Perfektoide Räume und Psychoanalyse

Der Mathematiker Peter Scholze hat bekanntlich vor kurzem die Fields-Medaille, quasi der Nobelpreis für Mathematik, für seine Entwicklung sogenannter ‚perfektoider Räume‘ bekommen. In einem Vortrag, der nicht nur für Fachleute sondern auch für interessierte Laien bestimmt war und über den die FAZ am 1. 8. 2018 berichtete, legte er sein Konzept über den Zusammenhang von Arithmetik (allgemeine Zahlenlehre) und Topologie (Einsteinsche- oder Gummigeometrie) dar. Es hat die Menschen immer schon interessiert, ob nicht Zahlen und Geometrie eng verwandt sind, sind sie doch Elemente der gleichen Wissenschaft. Scholze ging in seinem Vortrag von der einfachen Zahlengeraden (also 1,2,3,4 . . ) aus, stellte jedoch gleich klar, dass man mit diesen fortlaufenden ganzen Zahlen in der Arithmetik nicht weit kommt. Man muss die Cardanische Formel und die sogenannte Galois-Gruppe benutzen, die den allgemeinen Zahlen eine gewisse innere Raumordnung geben, die man dann den topolo-gischen Räumen gegenüberstellen kann, erklärte Schulze in seinem Vortrag. In der Raum-ordnung kommt es zu Knotenbildungen, die die Primzahlen darstellen und somit hat alles seinen Platz. 


Vereinfacht ausgedrückt:  Die genannte arithmetische Formel bzw. Gruppe geben dem sonst unendlichen Zahlenstrang eine innere und vor allem ‚endliche Ordnung‘, mit der man konkret arbeiten kann und sich nicht ständig mit dem Unendlichkeitsproblem herumschlagen muss. Doch genau so etwas existiert auch bei den topologischen Formen, man nennt sie ‚topologische Fundamentalgruppen‘, also Gruppen, in denen die topologischen Formen homo-top (strukturbezogen gleich) aufgebaut sind, und damit dem uferlos Bildhaften dieser Einsteinschen Geometrie ebenso eine Ordnung verpasst. Scholze präsentierte dazu das Möbius-Band, bei dem eine Fläche bandartig ausgedehnt und an ihren Enden um 180 Grad verdreht zu einer Art Kreisform zusammengeklebt, eine derartige Überlagerung darstellt (die zwei Seiten überlagern sich sozusagen in einer einzigen Fläche, siehe Abbildung links).  Dieses Phänomen führte Scholze zu der Behauptung (er sagte, es ist alles noch nicht so ganz präzise), dass die topologischen Fundamentalgruppen, die hier stets dreidimensional sind, identisch mit den arithmetischen Galois-Gruppen sind. Jetzt kann man das eine in das andere direkt überführen, man hat in dieser Zusammenführung ein zentrales Strukturelement.
Nun hat der Psychoanalytiker J. Lacan schon vor fünfzig Jahren in seinen Vorlesungen darauf hingewiesen, dass so etwas wie das Möbiusband und andere topologische Figuren der Funktion und Form des seelisch Unbewussten sehr anschaulich entsprechen. Lacan hatte zwar immer erklärt, dass das Unbewusste „strukturiert ist  w i e  eine Sprache, also worthaften Charakter hat, und es damit ja auch möglich ist, das Unbewusste aus den Träumen, den Versprechern und freien Assoziationen heraushören zu können. Doch merkte Lacan schon früh, dass es eben auch diese geometrische Form des Unbewussten gibt. Bei einem Vortag im Brüssel 1977 sagte Lacan: „Wo sind die Hysterikerinnen von ehemals geblieben, diese wunderbaren Frauen, die Anna O.’s, die Emmy von N.’s? Sie spielten nicht nur eine gewisse Rolle, . . sondern sie waren es, die die Geburt der Psychoanalyse ermöglichten, als Freud begann, ihnen zuzuhören. Indem er ihnen zuhörte, hat Freud eine völlig neue Art der menschlichen Beziehung eingeführt.“ 
„Das Unbewusste hat seinen Ursprung in dem Umstand, dass die Hysterikerin nicht weiß, was sie sagt, auch wenn sie sehr wohl durch die Worte, die ihr fehlen, etwas mitteilt. Denn das Unbewusste ist ein Sprachsediment, . . man ist von Worten geführt, von denen man nichts versteht. Das beginnt bereits, wenn die Leute unüberlegt drauflos sprechen; es ist ganz klar, dass sie den Worten nicht ihr Gewicht an Sinn geben.“ Doch eben dies ist nur die eine Seite des Unbewussten. Es ist also auch ein Hort von Einsteinscher Geometrie, die man auch Gummigeometrie nennt, weil eine Kugel auch dann eine Kugel im geometrischen Sin-ne bleibt, wenn sie eingedellt und verformt ist.
