen Sprachen dieser Wissenschaften völlig verhaftet. Dass man so etwas wie eine psychoanalytische Sprache begründen muss, um Aussagen über so wesentliche Zusammenhänge zwischen den divergierendsten Wissenschaften machen zu können, fällt ihm nicht ein. Deswegen kommt er zu so grotesken Aussagen, wie der, die Toten würden real und individuell, nämlich durch eine Art von Computeremulationen wieder auferstehen und könnten so endlos miteinander kommunizieren, was nun tatsächlich stark an die Avatare des Films erinnert und auch an die vielen Science-Fiction-Filme, in denen man das ‚Ganzkörper-Beamen‘ lernen konnte. Tipler erkennt nämlich sehr wohl, dass die Physik mit ihrer Sprache irgendwo am Ende ist, aber er sieht eben auch, dass die Theologen/Psychologen etwas Wichtiges zu sagen haben und dass auch sie sich mit ihrer Ausdrucksweise in einer Zwickmühle befinden. Deswegen versucht er einen physikalisch-theologischen-psychologischen Diskursbogen zwischen beiden zu schließen, der jedoch in makabre Ungeheuerlichkeiten mündet.

Warum es ihm trotzdem gelungen ist, ein erfolgreiches Buch zu schreiben, liegt an der genialen Jonglierkunst, wie er mit den Begriffen umgeht. So z. B. mit dem Begriff der Identität. Identität besteht für ihn dann, wenn Systeme - und auch der Mensch ist für ihn ein, wenn auch sehr komplexes System - im gleichen Quantenzustand sind, also in diesem Zustand weiter nicht mehr messbarer materieller Unschärfe, der Emergenz. Für die Avatare im Film bezieht sich dies eher auf die netzartigen neuronalen Verknüpfungen, aber auch auf die Vermischung der DNA von Mensch und Na’vi. Einen freien Willen gibt es im Film nicht, lediglich große Identitätsschwankungen ( z. B. die der Filmprotagonisten Selfridge und Chacon). Da sind Tiplers Äußerungen gar nicht so unähnlich. Der menschliche freie Wille ist für ihn nichts anderes, als ein „unvorhersagbarer  Phasenübergang im Gehirn“ (das natürlich computeremulatorisch ersetzt werden kann), der dadurch zustande kommt, dass - und er sagt dies noch tollkühner als Kant -  „Restfluktuationen in der Vakuumenergiedichte notwendigerweise Quantengravitations-Unsicherheiten widerspiegeln, so dass ein auf diesen Fluktuationen beruhender Zufallsgenerator ontologisch indeterministisch wäre“! Kurz: des Menschen Zugang zur Quantengravitation – der heutige zentrale Begriff für die Verbindung des ganz Großen (Relativitätstheorie) mit dem ganz Kleinen (Quantenmechanik) – ist irgendwo frei und doch eingebunden in einen Algorithmus, in eine Formelhaftigkeit, d. h.  Sprache. Er ist irgendwo psychisch frei handelnder Mensch und bewegt sich doch nur in Netzwerk-Identitäten.

Warum muss ich aber dann den Begriff Identität quantenenergetisch   bestimmen?  Freud sagt, dass Identität ein unbewusster Vorgang ist. Dem könnte Tipler zustimmen. Nur Freud beschreibt dies in psychologischen Begriffen, die er  - allerdings -  durch diese Beschreibung mit erschafft. Aber damit gelingt es ihm, den Menschen in seiner als Ganzheit unterstellten Einheit zu fassen, also als  Subjekt des Unbewussten, als Subjekt des Signifikanten, als Subjekt einer Kombinatorik von signifikanten Zeichen, während Tipler immer das eine (z. B. die psychisch-organische Subjekthaftigkeit = Identität) in Begriffen des anderen (objektive physikalische Einheiten) ausdrücken muss. Theologische Zusammenhänge physikalisch ausdrücken zu wollen ist schon ein mutiger und kühner Akt, den Tipler vor allem wie bei den vorgenannten Beispielen dadurch für möglich hält, dass die Physik mit den „Quantengravitations-Unsicherheiten“ tatsächlich eine sehr große Unsicherheit und  Spekulationsmöglichkeit offen gelassen hat.

