Das autochthone Genießen, Woolf und Despentes

Lacan unterscheidet drei Formen des Genießens. Zuerst und – wenn man dies in veralteter Form noch so sagen darf – zuunterst, findet sich das simple sexuelle Genießen, das ‚plaisir propre‘ wie Lacan es definiert. Es ist ein Spaß und eine Lust, die etwas Infantiles an sich hat wie seine Herkunft aus der griechischen Mythologie beweist, indem es Eros ist, ein Knabe, der dafür gerade steht. Das Geradestehen erinnert an der Freudschen Versprecher, indem eine Frau von ihrer Entspannung sagte: „Da kann man endlich alle Fünf gerade sein lassen“ Fünf?! Ihr Unbewusstes hat sie verraten. Dafür, dass dieses Genießen nicht ganz ausgereift ist, kann man auch Lacans häufiges Statement ins Feld

führen, das das sexuelle Verhältnis gar nicht existiert; d. h. man kann tun und machen, fühlen und denken, und der ganze Literaturbetrieb und die überbordende Filmindustrie zeigen alle Variationen von Sexualität und all dem, was dazugehört. Doch nirgendwo bewahrheitet sich und lässt sich klar definieren oder gar logisch sagen und schreiben, was das sexuelle Verhältnis, die geschlechtliche Beziehung überhaupt ist.

Wenn Schriftsteller den sexuellen Akt beschreiben (wobei gar nicht klar ist, ob es sich wirklich um einen Akt handelt oder mehr um irgendeine Art des Geschehens) kommen sie zu so kuriosen Schilderungen wie die Nobelpreisträgerin Toni Morrison es bezeichnet: „Würgende Geräusche und Stille“. Trotzdem, es handelt sich um ein ‚plaisir‘, das Spaß macht und in das sich die zweite Art des Genießens ein wenig einmischen kann, die Lacan die ‚jouissance phallique‘ nennt, das phallische Genießen. Doch schon bei Freud und noch mehr bei Lacan wird der Phallus (geschrieben Φ) als Symbol des Begehrens betrachtet. Es ist der ‚phallus symbolique‘, der schon im Kindesalter einen Rolle spielt, und dies bei beiden Geschlechtern in gleicher Weise, obwohl es sich mehr um einen dem Männlichen zugeordneten Namen dreht.

Der ‚symbolische Phallus‘ hat nichts mit Sex zu tun, sondern mit den Signifikanten, von denen er einer ist, der kein Signifikat hat. Er wirkt durch seine Protzigkeit, seine angehaucht erotische Mächtigkeit, sein Kraftgehabe, seine Performance, seine Potenz, seine Show und seine Geheimgetue. Denn wenn man seinen versteckten Namen weiß, wie die Königstochter im ‚Rumpelstilzchen‘ wird man frei von seiner angeblichen Magie. Als die Prinzessin den Namen erlauscht hat, ist Rumpelstilzchen erledigt. Der kleine Kerl heißt nicht umsonst so. Das Wort Stilzchen, Stelze verweist eindeutig auf die männliche Sexualität, die man eben nur dann leben kann, wenn man sich auch der Symbolik dieses männlichen aggressiv-erotischen Wesens bewusst ist und damit umgehen kann. Das hat der Psychoanalytiker O. Graf Wittgenstein eruiert.[1]

Die Mädchen wissen meist nicht, das sie hier eine männliche Vorgabe kopieren, um im Getummel der Geschlechter und – so sagte man früher – in der Halbstarkenszene gleichermaßen reüssieren zu können. Nun ist Φ dennoch Symbol für alle Arten gängiger Genüsse, Φ steht auch für das Wesen und Genießen des eingangs geschilderten Gourmets oder des Sportwagenfahrers, des Kapitalisten, des Großkopferten, Herrschsüchtigen und sogar für den Universitätslehrer. Denn auch im Bereich der Universität existiert nämlich ein derartiges unbehagliches ‚Objekt‘, das sich das Wissen nennt (nach Freuds Buch ‚Das Unbehagen in der Kultur‘, womit kein Unbehagen an der Kultur gemeint ist, sondern eins mitten in ihr).