„Was ich in dieser Geometrie, die ich ausbrüte und die ich als Geometrie . . der Weberei zu artikulieren versuche, ist eine Geometrie, die widersteht, eine Geometrie, die im Bereich dessen liegt, was ich ‚alle Frauen‘ nennen könnte, wenn sich die Frauen nicht gerade dadurch charakterisieren würden, ‚nicht alle‘, zu sein.  Deshalb ist es den Frauen nicht gelungen, diese Geometrie zu schaffen, an die ich mich hänge. Trotzdem sind sie es, die dazu das Material hatten, die Fäden. Vielleicht würde die Wissenschaft eine andere Wendung nehmen, wenn man aus ihr einen Webrahmen machte, das heißt etwas, das sich in Fäden auflöst,“ in weibliche Wissenschaft, könnte man ergänzen. Denn auch die Fäden können eine psychoanalytische Deutung weben und spinnen, ein Psycho.net im wörtlichsten Sinne.  Den Begriff des Psycho.net habe ich in einem Buch gleichen Titels in Theorie und als praktisch anwendbare selbsttherapeutische Methode dargelegt und erklärt. In ihr wird Psychoanalyse und Meditation als ein sich von beiden Seiten her überlagerndes Verfahren dargestellt, das jeder theoretisch verstehen und auch praktisch anwenden kann.
Denn was Lacan nicht mehr ausführlich bearbeitet hat, und wohl auch für andere Neurosen und seelische Strukturen im Allgemeinen gilt, ist genau diese Faden-Geometrie, die den ‚perfektoiden Räumen‘ des Mathematikers P. Scholze so ähnelt. In meinen Büchern (nicht nur im Psycho.net) habe ich bereits die Fadengeometrie ausgearbeitet und sie – wie die beiden Abbildungen links oben und rechts unten zeigen – in ihrer sprachlich-linguistischen und auch bildlich-topologischen Form dargestellt.

Beides überlagert sich in dieser doppelten Hinsicht. Die in der ersten Abbildung links oben im Kreis geschriebene Formulierung beinhaltet in einem einzigen Schriftzug mehrere Bedeutungen, wobei die Schnitt- bzw. Überlagerungsstellen zwischen den einzelnen Buchstaben liegen, weshalb ich eine Idee des Psychoanalytikers O. Dünkelsbühler folgend von B(r)uchstaben gesprochen habe. Diese B(r)uchstaben repräsentieren hier die Zahlengruppe, aber auch die Fundamentalgruppe, in-dem sie eben genauso auf ein Möbiusband geschrieben, Vorder- und Rückseite wechselnd, die Ähnlichkeit zu Scholzes ‚perfektoiden Räumen‘ vermitteln (es ist nicht die gleiche Formulierung wie in der ersten Abbildung). Doch was der Mathematiker für den Hausgebrauch umständlich erklären muss (sein Vortrag wurde wohl nur von wenigen, auch von mir, nur sehr annähernd verstanden), kann mit der Methode des Psycho.net, in der Psychoanalyse und Meditation verbunden sind, von jedem selbst praktiziert werden. Eine theoretische Erklärung ist sicher auch notwendig, aber die Praxis ist leicht zu erlernen. Trotzdem ist es gut, einen Ausflug in die Mathematik zu machen, denn insbesondere in Meditationen spielen innere Räume, die nicht real perfekt sind, eine große Rolle.
