Das Konnektom

Das Konnektom ist ein Begriff der Neurowissenschaftler für den Konnex, den Zusammenhang sämtlicher Neuronen, also für das gesamte Neuronen-Netzwerk des Gehirns. Wieder einmal etwas, mit dem man hinsichtlich des Menschen und seiner Psyche Furore machen kann. Denn freilich geht es den Gehirnforschern letztlich darum – wenn man dies einmal etwas pauschal so sagen darf –  Gedanken lesen zu können. Die Neurowissenschaftler haben bisher über Messungen elektrischer Signale oder über das Studium elektronenmikroskopischer Gehirnareale versucht, die Nervenverschaltungen zu

eruieren und sichtbar zu machen. Damit sind sie immerhin schon so weit gekommen die Bahnen einzelner Nervenfaserbündel dreidimensional darzustellen (siehe Abb. nebenan). Doch neuerdings gelingt es Forschern (Anthony Zadrar - Cold Spring Harbor Labaratory) viel bessere und umfangreichere Kartierungen des Gehirns durch Erbgutetikettierungen zu erreichen."Mit Hilfe eines Virus wollen sie in einem Mäusegehirn DNA-Schnipsel von Neuron zu Neuron transportieren und aus dem Weg der DNA eine Karte neuronaler Verbindungen zeichnen – ein so genanntes Konnektom. . . Zunächst wird ein Virus mit kurzen DNA-Abschnitten ins Gehirn eingebracht. Dort breitet es sich von Neuron zu Neuron aus. Die genetischen Buchstaben der verschiedenen DNA-Schnipsel dienen dabei als Kennzeichnung für einzelne Hirnzellen. Eine Länge von 20 genetischen Buchstaben reicht bereits aus, um Billionen von Neuronen eindeutig zu kennzeichen – viel, viel mehr, als im Gehirn einer Maus existieren. . . Ein Computerprogramm ermittelt dann, welche Neuronen miteinander DNA-Etiketten ausgetauscht haben – also miteinander in Verbindung stehen.“[1] Mit anderen Worten: man wird dann den Supercomputer Menschengehirn darstellen können, aber hat dies etwas mit dem zu tun, was und wie der Mensch fühlt oder gar denkt? Ist es überhaupt so, dass das Gehirn die Seele erzeugt?

 

Von der eigentlich menschlichen Seele, selbst von seinem Unbewussten wird man durch diese Forschungen wohl kaum etwas erfahren. Es gibt auch noch modernere Methoden, in denen das Studium von Neuronenverbindungen vermittelt wird und zumindest technisch perfekt so erscheint. Auf der TED 2013, einer Computer-Entertainment Tagung wurde vor kurzem von M. L. Jepsen vorgestellt, wie eine Person - unter einem  Kernspinscan befindlich - sich ein Bild einprägte. Der Scan verarbeitete die in den verschiedenen Hirnarealen auftretenden Aktivitäten. Sodann sollte diese Person sich das Bild nur gedanklich wieder vorstellen: der Scan warf ein das Bild – zwar nur sehr annähernd – wiedergebende Struktur aus. Großer Jubel-Trubel beim TED. Jeder kann jetzt am Bildschirm sehen, was er – bildhaft – denkt! Und natürlich andere, die unser Hirn scannen, können das auch sehen.

 

Doch was passiert wirklich? Man sieht eine totale Bild-zu-Bild Entsprechung, ein Hirn-zu-Hirn Photo, was angeblich kein Geheimnis mehr verbirgt. M. L. Jepsen sagt auch deutlich, dass er damit die Sprache umgehen will, um sozusagen das, was im Kopf der Menschen vorgeht, direkt zu zeigen. Aber wie kann man die Sprache umgehen? Warum hat Jepsen nicht allen Probanden bei ihrem Vortrag einen Hirnscan aufgesetzt und einfach gar nichts mehr gesagt? Die Leute brauchen doch alle nur noch auf Jepsens Hirnbild schauen, das er vor ihnen hinstellt, und haben dann den ganzen Vortrag voll verstanden. Aber das Geheimnis liegt nicht in der Verschlüsselung Bild-zu-Bild oder auch Vokabel-zu-Vokabel allein. Sondern in der durch eine Topologie verkrümmten, durch Pixelpunkte verbogenen oder linguistisch verkreuzten Bild-zu-Wort oder Wort-zu-Bild Verschlüsselung, von der ich noch besonders berichten werde.

 

Erneut kann ich sagen, dass von der eigentlich menschlichen Seele und dem Unbewussten in diesen Experimenten nicht viel erfahren wird. Wie einzelne Hirnregionen miteinander agieren, weiß man natürlich auch schon aus Studien an Kranken oder psychologischen Testungen. Dies zeigt z. B. ein neueres Werk des bekannten Hirnforschers G. Roth.[2] Roth postuliert sechs `psychoneuronale Systeme´ (stressverarbeitend, intern beruhigend, intern bewertend und belohnend, impulshemmend, bindungssystemisch und das System des Realitätssinns und der Risikobewertung) und vier entsprechende, mehr oder weniger hierarchische `Ebenen´ (untere limbische, lebenserhaltende Ebene, mittlere limbische emotionsbezogene Ebene, obere limbische Ebene bewusster Gefühle und Motive und die kognitiv sprachliche Ebene). Nichts charakterisiert deutlicher, dass schon allein die Aufzählung dieser Systeme uns zur komplexen psychoneuronalen Maschine macht.

