Quantenpsychologie

Quantenpsychologie, Unsinn oder Wahrheit?

Seit vielen Jahren geistert das Wort Quantenpsychologie, hauptsächlich erfunden von dem amerikanischen Wahrheitssucher S. Wolinsky, durch die Literatur, die Internetdiskussionen und sogar durch die psychoanalytischen Institute. Es handelt sich um den alten und bekannten Versuch, moderne Physik und die Naturwissenschaften mit Psychologie, Geist, Seele und Unbewussten in Einklang oder zumindest in klare, verständliche und messbare Zusammenhänge zu bringen.

Einer der ersten, der sich auf diesem Sektor versucht hat, war F. Capra mit seinen Buch „Das Tao der Physik", mit dem er in den Sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts Aufsehen erregte. Er stellte ganz klare Analogien zwischen dem Zenbuddhismus und der Quantenphysik her. Er fragte sich - verkürzt ausgedrückt -, ob die Quark-Symmetrie nicht ein neues Koan ist,[1] also aufgebaut ist wie ein zenbuddhistisches Rätselwort. Aber hier liegt schon das erste Problem: eine noch so faszinierende und klare Analogie ist noch lange kein wirklicher wissenschaftlicher Beweis. Hier liegen Welten dazwischen. Zudem ist der Aufbau eines Koans rein sprachlich, wenn auch oft irrational, während die Quarksymmetrie immer noch eher physikalisch-mathematiosch aufgebaut ist. Und auf ähnlichen Gedankengängen beruht auch S. Wolinskis Quantenpsychologie.

Auch Wolinsky ging von den Quantenobjekten aus, die in sogenannten Verschränkungsexperimenten ein interessantes und aufregendes Ergebnis zeigen. Entlässt man ein Photon (ein Lichtquant) einer entsprechenden Quelle und lässt es in zwei unterschiedliche Richtungen strahlen, kann das eine - obwohl es mit dem anderen überhaupt keine Berührung oder Kommunikation jedweder Art mehr hat, das andere doch gleichsinnig (z. B. Polarisationsänderung) beeinflussen. Es gibt also sozusagen ein Ganzheitsphänomen, dass die beiden außerhalb unseres physikalischen Systems und Vorstellungsvermögens zusammenhält.

quantenAbbildung 1: Schematische Darstellung der Erzeugung klassisch korrelierter sowie "polarisations-verschränkter" Paare von Lichtquanten (Photonen) aus der strahlenden Rekombination eines einzelnen Quantenpunktes. Während im klassischen Fall (A) und (B) eine klare Unterscheidung der emittierten Lichtquanten anhand ihrer Polarisation und Energie möglich ist, befinden sich polarisations-verschränkte Photonen in (C) + (D) in einem quantenmechanischen "Superpositions-Zustand", der sich durch starke Korrelation der beiden beteiligten Photonen des Biexzitons X X und des Exzitons X auszeichnet. Aufschluss über den Grad der Verschränkung liefert hier die sog. Zwei-Photonen-Dichtematrix.

Obwohl dieses Phänomen bei anerkannten Physikern umstritten ist, ist es gar nicht so seltsam. A. Einstein sprach zwar von „spukhaften Fernwirkungen", weil er die Quantenmechanik von N. Bohr ablehnte. Heute ist aber sowohl die Relativitätstheorie (mehr die Physik des ganz Großen, Astrophysik) wie auch die Quantenphysik (Physik des ganz Kleinen, Elementarteilchenphysik) als nebeneinander stehend voll anerkannt. Man weiß nur noch nicht, wie man die beiden zusammendenken soll. Versuche sind in der sogenannten Quantengravitation, String - Theorie und anderen gemacht worden. Auch hier steht ein klares endgültiges Ergebnis noch aus. Dennoch kann man das Verschränkungsexperiment erklären. Man könnte z. B. zurückgreifen auf die Vorstellung und physikalisch-mathematische Vermutung des Higgs-Feldes, eines virtuellen Feldes, in dem alle Teilchen miteinander interagieren. Die Sache ist so oder so irgendwie mehr in physikalisch-mathematischer Theo­riebil­dung zu regeln und weiter nicht so aufregend, denn sie hinterlässt keine riesigen Konsequenzen.

