Autoerotismus, Parasex, Metasex und das ganz normale Leben

Freud war davon ausgegangen, dass es im frühesten Lebensabschnitt eine autoerotische Phase gibt. Er sprach auch von der unmittelbaren Organlust. Das Kleinstkind würde also noch etwas davon empfinden, was seine Organe auf dieser Ebene in einer Form eigen-innigen (propriozeptiven) lustvollen Erfahrung tun. Natürlich hat das Kind anfänglich noch kein Gedächtnis dafür, kann also die Lusterfahrungen nicht längere Zeit in sich halten und später erinnern. Im Gegenteil, erst die wiederholte Erfahrung des Stillens an der Brust der Mutter gibt ihm die Möglichkeit, an seinen Lippen eine sogenannte erogene Zone auszubilden, die in einer Art von Selbstständigkeit - Freud nennt es einen Partial- also Teiltrieb - das Gedächtnis für derartige Erfahrungen schafft. Im Zusammenhang mit anderen erogenen Zonen und ihren Partialtrieben entwickelt sich schließlich ein komplexes menschliches Wesen mit einem Ich, Ideal- oder Über-Ich-Bildungen und dem Es, indem diese Triebe noch relativ ungebunden verbleiben. In der Art, wie sich dann einige Partialtriebe unter dem Primat geschlechtlicher Strebungen - sozusagen sexualobjektiv - zusammenfinden, bildet sich so eine sexuelle Identität heraus. Bei den Tieren ist dies alles viel einfacher. Hier bildet sich ein instinktiv fixiert geleiteter Fortpflanzungstrieb aus, der nur selten einmal in der Objektwahl etwas daneben hinausgeht.

Trotzdem war Freuds Annahme eines primären Autoerotismus nicht falsch. Es ist nur schwer zu sagen, wie man mit ihm umgehen soll. Er wird wohl - wie gesagt - nur zu flüchtig und zu wenig objekthaft ausgebildet und so nicht zu einer festen psycho-physischen Erfahrung. Dennoch könnte man - einfach von diesen Annahmen ausgehend - etwas mit ihm anfangen. Man könnte diesen Autoerotismus z. B. einfach einen Flash nennen, einen Lust-Glücksmoment, der eben nicht als solcher gespeichert oder sonst irgendwie konsolidiert werden kann. Der Mensch sucht ihn aber wieder irgendwie einzuholen, so als wüsste er darum und hätte eine wirkliche Erinnerung daran. Es ist wie mit dem Mythos vom Paradies, der die Menschen immer wieder fasziniert, obwohl es dieses eben nicht gibt oder halt eben auch nur flüchtig, direkt flashartig gibt. Man könnte Freud also recht geben, wenn er einverstanden wäre, dass in seiner Sexualtheorie dieser autoerotische, autosexuelle, direkte Flash eine Existenz hat.

Allerdings gab es am Anfang des Lebens, bei bestimmten Bakterienarten, schon eine direkte Form des Sexuellen, das man Parasexualität nennt. Hier tauschen Zellen direkt Teile ihrer DNA aus, rekombinieren diese in ihrem Genom, teilen sich dann und haben so wieder neues Leben geschaffen. Eigentlich ist dies also gar kein Sex mehr, sondern fast so wie im Autoerotismus eine automatische Selbstregulation, ein Vereinigungsflash. Es gibt kein männlich und kein weiblich, aber irgendwo scheint eine kaum je sichtbare Lust sich im Verschmelzen oder als Lust der Organtätigkeit zu betätigen. Die in ihrem Intellekt weit über sich hinausgehenden Menschen haben allerdings eine andere Methode der Parasexualität erfunden. Sie haben das Para, das ja schon in der Parapsychologie eine gewisse Heimat gefunden hat, in die Esoterik sexueller Beziehungen übernommen. Wenn zwei Menschen im selben Moment daran denken, dass sie jetzt Sex haben, dann haben sie Parasex, sagen diese Esoteriker. Die Parasexpartner können so weit voneinander entfernt sein wie die sogenannten „Geistheiler", die ja auch behaupten, dass sie mit ganz woanders lebenden Patienten Kontakt aufnehmen können, um sie zu behandeln und zu heilen. Dennoch sind die Parasexpartner irgendwo und irgendwie vereint, heißt es.

