Lacan und das 'Ding'

Das Unbewusste Freuds hat – wie also schon mehrfach betont – nicht nur eine sprachliche, symbolbezogene Seite, sondern auch die dinghafte, aufs Imaginäre bezogene Seite. Den Begriff dinghaft leite ich von Lacans Begriff des ‘Dings’ ab, den er in seinen französischen Vorlesungen immer in Deutsch ausdrückte, und den er dem Signifikanten als dem für die Psychoanalyse so wichtigen Bedeutungszeichen, dem ‚Bedeuter‘, gegenüberstellte. Auch das ‘Ding’ ist ein Bedeutungsknoten, der jedoch mehr vom Imaginären her bestimmt ist. Schon Kant hatte vom ‚Ding an sich‘ gesprochen, das er den herkömmlichen Objekten gegenüberstellte. Es handelte sich mehr oder weniger um eine transzendentes ‚Ding‘, auf das seine idealistische Philosophie hinauslief.


In Schopenhauers Buch 'Die Welt als Wille und Vorstellung' zeigt der Philosoph, dass Kants 'Ding an sich‘ nichts anderes ist als der menschliche Wille. Zurecht bemerkt Schopenhauer, dass das 'Ding an sich' kein Ding mehr ist, kein Objekt, keine Sache, nichts Festes und damit allgemein Standhaftes und Gültiges. Vielmehr hat es damit zu tun, dass Kant sein eigenes subjektbezogenes philosophisches Sprechen nicht anders erfassen konnte. Er musste es ‚Ding‘ nennen, um ihm eben einen objektbezogenen Charakter zu geben, aber er musste auch von einem 'an sich' sprechen, was eine Art von Hilflosigkeit bedeutet, von Transzendenz, von dem Bemühen, sich selbst aus dem Spiel zu lassen. Er hat also das ‚Ding‘ symbolisiert, es definitiv angesprochen, aber es zugleich im diffus Imaginären eines ‚an sich‘ stehen lassen.
Symbolisches, Worthaftes, und Imaginäres, Bildhaftes, standen also unverbindlich nebeneinander. Schopenhauer lag nicht falsch, wenn er das 'Ding an sich' als etwas anderes, nämlich Subjektbezogenes bezeichnete, nämlich als den Willen des menschlichen Subjekts. S. Freud hat dieser Feststellung allerdings eine weitere Nuance bzw. Uminterpretation hinzugefügt. Er sagt, dass es sich dabei nicht um den Willen handelt, sondern um das Wollen. Der Wille ist etwas zu Bewusstes, zu sehr mit dem eigenen Ego Verbundenes. Dagegen ist das Wollen mehr etwas Unbewusstes, ein Etwas, ein ES, das in uns will. Dieses Wollen ist unbeugsam. Und zudem: es gibt – wie erwähnt – ein worthaftes und ein bildhaftes Wollen, einen Sprech- und einen Schau-Trieb (Strahlt/Spricht).
Freud nennt es Triebe, psychophysische Strebungen, die wir mit unserem Ich nicht so leicht kontrollieren können. Sogar die Gedanken waren für Freud nur eine Alibi, eine Ausrede, ein Umweg, um den Trieb nicht gleich unverhüllt ins Ziel gelangen zu lassen. So muss beispielsweise der Kunstmaler dem Wahrnehmungs- bzw. Schautrieb zwar eine Möglichkeit zur Befriedigung bieten, darf aber nicht alles nur schnurstracks zeigen. Er muss eine Augentäuschung, eine Blickzähmung, anwenden, um das Schauen, die Erscheinungen des Schautriebs – wie man in der Psychoanalyse sagt –  zu kastrieren (zu hemmen, zu beschneiden). Das Objekt des Triebs muss im Stil, in der besonderen Malweise des Künstlers aufgefangen, leicht verwandelt und erst dann wieder als zu Sehendes ausgegeben werden. Nun ist das ‚Ding an sich‘ dann gar kein ‚Ding‘ mehr.