Das Wissen ist der Kitzel im Großhirn, der Informationsrausch in den Nervenzellen. Das Wissen ist eine Art gesicherter Information, wie sie ein Telefonbuch oder die Computerclouds abgeben. Doch „gibt es in jedem einmal konstituierten Wissen eine Dimension des Irrtums, die darin besteht, die schöpferische Funktion der Wahrheit in ihrer Entstehungsform zu vergessen“, schreibt Lacan. D. h. man tut eben das Gleiche wie der Gourmet, der sich seine überzogene Geschmackskultur schafft; man schafft sich eine Wissenskultur, die dasselbe Unbehagen zurücklässt, weil sie die Sprache nur ausnutzt und sich nicht um die Wahrheit dieses oft überzogenen Wissens kümmert.

Man erkennt nicht, dass in allen herkömmlichen Wissenschaften das menschliche Subjekt, das persönliche und subjektbezogene Menschliche, außer Acht gelassen wird. Man schickt die Leute nicht dorthin, wo die Sprache Enthüllung ist – wofür sie eigentlich da wäre – sondern veranstaltet nur weiterhin einfache Kommunikation, wenn auch auf universitärer Ebene. Das Wissen der Universität ist Wissen um des Wissens willen, also auch ‚Objekt‘ der Lust, mit dem der Professor sich genauso vollstopft wie der Gourmet mit seinen Plaisirs. 

All das soll nicht heißen, dass es nicht auch Universitätslehrer gibt, die an der dritten Form des Genießens teilhaben, an der puren ‚Jouissance‘, die ich groß schreibe und die ich auch das autochthone Genießen genannt habe. Psychoanalytisch wird auch gerne vom ‚weiblichen Genießen‘ gesprochen. Die Psychoanalytikerin R. Golan hat diese Identität als diejenige, die dieses Weibliche als originär-libidinöses bestimmt, besonders gut herausgearbeitet. Die weibliche Form des Genießens schließt auch Schmerz und Leid ein, „beinhaltet aber auch Universalität, Höhe, Grenzenlosigkeit, Erkenntnis / Erleuchtung, Wissen, Freiheit und Glückseligkeit“.[2] Hier kommen wir also der Antwort auf die Frage, was das autochthone Genießenoderdie ‚Jouissance‘ per se ist, näher. Es muss nicht unbedingt eine ‚Verschmelzung‘ oder eine ‚Vision‘ sein, wie es die christlichen Mystikerinnen so gut vorgemacht haben.

Schon Goethe hatte am Ende seines ‚Faust‘ das „ewig Weibliche“ als das bezeichnet, das „hinanzieht“,  also hinzieht und aufrichtet. Das weibliche Genießen besteht also nicht so sehr in der Abreaktion eines Genusses, und es ist auch schwer zu sagen, wo und wie es verschiedentlich realisiert wird. Die Psychoanalytiker betonen allerdings, dass die Frauen dieses ihnen ureigene Genießen meist nicht schätzen und eher gering achten. Sie empfinden es, wissen es aber nicht definitiv oder logisch zu sagen und so bleibt das ihnen zugehörige Genießen meist auf der Strecke, auch wenn die Ergüsse einer Mechthild von Magdeburg oder der Heiligen Theresa von Avila zweifelsohne eine Bedeutung hinsichtlich dieses autochthonen Genießens haben.

Wie man es auch sagt, irgendwie muss auch Liebe ins Spiel kommen. Man muss die Singularität lieben, um sie wirklich so zu erfahren, wie ich sie beschrieben habe: kathartisch und analytisch. Eine der Liebe unterstellte Wissenschaft nannte Lacan auch die Psychoanalyse. Die Psychoanalytikerin M. Mitscherlich nannte ihr letztes Buch „Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht“. Das klingt ein bisschen narzisstisch. Sie hätte besser geschrieben: „Eine Liebe zu sich als Anderen . .“ oder „Eine Liebe zur eigenen Singularität . .  “, denn das ermöglicht die Liebe ‚vollständig‘ zu machen, indem sie auch alles andere und alle anderen einschließt und sich dem autochthonen Genießen öffnet.