Etwas anderes ist es jedoch, wenn man diese physikalischen Phänomene auf Wesenheiten wie Geist und Psyche, Mensch und Gehirn, Bewusstes und Unbewusstes überträgt. Hier kommt man nicht um vorwiegend symbolische, also nicht so sehr bildhafte sondern worthafte Ausdrucksmöglichkeiten herum. Vereinfacht gesagt geht Wolinsky von einer „Wahrnehmungsidentität" aus, die wir als Kinder unbewusst aufgenommen hätten und die mehr oder weniger falsch ist. Wir fixieren uns aber daran und leben dann weiter mit einem in uns verankerten grundlegend falschen Selbst. Wir müssen also lernen, dass wir nicht das sind, was wir erfahren zu sein. Und nun ist es ganz einfach sich vorzustellen, dass man nur mit einer anderen „Wahrnehmungsidentität" zusammentreffen muss - am besten eben einer, die wie Wolinsky „gereifter" ist, um wie die Photonenquanten in der Verschränkung total und kongruent zu interagieren. Wolinsky kann dann vollständig in mich „eintreten" und wir können uns darüber austauschen, worin mein falsches Selbst besteht.

Tatsächlich ist dies auch in der klassischen Psychoanalyse in ähnlicher Form schon lange bekannt. Bereits H. Rosenfeld beschrieb in den Vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts das Phänomen, wie der seelische Raum des Unbewussten des Patienten und des Analytikers sich verschränken und großartige Deutungsmöglichkeiten zulassen, aber auch Probleme erzeugen können (Rosenfeld, H., Sackgassen und Deutungen, Verlag Internationale Psychoanalyse (1990) und Rosenfeld, H., Zur Psychoanalyse psychotischer Zustände, S. 140 und 195). Von dem englischen Psychoanalytiker W. Bion ist dieser Zusammenhang noch weiter ausgearbeitet worden und wird heute immer wieder in psychoanalytischen Fallgeschichten oder Theoriediskussionen erwähnt. Auch daran ist eigentlich nichts mehr Aufregendes. Aufregend ist eher die Tatsache, dass man wieder glaubt, eine klare, faszinierende Analogie sei ein echter wissenschaftlicher Beweis. Auf jeden Fall wird sowohl im physikalischen wie auch psychologischen Feld der Fehler gemacht, auf den J. Lacan mit dem folgenden Satz hingewiesen hat:

 

Wenn die Einheit, die in der Physik wirkt, an zwei Punkten zugleich sein kann, dann bekommt sie eine subjektbezogene, irrationale, höchstens noch mathematisch oder psychoanalytisch erfassbare gekrümmte Form.

 

Erstens ist das Quant keine klare physikalische Einheit, aber selbst wenn wir dies annehmen, sind die „verschränkten" Photonen nicht an zwei Punkten zugleich, sondern befinden sich in irgendwelchen gleichen Zuständen. Selbst das von mir jetzt zugrunde gelegte Higgs-Feld ist kein Punkt-zu-Punkt-Feld, obwohl man sich damit abfinden könnte. Aber welche Einheit wirkt dann in der Psychologie dermaßen analog der „Verschränkung" und der Punkt-zu-Punkt-Wirkung, wirkt so identisch, dass es nicht mehr abbildbar, sondern nur noch mit viel Worten und Abhandlungen erklärt werden kann? Die Identität selbst? Was soll das sein? Das eigene Ich? Ein Größen-Ich oder gar ein absolutes Ich? Oder das Ich so wie Freud es vermutet hat, das in sich gespaltene Ich? Oder das Ich, das eigentlich nicht Ich ist sondern Identität, wie ich es gleich in Wolinskys Worten weiter definieren werde? Was überhaupt ist Identität?

Ist es etwas Wirkliches oder etwas Spiegelbildliches? So wie die Verschränkungsexperimente z. Zt. durchgeführt werden, haben sie anscheinend beides an sich. Und tatsächlich finden wir so etwas auch bei den „Spiegelneuronen" der Neurowissenschaftler und im Begriff des "Spiegelstadiums" von Lacan. Die Neuronen sich sicher im Gehirn ein Stück Realität und das „Spiegelstadium" Lacans erzeugt durch eine Illusorische Reflexion ein besonders fassbares Ich-Gefühl beim Kind im Alter von etwa eineinhalb Jahren. Doch wie wird aus diesen realitätsbezogenen Spiegelungen dann mehr als nur ein kindliches Ich, mehr als nur ein Nicht-Ich-Ich wie Wolinsky sagt (ein eigentliches Ich sozusagen, das seine Scheinichheit erkannt hat und im „namenlosen Ansoluten" aufgeht? Denn für den Quantenpsychologen gilt: „Am Anfang war das absolute Nichts. Dann verdichtete sich innerhalb dieses Nichtseins das Ich bin. Und eines Tages wird das Ich bin verschwinden, sich einfach auflösen in dieses Nichts hinein. Dann wird wieder das absolute Nichts herrschen" (Wolinsky, Die Essenz der Quantenpsychologie, VAK).