Für Lacan steht dem ‚Ding‘ der Andere gegenüber, der/das Andere in uns, L’Autre wie er sagt, wobei sich bei ihm zwischen die beiden, ‚Ding‘ und Anderer, Φ (griechisch Phi) schiebt, der ‚phallus symbolique‘, der die Angelegenheit ziemlich verkompliziert. Mein Kontrollanalytiker (ein Supervisor in der psychoanalytischen Ausbildung) erzählte mir einmal von einem Patienten, der, kaum ins Sprechzimmer eingetreten, die Frage stelle: ‚Was ist das ‚Ding an sich‘? Klar, für einen Psychoanalytiker drängt sich hier sofort das phallische Symbol auf, Φ also, die sexuelle Metapher. Mit dieser konnte aber mein Kontrollanalytiker nicht sogleich antworten und zum Patienten sagen: ‚Ja wissen Sie, das ‚Ding an sich‘ ist der Phallus, symbolisch gesehen, also sexuell im übertragenen Sinn, nicht im realen.‘ Oder so ähnlich.
Der Patient hätte es dennoch im realen Sinn verstanden und hätte somit diese Antwort des Therapeuten, den er doch zu Heilungszwecken und nicht zum Sexualkundeunterricht aufgesucht hat, brüskiert zurückgewiesen. Schließlich war der Patient ja noch gar nicht in Therapie, war noch nicht ins therapeutische Setting eingebunden. Nur dann nämlich und wenn es zudem im Gespräch einen Anknüpfungspunkt dazu gibt, kann der Psychoanalytiker eine Deutung geben, in der er den Anspruch des Patienten (der Patient spricht das ‚Ding‘ an, um das es psychologisch geht) auf den Trieb zurückführt und patientengerecht deutet. Denn freilich hat der Patient, speziell durch die Betonung des ‚an sich‘ und durch die ja auch etwas provozierende Art, mit der er schon beim Betreten des Sprechzimmers den Psychoanalytiker angeht, diesen mit Φ verdeckt, symbolisch, konfrontiert. Ich kann die Angelegenheit durch eine Geschichte verdeutlichen, die ich und ein Kollege von mir mit einer 68-Kommunardin, einer der recht aktiven Frauen der damaligen außerparlamentarischen Opposition, in München erlebt haben.
Wir haben sie mehrmals in ihrer Wohnung besucht, fanden sie ganz attraktiv, haben über alles geredet und waren an ihr – wohl mehr als an der Politik – als Frau interessiert. Sie beschimpfte uns manchmal als ‚Ihr Skifahrer‘, als Machotypen, die sozial nicht engagiert waren und nur an ihre Körperfitness denken. Einmal besuchte mein Kollege sie alleine und während des Gesprächs sagte sie mit deutlich gedämpfter Stimme plötzlich und unvermittelt: ‚Zeig mir dei'n Sack‘! Wow! Was hat sie gesagt, war das richtig verstanden? Aber da war mein Kollege schon in die Falle geraten. Sie hatte es zwar leise gehaucht, aber es war zu verstehen gewesen und lag einen Moment unbeantwortet in der Luft.
Doch es war auch eine Provokation, auf die mein Kollege falsch reagierte, indem er so tat, als hätte er nichts gehört und so den entscheidenden Moment verstreichen ließ. Natürlich wäre es auch falsch gewesen zu sagen: ‚Ja hier, kannst du es sehen‘ und dabei die Hose zu öffnen. Denn dann hätte sie wahrscheinlich entgegnet: ‚was redest du, was machst du da, hör mit dem Blödsinn auf‘! Die Falle war also raffiniert und ideal angelegt. Auch ein „Was sagst du“ wäre daneben gegangen, denn sie hätte nichts wiederholt. Die einzige Möglichkeit wäre gewesen, ihr zu sagen, dass man den Satz gehört hat, aber verwirrt sei und wissen wolle, was sie damit wirklich meine. Denn was will sie, hat sie so etwas noch nie gesehen? Will sie nur bluffen?
Und so hätte man über Φ sprechen können, warum dies anscheinend als Problem zwischen Männern und Frauen steht, warum es tatsächlich nur mit gedämpfter Stimme oder hinter vorgehaltener Hand geäußert werden kann. Denn mit Sicherheit hat die nette und attraktive Kommunardin erkannt, was wir eigentlich und in diesem Falle mein Kollege im Schilde führten, aber wie hätte sie uns diese Kenntnis vermitteln können? Mit dem Spruch ‚Ihr denkt doch immer nur an das Eine‘ wären wir – beziehungsweise jetzt hier mein Kollege – nicht zu entlarven gewesen. Wie der Patient bei meinem Kontrollanalytiker hätten wir jede Deutung abgelehnt und weiter BlaBla geredet.
