Das Bewusstsein ist die Hardware

Dass das  Bewusstsein die Hardware ist, behauptet die norwegische Philosophin H. Hassel Morch, die an der Universität Oslo und wissenschaftlichen Instituten in New York und Wisconsin-Madison arbeitet. Die Welt, die Körper, alles dies ist dementsprechend nur die Software. Es verhält sich also alles so ziemlich umgekehrt wie man es sich gewöhnlich vorstellt. Sie meint, dass das Bewusstsein in der Materie ‚intrinsisch‘ versteckt ist, was sich besonders im Gehirn als wichtig herausstellt.[1] Doch die Sache ist nicht neu. Ich habe in vielen Artikeln auf die Arbeiten von R. Penrose, F. Capra, M. König und anderen hingewiesen, die Ähnliches behaupten.

 

Der Physik-Mathematiker R. Penrose stellt sich z. B. die Frage: „Was ist die `materielle´ Struktur auf der Quantenebene der Dinge“?[2] Ihn interessieren die menschlichen, ganz persönlichen „Gehirnfunktionen durch makroskopische Quanteneffekte“, indem er davon ausgeht, dass Neuronen, also Nervenzellen, „Quantende­dektoren“ sein könnten.Schließlich nimmt er eine Kohärenz, also eine durchgehende zusammenhängende Funktion der Quanten an (Quanten sind ja eigentlich dadurch definiert, dass sie Sprünge machen und nicht kohärent messbar sind), und zwar dort, wo sich bestimmte biologische Strukturen befinden, nämlich sogenannte Mikrotubuli in der Nähe der Neuronen-Zellkerne. Einstein hätte sich im Grabe umgedreht, wenn er das lesen würde, denn physikalisch ist das nicht zu begründen. Der Physiker F. Capra hatte schon in den siebziger Jahren mit seinem ‚Tao der Physik’ nicht uninteressant die Frage der Raum-Zeit-Problematik mit den Auffassungen der Leere im Zenbuddhismus verglichen. Auch er fragte sich, ob die Quark-Symmetrie nicht ein neues Koan ist,[3] also aufgebaut wie ein zenbuddhistisches Rätselwort. Das waren faszinierende, aber absurde Analogien.

Und nun also Frau H. Hassel Morch mit ihrer Feststellung vom Bewusstsein als Hardware. Sie macht jedoch gleich denselben Fehler wie der Physiker M. König, B. den ich gerne den ‚Para-Physiker‘ nenne (ich nenne ihn so in Anlehnung an die Parapsychologen). Ich halte seine Aussagen nämlich ebenso für absurd, sie sind aber dennoch ganz witzig. Auch von modernen Mythen und Märchen kann man lernen. König versucht – ebenfalls gewappnet mit neuesten wissenschaftlichen Werkzeugen – aus quantentheoretischen Überlegungen das menschliche Sprechen heraus zu zaubern.[4] „Elektronen sind elementare Bewusstseinseinheiten“, schreibt er, „die Seele ist ein Plasmazustand, ein Gas.“ Er postuliert sogenannte ‚Essenzelektronen‘, also Elektronen, die elementare Bewusstseinsteilchen sind. „Die logische Konsequenz ist, dass das, was unseren Persönlichkeitskern ausmacht, mit all unseren Erfahrungen und Erinnerungen in einem Ensemble von Elektronen abgespeichert ist.“[5] So würde z. B. auch ein extrem seelisches Trauma, das verdrängt wird, ein elektromagnetisches Feld aufbauen, das einen Körperbereich abkapselt, worauf eine „Verfinsterung“ dieses Bereichs entsteht, schreibt König in seinem Buch.

Frau H. Hassel Morch schreibt also ebenfalls, dass es sich um Elektronen handelt, die man sich „als menschliche Wesen mit physikalischen Kräften vorstellen muss“.1 Sie bemüht dazu den ‚Zwei-Aspekte-Monismus‘, also eine Einheit, die zwei Seiten hat wie es schon der Physiker N. Bohr in Zusammenarbeit mit W. Heisenberg im ‚Komplementaritätsprinzip‘ der Quantenphysik dargestellt haben. Nur was nützt dies alles? Abgesehen davon, dass anerkannte Physiker weltweit heute nichts von ‚Essenzelektronen‘ oder Elektronen, die physikalisch und gleichzeitig psychisch sind, halten, muss man noch Folgendes bedenken: warum kann ich mit meinen Bewusstseinselektronen mein Leben und vor allem mein Gehirn nicht so gestalten, dass es mir hinsichtlich vieler Probleme, die ich habe, hilft? In meiner ärztlichen und psychoanalytischen Praxis habe ich nie solche Effekte beobachten können. Dies liegt daran, dass alle diese Autoren von der Psyche, der Seele, als Bewusstsein sprechen, was also mit dem eigenen Ich zu tun hat. Denn der bewusste Teil der Seele oder Psyche ist das Ich samt seinen Gefühlen und Gedanken. Ich fühle, ich denke, aber ich bewege meine Elektronen oder verändere mich in der Elektronenmenge? Kann man das so sagen? Der Onkologe O. C. Simonton sagte es so ähnlich, indem er behauptete, die Vorstellung meine Lymphzellen würden einen bestimmten Krebs attackieren, würde einen vom Krebs heilen können. Simonton benutzt Elemente der kognitiven Verhaltenstherapie, Entspannungsübungen, geführte Phantasiereisen und Meditation,[6] alles vom Bewussten her gesteuert.

