Mann / Frau, männlich / weiblich, blau / rot

Mann-Frau, männlich- weiblich, blau-rot, Sand und Morgenstern

Es gibt kaum ein Begriffspaar, das zwar irgendwie zusammengehört, letztlich aber nie auf einen Nenner gebracht werden kann. Üblicherweise erscheint uns dies nicht tragisch zu sein, obwohl gerade das Beispiel Mann-Frau, männlich-weiblich doch recht oft problematisch ist. Gibt es auf dieser Ebene wirklich keine Überbrückung? Natürlich gibt es die, aber sie erscheinen uns oft künstlich oder unmenschlich oder auch nur unbrauchbar.

So war die Ehe seit Jahrtausenden also so ein Begriff, in dem es als möglich oder gar gesichert galt, die Kluft zwischen Mann / Frau, männlich / weiblich durch einen religiösen Mythos oder eine staatlich sanktionierte Einrichtung schließen zu können. Lebenspartnerschaften sagt man heutzutage oft oder „feste Beziehung“, wenn man in ähnlicher Weise diese Kluft überwinden will. Oder man sieht die Kluft gar nicht, so wie man sie ja bei blau und rot auch nicht sehen würde. Dass es sich hierbei um zwei verschiedene Farben handelt, ist klar, und jeder weiß auch, dass man diese wunderbar mischen kann und dann ein violetter Ton oder lila entsteht. Aber was für die Malerei gilt, gilt nicht gleichermaßen auch für die reale, absolute Kluft, die zwischen blau und rot besteht.

In der Oberstufe des autogenen Trainings musste man seine sogenannte „Eigenfarbe“ finden. Dazu versetzte man sich in eine Art Meditation, wie sie aus der Unterstufe dieses Verfahrens bekannt ist und wartete dann darauf, ob sich vor dem inneren Auge nicht irgendeine Farbe zeigen würde. Blieb diese dann auch einige Zeit weiter so bestehen, galt diese Farbe als „Eigenfarbe“, als eine psychologische Eigen- und Besonderheit eben. Viel anfangen konnte man dann damit nicht, denn Zuweisungen zu den Farben in der Art wie grün = Hoffnung, blau = Vertrauen, rot = Eros etc. waren selbstverständlich zu unwissenschaftlich. Deswegen empfehle ich ein anderes Vorgehen. Darin geht es nicht mehr um das Wesen einer sogenannten „Eigenfarbe“, sondern um die Erfahrung, der tiefen Kluft, die zwischen zwei Farben bestehen kann. Diese Erfahrung kann dann auf viele Bereiche des Lebens übertragen werden und zeigt auch eine Möglichkeit auf, die Kluft zu überbrücken.

Auch hier versetzt man sich in irgendeine Farbe, sagen wir einmal ins Gelb. Wenn man diese Farbe innerlich wahrnimmt und man sich in sie vertieft, bekommt sie einen immer stärker werdenden Glanz oder auch einfach nur eine zunehmende Intensität, ja Innigkeit. Schließlich fühlt man sich von der Farbe geradezu angezogen als beinhaltete sie eine erotische Komponente. Dieses Verhalten ist ein in der Psychoanalyse bekannter Vorgang. Man spricht hier vom Wahrnehmungs- oder Schautrieb und der diese Strebung begleitenden Schaulust. Farbe kann Lust machen, das erfährt man nicht nur beim Anblick eines türkisblauen Wassers oder eines Feldes voll blühenden Mohns. Trotzdem ist die Erfahrung in einer Meditation noch stärker, weil nicht durch eine Form abgelenkt. Der Wahrnehmungsvorgang ist so komplex, dass wir meist nicht bemerken, was des Sehen oder besser das Blicken von der reinen Schau, dem puren Schaubegehren und seiner Lust unterscheidet.

Doch wird uns in diesem Moment klar, dass bei der Schau, bei der Vision, beim Aufgehen im Gelb unmöglich ein blau dazu gemischt werden könnte, um etwa ein grün zu ergeben. Wir sind vom Gelb so gefangen, dass ein Übergang in ein ebenso intensives, inniges Blau und Grün nicht möglich ist. Die Kluft wird uns bewusst, so wie sie uns zwischen männlich und weiblich, Mann und Frau oft bewusst wird, wenn wir zu sehr nur mit einer Seite identifiziert sind und die herkömmlichen Brücken nicht mehr helfen. Auch der Sex ist dann keine ausreichende Brücke, obwohl doch das Wort „vermischen“, das ich oben für zwei Farben gewählt habe, so gut dazu passen würde. Natürlich kann man sich dabei wenigstens so weit „vermischen“, dass es fast wie in der Malerei eine Kunst genannt werden kann. Schon seit ewigen Zeiten hat man von der „ars amandi“ gesprochen, von der Liebeskunst oder gar der Liebeschule. Tantrische Yogis haben Sexualtechniken erfunden, die hier sehr weit führen sollen und sogar J. Lacan hat behauptet, eine gute Sexualtechnik sei eine primitive Wissenschaft.

