Der Eigenname

In Indien existieren seit dem Mittelalter Listen, in denen – ähnlich wie bei uns die Liste der Inthronisationszeiten von Päpsten oder Königen – die Folge großer Gurus und Heiliger mit ihren Daten aufgezeichnet ist. Doch die indische Dokumentation in solch frühen Zeiten war noch nicht so akribisch wie die der europäischen Historiker. So gilt allgemein Kabir Sahib (etwa 1440 bis gesichert 1518) als ein bedeutender Mystiker und ‚spiritueller‘ Lehrer Nordindiens. Über seine Nachfolger jedoch kreisen zahlreiche Spekulationen. Die einen sagen, Guru Nanak (1469 -1539), der Begründer der Sikh-Religion, sei sein legitimer Nachfolger gewesen, und dementsprechend waren die nach ihm kommenden

Sikh-Gurus ebenso beglaubigte und legitimierte Heilige. Andere sehen jedoch in einer Kette völlig verschiedener nordindischer Heiliger wie etwa Jagjiwan Sahib, Garib Das und weiterer die direkten Nachfolger Kabirs. Sie landen allerdings beide bei den neuzeitlichen Gurus des sogenannten Sant Mat wie Hazur Sawan Singh und Kirpal Singh. Warum ist dies alles so wichtig?

Es ist nicht wegen der gesellschaftlichen, religiösen oder kultischen Legitimation so wichtig, sondern deswegen, weil ein definitiv von einem anerkannten großen Guru und Heiligen wie Kabir persönlich beauftragter Folgeguru ja auch das direkte ‚spirituelle‘ Erbe, die Segnung, ja die ‚transsubstantiative‘ Ernennung des göttlichen Vorgängers erhalten hat.[1] Und wenn die Nachfolgeliste genau stimmt, kann man also sicher sein, dem absoluten Meister, Heiler und Gottmenschen zu begegnen, weil dann der über viele Generationen hinweg definitive und bezeugte Nachfolger vor einem steht. So wie in der Hostie Christus für den Gläubigen immer noch voll gegenwärtig ist, und wie dies eben für den 10. Sikhguru namens Gobind Singh mit der Seele und Geistesstärke von Guru Nanak und Kabir gewesen sein soll, und eben auch für die oben genannten neuzeitlichen Heiligen  können wir dies modern psychologisch nicht mehr verstehen. Wenn Galilei Newton, Newton Lavoisier und schließlich Lavoisier Einstein zu Spitzenkennern der sich weitertragenden Physik ernannt hätten, würden wir diesbezüglich wahrscheinlich eine Physikernachfolge nur dann akzeptieren, wenn diese auch durch eigene Forschung und Anerkennung in der modernen Wissenschaftskultur belegt ist.

 Auch für Jacques Lacan wäre es eine enorme psychologische Stütze gewesen, wenn S. Freud ihn selbst zu seinem Nachfolger ernannt hätte. Wir hätten allerdings gerätselt, wie diese Transaktion genau hätte vor sich gehen sollen, obwohl es gar nicht so abwegig wer, sich die Sache ein bisschen in dieser Richtung vorzustellen. Bekanntlich hatte ja Freud in seinem Schüler und ärztlichen Kollegen C. G. Jung einer derartiger Nachfolger gesehen bzw. aufbauen wollen. Doch genau den psychoanalytischen Kriterien entsprechend, dass es keine direkte, perfekt substanzielle Übertragung der Seele (und hier noch besonders des seelisch Unbewussten) geben kann, sondern dies nur über eine ins Spiel gebrachte Übertragung von Bedeutungen auf den Therapeuten und deren Deutung gelingen kann, scheiterte die Beziehung zwischen Freud und Jung als direkte Nachfolgebeziehung in recht unglücklicher Weise. Die beiden blieben bis zuletzt zerstritten. Man kann sich nicht mit seinem Analytiker identifizieren, eine eigene Arbeitsleistung durch Selbstenthüllung und durch das Verständnis der Freudschen Theorie ist notwendig.