Für die Psychoanalyse Freuds und Lacans gibt es keine Identität, die sich auf eine Eins, eine Einheit, Einzigkeit stützen könnte, denn es herrscht der grundlegende Mangel, die Kluft im Real-Imaginär-Symbolischen, die nur durch mehr Real-Imaginäres (die Na’vi) oder mehr Real-Symbolisches (Erdmenschen) schlecht und recht überbrückt wird. Während die einen ein großes Wir haben, sind die anderen viele große Ichs. Niemand spricht die Sprache ohne Worte, diese geniale Ausdrucksweise, die notwendig wäre, um sich zu verständigen. Schon der chinesische Philosoph Zhuangzi lehrte, dass man grundsätzlich alles vergessen müsse, die ganze Kultur und alles drum und dran bis zur Verwirrung. Und dann sagte er: ‚Oh, würde ich nur einen Menschen kennen, der die Sprache vergisst, damit ich mit ihm reden könnte!‘ In der Psychoanalyse versucht man dies dadurch zu bewerkstelligen, dass man den Klienten reden lässt und als Therapeut nur die Interpunktionen dazu gibt. Muss der Therapeut selbst etwas sagen, dann muss er – so Lacan –„ mit der Stimme eines Toten reden“, denn er ist ein eher hörender als sprechender Niemand, d. h. eben einer, der hofft, dass das Beziehungsfeld selbst, ein erzählter Traum oder eine Versprecher, ein Wort freigibt, das aus dem Vergessen kommt, aus der Ur-Verdrängung.

In seinem bekannten Buch ‚Autobiographie eines Yogi‘ ging Jogananda auf das ein, was sein Lehrer Yuteshwar den ‚Astralplaneten‘ hieß. Yukteshwar ging dort nämlich täglich spazieren, und dies ist nun tatsächlich das Gleiche, was die Menschen tun, wenn sie ihr eigener Avatar sind, also ihre eigene Frühform, in der sie dann eben nicht mehr auf der Erde, sondern auf Pandora sind. Auch der Yogi stand unter der Domäne des Einen, des Purusha oder wie man auch immer diesen doch wohl eher virtuellen Einen nennen will, auf den alles zurückgeht. Wenn man seinem Psychoanalytiker erzählen würde, dass man auf einem ‚Astralplaneten‘ spazieren geht, würde dieser das für eine archaische Übertragung halten.[4] Er würde zu seinem Klienten sagen: Sie unterstellen mir ein Universal-Wissen, das niemand haben kann. Sie unterstellen mir die Fähigkeit von ‚Unobtainium‘ (dem Stoff, den die Menschen auf Pandora abbauen wollen), einem für die hochgezüchtete Technik des Jahres 2154 notwenigen Elements, eines Schatzes – Platon nannte es das Agalma, den Seelenschatz, den Liebesschmuck  – der in mir wohnen soll. ‚Unobtainium‘ ist das, was die Menschen in sich selbst suchen müssten und genau dies müssten die Na’vi ihnen erklären. Doch dazu sind sie nicht fähig. Vielleicht werden sie es im Folgefilm sein, der ja schon gedreht wird.

Kann man denn wirklich an den Menschen als Computeremulation glauben oder an die neuronalen Vernetzungen der Menschen mit ihren Avataren oder an die ‚Astralplaneten‘? Wo bleibt denn Fleisch, Blut und das Geständnis, die Enthüllung aus dem Unbewussten? Das, was der Philosoph Merleau-Ponty als Röte, als die Rotheit des original Menschlichen bezeichnete! Der Freud‘sche Trieb, das Agalma! Im Film Avatar gibt es keinen Sex, was ja sehr gut sein kann, aber es wird auch nicht davon gesprochen, was eher problematisch ist.  Denn das Wort dafür ist eben ubiquitär und drängt nach einer Formulierung. Für Tipler ist das insofern kein Problem, als die Menschen im computersimulierten Himmel auch Sex miteinander haben können, wenn sie wollen, nur: es wird ein Sex ohne Probleme sein!) Wie langweilig! Und ein Mann wird sich nicht nur mit der schönsten Frau der Welt, sondern mit der „schönsten Frau, deren Existenz logisch möglich ist“, paaren können, so dass die Begegnung eine, da der „Reiz nach dem Fechner-Weberschen Gesetz logarithmisch wächst“, 100000 Mal stärkere Wirkung haben wird! Wie bizarr! Fleisch, Blut und die Geständnisse aus dem Unbewussten  sind „weder materiell noch immateriell“, genau wie der Freudsche Trieb, aber ist dieser nicht doch echter, weil auch schon ohne Physik und ohne Informatik zu haben? Tipler, der den männlichen Sex meint, paart diesen mit einem maskenartigen Schönheitsidol aus „10 10 hoch 6 Frauen“, bei denen er wahrscheinlich bei keiner einzigen weiß, was eine Frau überhaupt ist.