Es geht um diese hinter allen Phänomen auftauchende Möglichkeit, die immer schon da war und immer sein muss. Denn wie soll man sonst so etwas wie die Transzendenz, Gott, das tiefste Unbewusste oder das im hintersten Winkel der Quantangravitation ‚Ex-Sistierende‘ verstehen.[3] Sollte nicht Gott wenigstens dieses minimale Genießen kennen, wenn doch schon – wie ich mehrmals erwähnte – selbst die Pflanzen genießen? Mir ist bewusst, dass es schwierig ist alle die Termini wie das Strahlt und das Spricht, die Antisprache, die Kleinschen Positionen, die Singularität und jetzt eben auch den Begriff des autochthonen Genießens, als wissenschaftlich gesichert auszugeben. Und so muss ich weiter Beispiele, Analogien und logisch-praktische Schlüsse, wie sie der Psychoanalyse Lacans entstammen, darstellen. Ich will versuchen den Aspekt des autochthonen Genießens näher zu klären und komme auf die Wellen von Virginia Woolf zurück – beschrieben in dem fast hundert Jahre alten gleichnamigen Roman – und will sie mit denen der modernen französischen Erfolgsautorin Virginie Despentes vergleichen. Meinen Recherchen nach kämpfen beide um ein ihnen selber nicht völlig klares ex-sistenzielles Genießen.

Wie schon angedeutet, schließt sich die Freudsche Libido bei den Frauen zum Kreis im wellenartigen, ‚fließenden Rhythmus‘, im ‚rhythmischen Pulsschlag‘, in den Hingabe-, Empfänglichkeits- und Monats-Zyklen und den Wogen des Einziehens und Ausstoßens wie sie der Frauenarzt M. Odent beschrieb. Die weibliche Libido ist nicht so extrovertiert wie beim Mann, wo sie stärker nach außen drängt. Ich fand es erstaunlich und kurios, dass Woolf und Despentes Leben, Begehren und Schreiben so unglaubliche Ähnlichkeiten und zugleich ebenso starke Gegensätze aufweist, wie man sie selten findet, was gut in das Konzept von Melanie Kleins Positionen passt, aber auch zu meinem Konzept des Strahlt und Spricht und zur weiteren Annäherung an die Singularität und an das autochthone Genießen.

Da existiert einerseits diese übersensible Virginia, die als Jugendliche von ihren beiden Halbbrüdern missbraucht wurde, was sie lebenslang nicht überwand und mit dem Satz „keine Freude mehr an ihrem Körper zu haben“ kommentierte. Sie wuchs im gut situierten Intellektuellenmilieu auf und erlitt schon mit dreizehn einen psychischen Zusammenbruch. Auf der anderen Seite findet man diese urwüchsige Virginie, die als Jugendliche vergewaltigt wurde, dieses Ereignis aber ganz gegenteilig mit männlicher Härte wegschob und verdrängte, wie sie selbst sagt. Sie wuchs im Sozialistenmilieu auf, hatte ebenfalls mit fünfzehn einen Aufenthalt in der Psychiatrie, kam früh mit der Polizei in Konflikt und agitierte gegen alle Autoritäten.  

Und während Viginia Woolf einen Mann heiratet, demgegenüber sie frigide bleibt und sich eine lesbische Neigung zu Vita Sackville West ergibt, wobei sie diese geliebte Freundin in dem Roman Orlando als eine vom Mann zur Frau verwandelte Figur darstellt, finden wir bei Virginie Despentes erneut eine gleiche und doch völlig gegensätzliche Beziehungsgestaltung. So heiratet Despentes einen Frau-zu-Mann Transsexuellen, die/der sich vielleicht – wenn überhaupt – ein ‚Penoid‘ hat operativ erstellen lassen, mit dem es wohl kaum eine befriedigende Sexualität geben konnte. Sie ließ sich nach einigen Jahren scheiden und outete sich dann mit fünfunddreißig Jahren ebenfalls als lesbisch.

Beide Frauen waren im Feminismus engagiert, wobei Virginia sich hauptsächlich um die Gleichstellung von Mann und Frau, um mehr Frauenrechte mittels ständiger sozialer und literarischer Provokation bemüht (speziell in ihren Buch ‚Three Guineas‘). Sie war Mitbegründerin der Bloomsbury Group von Künstlern und Literaten. Virginie versucht es dagegen mit schockierendem Links- und sogenanntem ‚Pro-Sex-Feminismus. Sie behauptet ein ‚kollektiv unterbewusstes Patriarchat‘ unterdrücke alles Weibliche, wird für mehrere Jahre Prostituierte, setzt sich für Pornographie ein, prahlt mit Kontakten zu angeblich begeisterten Pornodarstellerinnen, sagt, dass sie bevorzugt schwule Männer liebt und dass sie will, dass die Frauen Kerle sind und die Männer Nutten und Mütter. Na ja.