 Das Nachfolgethema ist überall vorhanden, nicht zuletzt auch in der Politik. Obwohl dort Nachfolger demokratisch gewählt werden, existieren doch immer schon sogenannte Seilschaften, die die letztliche Nachfolge ein bisschen mitsteuern. Und auch eine Wahl ist nicht immer so akkurat, Wahlvoraussagen beeinflussen das Ergebnis oft in die gegenteilige Richtung (es geht dann oft das als Sieger angekündigten Parteivolk nicht mehr ausreichend zur Wahl). Und neuerdings sind es ja auch die in die Medien gestreuten ‚fake news‘, kurz vor der Wahl veröffentlichte Enthüllungen und anderes mehr, die an der Demokratie zweifeln lassen. Auch vom Pabst glaubt niemand mehr, dass Christus ihn selbst ausgesucht hat bzw. seine Nachfolge im Sinne hochstehender Heiligkeit geregelt ist. Marcellinus, gestorben 304, soll der erste Pabst gewesen sein, indem er sich als Bischof von Rom Papa nannte. Zu seinen Vorgängern besteht also eine große Lücke. Eine solche herrscht auch bei den Sant Mat Gurus und auch bei den Physikern ist nicht mehr ganz klar, wer hier das Sagen hat.

Die wildesten Spekulationen über Supersymmetrie und Stringtheorie und andere Thesen beherrschen heute das naturwissenschaftliche Feld. Zwar sind gerade jetzt im Jahr 2017 Gravitationswellen sicher nachgewiesen worden, aber wie diese mit den Wellen und Energien der Elementarteilchen zusammenhängen ist und bleibt völlig unklar. Nur bei Freud und Lacan würde ich mich trauen, eine gut sichtbare und logische Übertragungs- bzw. Transaktionsbeziehung zeigen zu können. Doch um dies zu tun, muss ich zu den indischen Gurus zurückkehren, denn je weiter Ost und West auseinanderliegen, je disparater östliche Weisheits- und Meditationslehren und westliche, durch die Sprachwissenschaft gestützte Psychoanalyse sich ausnehmen, desto besser kann man die Übertragungsvorgänge, die ‚Transsubstantiationsbeziehung‘ vermitteln und darstellen. Ich versuche dies zuerst einmal mit einer persönlichen Geschichte.

Als ich 1969 meine psychoanalytische Ausbildung begann, erschienen mit die dortigen Lehrmeister zwar sehr gebildet und interessant, aber sie hatten bei weitem nicht die durch eine gewisse ‚Ausstrahlung‘ gestützte, wärmende und weise Persönlichkeit, wie ich sie mir erhofft hatte. Abgesehen davon, dass eine derartige Erwartung meinerseits fast pathologisch genannt werden kann, denn ein Psychoanalytiker muss ja nicht ein Universalgenie sein und schon gar nicht ein wonnestrahlender Heiliger, fand ich jedoch zwei Jahre später genau diese von ‚Ausstrahlung‘ gestützte, wärmende und weise Persönlichkeit in dem oben erwähnten Sant Kirpal Singh. Es war dann ein bisschen verwirrend für mich, mit einem Bein im Osten und mit dem anderen im Westen zu stehen. Denn meine psychoanalytische Ausbildung wollte ich auf keinen Fall wieder aufgeben, und zudem musste ich in den folgenden Jahren mehr und mehr erkennen, dass Kirpal Singh zwar zweifellos die geschilderte Persönlichkeit und direkte ‚Übertragungs-Hilfe‘ war, aber intellektuell nicht immer überzeugte, ja manchmal auch etwas Widersprüchliches äußerte.

Nun kam mir hier nach vielen weiteren Jahren Lacan entgegen, der genau von der ‚ultrasubjektiven Ausstrahlung‘ sprach, von der unbewussten Phosphoreszenz oder Lumineszenz, vom Spiegelungsbrennpunkt der subjektiven und triebgesteuerten Wahrnehmung und anderem mehr, was als

 (a) imaginäre Ordnung, als unbewusstes Sehen, als psychoanalytische Blick- und Bildverarbeitung, in einem deutlichen Gegensatz zur

 (b) sprachbetonten symbolischen Ordnung, zur Wortverarbeitung der klassischen Psychoanalyse steht. Mit anderen Worten: die Psychoanalyse muss mit immer komplexeren lexikalischen, sprachlogischen, semiotisch-linguistischen Untermauerungen ihre Theorie auch bezüglich dieser imaginären Ordnung retten, wobei die Praxis nicht im gleichen Maße mitzieht. Und hier kommen wieder die indischen Gurus zum Zug.

Denn deren Vorgehen bezieht sich genau auf das unbewusste Sehen, auf die Blick- und Bildverarbeitung der meditativen ‚inneren Schau‘ und die Praxis der tiefenseelischen Erfahrung. Auch wenn es jetzt nicht wichtig ist, ob man sich auf Kabir und Nanak berufen kann, bei Kirpal Singh konnte ich ausreichend gut diesen Zugang zum menschlichen Seelenleben studieren und praktische Erfahrungen haben. Den Nachteil der mangelnden intellektuellen Darstellung und sprachlichen Diskussionsmöglichkeit konnte ich mittels der Lacanschen Seminare ausgleichen. Dies beginnt bereits mit den Begriffen des erwähnten Spiegelungs- und Lumineszenzpunktes, der in Kirpals Meditations- und Yogasystem ‚Augenbrennpunkt‘ heißt. Um was es hierbei geht, soll die nebenstehende Abbildung zeigen.

