Die Luzidität und die Echos im Körper

Den vielen grundlegenden Doppelprinzipien, die die Welt beherrschen, und die ich in zahlreichen Veröffentlichungen als Spiegelung und Rhetorik, als ein Es Strahlt und ein Es Spricht, als Imaginäres und Symbolisches, etc., bezeichnet habe, füge ich die oben genannten hinzu. Sie können einfach nochmals präziser belegen, was mit primären Kräften, Prinzipien oder Trieben gemeint ist, wie sie von den Wissenschaften genutzt werden. Ich bin berechtigt ein übergeordnetes Paar dieser Ur’s zu benennen, denn die Wissenschaften ufern stets weiter aus und glauben, sie könnten stets ein neues Paar erfinden, anstatt den Zusammenhang aller zu berücksichtigen. Ein Dualismus ist in den Wissenschaften zwingend, den Elementarteilchen musste man die Gravitation gegenüberstellen, dem Geist die Materie, dem Männlichen das Weibliche, der Schöpfung die Evolution, der Genetik die Epigenetik. Mir scheinen die Luzidität und die Echos des Körpers im Moment den besten Kompromiss darzustellen, vielleicht nicht allen, aber doch vielen Wissenschaften als Begriffspaar voranzustellen. Auch wenn solch eine übergeordnete Vorgehensweise immer dem Vorwurf der Pauschalität ausgesetzt ist, ist mit diesem Doppel viel gewonnen.

 

Ich gehe von meinen Berufen als Arzt und Psychoanalytiker aus, wo – wie Lacan dies nannte – eine ‚logische Praxis‘ betrieben wird. Logik und Praxis, also Theorie und Tat (schon wieder solche Dualismen) stehen sich gegenüber, aber wirken auch miteinander. Bezüglich des Optischen, des Blicklichen und Bildlichen spricht Lacan von der zentralen ‚Lumineszenz‘, von ‚ultrasubjektiven Ausstrahlen‘ im seelisch Unbewussten, und genau dies will ich eben durch den Begriff der Luzidität ersetzen. Denn die Lumineszenz wird hautsächlich von der Physik her beansprucht, wenn beim Rückfall eines Elektrons auf ein niedrigeres Energieniveau Licht abgestrahlt wird. Doch um Licht geht es beim seelisch Optischen, beim ‚unbewussten Sehen‘[1], beim Freudschen Schautrieb oder beim zentralen Spiegelungspunkt im Gehirn, nicht.[2] Hier eignet sich viel besser das ‚Luzide‘, die Luzidität, Bezeichnungen, deren Bedeutung sich zwar auch von lateinischen Lux = Licht ableiten, aber allgemein im Sinne von Klarheit, Helligkeit, Durchsichtigkeit, verwendet werden. Sicher meinen Esoteriker oder Buddhisten mit dem Wort ‚Erleuchtung‘ eben genau dies: eine leuchtende Klarheit.

Doch mit dem Klang der Luzidität kommt auch der sogenannte ‚luzide Traum‘ und das Luziferische ins Spiel, was nur passend sein kann. Da ist etwas leicht ‚Irrlichterndes‘, luzide Verführerisches mit dabei, wenn die Luzidität solch ein übergeordnetes Phänomen sein soll, das eben das Oben und das Unten, das Seelische und das Biovitale, das ‚Ultrasubjektive‘ und das objektiv Scheinende, verbindet. Zum Luziferischen muss ich also nichts weiteres sagen, wohl aber zum luziden Traum, der auch Klartraum heißt.

Dazu werden nämlich die abenteuerlichsten Dinge erzählt. Ich habe selbst Klarträume erlebt. Man hat eine gewisse Bewusstheit – die meisten sagen Bewusstheit darüber, dass man träumt – und Halbwachheit, die ich immer nur als den besonders intensiven Meditationszustand auffasste. Ich wusste: jetzt bin ich wieder in diesem visionsartigen Moment und konnte so über Landschaften gleiten, ärgerte mich jedoch stets danach oder am Morgen, dass ich dabei nicht an die eigentlichen Meditationsformeln gedacht hatte, die mich viel weiter gebracht hätten. Wohl war mir immer klar, dass ich ein ‚höher‘ anstreben sollte, doch stets bekam ich Angst wie Ikarus der Sonne dadurch zu nahe zu kommen und die Hitze nicht aushalten zu können. Ein wahrscheinlich ganz kindlicher, intuitiver Reflex. In meinem Buch ‚Das konjekturale Denken‘ habe ich E.A. Wolfs Buch ‚Die Physik der Träume‘ erwähnt.[3] Außer reichlich esoterischer Theorien bezieht sich Wolf auf seine luziden Träume, die er mit der psychoanalytischen Auffassung von C. G. Jung abzugleichen versucht, um so höhere Dimensionen der Luzidität zu erreichen.

