Sex: die aggressive Form der Liebe

Schon die Freudschülerin M. Klein hatte erkannt, dass der sogenannte Ödipuskomplex sich vor dem Hintergrund einer primären Aggressivität abspielt. Er beinhaltet nicht nur den Konflikt einer Liebe zum gegenge-schlechtlichen und des Hasses zum gleichgeschlechtlichen Elternteil. Vielmehr drückt er auch schon früh aus, dass auch in den späteren Beziehungen, nachdem man sich vom Elternhaus gelöst hat, in die erotische Gefühlswelt sich aggressive Elemente einschleichen. Ein Kern des Sexuellen bleibt mit dem Aggressiven verbunden.
Freud war noch davon ausgegangen, dass es neben den Eros-Lebenstrieben auch einen Destruktionstrieb, ja Aggressions- oder Todestrieb geben müsse. Aber ein aktiver, mit libidinöser Kraft besetzter Trieb kann das Geschehen zum Tod nicht sein. J. Lacan stellte schon in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts fest, dass die Aggressivität aus frühen Identifizierungsmodi stammt. Wir nehmen uns mit etwas identisch wahr, doch bei diesem signifikanten Zug der Identifizierung bleibt ein Rest von diesem Etwas, der sich dann als negativ, störend und somit zur Aggression führend erweist.


Das Sexuelle ist beim Menschen nicht instinktiv gesteuert, sondern setzt sich aus verschiedenen Triebanteilen unter der Dominanz von etwas zusammen, was man als aktiv, mächtig und vom Geschlechtlichen her als eher männlich bezeichnet hat. Für den Psychoanalytiker gibt es somit nur eine Libido, nur ein Sexuell-Mächtiges, das aus verschiedenen Gründen vom Männlichen dominiert wird, was nicht heißt, dass es die Frauen nicht auch entwickeln können. Freud sprach diesbezüglich von der „phallischen Phase" in der Entwicklung des Kindes, die das männliche Kind sich leichter aneignet, das weibliche aber genauso übernehmen kann. Eben daraus setzt sich ja der Ödipuskomplex zusammen, wenn dann auch unterschiedlich für beide Geschlechter. Während der Knabe die Mutter auch erotisch begehrt, zielt die Erotik des Mädchens mehr auf ein Geschenk vom Vater. Das Begehren hat „phallischen" Charakter, weshalb der Vater für den Knaben hier im Wege steht, das Geschenk für das Mädchen dagegen könnte z. B. ein Kind sein, weshalb die Mutter mit Eifersucht besetzt wird.
Aus diesen Kräftespielen kommt der Mensch so einfach nicht heraus. Solange er die Beziehungen durch etwas Sexuelles lösen will, wird er auf das Männlich-Mächtige, Aggressive darin stoßen. Wir würden alle ausgestorben sein, wenn Sexuelles und Aggressives nicht eine derartige Verbindung eingingen. Aus der reinen Erotik könnten Romantizismen, Schönheitskulte, künstlerische Verbrämungen und vieles mehr entstehen. Erst der Schuss Aggression darin, macht aus der Erotik Sex. Es war dies der Grund, warum die alten Griechen z. B. kein Wort für Sex hatten. Sie wollten alles im Schwärmen, im Ästhetischen, im Philosophieren des Eros einschließen. Eros war ein Gott, wenn auch einer, der bis zu den Menschen herunterreichte. Jegliches Treiben, das wir rüderweise Sex nennen, war darin eingeschlossen. Diese Einstellung war natürlich auch keine endgültige Lösung.
Doch die Lösung, die wir heute haben, ist nicht besser. Denn wir moderne, „westlich-zivilisatorische" Menschen haben keine umfassenden Liebesbegriff mehr. Es gibt sogenannte himmlische Liebe und dann eine, die sich aufs Erotisch-Sexuelle bezieht einschließlich der Romantik. Wir versuchen die umfassende Liebe ins Erotisch-Sexuelle mit hereinzunehmen, wir versuchen „guten Sex" zu haben, „Kuschelsex" und andere Formen amouröser Kohabitationen. Aber dabei vergessen wir zu leicht, dass wir die Aggression ebenso mit hereingenommen haben. Irgendwo wird sie sich ausleben. Beim sogenannten heterosexuellen Mann beispielsweise dadurch, dass er ständig eine andere Frau braucht, beim Schwulen indem er gleich bei der Sexgression bleibt, bei der lesbischen Frau, dass sie - wie Lacan sagt - verleugnet, dass der „Phallus" ein Signifikant ist, also ein Insistierer, einer der lästig und beharrlich immer wieder seine Bedeutung betont. Und der Transsexuelle glaubt, dass er dem ganzen Dilemma entfliehen kann, wenn er die sexuellen und aggressiven Zeichen wechselt.
Wenn wir den Konflikt hinsichtlich des Liebesproblems bemerken, erinnern wir uns wieder der himmlischen Liebe, doch ist diese längst zu steril, zu abgehoben entrückt, abstrakt und durch theologische Bürokratie überfrachtet worden. Auch Ahava, die in der ursprünglich jüdischen Religion umfassende Liebe, die sinnlich und geistig zugleich war, kennt niemand mehr, und sie wäre auch zu mythisch-magisch für unsere heutige intellektuelle Kultur. Glücklicherweise gibt es aber noch die Liebe, die sich die Aggression zu Herzen nimmt und die Lacan das „L´amourire" nannte. Darin steckt Liebe (amour), mourire (sterben) und rire (lachen). Ich habe eine Methode psychophysischer Art entwickelt, in der man diese Dreiheit als Eins, als Einheit, als zum Ganzen sich Schließendes erlernen kann: Analytische Psychokatharsis, veröffentlicht in mehreren Büchern und einer einfachen Broschüre. Dieses L´amourire schließt den Sex und den Eros ein, aber auch ein bisschen Liebe zu einem „Ding", wie Lacan es nannte, zu einer „Dasheit" wie es der Psychoanalytiker N. Sygminton ausdrückte, oder zu der Andersheit in meinem eigenen Unbewussten.
Die Dasheit Sygmintons ist die fühlbare, fast greifbare Erspürnis, Vermittelungsschicht zwischen uns Menschen, auf die man immer zurückgreifen könnte, hat man sie genug entwickelt. Genau dies meint Lacan auch mit dem psycho-physischen „Ding". Es ist etwas Handfestes, das wir in uns aufspüren müssen, um uns dann auch in der Allgemeinheit darauf stützen zu können. Aber dieses Handfeste muss auch Namen haben, sonst ist es nicht wissenschaftlich genug begründet. Denn es geht in der Analytischen Psychokatharsis um eine der Liebe unterstelle Wissenschaft, die das Umfassende der Liebe wieder garantieren soll. Es handelt sich nicht um eine Rückkehr zur konfessionellen Religion. Wie man zu dem für jeden eigenen L´amourire kommt ist also in meiner Broschüre „Die körperlich kranke Seele" geschildert (kostenlos herunterladbar).