Schließlich findet sich das gleiche Phänomen von Ähnlichkeit und Divergenz beider Frauen auch in der Literatur. V. Woolf schreibt in ihrem Buch ‚Die Wellen‘ (The Waves) über sechs Protagonisten (drei männliche, drei weibliche) in einer fast lyrischen Form, in der hauptsächlich die Stimmen, Aussagen und Selbstgespräche dieser sechs Personen vorkommen. „Ich liebe, sagte Susan, und ich hasse. . . Meine Augen sind hart. Jinnys Augen sprühen in tausend Lichtern. Rhodas Augen sind wie die blassen Blüten, zu denen abends die Nachtfalter kommen. . . Aber wenn wir dicht beieinander sitzen, sagte Bernard, verschmelzen wir miteinander durch Phrasen. Wir sind vom Dunst umrandet. Wir bilden ein ungreifbares Gebiet. . .[und viel später] . . Eine gute Phrase scheint mir ein unabhängiges Dasein zu besitzen. Doch glaube ich, dass die besten wahrscheinlich in Einsamkeit zustandekommen.“

Virginias Metaphern sind ständig von Natur- Tier-Landschafts-Licht-und-Ähnlichen Allegorien und  durchzogen, und wie gerade gezeigt, leben hier in erster Linie die Worte, die Sätze, die sprachlichen Rhythmen, die eben so ideal die weiblichen Libido-Wellen abbilden. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin für Frauenstudien an der Uni Bielefeld stellt in ihrem Buch ‚Woolf mit Lacan‘ einen Zusammenhang der Texte im Buch ‚Die Wellen‘ und der Psychoanalyse Lacans her.[4] Sie zeigt, wie sich die Romanfiguren durch Sprechen konstituieren und wie Ich-Bildung und Libido einander bedingen und verhindern. Laut Lacan ist die Libido ein Organ, das nur als reiner ‚Lebensinstinkt‘ existiert, also nicht biologisch ist, weshalb sie in Woolfs Roman rein durch ‚Phrasen‘ äußerst lebendig wird. Alles existiert durch das wunderbare Wort, durch das Spiel zwischen Identität und Differenz, Selbstauflösung und signifikantem Ich-Sein.

Bei Despentes dagegen wird das Organ Libido bis zum Geht-Nicht-Mehr biologisch-körperhaft beschwört, es wird in ihren Büchern durch Sex und Porno, durch männliche Aggressivität und weibliches Dagegenhalten zelebriert, wobei die Autorin in ihren neueren Büchern zunehmend auf die sozialen Randbezirke, auf Ausgegrenzte, von staatlichem Unverständnis Zerstörte und um ihre geschlechtlichen Identitäten wild kämpfende Individuen in durchaus ebenso rhythmischer Tonart gelungen eingeht. Sie kann nicht Dichterin sein wie Woolf, sie schreibt journalistisch. Sie zelebriert nicht die zarten Seelen, sondern schreibt vom ‚Unterbewussten‘ (also nicht vom Unbewussten, wie es der Sprachgebrauch vorsieht, sondern vom Seelischen ‚Unten‘).

So gesehen kann ich ein Resümee ziehen: auf beide Frauen trifft die noch unreife Struktur der ‚paranoid-schizoiden‘ Position zu, im Geistig-Literarischen bei Virginia, und im Literarisch-Obzönen bei Virginie. Woolf geht zu weit in den ausufernden Phantasien und Selbstgesprächen, denen sie selbst anhing und denen auch ihre Protagonisten speziell in dem Buch ‚Die Wellen‘ intensiv nachgehen. Dreihundert Seiten Sonne, Wind, Lispeln der Blätter, Taumel der Liebe und des Rauschens der Wälder überhäufen sich in zu langatmigen Sentenzen. Despentes dagegen hofft, dass die Subjekte sich durch ihre markigen Schilderungen von Sex und Sozialabstieg in ihren Diskurs hineinziehen lassen, der z. B. in dem neuesten Buch ‚Vernon Subutex‘ aus einem Stakkato und einer Suada von Vulgär- und Fäkalsprachlichem, aus Drogen, Perversion und Porno besteht. 