Die Frauen der 68ziger waren uns voraus. Die Kommunardin hat eine provokative und umgekehrte Art der Psychoanalyse angewendet. Sie hat nicht den letztlich ja immer irgendwie verklausulierten Anspruch auf den Trieb zurückgeführt, und so das wahre Begehren von uns ‚Patienten‘ enthüllt, sondern den Trieb verklausuliert aufgerufen, hellwach gemacht, provoziert, und dann die Deutung den Patienten selbst finden lassen. Mein Kollege ist nach diesem Abend nie mehr zu ihr gegangen, er hat sich für seine Blamage so geschämt und nicht gewusst, wie er sie hätte beseitigen können. Dabei hätte er das Ganze bei einem nächsten Besuch recht humorvoll ansprechen und klären können, denn es ist ihm ja durchaus auch ein bisschen um die politischen Diskussionen gegangen. Aber so war Φ doppelt kastriert.
In seiner Arbeit ‚Kant mit Sade‘ zeigte J. Lacan, dass Kant und de Sade zwar so gegensätzliche Pole sind, wie man es sich nur denken kann, aber ihre Essenzen in der gleichen Küche brauen. So ist das ‚moralische Gesetz‘, das Kant in sich verspürt, letztlich das Resultat eines Gleitens der Bedeutung, die von einem Begriff auf den nächsten übergeht: Von der ‚Freiheit‘ auf die ‚Autonomie des Willens‘, sodann auf die ‚Sittlichkeit‘, auf die ‚Pflicht‘ und schließlich auf den ‘kategorischen Imperativ’. Die reine Vernunft sorgt eben dafür, dass der Blick auf das sinnlich Gute durch ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten das Wohlgefallen an der Lust mindert. „Erst in dem Augenblick, wo das rein vernünftelnde Subjekt sich keinerlei Objekt mehr gegenübersieht, stößt es auf ein Gesetz, . . . das reine praktische Vernunft oder Wille ist,“ also auf eine abstrakte Form von sich selbst. All das heißt somit, „dass sie die Vernunft für keinen Fall gilt, wenn nicht für jeden“. Kant vernünftelt bis zum Geht-Nicht-Mehr und begründet damit letztlich die Vernunft aus sich selbst, aus Prinzipien der Prinzipien. Zum Schluss bleibt eigentlich nur noch der reine Vernunftmensch übrig, der prinzipielle Mensch. Die Objekte, um deren Erkenntnis es ging, sind gar nicht mehr nötig, sie sind vergessen, weil ohnehin nicht zu bekommen. So hat man Kants Philosophie die des Idealismus genannt. Das denkende Subjekt ersetzt die reine platonische Idee und ist so sein eigener, jedoch nur virtueller, transzendenter Anderer.
Bei de Sade ist es genau umgekehrt: Der Blick auf das gute Sinnliche lässt alle Gesetze verschwinden. Die Lustgesetze, die er findet, gelten auf jeden Fall, sind aber für keinen zu verwirklichen. Sie sind einfach zu monströs, zu aberwitzig, zu pervers. Sie objektivieren selbst noch den absolutesten, persönlichen, bedeutenden Anderen. Damit will ich sagen, dass es zwar auch das/den Anderen als solchen gibt, den unbewussten Anderen, der bei de Sade jedoch zum prinzipienlosen Zombie stilisiert wird. Es gibt nun nur noch Objekte der Lust, und de Sade verlustiert sich ad Infinitum.
Im Gegensatz zu Kant findet de Sade seine Objekte stets und überall, prinzipiell-prinzipienlos. De Sade hat – um mit Freud zu sprechen – nur noch ein Trieb-Ich (ein Trieb-Selbst), an dem die Objekte (seine Opfer) das ‘Variabelste sind’, während Kant versucht im Objekt (Ding) ‘an sich’ vollkommen aufzugehen und keine Ich-Objekt-Beziehung mehr zu haben. In seiner Bewunderung über den Sternenhimmel verleugnet Kant, dass es die Lust ist, die Schaulust, die ihn so überwältigt, denn sie hätte ihn noch viele andere Lüste sehen lassen, und weiß Gott, wohin er damit gekommen wäre. So verstärkt er, ja vergöttlicht er den äußeren Himmel!
De Sade dagegen sieht nur die Lüste, sieht nur lauter innere Himmel (die bei ihm speziell äußere Höllen sind), die Vernunft verdrängt er vollends, denn sie würde sein Paradies auf Erden stören. Schon der geringste Gedanke daran, dass ja ein Anderer ein wirklich Anderer ist, dessen Lust- oder Sozialgesetze vielleicht nach ganz anderen Prinzipien funktionieren als die seinen, macht seine ‘Philosophie aus dem Boudoir’, in dem er sich an den Misshandlungen spießiger, prüder Frauen ergötzt, zunichte. Aber ist es bei Kant nicht umgekehrt genauso?
