Heimatminister

Heimatministerien sind en vogue, in Deutschland gibt es sie in NRW, Bayern und im Bund. Man will die Verbundenheit mit Grund und Boden, mit Brauchtum, Sprache (auch Dialekt), Landschaftsgestaltung, Landwirtschaft bis hin zu Nationalstolz pflegen und fördern. Ob es dazu ein Ministerium braucht, da doch offensichtlich viele Menschen sehr wohl wissen, mit welchem Boden sie vertraut sind und wie sie ihn schätzen, kann man vielleicht in Frage stellen. Aber das Hauptproblem liegt ganz woanders. Vor vielen Jahren (noch Ende des letzten Jahrhunderts) hörte ich einmal von einer sudetendeutschen Frau, die ihre Heimat verloren hatte, und sie schilderte, wie schlimm dies für sie gewesen sei. Doch jetzt, nachdem sie auch andere Schicksalsschläge hat hinnehmen müssen, sei ihr klar geworden, dass die eigentliche und wahre Heimat in einem selbst liege. „Die Heimat liegt in mir, und ich will sie dort finden, denn die kann mir niemand mehr nehmen“, sagte sie glaubhaft. Und aus ganz anderen Gründen, glaube ich dies auch.

 Als Arzt und Psychotherapeut habe ich viele Menschen gesehen und mit ihnen gesprochen, weil sie – im übertragenen Sinne – keine Heimat mehr hatten, oder auch nie eine besessen hätten. Keine familiären Bindungen, keine Freunde, keinen erfüllenden Beruf, keine bestätigende Aufgabe, keine intellektuelle oder sonst soziale Anerkennung, all dies fehlte. Ich denke, dass all diese Heimatlosen viel häufiger anzutreffen sind, als die, die kein Gefühl für den Boden haben, auf dem sie leben und vielleicht auch aufgewachsen sind. Ein Heimatminister kann diesen, meist doch ziemlich verzweifelten Menschen, denen eine wirkliche Heimat fehlt, mit Sicherheit nicht helfen. Es sieht so aus, als seien derartige Ministerien für den Stimmerhalt bestimmter Parteien notwendig, aber nicht für die echt Heimatlosen.

Nun kann die allgemeine ärztliche Wissenschaft und auch die übliche, heute in hunderten von verschiedenen Formen angebotene Psychotherapie, das Problem der Menschen ohne Heimat auch nur selten helfen. Das Heimatgefühl ist ja ein sehr direktes, unmittelbares Zugehörigkeits- und Geborgenheitsgefühl, auf das man letztlich jederzeit spontan zurückgreifen können müsste. Ich erinnere mich an einige Menschen mit sogenannten Panikattacken, die dringend eine solche Hilfe, eine derartige unmittelbare Heimat gebraucht hätten. Denn in den langen Therapien, denen sie sich unterzogen, konnten sie zwar Einsicht in ihre Problematik finden, aber wenn sie plötzlich auf der Straße von einer Attacke überrascht wurden, war der Therapeut weit weg. Als ich einmal wieder solch einen Patienten behandelte, griff ich auf mein selbsttherapeutisches Verfahren zurück, das ich vor Jahren entwickelt hatte, mich aber nicht getraut hatte, es jemand für die Behandlung plötzlicher Panikattacke zu vermitteln.

In meinem Verfahren, das ich Analytische Psychokatharsis genannt habe,  meditiert man von mir so bezeichnete Formel-Worte, das sind Formulierungen, die in einem einzigen Schriftzug mehrere Bedeutungen enthalten, die zueinander jedoch so disparat, so unterschieden, sind, dass man sich auf keine einzelne festlegen kann. Das hat den Vorteil, dass man die Denk-, Formulierungs- und  Emotions-Sucht nicht weiter verfolgen kann. Diese Formel-Worte sind so kurz und prägnant, dass sie tatsächlich auch bei diesem ersten Patienten mit Panikattacken halfen. In dem Moment, in dem die Panik hochstieg, konnte er sofort, manchmal auch laut, zwei, drei derartige Formulierungen in sich oder eben auch aus sich heraus artikulieren. Natürlich musste er dazu von der Methode sehr überzeugt sein, denn eine Panikattacke kann leicht die letzten Angstreserven aktivieren, und die noch so intensiv gedachten oder artikulierten Formel-Worte zu sonderbaren Ausdrücken herunterstufen. Eine solche Überzeugung bestand bei meinem ersten Patienten, da er mich ja bereits ein paar Mal konsultiert und auch viel darüber gelesen hatte.

Ein bisschen war das Verfahren also für ihn, als er wieder eine Attacke hatte, schon zur zweiten Heimat geworden, wie er sich selber ausdrückte. Inzwischen scheint sie in den Rang der hauptsächlichen Heimat aufgerückt zu sein, denn er erfuhr und erreichte jetzt auch Ergebnisse, die mehr mit den analytischen, intellektuell arbeitenden Teil der Methode zu tun haben. Ich führe dies hier nicht weiter aus, da ich in vielen Büchern, auch in einer neuen kurzgefassten Broschüre (Psychoanalyse / Meditation), ausführlich darüber berichtet habe. Ohnehin werden wir uns mehr und mehr daran gewöhnen müssen, dass die geographische, soziale und kulturelle Heimat immer kleiner wird und an Bedeutung auf Grund globaler Einflüsse verliert. Familiäre Bindungen, Freundschaften und all die oben von mir zitierten Heimaten haben sicher einen großen Wert, aber die absolute Heimat werden sie nicht bieten können. Die ist tatsächlich, wie die Frau aus dem Sudetenland sagte, nur in einem selbst zu finden.