Der gemordete und der tote Vater

(alias Dasheit und Drittheit)

Die Psychoanalytikern R. Perelberg unterscheidet den Komplex des gemordeten von dem des toten Vaters.[1] Bekanntlich war Freud davon ausgegangen, dass am Anfang der Menschheit das Alphamännchen  triebhaft und grob über die Clangruppe geherrscht hat und so irgendwann von einem Jüngeren ermordet wurde. Nun ist dies selbst im Tiereich nicht immer so, es gibt auch einmal zwei ‚Silberrücken‘, die sich die Herrschaft über die Gruppe teilen. Freud benutzte

jedoch diese These, um zu erklären, wie es zur Gründung von Religion und Sozialstaat gekommen ist. Die Jüngeren hätten später Schuldgefühle entwickelt und so den gemordeten Vater zu einem Gott erhöht. So hätten die frühen Juden auch Moses ermordet und erst in der Folge und aus Reue sei die jüdische Religion entstanden.

Perelberg zeigt jedoch, wie schon bei Abraham dieser Wechsel von der Gewaltstruktur (Komplex des gemordeten Vaters)  beim Generationenwechsel in die einer gruppen- bzw. staatstragenden Struktur (Komplex des toten Vaters) umgeschlagen ist. So will Abraham anfänglich noch seinen Sohn Isaak töten, der Mordkomplex zwischen den Generationen ist noch lebendig. Doch dann besinnt sich Abraham, hat er doch selber gegen den Vater rebelliert und gewütet, und macht aus der Begnadigung eine Religion, die gruppen- und staatstragend sein kann. Auch im Ödipusmythos ist dies sichtbar. Auch hier schafft der Vater seinen Sohn fort, dieser jedoch tötet wieder unbewusst den Vater und heiratet dessen Frau, seine eigene Mutter. Vatermord und Mutter-Sohn-Inzest gehen so Hand in Hand.

Doch erst die Verinnerlichung des Vaters als toten, als nicht gewalttätig gestorbenen und selbst mordenden, ermöglicht eine höhere Form der Sozialität. Nun ist diese zwar nicht die allerletzte Weisheit. In herkömmlichen Psychoanalysen kann man zwar diese Unterscheidung nutzen, wie Perelberg an Fallschilderungen zeigt, aber selbst wenn die Menschheit den toten Vater als den Garanten für eine gewisse Regulierung durch Gesetz und Vereinbarung anerkannt hat, ist im Inneren jedes Einzelnen noch ein Rest des alten mörderischen Komplexes enthalten, was wir ja auch tagtäglich sehen. Kriege und Gewalt regieren noch überall. Die herkömmliche Psychoanalyse kann dieses Problem nicht auch noch lösen. Doch mit dem Verfahren der Analytischen Psychokatharsis kann dies gelingen. Denn in ihr setzt man sich von vornherein und bewusst dem mörderischen Komplex aus, indem man sich wie zur Meditation hinsetzt und wartet, was innerlich auf einen zukommt.

Hilfe ist dabei nicht der tote Vater, sondern das Wort des toten Vaters. Man muss für die Meditation eine Formulierung benutzen können, die einen in der meditativen Stille und Dunkelheit völlig stabilisiert, und so wird in allen Meditationen ein Wort, ein Satz oder eine Formulierung genutzt, die entweder aus dem Buddhismus, dem Christentum oder einem anderen Zugang aus der mythischen, wenn auch eben schon toten,  Vaterwelt kommt. Für das Mörderische genügt dies aber nicht. Hier muss ein wissenschaftlicher Zugang gegeben sein, indem das Wort des Vaters auch gleichzeitig der Vater des Wortes ist, egal ob tot oder lebendig. Solch eine Enge, Kreuzung, konkretistische Fusion von Wort und Vater existiert nur in dem Verfahren der Analytischen Psychokatharsis. Freilich gibt es in der Linguistik und Philosophie theoretische Abhandlungen zu dieser Thematik, aber eine Praxis findet sich dort nirgendwo.

Diese Praxis – Perelberg diskutiert es nicht exakt in diese Richtung und mehr ausschließlich theoretisch  – kann genau das leisten, was die Autorin die ‚Thirdness‘ nennt, die Drittheit. Sie stellt diese konkretistische Fusion der zwei Väterwelten dar, den oben bezeichneten Vater des Wortes, den wahrhaft symbolischen Vater, der eben in der genannten Praxis in Form von direkt aus dem Unbewussten zu hörenden Gedanken, die ich Pass-Worte nenne, verwirklicht wird. Die Pass-Worte sind Identitätsworte, die zu dem jeweils Einzelnen gehören und nicht mythische, für alle gleichermaßen geltende, Vaterworte sind. Man könnte sie fast Offenbarungsworte nennen, wäre dieser Begriff nicht zu sehr von der Religionsgeschichte her geprägt. Auf jeden Fall wird man mit Hilfe des eigenen Unbewussten so selbst zum Vater des Wortes und muss nur noch sehen, dass die Pass-Worte auch mit den Worten des Vaters, tot und lebendig, also dem sozialen, dem staatlichen, kulturellen, Vater irgendwie in Einklang zu bringen sind.

Diesen Vorgang könnte ich so formulieren: der Psychoanalytiker N. Symington sieht zu recht in der Naturreligion die Kreativität im Menschen selbst aktiv und liebend wirken durch das, was er die Dasheit (Thathood) nennt. Diese Frühmenschen praktizierten mehr oder weniger ständig ein gemeinsames ‚Das‘, was man psychoanalytisch ein oberflächliches, aber positives Selbstobjekt nennen würde. Es wird nur eine gewisse Trieb-Objekt-Reifung erreicht, die so etwas wie einen gewissen psychischen Halt, eine innerseelische Festigkeit, also auch eine Art von Selbstsublimation darstellt, auch wenn diese nicht das letzte Ziel ist. Die Frühmenschen lebten in kleinen Gruppen, sie hatten nur dieses intensive, beglückende ‚Das‘ nötig, und das konnte in so kleinen Gruppen ausreichend die Vaterkompetenz ersetzen.  Alles andere musste ihnen wie eine Parallelwelt vorgekommen sein, die sie als eine Geisterwelt verstanden. Auch für uns genügt diese ‚Thathood‘ (Dasheit) nur dafür, mit dem sich die Menschen innerhalb eines Kollektivs alltäglich in einer oberflächlich positiv getönten Weise begegnen, ohne sich jetzt tiefer und umfangreicher aufeinander zu beziehen. Für mehr aber, nämlich für die moderne und ungeheuer komplex ausgerichtete globale Staatenwelt genügt dies nicht. Dafür ist es vielmehr nötig, dass sich die Dasheit nun auch mit der nötigen Drittheit verbindet, und so braucht es solch ein Verfahren, wie es die Analytische Psychokatharsis mit ihren Pass-Worten darstellt. Wir können es uns nicht mehr leisten auch nur im Geringsten in die mörderische Vaterwelt zurück zu fallen.



[1] Perelberg, R., Murdered Father, Dead Father, Routledge (2015)