Trans-Gender und Identität

In der Süddeutschen Zeitung vom 10. 11.2018 findet sich ein Bericht über einen Abgeordneten der Grünen im bayerischen Landtag, der sich offen und positiv über seine psycho-(sexuelle) Identität äußert. Er bezeichnet sich  als Tans-Gender. Er fühlt sich nämlich nicht nur als Mann, sondern auch als Frau und trägt somit auch des Öfteren Perücke und Frauenkleidung. Lange hielt er diese seine Neigung geheim, aber schließlich offenbarte er sich seiner Ehefrau, die über seine Doppelidentität zuerst verstört war, es im Laufe der Zeit jedoch akzeptierte. Nun versteht er sich als Trans-Gender nicht als Transsexueller, will auch keine Hormone nehmen oder sich gar operieren lassen. Nach wie vor tritt er ja hauptsächlich als Mann auf, so auch im Landtag. Nach einem ersten Studium des ausführlichen Artikels in der Zeitung mit Fotos des Genannten, ging ich davon aus, dass er eigentlich ein Transvestit ist und kein Trans-Gender im erweiterten Sinne. Doch würde man ihm damit vielleicht unrecht tun, denn über tiefere, psychische, sexuelle und soziale Vorstellungen wurde vom ihm nichts berichtet.

Vielleicht leidet er stark unter der Spannung, mal diese oder jene Identität zu haben und kämpft sich durch alle möglichen Problemkreise. Wenn er gerade als Frau unterwegs ist und nach der Fahrkarte gefragt wird, auf der er als Mann abgebildet ist – so steht es auch in dem Zeitungsartikel- kann es ganz schön schwierig für ihn werden.
Aber was ist nun ein Trans-Gender? Meistens wird von biologischen und sozialen Geschlecht gesprochen, das die verschiedensten Formen von Zwei- oder Transgeschlechtlichkeit beschreiben soll. Vielleicht könnte man bei der geschilderten Person von Cross-Dressing sprechen, eine Trans-Genderform, sie sich vorwiegend im Sozial-Psychologischen abspielt. Von psychoanalytischer Seite her wird man auf eine Entstehung dieser Orientierung aus dem frühkindlichen Bereich her verweisen, wo die sogenannte ‚phallische Mutter‘ eine große Rolle spielt. Für wohl jedes Kind die Mutter zuerst einmal eine mächtiges, potentes, powervolles Wesen, um das herum sich geschlechtliche Identitäten entwickeln, die zu Teilen auch noch lebenslang im Unbewussten verborgen bleiben können, selbst wenn jemand sich wie der erwähnte Abgeordnete geoutet hat. Dies zeigt ganz anschaulich ein anderes Beispiel ebenfalls aus der Süddeutschen Zeitung, diesmal vom 4. 11. 2018.
Die ungarisch jüdische Autorin Susan Faludi „bekommt eine E-Mail von ihrem Vater. Die beiden hatten seit 25 Jahren wenig Kontakt, während der Scheidung der Eltern in den Siebzigerjahren war es zu gewalttätigen Szenen gekommen. "Liebe Susan", schreibt der Vater, "ich habe interessante Neuigkeiten für dich. Ich bin zu dem Schluss gelangt, dass ich lange genug den aggressiven Macho gespielt habe, der ich innerlich nie war." Anbei Fotos des Vaters in Rock und Rüschenbluse. Sie zeigen ihn, nein: sie nach einer geschlechtsangleichenden Operation in Thailand. Die Unterschrift lautet: ‚Love, your parent Stefánie‘.“
„Kurze Zeit später reist Faludi nach Budapest. Ihr Vater stammt von dort und lebt wieder da, seit die Familie in den USA auseinandergebrochen ist. "Konnte eine neue Identität die vorangegangene nicht nur ablösen, sondern gleich vollständig auslöschen?", fragt sich Susan Faludi. Sie findet eine alte Dame vor, an der ihr zumindest eine entnervende Angewohnheit vertraut ist: Sie redet ohne Unterlass und wischt unerwünschte Einwände lapidar beiseite.“
Die Autorin stellt wohl zurecht fest, dass der Wechsel des Geschlechts nichts an der eigentlichen Identität ändert. Der Vater Faludis war immer noch zumindest ein wenig der alte Macho geblieben, und so fragt sich natürlich, was Identität eigentlich ist. Faludi „bezieht sich auf den Psychoanalytiker Erik H. Erikson, der in den Sechzigerjahren über das ‚subjektive Gefühl einer bekräftigenden Gleichheit und Kontinuität‘ schrieb“ (Zitat weiterhin aus der SZ). Ich glaube jedoch, dass die Ableitung der Identität allein von der kausalen Richtung her, also von den Genen oder den psychologischen, sozialen etc. Gründen nicht genügt. Mit dem Psychoanalytiker J. Lacan bin ich der Auffassung, dass auch die finale Richtung wesentlich ist, also ein Moment frühester Sublimierung, die als solche ein Ziel, eine Zukunft, eine Geltung, Orientierung, Bestimmung im Auge hat, womit nicht das physiologische Auge gemeint ist, sondern ein Imagminär-Reales, das sein Symbolisch-Reales noch sucht, entwickelt, erstrebt, aber dem Kausalen gegenüber das Finale gleichberechtigt betont. So gesehen, müsste der Abgeordnete der Grünen seine Identität noch finden.