Links und damit von unten, vom Körper her und den Sinnesorganen kommen Nervensignale wie ‚Strahlen‘ zur konkav gewölbten Hirnrinde, die eben wie ein Hohlspiegel wirkend diese ‚Strahlen‘ zurückwerfend in einem Spiegelungspunkt bündeln kann. Normalerweise und unter bewussten Bedingungen werden die ‚Strahlen‘ jedoch schon vorher im Gehirn umgeleitet und umverteilt, doch je näher manche dem Spiegelungspunkt kommen, umso unbewusster sind und bleiben sie. In besonderen psychischen Zuständen aber können diese ‚Strahlt‘-Formationen bewusst erfahren werden, was unangenehm sein mag, aber auch zu einer besonderen Sichtigkeit führen kann. Unbewusst tauchen sie z. B. auch im Traum auf und können so anhand des Bildmaterials, das sie liefern, gedeutet und bewusst gemacht werden. Auch das kann unangenehm sein, aber es trägt zur Wahrheitsfindung bei.

Und exakt das Gleiche passiert auch in der Meditation. Dort nähert man sich scheinbar schutzlos dem Spiegelungspunkt, indem man wachbleibend und Gedanken wegschiebend die auftauchenden Bilder – jedoch keineswegs unkontrolliert – erfassen muss. Kontrolle und Meisterung geschieht nämlich wie bei der psychoanalytischen Deutung mittels der sonst in der Meditation vernachlässigten symbolischen, wortverarbeitenden Ordnung her. Und genau hier liegt nun das Ost und West verbindende und das gesamte psychologische Vorgehen vereinfachende Element vor: Lacans ‚linguistischer Kristall‘.

In diesem Begriff verbirgt sich erneut das sprachlich wortbezogene Symbolische und das bildlich, ‚strahlenbezogene‘ Imaginäre. Beide sind nun in einem Komplex kompakt verbunden, sowie ja sie auch in Form der beiden grundlegenden Triebkräfte bei Kirpal Singh und Lacan als ein ‚Es Spricht‘ (Entäußerungs-, Sprechtrieb) und ein ‚Es Strahlt‘ (Wahrnehmungs-, Schautrieb) immer legiert sind, wie es Freud schon nannte. Nun legte Lacan ja Wert darauf, diese Verbindung in der Art topologischer Figuren darzustellen, so z. B. als Möbiusband oder Boyscher Fläche (siehe Abbildungen), anhand derer sich das Unbewusste auch ausdrücken konnte, denn es ist seiner Ansicht nach ‚strukturiert  w i e  eine Sprache‘, ‚Es Spricht‘ also, aber gleichzeitig als Topologie dargestellt. Denn dieses ‚Sprechen‘ wird gemäß der Verdrehung des Möbiusbandes auch verdreht herausgegeben, wie es ja im Traum deutlich gezeigt wird.

Nun verfährt Kirpal Singh nicht anders. Da er seine Probanden nicht ‚frei assoziieren‘ lässt wie es der Psychoanalytiker tut, sondern sie zu meditieren heißt, führt er dieses ‚verdrehte‘ sprachliche Element in Form von Sanskritnamen ein, die aus uralter Zeit stammen und deren Bedeutung selbst in Indien nicht mehr klar ist. Eben diese semantische Unbestimmtheit ist notwendig, denn jedes zu eindeutige Wort würde die Gedanken wieder in eine bewusste Richtung lenken. Lacan diskutiert dazu in zwei seiner Seminare das Wesen des ‚Eigennamens‘, wobei weniger der übliche, soziale, bürokratische Eigenname gemeint ist, sondern einer aus dem Unbewussten, der als Identitätswort ins Bewusstsein gelangt. Er korreliert exakt mit dem Lacanschen ‚linguistischen Kristall‘, und so wird der Proband, könnte er in seinem solchermaßen originär gestalteten ‚Eigennamen‘ sprechen, auch in eine psychologische Richtung gedrängt, die für ihn hilfreich ist. Doch wie ist sie hilfreich?