Kant traute sich das Objekt nicht zu, insbesondere nicht das ‚weibliche‘. „Kant sei nicht ein erklärter Feind der Ehe gewesen, sondern habe zweimal den festen Vorsatz gehabt, `würdige´ Frauenzimmer zu ehelichen, doch sei er mit dem Entschluss und dessen Verwirklichung so langsam vorangekommen, dass er gegenüber Konkurrenten ins Hintertreffen geriet“. Auf jeden Fall gab es kaum Kontakte und Beziehungen zu Frauen. „Die Psychoanalyse erklärt die Ehelosigkeit Kants mit einem Mutterkult, der andere Bindungen an Frauen verhindert habe“, schreibt ein anderer Biograph des großen Philosophen, doch „der Philosoph sah die Sache anders: `Da ich eine Frau brauchen konnte, konnt` ich keine ernähren; und da ich eine ernähren konnte, konnt` ich keine mehr brauchen´.“  Diese etwas zynischen Witzchen waren typisch für Kant, verraten aber, dass es wohl eine Hemmung gegenüber den Frauen gab, eine Angst vor dem „weiblichen Objekt“, vor der Frau als solcher.
Indem er so das in ihm wirkende Freudsche Lustprinzip völlig in den großartig entfalteten, in sich zigfach verschachtelten Begrifflichkeiten verschwinden lässt, macht er uns zunichte, uns kleine Erdenbürger, die wir wissen, dass es – laut Freud – ein Begehren gibt, das unbewusst ist. Kant lässt uns nur in seinem stringenten Sprechen zwanghaft Schauen, nicht ins sinnenhafte Darüberhinaus, während de Sade in seinem stringenten Schauen uns nur immer die gleichen Lustformeln Sprechen lässt, nichts anderes. Und die erwähnte Küche, in der die beiden ihre Essenzen brauen, heißt demnach Φ, der ‚Bedeuter‘ von Begehren und Plaisir, der jedoch keinen konkreten Namen hat, ein Signifikant, der kein Signifikat besitzt und mit dem ‚Ding‘ nichts zu tun hat.
Es gibt nur einen Ausweg: jeder muss das ‚Ding‘ in sich selber finden, egal ob es als ein ‚an sich‘ oder mit sonst irgendeiner Bezeichnung fungiert. Ich müsste hier erneut mit dem Schreiben aufhören, weil alles allgemeine, philosophische oder psychoanalytische Gerede nicht weiterhilft. Will man wirklich Fortschritte machen, muss man selbst in die analytische Psychotherapie gehen. Doch das ist nicht ohne viel Umstände, viele Sitzungen, lange Jahre und viel Geld zu haben. Ich will das ‚Ding‘ selber zum Ausweg machen, und zwar in der Form, wie Lacan sie beschrieben, aber sie nicht in die praktische Verwendung einbezogen hat. Denn man muss sich dem ‚Ding‘ auch vom rein Bildhaften, von Ähnlichkeiten her nähern.
Das auratische ‚Ding‘ und der sprechende Andere
Kehren wir also nochmals zu den ersten Identifikationsmodi zurück, die aus Ähnlichkeitsbeziehungen in der Wahrnehmung stammen, so befinden wir uns tatsächlich in dem gleichen Teufelskreis, in dem Kant und Schopenhauer und z. T. auch noch Freud sich befunden haben. Wir taumeln von einer Identität in die nächste, verbleiben also im Imaginären, Bildhaften. Um das alles in einen einigermaßen geordneten Zusammenhang zu bringen, bedarf es ganz besonders der oben genannten Übertragungsbeziehung und ihrer Deutung, die vom Symbolischen, vom Worthaften herkommt. Denn man überträgt ja inadäquate Bedeutungen auf den Therapeuten, das Worthafte beherrscht die Therapie. Aber kann man es nicht auch umgekehrt machen?
