Die Vertikalspannung, die Senkrechte des Körperbildes

Der biologische Körper scheint ein Schema zu sein, das nur wieder durch körperliche Einwirkungen geändert werden kann, abgesehen davon, dass er von Anfang an an seinem von Anfang an beginnenden Abbau leiden muss. Doch da existiert noch das Körperbild, also das Empfinden, die bildhafte Feinfühligkeit, die man von sich als Körper hat. Diesbezüglich macht sich der Philosoph P. Sloterdijk lustig, wenn es um dasjenige Körperbild geht, das er die sogenannte ‚Vertikalspannung‘ nennt.[1] Das ‚Oben‘, das ‚Höher‘ und ‚Über‘ – nicht nur das der Körpergefühle, sondern auch das aller Religionen und Philosophien, wohl auch seine eigenen – regt ihn zu spöttischen Bemerkungen an. Jakobs

Himmelsleiter aber auch die ‚Tiefenpsychologie‘ situieren sich in einer Vertikalen, für die es nach Sloterdijks Auffassung eigentlich keine klare Begründung gibt. Alle Versuche dieser Vertikalspannung Form zu geben, enden stets nur in Akrobatik, in ständig neunen Übungsmethoden und ‚Anthropotechniken‘, denen ein rätselhafter ‚Gipfeldrang‘ zu Grunde liegt, schreibt er.

Selbstverständlich gibt es diese Vertikale, sie ist nämlich das Verbindende von Körperschema und Körperbild, das wusste Sloterdijk nicht. Die Psychoanalytikerin F. Dolto kann uns hier eine bessere Aufklärung geben. Für sie ist das Körperbild meist dreigeteilt, in basales, in dynamisches oder funktionales und in erotisches Körperbild. Während das dynamische sich in der Horizontelen ausbreitet, was auch Sloterdijk als die ‚intellektuelle Entsprechung‘ gegenüber der Vertikalspannung bezeichnet, richtet sich das erotische Körperbild nach allen Seiten und so bleibt für die Senkrechte vorwiegend das basale Körperbild übrig. Während sich die Psychoanalytiker insbesonders mit dem Erotischen und Dynamischen beschäftigen, geht es mir hier in diesem Artikel um das Erotische und Basale. Offensichtlich meint Sloterdijk mit dem Begriff der Spannung der Vertikalen genau dies, aber er weiß damit nichts anzufangen.

Dabei schreibt der Philosoph selbst in einem anderen Buch von der ‚distanzierenden Selbsteinschließung‘, bzw. vom ‚Selbst-Isolationseffekt‘ der ersten Hominidengruppen auf der Welt.[2] Weil die Hominiden sich in sich selbst zurückziehen mussten, sind sie erst zum Menschen geworden, sagt er. Selbsteinschließung, Zurückziehung, meint jedoch speziell solche in das erotisch Basale, das man auch vom Lacanschen Trieb-Struktur-Konzept her auffassen kann. Dann handelt es sich um das vom Wahrnehmungs-Schautrieb her rührende Narzisstische, das Lumineszente, ‚ultrasubjektiv Strahlende‘, und das vom Entäußerungs-Sprechtrieb her kommende prahlend Evozierende, echoartig Verlautende.[3] Beide müssen eine geeignete, gelungene Kombination in der Vertikalen finden, bevor sie aus der Selbstisolierung wieder hinaus in die Horizontale des Gesellschaftlichen gehen können. Immer hat es daher schon bei den Frühmenschen einzelne Individuen gegeben, die sich zwar auch an der sozialen Gruppe beteiligt haben, in besonderer Weise sich jedoch auch abgekapselt und sich in die Vertikalspannung hinein verinnerlicht haben, um von daher wieder der gruppe Impulse zum besseren Leben geben zu können.

Nun muss man sich dazu nicht irgendwelcher Akrobatiken und Anthropotechniken bedienen, wie sie Sloterdijk befürchtet und denen gegenüber er keine konstruktive Lösung anbieten kann. Er schreibt nur sehr eindrucksvoll und kompetent über mehr als zweitausend Seiten davon (die Bücher seit 2009). Um progressiv und konstruktiv zu argumentieren, kann man die Menschwerdung nach der gleichen Weise immer wieder neu beginnen lassen, und muss sich dabei nur das eigene erotisch-basale Körperbild wieder herholen, um es dann wieder im dynamisch-funktionalen Bereich einsetzen zu können. Lacan ist hierfür ein gutes Beispiel, indem er frei von der Leber weg gesprochen seine Seminare gehalten hat, die er aus der vertikalen Erfahrung der Psychoanalyse gezogen hatte. Ganz unten an der Basis sitzt dann das Erotisch-Aggressive, das man nur vertikal aufsteigen lassen muss ins Basale der genannten Kombination von Lumineszenz (ich nenne es das Es Strahlt) und Evokation (was ich als Es Spricht bezeichne).

Wenn man sich also nicht wie bei Sloterdijk zu recht kritisierten mühevollen Übungen aufrafft, sondern nur hinsetzt, um zu meditieren, genügt es, eine Vor- und Kompakt-Form dieser Kombination zu haben. Diese muss dann eben nicht nur ins Horizontale nach außen hin ausgebreitet, ausgelebt und agiert, sondern nur eine zeitlang in der Vertikalspannung gehalten werden. Man spürt, ‚sieht‘ und ‚hört‘ dann sehr bald, auf welcher Ebene des Vertikalen man sich befindet. Ich habe ‚sehen‘ und ‚hören‘ in Anführungszeichen geschrieben, weil es eigentlich um Eindrücke handelt, die die Vertikalspannung, weil sie tatsächlich auch Spannung ist wie Sloterdijk schreibt, von sich aus erzeugt und vermittelt. Nicht umsonst haben die Psychoanalytiker den Triebkräften im Menschen schon von Anfang an Namen gegeben, weil diese solche irgendwie originär vermittelt haben.

Dabei hat sich Freud zuerst an der Biologie orientiert, und von Eros-Lebens- und vom Todes-Trieb gesprochen. Eben wegen dieses Eros-Lebens-Triebs hat er das Sexuelle so betont. Doch weit gefehlt zu glauben, er habe damit die Sexualität von ihren Unterdrückungen befreit, vielmehr bezichtigte er sie in der Hauptsache verantwortlich für die ‚Erniedrigungen des Liebenslebens‘ zu sein. Noch missverständlicher erwies sich jedoch der Todestrieb, der ja ein aktiver Trieb sein sollte und nicht das bekannte Abbaugeschehen hin zum Tod. Für das Freudsche Konzept hätte daher auch die Begründung des Körperbildes nicht getaugt. Deswegen hat Lacan das oben genannte Strahlt- / Spricht-Konzept entwickelt, zwei Namen also, die klar sagen, mit was man sich in der Vertikalen auseinandersetzen muss. Mal ist das eine, mal das andere mehr im Vordergrund. In diesem Sinn habe ich auch zwei Zugänge, die nacheinander angewendet werden können, zur Meditation im Verfahren der Analytischen Psychokatharsis empfohlen, wo all dies genauer beschrieben ist (Webseite: analytic-psychocatharsis.com).



[1] Sloterdijk, P., Du musst dein Leben ändern, Suhrkamp (2009)

[2] Sloterdijk, P., Sphären III, Suhrkamp (2004) S. 359

[3] Lacan, J., Seminar XXIII, Übersetzung Lacan Archiv, S. 10