Freud jedenfalls wusste es nicht ganz genau (bei seiner Frage: was will das Weib?) und war darin ehrlicher, als er händeringend die weiblichen Analytikerinnen um eine Antwort bat. Doch sie konnten es nicht sagen. Es geht um das ‚weibliche Genießen‘, die ‚Jouissance‘, die der männlich gefärbten Lust gegenübersteht. Nur ist es so, dass die Frauen es zwar empfinden, aber es nicht zu sagen wissen. Ja, sie schätzen das ihnen ureigene Genießen viel zu wenig und überlassen dem Mann das Feld, der jedoch dabei nur ein Fehlverhalten zeigt, ein Danebengehen, einen Patzer. Lacan meint, der vom Mann arrangierte sexuelle Akt sei eine Freud’sche Fehlleistung, ein Nicht-Weiter-Wissen, wenn es drauf ankommt. Und so scheitern im Film auch Dr. Grace und J. Sully. Dr. Grace gelingt es eben auch nicht, durch wissenschaftliche Bemühungen und trotz ihrer Liebe zu Pandora, die Formel zu finden, nach der die ‚Lieb-ido‘ (ich fasse hier Liebe und Libido zusammen) umgesetzt werden könnte. Sie stirbt an Unvermögen. J. Sully dagegen versteht die Formel, aber er formuliert sie in der Formen- und Signifikanten-Welt der Na’vi, die freilich  nicht psychoanalytisch ist, aber eben auch nicht meisterlich, verbindend-verbindlich, nicht aus der Übertragungs-Deutung herauskommend, und so muss, will, soll, darf er ein vollkommener Na’vi werden, einer, der seine zweite Hälfte (Erdmensch) verloren hat, dafür bekommt er jetzt die  erste Hälfte wieder (Na’vi). Ganz so böse wie die Menschen in Avatar dargestellt werden, sind sie in Wirklichkeit auch nicht immer und auch nicht nur. Sie haben ja schließlich die Naturkatastrophen durch ihre Technik gebändigt, wenn sie dann auch die Technik überzogen und ihre eine Umwelt zerstört haben. Und die stiefmütterlichen Seiten der Muttergöttin in Avatar, werden die genug gezeigt? In allen Märchen ist dies doch der Fall.

Bei Tipler wird jede Liebe, der im Leben die Erwiderung versagt blieb, befriedigt, indem sie sich nach dem Tod „im Omegapunkt“ realisiert. Das klingt nach einer Art von ultimativem Computer-Orgasmus, wie er seelenloser nicht sein könnte. Auch A. Sick, die schon beim Neandertaler die kannibalische Ordnung erklärt hat, sieht selbige auch bei Tipler am Werk. Sie sagt, dass die „Lebensmuster“, die Tipler simulieren oder emulieren kann, genau „den Geistern entspricht, die in der Magie des Kannibalismus wirken“.[5] Letztlich trifft dies auf alle Autoren zu, die in dieser pseudowissenschaftlichen Form argumentieren wie auch P. Fraser etwa (Decoding the Human Body-Field) oder M Chown (Das Universum und das ewige Leben), der etwas anspruchsvoller schreibt. Nicht umsonst ist im Film Avatar der ‚Baum der Seelen‘ dem Baum der Erkenntnis im Alten  so ähnlich und  diesem Omegapunkt aber auch Yggdrasil, der Weltesche und vielen andren heiligen Baumkulten vergleichbar. Es geht um den Liebesbaum, den neuerdings der Bestsellerautor P. Wohlleben nicht nur wohl- sondern auch aufleben hat lassen. Auch er sieht viele bisher unbekannte Vernetzungen in neuronal-beseelter Art, wie es im Film mit allen Pflanzen und Tieren auch der Fall ist.

Fortsetzung in Teil II



[1] Diese Dreiheit des Realen, Imaginären und Symbolischen ist die zweckmäßigste Einteilung, die Lacan für jede Wissenschaft vorschlägt, und der alle Objekt- und Subjekterfassungen unterliegen.

[2] Lacan, J., Schriften I, Walter Verlag (1980) S. 98

[3] Tipler, F.J. Die Physik der Unsterblichkeit, Piper (1994)

[4] Die Übertragung ist ein Vorgang, indem der Klient auf den Therapeuten Bedeutungen aus früheren oder anderen Beziehungen auf ihn überträgt, weil er ihm Wissen unterstellt.

[5] Sick, A.,  Geisterleben, Menschenessen. Die kannibalische  Ordnung und ihre magische Wirkung.

.