Doch wenn Wolf seinen luziden Traum erzählt, in dem er durch Gegenstände hindurchgreifen kann und dabei bemerkt, dass Kinder ihn beobachten und er dann zu ihnen sagt, ich komme aus einer anderen Welt und kann daher so etwas tun, so kann er in diesem Moment Realität und Traum selbst absolut nicht unterscheiden. Er verhält sich genau wie ein Psychotiker, denn die Kinder im Traum waren doch gar nicht wirklich Kinder, sondern seine eigenen Projektionen! Warum greift er durch Dinge hindurch, er  g r e i f t  doch gar nicht wirklich? Woher will er wissen, dass es wirklich  D i n g e  sind, durch die er hindurchgreift, handelt es sich nicht geradezu nur um Schein, Schein-Dinge, reine „Erscheinungen“? Ja, er greift doch noch dazu nur zum Schein durch die Dinge, um dies den „Kindern“ zu zeigen! Das Scheingreifen des Scheinträumers ist eine Verdopplung des Imaginären, und wie will er da je zum Realen kommen? Kann das Hindurchgreifen durch Dinge im Traum - jetzt einmal entsetzlich freudianisch gesagt - nicht vielleicht nur eine Erektion bedeuten? Es geht doch um genau dies: eine Substanzverschiebung nach vorne aus sich heraus, scheinbar physikalisch unmöglich.

Verändern die Quantenphysiker – all dies diskutiert Wolf – wirklich durch Beobachtung die „Körperwelt“? Es handelt sich doch nicht um Körper, sondern nur um Spiegelerscheinungen im Konvergenzpunkt der Erregungen im Zwischenhirn, um signifikante Einheiten. Es handelt es sich um Einheiten, die man – von mir aus – auch nach C. G. Jung archetypisch nennen kann. Diese Einheiten „verändern“ jedoch nur die theoretischen Positionen, sie benennen die Ur´s mit anderen Namen, an der  Körperwelt oder der menschlichen Kognition und Realität ändert sich dadurch überhaupt nichts. Sind nicht gerade Körper der Makrokosmos, auf den quantenphysikalische Zustände nur dann zutreffen, wenn sie sich in „rätselhafter Weise summieren“, wie Quantenphysiker sagen? Erklärt Wolf nicht ein Rätsel durch ein neues Rätsel, indem sich bei ihm die Archetypen auf rätselhafte Weise summieren (genau einen solchen Vorgang sich überlagernden Summen von mentalen Bildern erwähnt Wolf)?

Auch luzide Träume sind Schäume, sie haben nur Sinn, wenn man sie jemandem erzählt, wenn man sie in ihrer Bedeutungs-, in ihrer Signifikanten-Funktion anwendet, weil sie dadurch zum Symbol in der zwischenmenschlichen Kommunikation werden, insbesondere dann, wenn sie auch noch richtig gedeutet werden. Wenn sie also z. B. einem Psychoanalytiker erzählt werden. Ansonsten hat der Traum nur den Sinn einer scheinbaren Wunscherfüllung, wie Freud sagt, aber nicht eines realen Wunsches, sondern eines Wunsches nach rückwärts, eines Wunsches zurück. Der Wunsch wird – auch wenn Freud missverständlicherweise sagt, der Traum sei eine Wunscherfüllung – auch im luziden Traum nur wie erfüllt dargestellt. Es geht um eine Strebung zurück zu den verjährten Liebes-Objekten, zum Schauer, zum Kitzel eines primären Genießens einer Urbestätigung durch Liebe genau im Sinn von dem, was wir im Kino erfahren: nämlich einer Irrealisierung des Subjekts. Im luziden wie im echten Traum geht es um eine Rückwärtsbefriedigung, um eine Wiederfindung des Triebs als Ur-Position des Subjekts in Gegenwart (evtl. nur imaginärer) der Objekte![4] Beide Traumarten sind ein Beweis für die Lockerheit der Objekt-Beziehungen und dafür, dass die Luzidität’ im Träumer rückwärts läuft bis zu seinem Schnittpunkt mit dem ‘Sprechen’, wo es Liebesanerkennung in seiner Urform findet, eine Befriedigung in sich, aber unbewusst, unterwach, nicht wie im Wachzustand nach außen hin bezogen. Diese beiden Befriedigungen, die nach innen und nach außen, darf man nicht wie Wolf verwechseln, sonst kommt eine Verwirrung heraus. Die Analyse will, dass durch einen Rückgriff nach innen das Außen befriedigender wird.  Signifikanter.

