Bild und Sprache - Cu-le-xs-al-ta

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Doch gerade dadurch kommt der Mensch nur zur wirklichen Schau der Dinge, wenn es dem Maler gelingt, Bild und Sprache in einer derart eng vernetzten Form auszudrücken. Dies gelingt den Malern nicht oft, aber ich zeige nochmals ein Bild von Kirchner hier als Beispiel, in dem es doch gelungen ist. Auch  ohne Titel  errät  man, um  was es hier geht, nämlich um eine un­glaub­lich gut gelungene Verknotung, In­einanderverwindung und Verwo­ben­sein eines Paares. Zudem vermittelt das Bild den Charakter der Freudschen Urszene, bei der es sich bekanntlich um die meist verdrängte Erinnerung des Kindes an eine derartige Inein­ande­r­ver­win­dung der Eltern han­delt. Diese Szene beinhaltet für das Kind eine gemischt aggressiv - libidinöse Er­fah­rung, auch etwas Unheimliches und Gefährliches, was in dem isolierten oberen Auge, in der aus dem Tannenwald kommenden dunklen Hand und einigen anderen Aspekten deutlich wird. Dennoch ist es genau das, was der Maler im Titel nennt: ein Liebespaar.

Vielleicht hätte er es auch so nennen können, wie J. Lacan es tut: „Es gibt kein Geschlechtsverhältnis." Es gibt nichts, mit dem man die Vereinigung der Geschlechter in ihrer Gänze ausdrücken könnte, nicht mit der besten Sprache, nicht mit dem besten Bild. Wohl gibt es „Geschlechtliches", Libidinöses, Erotisches, Sexuelles, aber eben keine wirkliche Geschlechtsbeziehung., obwohl die meisten Menschen daran verzweifelt festhalten. Auch damit bin ich meinem Ziel wieder näher gekommen, denn es gibt so gesehen natürlich auch keine wirkliche Verbindung von Bild und Sprache, von „Strahlt" und „Spricht". D. h. es gibt sie nur, wenn jeder sie für sich selbst herstellt. Sie für sich selbst herstellen heißt, Wissenschaft und Kunst verbinden, heißt also wirklich Religion haben. Alle andere Religion ist nur äußerlich.

Kirchners Bild ist tatsächlich ein Subjekt - Bild, vielleicht nur für ihn, vielleicht für mehrere, viele. Denn wie gerade erwähnt, jeder muss sein Subjekt - Bild selber finden, der Maler tut es vielleicht viel intensiver als jeder andere und deswegen fällt ja manchmal auch von seinen Subjekt - Bildern ein wenig für die anderen Sterblichen ab. Aber auch er muss seinen Namen darin finden, seine Silbe, Syllabe. Seine Religion ohne Gott, sein Erotisches, seine Ineinanderverwindung, sein „Strahlt / Spricht".

Wechseln wir woanders hin. Vom ENS- CIS- NOM hatte ich schon gesprochen ohne zu erklären woher es kommt und was es soll. Es stellt mehr die „Spricht" - Seite der gerade erwähnten Ineinanderverwindung dar. Es gibt den Bildern einen Titel, auch wenn nicht klar ist, welchen. Oft benutzen allerdings auch die Maler diese unverbindliche und letztlich ja rücksichtslose Chiffre des „Ohne Titel". Sie sind zu faul oder zu unsicher, zu verlegen oder provokant und schreiben eine so lange Formulierung von immerhin zehn Buchstabe hin, nur um nichts damit zu sagen. Dennoch steckt darin eine Chance: eben gerade die, die ich ja auch suche, wenn ich sagte, es muss jeder von der Subjekt-Seite her herausfinden, um was es geht. In dem „Veg" -Bild genügten schon zwei, drei Buchstaben, um im Zusammenhang mit dem Bild eine treffende Aussage zu eruieren. Schauen wir uns doch das Umgekehrte an, wenn sich vorwiegend aus den Buchstaben, dem „Spricht", ein Bild eruieren lässt.

Mücken, die über dem Wasser tanzen - gibt es eine Mathematik dafür? Lassen sich die Bewegungen berechnen? Wiederholen sie sich? Schon A. Stifter hat sich rege mit derartigen Fragen beschäftigt. Er nannte es das „sanfte Gesetz", das durch das „Große im Kleinen" erwirkt wird. In glitzernden Steinen oder in dem für alle Wunder der Natur zuständigen „Wiesengrund", der bunten Mischung farbiger Blüten und Stengel durchflossen von einem kleinen Rinnsal, hat Stifter sich vielfach literarisch gespiegelt. Aber das Ganze ist ihm zu sentimentalisch geraten, für unsere heutige nüchterne Zeit nicht mehr so brauchbar. Aber auch kein Mathematiker, kein Topologe hat bisher den Tanz der Mücken erfassen oder im Gewebe ihrer Wissenschaft abbilden können. Über  Wochen abgelichtete Videostudien haben keine Regeln  erkennen lassen, die Mücken müssen sich also als Individuen vorkommen. Oder ist dies zu weit gesagt? Instinkte leiten sie umeinander zu schwirren, mehr eckig, zackig als rund und fließend weich. Es muss sich einfach um einen orgiastischen Bewegungsrausch handeln, den die  Mücken in einer Nische  der vorübergehenden  Geborgenheit  ausleben können. Andere Pflanzen und Tiere vollziehen ähnliche Bewegungs- oder Erregungsspiele, andere Muster oder Geschehnisse, die ihnen vielleicht vortäuschen, sie seinen Individuen. Wo soll das Große im Kleinen liegen?