Kann man sich nicht zur Meditation hinsetzen und die gähnende Leere, das Dunkel, das Nichts, kurz: das ‚Ding‘ auf sich wirken lassen? Es verhält sich wie bei der radikalen Beziehung Gott-Mensch, hinsichtlich der ich einmal jemanden kannte, der Folgendes sagte: ‘Ich will Gott ohne jedes Dazwischentreten eines anderen Menschen. Kein Priester, kein Meditationslehrer, niemand und nichts darf dazwischen stehen.’ Diese Auffassung verurteilte ihn zum Alleinsein, zu weitgehender Isolation, zu Depressionen, aber auch zu erstaunlichen Erfahrungen. Es war nicht unlogisch solch eine reine Selbstdurchwirkung und Selbstverwirklichung, einen Gott ohne jede Religion zu versuchen. Dennoch glaube ich, dass das ‚Ding‘ ihn schließlich gepackt und zerstört hat. Ich habe ihn nur eine Zeitlang begleitet, er entwickelte eine schwere Parkinson-Krankheit und wurde dadurch auch geistig verlangsamt. Nun kann man leicht argumentieren, die Krankheit hätte auch andere Ursachen haben können. Doch andererseits ist auch klar, man kann sich dem ‚Ding‘ nicht unbewaffnet nähern.
 Das ‚Ding‘, das bei Lacan nicht la chose, die Sache, ist, sondern eher etwas Körperhaftes, das leer ist, hohl wie ein fast unendliches Loch, hat also einen entfernten Anklang an das Kantsche ‘Ding an sich’, indem es ja auch bei Kant unsichtbar und doch das einzig Wirkliche ist. Mit dem Wirklichen hat auch Lacans ‚Ding‘ zu tun, und auch hier ist das Wirkliche nicht die äußere Realität, sondern der zum Realen hin verdichtete Signifikant. Während aber Φ der Signifikant ist, der in der therapeutischen Beziehung als Sprechwesen, als ‚Bedeuter‘ des Begehrens, und so als elementar im psychoanalytischen Dialog übersetzt werden kann, würde ich erst einmal vom Urschrei der Seele sprechen, von dem in die nackte Welt geworfenen Menschen, der sich im Urschrei verdichtet, versignifikantisiert, um es einmal so noch nicht ganz wissenschaftlich auszudrücken. Denn für das ‚Ding‘ gibt es erst einmal nichts, nichts Symbolisches und auch nichts Imaginäres. Man ist lediglich im Realen.
Dazu eine Abbildung des sogenannten Borromäischen Knotens, der für Lacan zentral ist. Es ist sofort zu sehen, dass zwischen dem Imaginären und Symbolischen der Sinn zustande kommt, aber er ist ohne Bezug zum Realen. Dagegen finden sich in der Überschneidung zum Realen zweimal ein J, das für die ‚Jouissance‘ steht, für das Genießen als solches. Es ist jedoch in einem Fall mit dem ja nun schon recht bekannten Φ assoziiert, im anderen Fall mit dem quergestrichenen A, das für den Anderen steht. Dass er quergestrichen ist heißt, dass er kastriert ist, also gehemmt, nicht universal frei und ungebunden. Auch diese psychoanalytische Besonderheit habe ich erklärt. Der ungebundene Andere nämlich hätte etwas mit dem ‚Ding‘ zu tun, würde man nur weit genug sublimieren können.
Das Lacansche ‘Ding’ hat Beziehung zur Sublimierung, insofern diese nicht psychische Abwehr oder kompromissartiges Symptom ist, sondern hochgradige Verfeinerung, hinter der das ‘Ding’ jedoch als die vollkommene Überschreitung, Ekstatik gähnt. „Der Unterschied zwischen dem ‘Ding’ und dem Objekt, der chose, ist also zunächst der, dass das ‘Ding’ fundamental fremd ist, . . jedenfalls das erste Außen ist als das, woran sich der ganze Weg des Subjekts orientiert. Es ist ohne jeden Zweifel ein Weg der Kontrolle, der Referenz, im Verhältnis wozu? - zur Welt seiner Begehren.“ Ich deute dies so: Wir begehren zu viele Objekte, wir sind zu sehr objektbezogen, und so bleiben wir unten, zu sehr geerdet, anstatt das Objekt – wie Lacan weiter ausführt – ‘zur Würde des ‘Dings’ zu erheben’, also zu sublimieren. Auf jeden Fall sind demnach die alltäglichen Dinge im ‘Ding’ so extrem sublimiert, dass man von völliger Selbstsublimierung sprechen muss, will man in seine Nähe kommen. Denn wie soll diese hochgradige Verfeinerung zu Stande kommen, wenn nicht aus dem Selbst heraus, im direktesten Weg?