Doch alle Autoren haben keine Ahnung vom Unbewussten, wie es in der Psychoanalyse S. Freuds und in seiner Nachfolge von J. Lacan beschrieben wurde. Zwar sind dort die Triebkräfte und deren psychische Repräsentanzen auch nicht letztendlich außerhalb jeder physikalischen Zuschreibung festzulegen. Doch sind sie auf keinen Fall von einem ‚Zwei-Aspekte-Monismus‘ her zu verstehen. Die Triebkräfte werden in der Psychoanalyse als zwei (oder auch mehr) völlig autonome, wenn auch mit einander verbundene Kräfte geschildert. Es gibt einen elementaren Dualismus, wie der in allen Wissenschaften grundlegend ist. Auch Forschungen im Nanobereich wie etwa Nanobionik bleiben der klassischen Physik treu, auch wenn sie glauben Gehirnstrukturen nachbauen zu können. Denn das Gehirn ist nicht die ganze Psyche. Es mag einen Bezug zum Unbewussten haben. Doch das Hauptmerkmal des Unbewussten ist und bleibt, dass es aufgebaut ist  w i e  eine Sprache, dass es also auch etwas mit Linguistik zu tun hat und nicht nur mit Elektronen.

Deswegen hat Lacan vom Unbewussten auch als einem „linguistischem Kristall“ gesprochen, weil sich nur in diesem Dualismus von Kristallinem, von Phosphoreszenz oder Lumineszenz, von „ultrasubjektivem Ausstrahlem“, wie Lacan auch sagt, und von der Kombination von Phonemen oder von Signifikanten, die immer mindestens zwei sein müssen, um in ihrer Divergenz einen Effekt erzeugen zu können, das menschliche Subjekt konstituiert. Das einzelne Phonem, der einzelne Signifikant ist keiner Bedeutung fähig, erst wenn sich zwei oder mehrere gegenüberstehen, kann es Bedeutung und Sinn geben. Der Mensch in seiner Subjektbezogenheit ist in diese Divergenz einbezogen, er ist also gespalten, und kann sich nur helfen, wenn er zuerst einmal diese Spaltung, diesen primären seelischen Dualismus akzeptiert. Alles physikalische, philosophische und schon gar ein aus beiden gemixtes Gerede ist diesbezüglich, also hinsichtlich einer Wissenschaft  v o m  Subjekt, absurd.

Trotzdem habe ich ja erwähnt, dass das philosophische und esoterische Reden über das Bewusstsein als Hardware oder die Elektronen als Seelisches manchmal gar witzig und originell klingt. M. König setzt zum Beispiel seine Probanden unter einen Goldtorus, ein goldbeschichtetes schlauchartiges Gebilde, wo diese speziellen Elektronen-Mechanismen den Daruntersitzenden mit göttlicher Energie aufladen sollen bzw. ihm das Ur-Wort vermitteln. Das Ganze erinnert an den Psychoanalytiker W. Reich, einen Schüler S. Freuds, der ein ähnliches Gerät entwickelte, den sogenannten Orgon-Akkumulator. Organische und anorganische Schichten in diesem Gerät sollten ebenfalls Energie übertragen, eine Art orgastischer Energie, deren Wirken Reich aus der Sexualtheorie Freuds herausgelesen hatte. Freud war entsetzt, dass man seine Forschungen so falsch interpretieren konnte, denn Freuds Libido war eher etwas Problematisches und eher meist leicht Fehlgeleitetes als ein Instrument zur Heilserweckung. Vor hundert Jahren waren viele Dinge noch weniger bewiesen oder beweisbar als heute und man konnte wie gesagt noch wissenschaftliche Großtaten vollbringen, die auch direkten Lebensbezug versprachen.

 

Nun ist dies heute schon wieder anders, fortgeschrittener. Gerade Goldatome eignen sich gut dafür, Elektronenströme im Nanobereich zu bewegen. Auch das Chlorophyllmolekül kann Licht, also Photonen in Elektronenströme verwandeln und dadurch aus Kohlendioxid und Wasser Kohlenwasserstoffe aufbauen. Einfaches Licht könnte also tatsächlich zum ursprünglichsten Energieaufbau einen Beitrag leisten. Doch was hat dies alles mit der Seele zu tun, die einer symbolischen und nicht nur materiellen Ordnung unterstellt ist? Wenn am Anfang nicht nur der Urknall sondern auch das ‚Wort‘, der Logos, existiert hat, wie kann es dann die Hardware sein, die die Materie als Software trägt? Muss es da nicht auch noch einen Programmierer geben? Als von der Sprache, von der rein symbolischen Ordnung her ist der Mensch selbst der Programmierer, er ist seinen ersten Losungsworten gefolgt, seinen Signifikanten, die ihn vom Tier, der Pflanze und allen Dingen unterscheiden, auch wenn er sie alle zur Würde des Programms erhöhen kann. Denn darauf kommt es an. Allerdings muss er sich zu dieser Fähigkeit hin erst einmal selbst in der richtigen Weise programmieren, und schon daran fehlt es meist.

 

 

 

(wird fortgesetzt)         

 



[1] Hassel Morch, H., Wie kommt der Geist in die Natur? FAS vom 14. 1. 2018, S. 64-65

[2] Penrose, R., Schatten des Geistes, Spectrum (1994) S. 441

[3] Capra, F., Das Tao der Physik, Scherz Verlag (1987) S. 246

[4] König, M., Das Urwort, Scorpio (2010)

[5] Interview mit M. König in mystica.tv, 25. 10. 2010

[6] Simonton, O. C., Getting Well Again, 1992