Von der Ur-Verdrängung zurück zum Ur-Knall

Wenn man so will, fängt für den Psychoanalytiker das Leben mit einer ersten bedeutungsgeladenen Erscheinung an, „ein erster Signifikant, der denknotwendig vorhanden gewesen sein muss, ist auf ewig unbewusst“,[1] ur-verdrängt, so als hätte eine Ur-Hexen-Mutter [fachlich gesagt: der Signifikant einer ursprünglich kastrierten Mutter] dem neugeborenen Kind einen maßlosen Schrecken eingejagt. Doch dafür gewinnt der Mensch etwas anderes: nämlich die Fähigkeit eine Unzahl bildlicher Eindrücke zu speichern und volle Möglichkeit der Sprache und des Sprechens, also einer symbolisch geordnete Ausdrucksmöglichkeit. Das Tier hat Instinkte, Selbst- und Arterhaltungsinstinkte zum Beispiel, bei ihm ist nichts ur-verdrängt.

 

Doch der Mensch hat – so Freuds Meinung – Eros-Lebens- und Todestriebe, die keine rein biologische Ursache und Wirkung mehr haben und an der Ur-Verdrängung mitmischen. Man könnte auch sagen, wo Eros-Lebens- und Todestrieb aufeinanderstoßen, herrschen die ursprünglichsten, höllischsten Lockungs- und Drohungs-Symbole. Alles beginnt hier. Den Beginn des menschlichen Lebens in der Evolution oder in der Entwicklung der Materie aus Sternenstab zu sehen,  betrifft nur einen Nebenschauplatz des Anfangs. Die eigentliche Ursache liegt hier in diesem primären Mangel, in dieser gähnenden Lücke der Ur-verdrängung.

Man kann also sagen, dass der Mensch und seine Welt nicht so sehr mit den Folgen des Urknalls entstanden sind, sondern mit etwas, das auch ins Symbolische schon mit eingeschrieben ist, das an der Dreiheit des Symbolisch-Imaginär-Realen schon teilhat, und dazu passt sehr gut das Phänomen der Ur-Verdrängung. Der Mensch kann sich nicht mehr dahinter verstecken, dass aus den Zusammenballungen von Energie und Materie sich die Sterne entwickelt haben, die wiederum nach Milliarden Jahren Planeten hervorbrachten, auf denen erst ganz primitives Eiweißkettenleben, Zellen, Pflanzen, Tiere und schließlich in endlosen Kämpfen und Zyklen der Mensch zu Tage trat. Von der Psychoanalyse dieser ersten Strukturen her  sieht der Mensch, der sich dann als Wissenschaftler über all dies hermacht und so Behauptungen und Feststellungen erarbeitet, die jedoch sein eigenes Wesen als Subjekt, als ein dem Unbewussten unterstelltes Wesen außer Acht lässt, den Beginn von allem nur auf verschiedenen Nebenschauplätzen.[2]

Schon immer hat eine Notsituation geholfen Entwicklungen voranzutreiben, und der Beginn des menschlichen Lebens als das zu sehen, was Freud als Ur-verdrängung bezeichnet hat, ist solch eine Notsituation.  Gleichzeitig ist es nicht schwierig, ein ‚missing link‘ vom Urknall zur Ur-Verdrängung herzustellen. Dazu eignet sich nämlich speziell so etwas wie das dynamisch Strukturelle des Formel-Wortes.[3] Denn wenn sie rein f o r m a l  der Mischung aus den höllischen Lockungs- und Drohungssymbolen entgegen gestellt werden können, sind diese Formulierungen, dieses symbolisch Mathematische, das der Wahrheit als Ursache innewohnt, viel näher als irgendwelche physikalisch-biologischen Gestaltungen. Von ihnen, diesen formelhaften Symbolen geht das Verständnis und das eigentlich Wirkende aus, was man am besten mit topologischen Darstellungen beweisen kann: eine Fläche, die zwei Seiten und doch nur einen Rand hat, vermittelt bestens Urknall, Evolution und psychische Struktur der Ur-Verdrängung, nämlich eine gähnende Lücke, ein Loch (modellhaft gezeigt an der sogenannten Kleinschen Flasche, rechts).

Deswegen ist eine Wissenschaft  v o m  Subjekt gefragt, die auch die Objekte einschließt, und nicht nur darum herum redet. Man kann ans Subjekt nicht mit schon vorgefassten Begriffen herangehen oder sich auf immer gewagtere physikalische Experimente stützen. Alles fängt mit diesem Ur-Mangel an, mit diesen grundlegenden Fehlen, Lacan sagt es mathematisch: mit der minus Eins (-1). Dadurch werden auch so unsinnige Fragen, wie die, was vor dem Urknall war, ad acta gelegt. Die -1 war vorher, Die Lücke, das Loch der Kleinschen Flasche. Doch darin steckt auch schon ein Symbol, Φ nämlich, das Symbol des Begehrens,[4] dem Ψ  (griech. Psi), dem Symbol für das Seelische allgemein gegenübersteht.



[1] Schneider - Harpprecht, U., Mit Symptomen leben, eine andere Perspektive der Psychoanalyse J. Lacans (2000) S. 141/42

[2] Ich will damit klarlegen, dass Physik, Biologie, aber auch Philosophie, Theologie, nicht mehr die Leitwissenschaften sind, die sie früher einmal waren. Zur Leitwissenschaft möchte ich etwas erklären, an dem jeder teilnehmen kann, die Analytische Psychokatharsis.

[3] Siehe entsprechende Artikel auf der Webseite.

[4] Mit Φ , griechisch Phi, wird in der Lacanschen Psychoanalyse das phallische Begehren gekennzeichnet. Der Begriff stammt von Freuds Entdeckung des Phallischen als einer beiden Geschlechtern im frühen Kindesaltzers zugeschriebenen Begehrensstruktur, wenn diese dann auch vom Männlichen und weiblichen ganz unterschiedlich verwertet wird.