Ganz klar, dass sich das ‚Ding‘ vom Realen, von dem Freud als psychischer Realität gesprochen hat, unterscheidet, indem es jetzt vom Ungesprochenen, Imaginären herkommt und so eher das unsichtbar Wirkende ist, das ‚Leere‘, das aber eben gerade wegen seiner scheinbaren Nichtigkeit wirkt. „Das Reale ist ohne Riss, es ist ein Festes, Dunkles, aber  das ‚Ding‘ ist da, wo sich das Andere [das ganz Andere, eher Fremde] für das Subjekt unübersetzbar zeigt“, schreibt J. Bossinade. Sie schreibt auch folgenden schwer verständlichen, wenn auch zutreffenden Satz: „Infolge des Auftritts des ‚prähistorischen Anderen‘ [gemeint ist eine Art frühzeitlichster Vaterfigur, Gott, Urahn] erfährt das menschliche Subjekt eine ‚Distanz‘, durch die es sich von einem Zustand ‚entfremdet‘[nämlich dem „Ding“], den es nachträglich als bruchloses Reales bzw. als geschlossenen Mutterleib imaginiert“. Eine Rückkehr ist also nicht mehr möglich, weder in den psychisch so stark nachwirkenden Mutterleib noch ins Paradies, aber „das Ding“ bleibt einem als Leere und Selbstsublimation erhalten. Es ist nicht Nichts, aber was dann?
„Es gibt in der Liebe immer irgendeine Wonne des Todes, eines Todes jedoch, den wir uns nicht selbst auferlegen können.“ Es hat etwas mit einer ‚Verschmelzungssehnsucht‘ zu tun, die ein mit der Liebe vermischtes Todesbegehren darstellt. Es will etwas wiederholt werden, was im Leben noch nicht zum Zug gekommen ist, nicht gesagt, nicht eingestanden und enthüllt worden oder für immer verloren worden ist. Wie die Schwarzen Löcher in der Physik hat das ‘Ding’ unglaubliche Anziehungskraft, obwohl es leer ist, ursprünglichster Mangel ist, Kluft, Nichts. Lacan meint aber, dass dieser Mangel schon in der frühesten Kindheit, ja bei der Geburt Realität wurde, nämlich durch den Verlust der Plazenta, die ja die Hälfte des kindlichen Körpers ist, weil sie zu ihm gehört und nicht zur Mutter. Wir erholen uns von dieser Trennung nicht und klammern uns an die Objekte des Lebens?
Und so verhält es sich wohl auch mit den vielen Prinzipien, deren letztliche Widersinnigkeit das menschliche Leben ständig zu überschatten scheinen: ihr Wurzelgrund ist nicht zum Zug gekommen. Trotzdem eröffnet sich hier eine Chance, dem Paradoxen zu entkommen. Wenn es tödliche Wonnen sind, um die es geht und die man sich nicht selbst auferlegen kann, kann man sie vielleicht von woanders her erfahren. Bei Bhagwan Rajneesch, dem Guru der 70ger Jahre, gab es eine sogenannte „dynamische Meditation“, bei der die Menschen tobten und schrien: man wusste nie ob aus orgasmischer Lust oder aus Todesangst. Es klang beides tatsächlich völlig gleich und war somit etwas unheimlich. Doch so sehr dies an die Wonnen des Todes erinnerte, der meditative Effekt war gering. Man tobte sich aus, erlebte vielleicht eine Katharsis, blieb aber ohne Erkenntnis und sprachliche Enthüllung. Eine der Psychoanalyse vergleichbare Therapie war dies nicht.
Dagegen bedeutet ein Seufzer, ein unbewusster, automatischer Seufzer, wie ich ihn öfters in einer Meditationsgruppe bei anderen, aber auch bei mir beobachten konnte, viel mehr. Es handelt sich nicht um ein gemachtes, selbstmitleidiges Seufzen, sondern um ein aus der Tiefe kommendes, kurzes Aufseufzen, ein kaum vernehmbares Klagen, das erleichtert und direkt aus dem Realen her auftaucht. Offenbar hat es etwas mit einer Regression in diese frühe Kindheit zu tun, die ja wichtig für die Öffnung des Unbewussten ist. Es verhält sich nämlich genauso im „Grundrhythmus eines ersten Wimmerns und seines Nachlassens“ beim Kleinkind, das einem ursprünglichen, bereits phonematischen ‚Laut‘ aus dem Realen entspricht. Dieses Wimmern ist noch nicht Anruf, Anspruch des Kindes an den Anderen, an die Mutter zum Beispiel, sondern unmittelbares Reales, sein Weh, sein Ach, sein Schmerz, der Verlust seines ‚Dings‘. So bedeutet wohl auch der Seufzer in tiefer Meditation eine markerschütternde Klage, ein abgründiger Schmerz, das Auratische des ‚Dings‘ nicht erreicht zu haben.
