Sex als Chiffre

Als sich die Vor-/Früh-Menschen mehr und mehr ihrer Sprachbezogenheit bewusst wurden, bemerkten sie mit großem Schrecken, dass sie von dem, was sie intim miteinander trieben, auch in Worte fassen konnten und mussten. Man konnte doch nicht so tun, als hätte man jetzt dafür keine Phoneme, keine Syllaben oder Vokabeln. Ich verwende jetzt erst einmal nicht das Wort Sex, das auch die alten Griechen nicht kannten. Sie hatten das Glück, Liebe, göttliche Intimität und Sex im Wort Eros zu vereinen. Ähnlich war es auch den alten Hebräern ergangen, sie konnten Ahava als sinnlichen und göttlichen Eros verstehen. Doch die allerersten Menschen befanden sich noch in großer Verlegenheit und

produzierten alle möglichen Wörter, um genau davon, von diesem XY, diesem intimen Geheimnis, dieser unheimlichen Innigkeit, nichts sagen zu müssen. Lacan sieht jedenfalls darin einen der Hauptfaktoren, warum die Sprache ins Spiel kam. Es erschien diesen Urmenschen natürlich auch furchtbar, dass man mit allem und jedem Sex haben konnte, animistisch, magisch, zwischenmenschlich und sogar mit sich selbst, autoerotisch. Der Autoerotismus war der Sex von dem Freud ausgegangen war und den er dann mehr und mehr in Formen des Oralen, Analen, Genitalen, Skopischen und Vokativen differenzierte.

Aber am interessantesten ist dieser Sex als Chiffre, als Verschleierung und unbewusste Verschlüsselung dessen, von dem man ja – nach Lacans Auffassung – ja auch heute immer noch nichts Endgültiges sagen kann. Doch vor allem kann man nichts davon schreiben, was ja Voraussetzung der ‚Jouissance‘ ist, und so geht es um etwas anderes als den blanden Sex. Es geht um das Drängende, das Notwendige, von dem Lacan sagt, dass es das ist, was nicht aufhört sich zu schreiben, sich im Unbewussten zu chiffrieren, um enthüllt, gelesen oder gehört zu werden.[1] Der eigentliche Sex steckt sozusagen mitten in den Verbindungen oder Schnittstellen der Buchstaben selbst. Das Schriftliche trägt eine gewisse Feminisierung, Verweiblichung in sich, und auch deswegen ist der männliche Sex für sich alleine nicht ausreichend, um ultimativ zu genießen.[2] Lacan bezieht sich hier speziell auf die Schriebe, von deren Inhalt man nichts Genaues weiß, aber wohl umso mehr vermutet: persönliche Anspielungen, vertraute Ingredienzien, intime Mutmaßungen etc.

Um was es sich hier handelt, lässt sich am besten an den mittelalterlichen Königshöfen zeigen. Das königliche Paar wird hier nämlich „als Garant des Genießens des Volkes“ gesehen,[3] d. h., solange man vermuten kann, dass die Beziehung des Königs und der Königin ein ‚Jouire par Excellence‘ ist, dass bei den beiden alles stimmt, weiß das Volk wie weit es in seinem Genießen gehen kann, nämlich nicht über das Königliche hinaus. Schließlich war ja auch Ödipus ein König, nur geriet in diesem – übrigens ja auch geschriebenen Mythos – etwas daneben, es kam zum Inzest, zu dem verbotenen Genießen, das anscheinend eine besondere Intensität, Höhe und Abgründigkeit beinhaltet. Will das Königspaar also Garant des Genießens des Volkes sein, kann es sich so etwas nicht leisten, wollte Sophokles wohl damit sagen. Nur die altägyptischen Pharaonen durften diese abscheuliche Lust genießen, aber eben nur sie. Auch somit war klargelegt, dass das Volk nicht so weit gehen darf, und zudem, dass der Inzest der geheimnisvoll-abgründig chiffrierteste Sex ist, den es geben kann und der je vertextet wurde. Er ist eigentlich ein Unzest, ein nihilistischer Genuss, Todeslust.

Damit bin ich wieder bei den Formel-Worten der Analytischen Psychokatharsis, zwischen deren Buchstaben sich ebenso dieses gefährliche Spiel ereignet. Besser, psychoanalytischer kann man es nicht sagen, dass man mit dem Üben und Meditieren der Formel-Worte das eigene Unbewusste aufruft, sich in dieser Kluft, Spaltung zwischen den Lettern zu zeigen, diese Kluft aber sofort wieder mit den Pass-Worten zu schließen, alles Dinge des Geschriebenen, der Verschruiftlichung, die insgeheim das autochthone Genießen beherbergen. Diese seltsamen Formulierungen übend, diese Chiffren gedanklich wiederholend, nähert man sich der drangvollen Notwendigkeit, die nicht aufhört sich zu schreiben. Denn würde sie aufhören, käme das Sophoklessche Monster heraus, die Todeslust, über die sich jedoch in der Meditation sofort der neue Schrieb, das Pass-Wort legt und die Lücke schließt. Damit ist psychoanalytisch wissenschaftlich gesichert, wie die Methode der Analytischen Psychokatharsis funktioniert. Alle Therapien und Meditationen, die diesen Hintergrund nicht mit beinhalten, sind nichts wert. Sie müssen versuchen den eigentlichen Kern durch Schöngeistigkeit, durch Philosophieren, Spiritualisieren und Ähnliches zu überdecken.



[1] Lacan, J., Joyce le Symptôme, Editions CNRS (1975) S. 13-17

[2] Lacan, J., Seminaire XVIII, Ed, Seuil (2006) S. 130

[3] Lacan, ., Seminaire XVIII, Ed, Seuil (2006) S. 159