Also, wer damit leben kann, sollte es tun. Mehr oder weniger heißt dies, dass ich die Nichtigkeit des Ich in einer generellen Nichtigkeit auflösen muss, weil ich dann wenigstens Teil dieser Nichtigkeit als solcher bin, d. h. ein Fast-Nichts von wenigstens einem bisschen Etwas, dem Absoluten. Es gibt eine Identität von Außen und Innen, es hat eine Identifizierung (so nennt man es tatsächlich in der Psychoanalyse) stattgefunden. Nun treten sich zwei Menschen, die sich auf diese Weise irgendwie identifiziert haben, gegenüber. Blitzartig gibt es ein Auflösen in der „einen Substanz" (etwas Körper- und Dinghaften), die die Welt und alles ausmacht, würde nicht jeder einzelne mit seinem falschen Selbst dies verhindern. Deshalb lernen die Buddhisten und Meditationslehrer dieses Zurückkehren in die reine Leere, von der S. Wolinsky sagt, dass sie eben namenlos ist.

 

S(PR)ACHE

Aber ist das nicht der alte Schwindel, von dem einem schwindlig wird, weil er eigentlich nichts sagt. Ich schlage einen anderen Weg vor. Gewiss mache ich den gleichen Fehler, indem ich wie Wolinsky von allem und nichts rede, ohne zu hinterfragen, was Reden eigentlich ist. Das „Wort ist der Mord der Sache", sagte Hegel, indem wir reden und reden, verlieren wir die Dinge und das eigentliche Sein. Wir sind uns dann so entfremdet, dass wir erst wieder mystische Zustände aufsuchen müssen, in denen wir fühlen dass wir sind (körperhaft, dinghaft), obwohl wir doch als wir anfingen zu reden, schon ding- und körperhaft waren. Das Ganze kann man nicht durch Worte wie „Identität", „Ich bin" oder „Nicht-Ich-Ich" körperbezogen und dinglich machen. Um wirklich zu „dinglichen", müsste es gleichzeitig wörtlich, „sprechlich" sein. Das ist das, was auch Wolinsky im Grunde genommen will: er will mit Worten „dinglichen", er will „körpersprechlich" daherkommen, wortdinglich, dingwörtlich, spruchlich, peng . . .

Aber so einfach geht es halt nicht. Wolinsky ist ein Wahrheitsschwätzer, er sagt das Richtige, weiss aber nichts. Er sagt es gut, es ist aber nicht richtig. Nicht um Quantenpsychologie sollte es gehen, sondern um Psychoanalyse, weil diese wissenschaftlich fest und gesichert ist, nur muss man sie eben „anders-herum" praktizieren, als man es bisher getan hat. Statt dem Jonglieren mit den falschen und doch wieder nicht richtigen Ich-Ichs, empfehle ich eines mit wissenschaftlich begründeten „Dingsprechlichem", die in ich früheren Veröffentlichungen Formel-Worte genannt habe. Diese „sprechdinglichen" sich wirklich so daher und dahin, dass man dem „namenlosen Absoluten" zwar nicht jetzt doch noch einen Namen unterschiebt, aber eben etwas, das zwischen Wort und Sache so angesiedelt ist, dass es beides schon vorher in sich vereint, bevor es zum Zusammentreffen der „Identitäten" kommt!

Nur so etwas kann der wahre Schlüssel sein. Keine langen Bücher, die wieder nur die „Leerheit des ungeteilten Bewusstsein" daheralbern. Denn die Formel-Worte kann man üben ohne im namenlosen Nichts verschwindend aufblühen zu müssen. Ein Formel-Wort ist nach psychoanalytischen, psycholinguistischen Kriterien so aufgebaut, dass es eigentlich auch nichts sagt, obwohl übermäßig gesagte Bedeutungen in ihm stecken. Lacan nannte dies einen „linguistischen Kristall", ein Sprech-Ding. Für weitere Informationen siehe unter 'Formel-Wort' oder Analytische Psychokatharsis.

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Bezugsquellen:

Die Essenz der Quantenpsychologie: Durchschauen, wer wir nicht sind

Das Tao der Meditation

Analytische Psychokatharsis: Eine Verbindung von Meditation und Wissenschaft