 

Am interessantesten und erstaunlichsten erscheint die Beschreibung der Ineinanderverkettung von Gehirn, Genen, Neurotransmittern und der Psyche. So beschreibt Roth die Vermutung, „dass die Wirkung des Serotonins auf Aggressivität davon abhängt, in welchem Maße eine individuelle Neigung zu Aggressionen ausgebildet ist. . . Männer mit einer ausgeprägten Neigung zu Aggressionen reagieren auf eine Verminderung von Serotonin mit erhöhter Aggressivität, Feindseligkeit und Streitsucht . . während eine Erhöhung bei diesen Menschen das Gegenteil bewirkt. Männer hingegen, die eine geringe Tendenz zu Aggressionen aufweisen, reagieren auf die Veränderungen der Serotoningabe nicht mit Veränderung der Aggressivität. Es scheint also, dass Serotonin nicht generell die Aggression reduziert, sondern die Impulsivität hemmt, d. h. die Bereitschaft, latent vorhandene aggressive Tendenzen auszudrücken. Bei niedrigem Serotoninspiegel bricht sich dann die impulsive Aggression Bahn.“

 

Nun beschreibt Roth nicht, was unter Neigung zu verstehen ist. Ist sie angeboren oder erworben? Wahrscheinlich beides, denn die Gene spielen ja in Roths Schilderungen eine bedeutende Rolle, aber sicher können durch Fehlentwicklungen und traumatisierende Ereignisse ja auch Neigungen erworben worden sein. Doch wenn sie erworben sind, hat die Seele ja das Gehirn gemacht und nicht umgekehrt. Das Gehirn hat ja neuesten Forschungen zufolge eine ausgeprägte Plastizität, so dass eine aus sozialen aber auch unbewussten Konflikten berechtigte Wut Einfluss auf das Serotonin haben kann und damit alles anders gesteuert wird. Letztlich will ich jedoch gar nicht auf eine spezielle Kritik an all diesen Neurowissenschaftlern hinaus. Für mich liegt das Hauptproblem darin, wie Hirnforscher bezüglich ihrer Forschungen Gehirnbilder (bild-, neuronenbahnbezogen) und die symbolische Ordnung (wort-, wissenschaftlich ausdrucksbezogen) benutzen. In den beiden oben zuerst genannten Fällen wird dieser Unterschied gar nicht erwähnt und berücksichtigt. Das Gehirn spricht bei diesen Neurowissenschaftlern überhaupt nicht, nur sie selber reden.

 

Bei G. Roth verhält sich dies etwas anders. Aber auch hier sind Gehirnareale mit den sprachlich-kognitiven Vorgängen nur „befasst“ (vor allem im Frontalhirn). Es sind nicht wir, die denken, sondern Es. Nun ist dies gar nicht so weit von psychoanalytischen Vorstellungen entfernt, wenn auch befremdlich ausgedrückt. Freud konzipierte ja auch „unbewusste Gedanken“, aber das Es, das eigentlich Unbewusste, denkt und kalkuliert nicht, sagte er und ergänzte: „Aber Es weiß“. Dieses Es war hauptsächlich durch libidinöse Vorgänge, durch die „genießende Substanz“ geprägt, was Lacan folgend dem „Signifikanten des Wissens“ zugehört, also diesem Anderen, insofern Es/Er weiß. Im Mythos von Odysseus wurde den Göttern (vor allem Poseidon und Athene als die zwei Gegenspieler) das Wissen zugeschoben, was mit ihm geschehen sollte. Aber die Götter waren auch die Herrensignifikanten, die Bestimmer, die Schicksalsrauner. Hier trifft man sich wieder mit den sprachlich-kognitiven Gehirnarealen. Trotzdem, wo bleibt der wirkliche Odysseus? Er selbst hat doch abenteuerliche Dinge gesagt, hat mit den Menschen und Göttern um die wahren Bestimmungen gerungen. Wo bleibt der „Signifikant des Wortes“, die Kreation von Sprache, denn es war doch Homer, der die ganze Geschichte um Odysseus und seine Erlebnisse erfunden hat.

 

Den Dichter, den eigentlichen und wahren Sprecher, der wir je selbst samt unserem Unbewussten sind, haben die genannten Wissenschaftler alle vergessen. Sie haben uns entmündigt und geglaubt, sie müssten für uns sprechen. Aber kann man uns nicht selbst in neuerer und tieferer Weise sprechen lassen, so dass wir selbst und auch das Gehirn berücksichtigt sind und wir die Verschlüsselung der Neuroneneinheiten oder der Signifikanten selbst klären? Für mein Verfahren der Analytischen Psychokatharsis verwende ich auch diese beiden Grundsysteme wie das bildhafte, imaginäre Wissen und das Worthafte, die symbolische Ordnung. Nur verwende ich sie nicht als Verschlüsselung von Bild-zu-Bild oder auch von Vokabel-zu-Vokabel, sondern von Bild-zu-Vokabel und umgekehrt. Dazu benutze ich Formulierungen, die in einem einzigen Schriftzug mehrere Bedeutungen ausweisen, also Schnittstellen enthalten, die bildhaft gestaffelt sind und doch auch Worthaftes bedeuten. Nur so kann man nämlich das Unbewusste, die wirkliche Neuroinformatik studieren, weil in diesem Verfahren jeder selbst durch meditative Anwendung der genannten Formulierungen zum Zug kommt und damit weiß, wie er und sein Gehirn funktioniert.

 

 

 

 

 



[1] www.heise.de › Technology Review › Leben vom 13. 11. 2012

[2] Roth, G., Wie das Gehirn die Seele macht, Klett-Cotta (2014). Ich erwähne nur nebenbei die Bücher von S. Pinker, A. Damasio, E. Kandel, O, Turnbull und andere, da sie alle eine ähnliche Vorgehensweise haben.