Aber eben: sie ist nur primitiv, nicht ein bisschen elaboriert und ausgeformt, so dass man davon wirklich etwas Echtes und Wahres sagen könnte. Die Kluft bleibt bestehen, unterschwellig oder generell, und so erhebt sich umso mehr die Frage, wie man diese Kluft wirklich überwinden kann. Die Farbe betreffend könnte man sich noch vorstellen, dass ein Maler sie in einem Bild verwendet, in dem er durch die Formen und auch Schattierungen innerhalb der Farbe dieselbe so unterbringt, verarbeitet und gestaltet, dass der oben gerade erwähnte erotische Aspekt, der Farborgasmus, nicht so zum Ausdruck kommt, sondern sich im Bild verteilt. Der Ausdruck wird dann vielmehr von gesamten Bild erzeugt. Hier können dann Ultramarinblau und Zinnoberrot, Zitronengelb und Chromoxidgrün ihr Spiel treiben, ohne dass die Kluft zwischen den einzelnen bewusst wird. Ähnlich ist er natürlich auch für das Beispiel Mann / Frau. Im Alltag, in der Begegnung mit Freunden, in der Familie, zu Hause und im üblichen Routinesex muss die Kluft nicht immer erscheinen. Aber jeder weiß, dass es genug Möglichkeiten gibt, dass sie sich auftut. Und dann zeigt sie, dass sie abgrundtief ist, unüberbrückbar in ihrem letzten Wesen, im Narzissmus jedes einzelnen, in der Geltungssucht, in der aggressiv männlich betonten Form der Sexualität oder dem täuschenden Spiel des Weiblichen, ach, Unsinn: sind dies ja alles schon wieder Zuschreibungen, die die Kluft nur übertünchen sollen.

Bleibt noch der Sand und der Morgenstern. Klar, dass sie ein romantisches Bild ergeben könnten, aber auch überhaupt nichts miteinander zu tun haben. Um die Kluft wirklich zu schließen, könnte man es vielleicht mit einer Tautologie versuchen: A ist A zum Beispiel, oder Krieg ist Krieg. Ja, genau hier spürt man, dass die Tautologie ein Ausweg sein könnte, denn in der Formel Krieg ist Krieg ist trotz des gleichen Wortes ganz deutlich etwas Unterschiedliches heraus zu hören. Krieg, der ganz normale, übliche seit Jahrtausenden bekannte Krieg ist etwas, das mit den zweiten Wort Krieg eine viel dramatischere, brutalere, heftigere Aussage bekommt. Krieg ist Krieg heißt, dass durch diese Verdopplung der Schrecken und das Unabwendbare des Entsetzlichen zu hören ist. Es heißt, dass hier nicht mit Gewehren gespielt, sondern geschossen wird, und dass das eben wirklich Krieg ist. Gegensätzliches wird so mit einem einheitlichen Begriff oder Wort perfekt überbrückt.

So etwas gibt es für Mann und Frau, männlich und weiblich nicht. Der Androgyn ist keine Lösung, denn was sollte der oder das sein? Auch ein Hermaphrodit kann den Zusammenschluss nicht bewirken. Und dass es die gute alte Ehe auch nicht mehr schafft, habe ich bereits erwähnt. Offensichtlich geht es hier nicht nur um Gegensätze, sondern auch um Widersprüchliches. Der gute und der schlechte Krieg sind wohl nur Gegensätze und deswegen schafft die Tautologie eine Überbrückung. Widersprüchliches ist viel schwerer zu überwinden. Man könnte es aber vielleicht durch Homologien oder Homographien erreichen, wenn diese durch ein kathartisches Erleben verstärkt werden.

Um dies zu demonstrieren verwende ich stets lateinische Kurzsätze, die im Kreis geschrieben von jedem (oder fast jedem) Buchstaben aus gelesen eine andere Bedeutung ergeben. Meditiert man solche „Formel-Worte“, kann man jede Kluft damit überwinden, da trotz, ja gerade wegen aller Widersprüchlichkeit der einzelnen Bedeutungen eine Aussage herauskommt, die weit, meist gänzlich irrational (weil unter Einschluss des Unbewussten) die einzelnen Bedeutungen hinter sich lässt. Und je mehr das Unbewusste einbezogen wird, desto mehr kommt auch das Erotische zum Tragen wie es im Traum ja auch der Fall ist. Hier beherrschen Strebungen, unbewusste Wünsche, aber auch Bedürfnisse das Feld, indem diese kathartisch als erfüllt dargestellt werden. In der Meditation können die Homographien dagegen nicht erfüllt werden, d. h. hintergründig schon, indem eine über diese Graphie hinausgehende Graphie sich einstellen muss, und das ist gar nicht zu sagen, wie diese beschaffen sein soll. Die Beschaffenheit hängt von der jeweiligen Meditationsmethode ab, lediglich das Kathartische muss dabei sein.

Denn der Widerspruch kann nur geknackt werden, wenn nicht zu viel Sprachliches den Vorgang beherrscht. Der sprachlich angelegte Verstand wird immer wieder Gründe finden, beide Seiten des Widerspruchs zu stärken. Dennoch ist es ebenso wichtig, schließlich geht es ja auch um Worte und Begriffe. Da ich eine sehr linguistisch betonten Methode gewählt habe, kommt es in der Katharsis oft zu Kurzsätzen, die ich Pass-Worte nenne, weil sie aus dem Unbewussten des Betreffenden nach Vorgabe exakt dieser unbestimmten Formel-Worte eine auf ihn und seine Identität zugeschnittene Bedeutung haben. Die Katharsis hilft den letzten Widerspruch zu überwinden, das Begriffliche, Sprachliche bleibt jedoch noch so erhalten, dass es verstanden werden kann. Sand und Morgenstern werden sich so neu ordnen und vereint sein. Siehe dazu andere Artikel auf dieser Webseite.