 Sie ist so hilfreich wie früher ein Gottesname war, mit dem man sich selbst sozusagen zur Rechenschaft rufen konnte, da man sich in diesem Namen identifizierte. Und so ergeht es einem auch mit der Ausstrahlung des Gurus, in dessen ‚Vision‘ man selber mitglänzen und ‚spirituell‘ reüssiert. Nur in der herkömmlichen Psychoanalyse tut man sich schwer, bis es in Zusammenarbeit mit dem Therapeuten gelingt, wenn auch nicht den wirklichen Eigennamen, so doch eine Annäherung – je nach psychoanalytischer Schulrichtung – daran zu erreichen. In dem von mir entwickelten Verfahren der Analytischen Psychokatharsis, in der Ost und West verbunden sind, symbolisches, lexikalisches Vorgehen sich mit dem imaginären, ikonischen vereint, wird man jedoch seinen Eigennamen aus dem Unbewussten heraus sich selbst geben können. Das ist ein doppeltes Versprechen, in dem die Schwierigkeit des ja kaum direkt zu erreichenden unbewussten Namens und gleichzeitig dessen Selbsttaufe umkurvt und so gelöst wird

Ich muss dazu mit einem Beispiel anfangen. Das praktische Verfahren der Analytischen Psychokatharsis ist sehr einfach: Man wiederholt rein gedanklich langsam hintereinander ein, zwei oder bis zu fünf sogenannter Formel-Worte,[1] während man gleichzeitig darauf achtet, ob etwas auftaucht, das den Charakter einer Lumineszenz, ‚Ausstrahlung‘, verkürzt: eines Es Strahlt hat. Es kann sich dabei um eine Erhellung, Körperbildwahrnehmung, ein Schimmern oder eine - wie eben Lacan sagt – „Lumineszenz“ handeln. Genauso kann aber auch ein ‚Durchrieseln‘ zu spüren sein oder die Empfindung auftauchen, das eigene Körperbild verschiebt sich, weitet sich oder es ist einfach nur schwarze Farbe vor den geschlossenen Augen festzustellen. Denn schwarz ist schon eine Wahrnehmung, die sich von der Dunkelheit im Kopf ganz gering abheben kann. Egal was auch immer „gesehen“ oder erfahren wird, es wird den Charakter von einem auch nur ganz geringem  Es Strahlt  haben, und das genügt.  Erst in einer zweiten Übung (siehe später) kommt durch Konzentration anderer Art eine Antwort, ein volles Es Spricht, und damit der Identitäts- oder Eigenname auf diese erste Übung zustande.

Man muss nicht einen Kurs besuchen, um diese Erfahrung des Strahlt zu haben, die ja authentisch als Aspekt des Wahrnehmungs- oder Schautriebs in jedem Menschen vorhanden ist. Während dadurch bereits eine leichte Entspannung eingetreten ist, wird diese durch die gleichzeitig gedanklich wiederholten Formel-Worte ganz erheblich vertieft. Die Formel-Worte sind rein formale Ausdrücke, die es in der üblichen Sprache so nicht gibt. Das „RADICIT“ zum Beispiel ist kein normales Wort aus dem Lateinischen, aber es beinhaltet mehrere sich überschneidende Bedeutungen in einer Formulierung, es ist perfekt aufgebaut wie ein „linguistischer Kristall“ Außer dem radiat (Es Strahlt) und dicit (Es Spricht) ergeben sich im Kreis geschrieben und von verschiedenen Buchstaben aus gelesen mehrere unterschiedliche Bedeutungen. So können wir hier z. B. auch „ci tradi“ (rege an zu übergeben), „adi cit r“ (geh heran, es bewegt R), „C i tradi“ (hundert I  übergeben), „citra di“ (diesseits die Götter), „dicit ra“ (es sagt ra), „r adic it“ (füge r hinzu, es geht), „radi cit“ (gekratzt werden, es erregt), „trad ici“ (erzähle, ich habe getroffen) etc. herauslesen, wobei vieles recht unsinnig klingt. Dies hat jedoch für den formalen Ausdruck keine Bedeutung. Ausschlaggebend ist hier nur, die wissenschaftliche Begründung klar und rein formal darlegen zu können, denn das eigentliche Vorgehen besteht darin, derartige Formel-Worte zu meditieren.