Bei meinem Studium und der Beschäftigung mit Yoga und Meditation kannte ich einen Lehrer, der eine ganz leichte hypomanische Grundstimmung besaß, die auf andere ausstrahlen konnte. Er erzählte die Geschichte, wie er als junger Mann bei ziemlicher Kälte im Zug von seinem Gegenüber eine Decke angeboten bekam. Doch nach einiger Zeit gab er sie wieder zurück. Er fror mehr als zuvor, denn wenn er ganz innig bei sich war – so sagte er – hatte er nicht das Gefühl zu frieren. Kann man sagen, dass die Decke und die ablenkende Vermittlung mit seinem Gegenüber sein ‚Ding‘ eher geschwächt als gestärkt hatte? Denn es bestand wohl zwischen den beiden Reisenden keine derartige Beziehung, dass die Leere zwischen ihnen selbst mit einer starken altruistischen Geste oder einem hochinteressanten Gespräch hätte überbrückt werden können. Das ‚Ding‘ des Yogalehrers wäre also fast verloren gegangen und konnte nur so, in der Hypomanie, weiter bewahrt werden. Diese musste er jedoch ständig in sich mit meditativer Übung aufrecht erhalten.
Auch der Philosoph Heidegger hat sich mit dem ‚Ding‘ beschäftigt, indem er es im Wesen des Krugs als etwas Besonderes herausgestellt hat. „Der Krug west als Ding,“ sagt er. „Wie aber west das Ding?“ Es west indem der Krug Wasser von oben her aufnimmt und auf der Erde zum Ausgießen sammelt, was eine Art von Geschenk- und Opferhandlung ist. „Im Wasser des Geschenks weilt die Quelle. Im Wasser der Quelle weilt die Hochzeit von Himmel und Erde. . . . Das Geschenk des Gusses aber ist das Krughafte des Kruges und im Wesen des Kruges weilen Erde und Himmel . . .“ All dies greift Lacan von der Seite des Töpfers her auf, indem dieser die Leere, das Nichts mit der Erde, dem Ton, dem Lehm umgibt. Aber dadurch schafft er ja selbst die Leere, die er vorher so noch gar nicht gekannt hat. Doch jetzt ist sie die Leere des ‚Dings‘, und deswegen ist das ‚Ding‘ das Bewusstwerden der Kluft, dieses grundsätzlichen Fehlens, das für den Menschen so bestimmend ist.
Der Philosoph versucht, diesem Bestimmenden durch philosophisch poetische Sublimierung auszukommen. Doch weit gelangt er damit nicht. Schon Freud konstatierte, dass es drei Diskurstypen gibt, denen eine gewisse Sublimierung korreliert. Für die Kunst (und dies gilt jetzt auch für Heideggers philosophische Poesie) ist es die Hysterie, für die Religion die Zwangsneurose und für die Wissenschaft die Paranoia. Diese drei Formen der Sublimierung haben auch Beziehung zu dem Lacanschen ‚Ding‘, und zwar in der Art, dass das ‘Ding‘ dabei stets durch eine Leere repräsentiert sein wird, weil es nicht durch anderes repräsentiert werden kann - oder genauer, weil es repräsentiert werden kann allein durch anderes . . . Für alle Kunst ist eine bestimmte Weise der Organisation charakteristisch, die um jene Leere herum kreist."  
