Warum man die Hölle besuchen sollte

In dem Grimmschen Märchen vom Teufel mit den drei goldenen Haaren muss der jugendliche Held – um die Prinzessin zu gewinnen – in die Hölle gehen, aus der man – wie es dort heißt – normalerweise nie mehr zurück kommt. Doch die Großmutter des Teufels verschafft dem jugendlichen Protagonisten die Kenntnis der notwendigen Geheimnisse und die drei goldenen Haare, die er benötigt. Interessant ist an diesem Märchen jedoch, dass die Geheimnisse nicht die bösen Taten des Teufels sind, weil er irgendetwas böswillig verhext hat, sondern dass er weiß, wo die Dinge ihren Haken haben und wodurch somit die Menschen fehlgehen. So muss man nur wissen, dass der Brunnen im Märchen nur deswegen versiegt ist, weil eine Kröte unter einem großen Stein hausend dies verursacht (vielleicht verstopft sie den Zufluss). Nicht der Böse hat Schuld, sondern ein vertracktes Geschehen, ein misslicher Zustand.

Es verhält sich also wie mit Freuds Unbewussten, das, wie Freud sagt, „nicht denkt, nicht kalkuliert und nicht urteilt, aber es  w e i ß!“ Es kommt sicher nicht von ungefähr, dass der Teufel und das Unbewusste so ähnlich sind. Sie sind nicht böse, sie wissen nur darum. Auch Luther redete ja gerne mit dem Teufel, denn „den kennt er und der mich.“ Es gibt ein Wissen im höllischen Unbewussten, und wenn man im Leben reüssieren will, muss man sich dieses Wissen dort holen. Und auch in der Psychoanalyse geht es oft um die ‚Große Mutter‘, die frühe Mutter, die Hexen-und-Feen-Mutter, die ‚primäre Mutter-Imago, mit der das kleine Kind in unbewusste Beziehungsgestaltungen verwickelt ist. Es handelt sich um ein bisschen Hölle, durch die man in jeder Psychoanalyse hindurch muss, doch wenn es gut geht, wird man ins königliche Schloss des eigenen, gelungenen Lebens einziehen können.

Und noch etwas ist an dem Märchen vom Teufel mit den drei goldenen Haaren der Psychoanalyse so verwandt. Man darf den Teufel nicht selber träumen lassen, also den Psychoanalytiker nicht selbst zu voreilig eine Deutung vorweg meditieren und ausdrücken lassen, vielmehr muss man ihm Träume erzählen. Dies tut die Großmutter im Märchen. Jedes Mal, wenn sie dem Teufel im Schlaf ein goldenes Haar ausreißt und er fluchend aufwacht, sagt sie, sie habe geträumt (z. B. von einem Brunnen, der dort und da versiegt ist). Darauf gibt der Teufel die richtige Deutung, eben z. B. die mit dem Stein und der Kröte, und so macht es auch der Analytiker.

Er macht es übrigens ähnlich wie es Vergil in Dantes 'göttlicher Komödie tut. Dante lässt sich von ihm durch die Hölle führen und so übernimmt Vergil die Rolle des Analytikers für seinen Klienten Dante. Das Besondere daran: Vergil konnte nicht auf endgültige Erlösung hoffen, da er nicht als Christ getauft war. Und so ergeht es auch dem Analytiker, derh seine eigene Analyse nicht zu Ende gebracht hat und auch wohl nie zu Ende bringen wird. Schon Freud ist es so ergangen. In der von mir inaugurierten Methode der Analytischen Psychokatharsis sind alle diese Zusammenhänge noch besser zu sehen. Hier provoziert man das Unbewusste mit traumartigen Formel-Worten, worauf es die dort verwahrten Geheimnisse preisgibt.  Und man kann doch auf Erlösung hoffen, da man in diesem Verfahren gleich vom Urverdrängten ausgeht, dieser ersten und konkretistischten Verdrängung, so dass die Analyse hier ein berechtigtes Ende finden kann.