Natürlich wissen wir, dass bei der "Geistheilung" der Glaube des Patienten hier absolut entscheidend ist. Aber noch entscheidender ist anscheinend der Glaube des Menschen an Sex überhaupt, wenn es um Parasex gehen soll. Das Wort Sex steht seit Freud für das Begehren schlechthin. Schließlich entdeckte Freud die sogenannte kindliche, „infantile Sexualität", die Lust von Fressen und Gefressen werden, die in so vielen Kindermärchen zu Recht eine große Rolle spielt. Aber auch die Lust die Mutter geben den Vater auszuspielen und umgekehrt, Begehren also in die gegengeschlechtliche Richtung und Aggressivität gegen die gleichgeschlechtliche Richtung hinsichtlich der Eltern zu entwickeln. Das Begehren sowie auch die Verbote durchziehen das ganze Leben. Was bleibt ist das bisschen Sex, das als kultiviert und normiert gelten kann. Eine richtige Lösung ist das nicht, wie jeder weiß. Diesbezüglich helfen auch nicht als devianter oder andersartig eingestufter Sexualitäten. Sie unterliegen alle einem zum großen Teil ja sogar selbstauferlegtem Gesetzen und nicht dem wirklich frei sexuellen Begehren, das ich - im Anklang an Metapsychologie und Metaphysik - als Metasex bezeichnen möchte.

Freilich ist der Metasex nicht so einfach zu erklären. Es braucht dazu etwas Mathematik aus der Lacan´schen Psychoanalyse. Üblicherweise richtet sich jede Sexualität - die ja wie gesagt einem Gesetz unterliegt - auf ein Objekt ihres Verlangens. Auch in der gehobendsten Form der Heterosexualität ist für den Mann die Frau ein Sexualobjekt. Eben darin liegt ja der gesetzesmäßige Anteil, dass zumindest für die Zeit eines sexuellen Stimulation die Frau ein erotisches Objekt wird. Diese Auffassung korreliert ganz eng mit der Freud´schen Auffassung der erogenen Zonen, die die Quelle der Triebe sind und die daher ein Objekt brauchen, um sich zu befriedigen oder abzurea-GIER-en, wenn man dies einmal so semiotisch ausdrücken darf. Dabei muss man bedenken, dass diese Verkettung von Trieb und Gesetz unbewusst ist. Deswegen ist sie ja auch so drängend, triftig, zielstrebig, sexuell. Nun gibt es im Unbewussten außer diesem Kreislauf des Triebs, der Quelle, des Objekts und des Ziels noch das über diese reinen zeichen-, bild- und strukturbezogenen Vorstellungen noch eine bedeutungsbezogene, die man vielleicht nicxht mehr Vorstellung sondern besser Signifikanz nennt. Signifikanten, Bedeutungseinheiten, suchen sich hier einen Ausdruck, und der alleroberste Signifikant ist bei Lacan der des groß zu schreibenden "Anderen".


Er wird von Lacan oft nur mit A bezeichnet, um die Stringenz, die Knapp- und Konkretheit dieser unbewussten „Lautung", Sprachvertonung und Wurzelcodes des Triebausdrucks zu vermitteln, von dem Lacan sagt: „Das Unbewusste spricht selbst, es ist „Laut", „Ton", und als solches redet es direkt. Es redet keine Hochsprache, sondern grummelt, röchelt, schreit, gurrt ..; es kennt alle Kategorien des Vokalischen. Es ist ein sexueller Aspirationslaut." Es ist etwas nicht nur Bild- und Zeichenbezogenes, sondern eben auch Signifikanten- und Wortbezogenes. Nun kommt das Wort im Unbewussten nicht schon als druckfertiger Bedeutungsinhalt heraus. Im Traum z. B. spricht es nur in Rätselformen, im Rebus, bei dem nur Wortstücke mit Bildern gekoppelt sind, was Freud jedoch als die „via regia" zum Unbewussten nannte. Tatsächlich ist die Wortstück / Bildstück - Kombination ein idealer Zugang zum Unbewussten. Hier gibt es nicht die Probleme mit den erogenen Zonen. Hier hat man fast das Gefühl wieder beim Flash des Autoerotismus angekommen zu sein. Es ist die Schaulust des Voyeurs, aber auch jede andere Schaulust, insofern sie sich nur flüchtig halten kann und nicht stabil im Gedächtnis verweilt.