Wolf kann nicht erklären, wie andere es anstellen sollen, mit einen „luziden Traum“ eine Verbesserung der Luzidität zu haben Luzidität, indem diese automatisch zu einem höheren Traum führen soll. Jungs Archetypen sind tatsächlich – wie Lacan sagt - nichts anderes als „das große Tier“, als die ganz komplexe Maschine, das große Super-Ich. Dieses Super-Ich verwechselt Wolf mit dem Subjekt, das Subjekt des Unbewussten ist, Subjekt des Signifikanten. Denn „Was nennen wir ein Subjekt? Genau das, was in der Entwicklung der Objektivierung außerhalb des Objekts ist. Man kann sagen, dass es das Ideal der Wissenschaft ist, das Objekt auf das zu reduzieren, was sich in einem Interaktionssystem von Kräften schließen und runden kann. Das Objekt ist letzten Endes ein solches nur für die Wissenschaft. Und es gibt immer nur ein einziges Subjekt - den Wissenschaftler, der die Gesamtheit betrachtet und hofft, eines Tages alles auf ein determiniertes Spiel von Symbolen zu reduzieren, das sämtliche Interaktionen zwischen Objekten einschließt“  - bis hierher geht Wolf. Aber die Sache geht weiter: „Nur, wenn es sich um organisierte Wesen handelt, ist der Wissenschaftler gezwungen, immer mit zu bedenken, dass es ein Handeln gibt. Ein organisiertes Wesen, man kann es sicher als ein Objekt ansehen, aber sobald man ihm den Charakter eines Organismus beilegt, erhält man, und sei`s implizit, den Begriff, dass es ein Subjekt ist.  . . Die subjektive . . Position kann absolut nicht vernachlässigt werden, wenn es sich um ein sprechendes Subjekt handelt. Das sprechende Subjekt, wir müssen es zwangsläufig als Subjekt anerkennen. Und warum? Aus dem einfachen Grund, und zwar, weil es fähig ist, zu lügen. Das heißt, dass es von dem verschieden ist, was es sagt“[5]. - Dass es also außerhalb jeder sogenannten Objektivierung liegt.

In Wolfs System wird niemandem unterstellt, dass er lügen könnte, weil er das Spricht nicht kennt, den Sprechtrieb, das Es Spricht, die Echos des Körpers. „Da der Körper einige Öffnungen hat, deren wichtigste, weil es nicht verstopft, geschlossen werden kann, das Ohr ist, antwortet im Körper das, was ich eine Stimme genannt habe.“[6] Es gibt eine Resonanz all des Gehörten, einen semantischen Widerhall all des akustisch Aufgenommen, sei es gut oder schlecht, im Körper eines jeden. Diese Echos müssen irgendwie verstanden werden können, sonst verliert man sich in der Einseitigkeit der Luzidität. Freilich darf man sich nicht auch in den Gehörshalluzinationen verlieren. Man muss darauf achten, dass die Echos des Körpers sich mit der Luzidität so verbinden, sich so kombinieren, dass sie zun Heil der Persönlichkeit beitragen. Dies kann man am besten mit der Analytischen Psychokatharsis tun, deren Vorgehen genau eine solche Verbindung und Kombination in rein  f o r m a l e r  zur Verfügung stellt. Sie stellt also nicht wieder neue Lehrsätze und Regeln, Ratgeber und wissenschaftliche Erklärungen zur Verfügung, sondern nur ein unmittelbares Gerüst, mit dem sich jeder die Sätze und Ratgeber selbst erarbeiten kann.

Verbindung und Kombination der dualen Prinzipien waren in der Fabel von dem eitlen Jüngling Narziss (der Selbstluzidität) und der Nymphe Echo (der nur sich selber Widerhallenden) sehr schlecht gelöst. Sie verharrten in ihren eigenen Prinzipien und mussten so an sich selbst zu Grunde gehen. Sie kamen zu dem bizarren Schluss, „lieber tot zu sein als in Liebe vereint“. In unserem Problem geht es um „Wahrhaftigkeit, und das ist etwas anderes als die Wahrheit des naturwissenschaftlichen Kalküls“, oder der geisteswissenschaftlichen Spekulation oder die eines luziden Spiels [7]. Die Kombination der Luzidität mit den Körperechos muss ein wirklicher Anderer sein, und nicht nur ein Alibi für den Psychologen-, Universitätslehrer- oder Priesterstand. Er muss genau jener luzide Spiegel sein, der gerade durch seine Leere, gerade weil er im Begehren, im Genießen ein Anderer ist, „das Wahre begründet.“ [8]Auch in Wolfs System gibt es keinen wirklich signifikanten Anderen, wir alle sind eigentlich die gleichen unschuldigen Träumer mit den täuschenden Blicken und verstellten Stimmen.



 

 



[1] Ruhs, A., Das unbewusste Sehen, ZAVB.com

[2] Der Gehirn ist ein Konkavspiegel, Erregungen, die aus dem Inneren des Körpers nach oben kommen, fokussieren etwa in der Höhe der corpora geniculata des Zwischenhirns (siehe Lacans Veröffentlichung ‚Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion‘)

[3] Wolf, F.A., Die Physik der Träume, Byblos Verlag (1995)

[4] Lacan, J., Les formations de l`inconscient, Mitschrift des Seminaire Nr.V vom 16.4.58, B.R.L.F., Strasbourg S. 310

[5] Lacan, J., Freund technische Schriften, Seminar I , Walter (1980) S. 248

[6] Lacan, J., Seminar XXIII, Lacan-Archiv, Seite 10, wo der Autor schreibt: Weil der Körper einige Öffnungen hat, deren wichtigste, weil es nicht verstopft, geschlossen werden kann, das Ohr ist, antwortet im Körper das, was ich eine Stimme genannt habe.“

 [7] Weiß, H., Der Andere in der Übertragung, frommann-holzboog (1988) S. 159

 [8] Lacan,J., Le transfert, Seminaire Nr. VIII, ed. Seuil (1991) S. 439 in leichter Abwandlung dieses Begriffs.