Geordnete Signifikanten

Der Philosoph Ludwig Wittgenstein begann seine Schrift ‚Tractatus logico-philosophicus‘ mit dem Satz: „Die Welt ist alles, was der Fall ist.“ Bekanntlich ist der erste Satz einer phi-losophischen Abhandlung immer etwas sehr Eminentes, möglicherweise lange Durchdach-tes, Elaboriertes, denn mit ihm hat man schon etwas festgelegt, von ihm aus gehen die wei-teren Gedanken in eine bereits vororientierte Richtung. Wittgenstein hätte vielleicht noch präziser sagen können: „Die Welt ist der Fall“, weil dann neben dem Tatsächlichen der Welt auch der Fall, also der Sturz, das Herunterfallen von ihr mit herauszuhören ist, das ja tat-sächlich – z. B. als Gesetz der Entropie (zweiter Hauptsatz der Thermodynamik) – für die Welt der Fall ist. Er hätte eventuell noch knapper sagen können, „die Welt ist“, und deswe-gen sitzen wir in ihrer Falle. Ich würde das weiße Blatt Papier, das vor einem liegt und einen quält den ersten Satz zu finden, Lacan folgend beschreiben: „Die Welt (das Universum) ist die Summe aller Signifikanten.“ Damit sind gleich drei Dinge in einem Satz formuliert.

Das Blöde ist nur, wie erkläre ich, was Signifikanten sind, sind sie doch gerade selbst die Bezeichner, die Bedeutungseinheiten, die ‚Signifikantisierer‘ in jedem Satz, ja in allem, was in der Welt der Fall ist. Innerhalb ihrer Summe sind sie auch aller Rechenarten fähig, wäh-rend die Signifikate, die schlichten Vokabeln wie ‚Tisch‘ z. B. für diese Platte mit vier Bei-nen, nur äußerlich sind, nur Etikett. Wenn man sich also mit Menschen sprachlich ‚aus-tauscht‘, hängt es immer davon ab, auf welcher Ebene dieser Austausch stattfindet, mehr im Bereich der Kombination von Signifikanten, oder nur der Etikette. Handelt es sich um einen Austausch unter Bekannten, gar Freunden oder in der Familie, ist dies etwas anderes, als wenn man sich mit einem Anderen unterhält, dem eine gewisse Bedeutung zugeschrieben wird. Im ersten Fall ist es ein Austausch unter seinesgleichen, bezüglich dessen Lacan be-hauptet: „Wer das Brot der Wahrheit unter seinesgleichen bricht, teilt die Lüge aus,“ denn man verweilt bei derartigen Gesprächen in einer oberflächlichen Vertrautheit, die zu viel Wahrheit vermeidet. Mehrheitlich ein Fall der Etikette.


Der groß zu schreibende bedeutende Andere bringt dagegen etwas ins Spiel, in dem man – je nachdem um welche Art der Bedeutung es sich handelt – an der Wahrheit nicht ganz vorbei-kommt. Denn sie ist jetzt mehrheitlich eine der Signifikanten. Ist der Andere ein Psychoana-lytiker und ist man bei ihm in Psychoanalyse, kann einem die eigene Andersheit, der/das eigene Andere bewusst werden, was einen zweifellos der Wahrheit näher bringt. Obwohl ich diesen Beruf selbst ausübe, halte ich trotzdem den Grad der Wahrheitsfindung für begrenzt. Ich habe dies an vielen Stellen erörtert, es hängt mit der unzureichenden ‚freien Assoziation‘ zusammen, der sich der in Analyse Befindliche hingeben muss und auch mit der von Freud so genannten ‚gleichschwebenden Aufmerksamkeit‘, der sich wiederum der Therapeut wid-men muss. Auch zahlreiche theoretische Schwierigkeiten tragen dazu bei, dass in der klassi-schen Psychoanalyse die Summe der Signifikanten oft sehr niedrig bleibt.

Ich habe deswegen die Psychoanalyse mit Meditation in einen Zusammenhang gebracht, indem ich all das, was der Fall ist, durch die – wie Lacan es ausdrückt – „défilés du signifi-ant“, die signifikanten oder logischen Engführungen, Durchtunnelungen, sozusagen wie durch einen Fleischwolf hindurchgedreht habe. Damit wird aus der Summe der Signifikanten ein komplexer Knoten, also ein Ergebnis, das der Galois-Gruppe oder der Cardanischen Formel in der Mathematik ähnelt. Ich habe diesen Hinweis bereits in meinem Artikel ‚Perfektoide Räume und Psychoanalyse‘ erwähnt und wiederhole nur ein, zwei Aspekte. Diese Knotengebilde bringen nämlich eine alle Zahlen kompaktifi-zierende und in ‚endliche Ordnung‘ zwingende Methodik zustande. Die Unendlichkeit der Zahlen 1, 2, 3, 4 usw. stellt nämlich ein Hindernis für mathematische Vorgehensweisen dar, und so verhält es sich auch mit den „défilés du signifiant“ für die mehr sprachliche, linguist-siche Seite der Signifikanten, die in alles, was der Fall ist, eine symbolische, konkrete Ord-nung bringen. Dieses Fleischwolfergebnis aus Psychoanalyse und Meditation habe ich, er-neut Lacan folgend, einen „linguistischen Kristall“ genannt, denn es kreuzt und überlappt in sich selbst Bild- und Worthaftes in einer Weise, dass damit eine Selbstanalyse möglich wird.
Eine genauere Beschreibung der Selbstanalyse habe ich an vielen Stellen dieser Webseite gegeben. Sie ist auch in der Broschüre ‚Die körperlich kranke Seele I‘ detailliert geschildert. Als Ergänzung zu diesem Artikel kann auch der Beitrag zum Thema ‚Perfektoide Räume und Psychoanalyse‘ gesehen werden, wo Weiterführendes zum „linguistischen Kristall“ und zur Selbstanalyse geschildert wird. Denn diese vermittelt eine andere Identität als die im ‚Austausch‘ mit all den Personen sei-nesgleichen, die sich so gut verstehen, aber nicht wirklich ins tiefe Begreifen miteinander geraten. Es geht um eine Identität, die nicht nur aus dem Spiegelbild von sich und den ande-ren besteht, sondern auch aus der Durchdringung des logischen Sprachknoten, bei dem kein Buchstabe mehr in der üblichen und bekannten Weise des Miteinander-Redens kombiniert ist. Doch die Buchstabenkombinationen sind nicht unendlich und so wird das Ergebnis der Eigenname sein, den man immer schon in sich getragen hat.