"Die Religion besteht in allen Weisen, dieser Leere aus dem Wege zu gehen . . .  und was . . . den Diskurs der Wissenschaft angeht, . . . so kommt in ihr das Wort voll zur Geltung, das Freud bei der Paranoia und ihrem Verhältnis zur Realität verwendete – Unglauben. . . Bezüglich des Unglaubens gibt es aus unserer Sicht, eine Position des Diskurses, die sehr genau zu begreifen ist im Verhältnis zum ‚Ding‘ – das ‚Ding‘ wird in ihr verworfen im eigentlichen Sinne der Verwerfung. Ebenso wie es in der Kunst eine Verdrängung des ‚Dings‘ und in der Religion vielleicht eine Verschiebung gibt, geht es im Diskurs der Wissenschaft, eigentlich gesprochen, um Verwerfung. Der Diskurs der Wissenschaft verwirft die Präsenz des Dings, insofern, aus seiner Sicht, sich das Ideal des absoluten Wissens abzeichnet, das heißt das Ideal von etwas, das zwar das ‚Ding‘ setzt, doch mit ihm nicht rechnet. Jedermann weiß, dass diese Sicht sich in der Geschichte letztlich als ein Scheitern herausstellt. Der Diskurs der Wissenschaft ist von dieser Verwerfung bestimmt, deshalb wahrscheinlich – was vom Symbolischen verworfen wird, erscheint nach meiner Formel im Realen – läuft er auf eine Sicht hinaus, in der, am Ende der Physik, ein so Rätselhaftes wie das Ding‘ sich abzeichnet."
Ich habe in einigen Veröffentlichungen die Psychoanalytikern R. Golan zitiert, die das ‚Ding‘ in die Nähe dessen rückt, was sie die ‘Jouissance feminine’ nennt, ein Genießen, das auch ‘Schmerz und Leid einschließt, dafür aber auch Universalität, Höhe, Grenzenlosigkeit, Erkenntnis / Erleuchtung, Wissen, Freiheit und Glückseligkeit beinhaltet.’ Sie zielt auf so etwas wie eine transzendente Berauschtheit; sie ist nicht nur positive Rausch-Ekstase, sondern auch manchmal ein Gefühl den Tränen nachgeben zu müssen, Gefühl eines Sich-Ausschüttens, eines Weinens vor Glück, eines emotionalen Beteiligtseins am grundsätzlichen Leid. Auch der Schmerz ist hier eine Konzentration der Kräfte im Körper und nicht Krankheit, und das Leid ist eben Mitleid im generellen Sinne. Es geht um etwas Auratisches.
Es geht, wie früher die Mystiker sagten, um eine innere Wesensschau. Man benötigt dazu keine Virtual-Reality-Brille und auch nicht eine magisch-mythische Ekstase wie früher. Es genügt, dass man den Urschrei der Seele wenigstens aus der Ferne einmal in sich wahrgenommen hat, dieses Aufbäumen gegen eine scheinbar unmenschliche Welt, dann jedoch den Schlüssel zu seiner Bewältigung nicht nur durch die guten Worte des Psychoanalytikers in der Hand hält, sondern eben auch durch das ‚Ding‘ als eine Konstanz des Blicks. Bick-Konstanz ist ein Vorgang, der – auf moderne, wissenschaftliche Weise – nur durch die Analytische Psychokatharsis erreicht werden kann. Denn der Blick in das Dunkel der Seele wird bei ihr durch die kompaktest mögliche Formulierung, den erwähnten ‚linguistischen Kristall‘ der Formel-Worte gestützt.
Ich habe schon von den ‚Mehrfachblicken‘ gesprochen, nämlich dass man nicht nur mit dem Auge und dem dazugehörigen Sehfeld in der hinteren Hirnrinde sieht, sondern auch mit der Schaulust, mit dem subjektiven Blick, mit der Kombination von Blicken und Angeblicktwerden. Dass man zwei Blicke hat konnte man auch computertechnisch verifizieren, wenn man die neuen Computerbilder, die unter dem Titel ‘Das magische Auge’ zahlreich erschienen sind, betrachtet. Bekanntlich sieht man da ein vom Computer gestaltetes zweidimensionales Bild, das, wenn man es wie traumverloren, mit einem geradezu blöden, schielenden Blick anschaut, ein zweites, im ersten verstecktes dreidimensionales Bild freigibt, also einen völlig anderen zweiten Blick! Nun führt dies nicht zum ‚Ding‘, denn dies ist nur eine computertechnische Veranstaltung. Aber der durch die Meditation mit den Formel-Worten kompakt und einheitlich gemachte Blick, bekommt nach einiger Zeit des Übens genau diese Konstanz, die das ‚Ding‘ als Bildhaftes und doch auch nicht Bildhaftes, sondern als das Psychokathartische im Übergang zum Analytischen, als perfektes Psycho.net, erfassen lässt.
Mehr kann man zum ‚Ding‘ und zum Psycho.net nicht sagen, denn all das Gerede lässt das ‚Ding‘ ja wieder nur mehr und mehr verschwinden. Wieder muss ich sagen, dass ich hier aufhören muss zu schreiben, denn das ‚Ding‘ lässt das nicht weiter zu.