Es fehlt bei ihr die Möglichkeit für das an dem Leben dieser Frauen teilnehmende menschliche Subjekt, ein eigenes, vielleicht Libidinös-Literarisches zu finden, mit der die Kleinschen Positionen weiter überwunden werden können. Natürlich glauben beide Schriftstellerinnen, dass sie ein Art Gegensprache gefunden haben, in der eben alles authentischer, kontrapunktischer herüberkommt und sich ein recht originelles Strahlt/Spricht einstellt. Was ich an biographischem Material einsehen konnte, haben beide schlechte Beziehungen zu ihren Müttern gehabt. Umgekehrt wie bei den Charakteren von Dostojewski und Gandhi spielt nicht der Todeswunsch gegenüber dem Vater die wichtige Rolle im Seelenkomplex, sondern der Hass auf die dem überhöhten Liebesanspruch der beiden Lesbierinnen nicht genügenden Mütter. Der intellektuelle bzw. sozialistische und libidinös ‚kastrierte‘ Vater aber wird geliebt. ‚Kastriert‘ deswegen, weil sich beide Frauen nur schwer den Vater als sexuell aktiven Mann hätten vorstellen können, aber als bohemienhafte Statue, als freundlichen Gesprächspartner, als asexuelle Figur, als einen Heros en titre, konnten sie ihn schätzen. 

So durchzieht die Darstellung der beiden Frauen die mehrfach von mir erwähnte und scheinbar unüberbrückbare Spaltung, die ich – rein formal, rein „kristallin-linguis-tisch“ – für so wesentlich halte, und sie gleichzeitig in der Form des Strahlt/ Spricht mit der Methode der Analytischen Psychokatharsis nutzen möchte. Die ‚Jouissance feminine‘, das autochthone Genießen, vergeudete sich in Woolfs Kunst-, Kultur-, Literatur- und Jenseits-Liebe, während Verginie Despentes gar nicht weiß, dass es sie gibt. Dagegen setzt sie auf das Geschlechtsverhältnis, von dem Lacan auf jeder dritten Seite seines Werkes sagt, dass es – wie oben schon angedeutet -  logisch sagbar, definitiv aussag- und schreibbar eigentlich nicht existiert.[5]

Hinter ihrer fetzigen Pornosprache vermutet man jedoch einerseits die auch für Virginia Woolf zutreffende Sehnsucht nach intakter, reicher, harmonischer Familie, andererseits aber auch die Ahnung, dass es so etwas wie ein autochthones Genießen geben muss. Virginie Despentes nach muss man in die unzüchtige Vollerotik nur noch tiefer, extremer und gewalttätiger eindringen, um an das Allerletzte dieser Trink-, Rauch-, Anarchie- und Sexualgenüsse zu kommen, und wohin sollte man damit durchbrechen, wenn nicht auf die Rück- und Gegenseite des Ganzen, wo der  allerlieblichste Zauber, die Aura des himmlischsten Geistes thront.



[1] Wittgenstein, O. Graf von., Sagen, Hören, Sehen. Vom dreiteilig einigen Menschen, Bonz (1982)

[2]  Golan, R. Loving Psychoanalysis, Karnak (2006)

 

[3]  Lacan schreibt es so als das Ex, also außerhalb von allem, Sistierende, Bestehende.

[4] Müller, M., Woolf mit Lacan, Der Signifikant in den Wellen, Aisthesis Verlag (1993)

[5]  V. Despentes hat recht, wenn sie sagt, wir verdrängen das alles, speziell das, was sie zeigt. Es gibt jedoch in der Psychoanalyse auch eine ‚gelungene Verdrängung‘, eine Art des gesunden Vergessens. Ich z. B. möchte nicht mehr an die Schandtaten meiner Jungmännerzeit erinnert werden, ich bin froh, sie verarbeitet zu haben. Also warum sollte ich von  ‚Vernon Subutex‘ mehr als ein paar Seiten lesen? Alles schon abgehakt.