Im Unbewussten regt nämlich ein rein gedankliches Wiederholen gerade derartiger Formulierungen, die unbestimmt bleiben, die Herausgabe eines entsprechenden Identitätswortes oder Eigennamens an. Dabei ist die Unbestimmtheit nicht eine direkt semantische wie sie etwa bei dem Wort ‚aufheben‘ vorliegt, das hochheben, verwahren und löschen bedeuten kann, sondern eine, die wegen der in ihr steckenden viel zu vielen Bedeutungen unklar bleiben muss. Exakt so ist jedoch das Unbewusste aufgebaut, das Sprach--, Wortstruktur hat, die aber nicht zu klaren Übersetzungsmöglichkeiten ins Bewusste führt. Dennoch aber führt sie zu sprachlichen Formulierungen, die eben genau ihrem Wesen entsprechen, und die man somit gut und gerne eigene Namen, Eigennamen nennen kann. Ja, darin beweist sich die Analytische Psychokatharsis als eine Form der Psychoanalyse, die ebenfalls betont, dass es keine philosophische oder sonst wissenschaftliche Erklärung gibt, was ein Eigenname sein soll. 

Der Eigenname kann nur ein von dem Betroffenen, dem Entsprechenden, dem nicht zu objektivierenden Subjekt gegeben und damit eben auch definitiv gesagt werden. Manchmal passieren solche Dinge ja auch durch Freudsche Versprecher, so z. B. einmal einem meiner Professoren in der Universitätsklinik für Neurologie. Er wollte sagen, dass für die Leitung dieser Klinik eine gewisse Kompetenz gehört, sagte aber, „ es braucht eine gewisse Kompotenz“. Das war ein Eigenname, den er sich selbst, wenn auch unfreiwillig, gegeben hat. Wir Studenten nannten ihn demzufolge auch den Professor ‚Kompotenz‘ und hatten dabei die Lacher auf unserer Seite. In dem ‚linguistischen Kristall‘ des Unbewussten war nur ein Buchstabe vertauscht worden, aber es war klar, was gemeint war. Der gute Prof hatte ein Problem mit der Potenz. Bei der Ausübung der Analytischen Psychokatharsis kann so etwas nicht passieren, denn dort hört sonst niemand mit, nur man selbst. Ein Beispiel:

Vor einiger Zeit erfuhr ich einmal nach längerem Üben mit dem Verfahren der Analytischen Psychokatharsis einen Spruch, der lautete: „Hans Oberlohn“.  Es verhält sich beim Üben meist so, dass man nicht ganz unterscheiden kann, ob man solch eine Phrase hört oder doch ganz in der Tiefe irgendwie gedacht hat. Doch der Spruch war sehr zutreffend. Einerseits nämlich suche ich zwar nicht den materiellen, aber doch den geistigen, wissenschaftlichen, den ein wenig weiter oben angesiedelten Lohn meiner Arbeit. Andererseits klang das Wort ‚Oberlohn‘ spöttisch, sarkastisch und schnippisch. Ohne Lohn, Oberlehrer, Schulmeister, voll Hohn, Obersatire oder gar Lohengrin fiel mir ein, alles wenig schmeichelhaft. Ich war wie der bekannte ‚Hans ohne Land‘, der König aus dem 12. Jahrhundert, zwar nicht ganz ohne Lohn, aber vielleicht doch zu sehr hinter einer besseren Entlohnung her.

 Klar, ich sollte es mit einer Stufe weiter unten versuchen, dann bekäme ich den mir zustehenden Lohn der schreibenden Mittelschicht. Immerhin scheint mir doch deutlich zu sein, dass diese Sprüche aus dem Unbewussten, die ich auch Pass-Worte nenne, weil sie so sehr die eigene Identität betreffen, recht originell sind. Vielleicht würde ein phantasiebegabter Dichter und freilich auch ein Freudscher Versprecher auf solche Äußerungen kommen, aber selbst dann bewirkt ein derartiges Identitätswort einfach mehr, als die einfallsreichste Poesie. Das mit dem ‚Oberlohn‘ kam einfach aus dem Eigenen, wenn auch eigenem Anderen in einem selbst und half mir mich wieder zurecht zu finden. An diesem Tag schwankte mein Eigenname eben zwischen ‚Hans ohne Lohn‘ und ‚Oberlohn‘, damit konnte ich leben.

So wird auch ersichtlich, dass jeder das eigene unbewusst Seelische selbst enthüllen muss, sich selbst vom Unbewussten her einen Namen geben lassen muss, in dem man sich anerkennen kann. All die Belobigungen und Bestätigungen von außen her sind bei weitem nicht so viel wert, wie die Anerkennung durch das eigene unbewusst Seelische, auch wenn es nicht immer tröstlich ist.

 



[1] Unter Transsubstantiation wird in der christlichen Kirche die Übertragung des Chritusleibes verstanden.

[2] Das im Folgenden gegebene und weitere Formel-Worte sind in anderen Veröffentlichungen oder auch auf der hinten angegebenen Webseite zu finden. Vorerst genügt eines.