Diese Triebe, die seit Freud als zwei Grundtriebe gefasst werden, und die außer aus dem Schautrieb auch noch aus dem Sprechtrieb bestehen, richten sich also nicht auf ein isolierbares Objekt. In groß A vermischen sie sich zu einem Bedeutungsknoten, der ein ideales Stück Wirklichkeit vermitteln würde, wäre die Vermischen irgendwie genial. Genial wie sich Bild und Wort in einer künstlerisch gelungenen Kombination in einem Film darstellen könnten, würde dieser Film in dieser Weise ständig weitergehen. Doch klar ist, dass durch die Vermischung der Triebe ein gewisser Halt, eine Festigkeit psycho-physischer Art entsteht, die ein Gedächtnis haben kann. Der Flash des Autoerotismus allein konnte dies nicht. Und auch der Parasex, sowohl der tierische wie der menschliche ist nicht stabil genug. Die Tiere müssen sich ständig weiter fortpflanzen und die Menschen im Parasex müssen ständig so tun, als seinen sie vereint.

Um es kurz zu sagen: man muss Sex in A und mit A haben. Das ist der Sinn des Metasexes, und so ist er auch gar nichts Neues. Denn die Mystiker, Heiligen, Gurus und Religionsgründer haben so etwas schon immer zustande gebracht. Ich erwähne hier immer gerne die Heilige Theresa von Avila, die Lacan eine der „urwüchsigsten Bumserinnen" genannt hat. Ein lockiger Engel durchborte mit einer Lanze ihren Körper und stieß diese immer vor und zurück, eine unverhohlen erotische Szene. Und man braucht sich nur die Statue von Bernini in Rom ansehen, die diese Szene zeigt, um sicher zu sein, dass die Heilige diesen Metasex genießt. Aber es gab noch keinen Freud, der ihr dies gedeutet hätte, dass der Engel ein Liebeswunsch war und das Ganze eine Sado-Maso-Szene. Dennoch war die Theresa von Avila eine große Heilige, die viel gelitten aber auch erkannt und gelehrt hat. Der Metasex, den ich vermitteln will, ist jedoch nicht so extrem leidenschaftlicher und selbstquälerischer Natur. Er beinhaltet das Genießen (Katharsis, Praxis) und auch die Erkenntnis (Analyse, Theorie) in moderner wissenschaftlicher Form.

Ich habe dafür die Wort- und Sichtstücke aus der Psychoanalyse Lacans entnommen. Sie sind in A als Anderer, Anderes unserer selbst in Form eines „akustischen Bildes", einer „Erscheinung mit Bedeutung", eines „linguistischen Kristalls" und wie man das Unbewusste in seinem Zentrum auch immer nennen mag, gespeichert. Auf dem nebenstehenden Bild ist ein solches Element dargestellt. Durch die Möbiusband-Verwindung ist topologisch aber auch durch die kunstvoll daraufgemalten Zeichen die Bild-Kristall-Erscheinung ideal vermittelt. Die Buchstaben selber aber stellen eine lateinische Formulierung dar, die mehrere Bedeutungen in sich enthält, so dass man diese eine zeitlang meditieren muss, um ihr Geheimnis zu lüften. Gelüftet wird es nicht durch das eigene Denken, sondern durch die Antwort des A aus dem Unbewussten, durch den Metasex. Denn es geht um ein beglückendes dialogisches Spiel, des jedenfalls realer und wortgewandter ist, als der Parasex.. Es wird nichts verdrängt, sondern enthüllt (Genaueres in der Broschüre „Die körperlich kranke Seele").