Nun kann man leicht entgegnen, dass das eine (Scholzes ‚perfektoide Räume‘) kaum etwas mit dem anderen (psychoanalytisch-meditative Methode des Psycho.net) zu tun hat. Doch dies liegt nur an den äußerlich unterschiedlichen Darstellungen. Der Mathematiker muss auf die genannten komplexen Zahlenformationen und deren topologische Korrelationen zurückgreifen, indem er eine mathematisch-topologische Relevanz herstellt. Sprachlich ist alles sehr umständlich und weitschweifig ausdrückbar (noch dazu war Scholze nicht der ideale Vortragende). Dennoch glaube ich das zentrale Element seiner Theorie als das herausheben zu können, was die dreidimensionale Raumhaftigkeit (so nenne ich es einmal) mit der ihr immanenten Struktur des menschlichen Unbewussten zusammenführt. Dieses seelisch Un-bewusste ist also nicht nur sprachlich (linguistisch, symbolisch) und topologisch (b(r)uchstabenkranzartig, imaginär) aufgebaut, sondern eben in einem weiteren Sinne auch mathematisch (‚perfektoider Raum‘, real) strukturiert. Ich stütze mich auch hier auf Lacan, der drei Formen des Genießens – entsprechend seiner Einteilung allen Seins in Imaginäres, Symbolisches und Reales – unterscheidet: das Imaginäre des Genießens, so sagt er, ist die Körperlust, das Symbolische des Genießens ist die Sprechlust,  und für das Reale des Genießens fungieren bei ihm seltsamerweise die Mathematiker. Aber er hat recht. Psychologisch-psychoanalytisch ist das Reale nämlich schwer zu fassen, Freud sprach von „psychischer Realität“, was nach gelungener Einbildung klang.
Aber die Dreiteilung in Imaginäres, Symbolisches und Reales erlaubt am besten klare Unterscheidungen und die Feststellung, dass im Seelischen generell, wo es ums bildhafte Fühlen, ums worthafte Denken, aber auch ums unbewusste Strukturieren geht, eben Letzteres für die Mathematik gilt und von der dort her für das Psycho.net genutzt werden kann. Dennoch ist die Mathematik trotz allem zu abstrakt, um uns das Reale wirklich spürbar zu machen. Auch wenn man dies zentral Strukturelle nicht so komplex ausgearbeitet verstehen muss, wie Scholze als Fach-Mathematiker dies gezwungen ist zu tun, kann man mit der Mathematik etwas anfangen. Denn unser Unbewusstes ist ein ‚perfektoider Raum‘, für den man zur Selbstanalyse natürlich nicht nur Zahlen, nur Arithmetik und nur mathematische Topologie verwenden kann, sondern im Raum gestückelte B(r)uchstaben wie sie die zweite Abbildung zeigt, weil dieser ‚perfektoide Raum‘ meditiert werden, also in einem eigenen Übungsverfahren direkt praktiziert werden kann. Es existiert also Raumhaftigkeit (fürs Meditative) und B(r)uchstaben (fürs Psychoanalytische).
Dies, dieses zentrale Strukturelement des so zu denkenden ‚perfektoiden Raumes‘, stellt dann den dritten, und doch völlig homotopen, homologischen (und wie ich noch zeigen will auch homophonischen) Schritt und Weg dar. Der erste Schritt war der mittels Identität von Galois- und Fundamentalgruppen, also rein theoretisch-mathematisch. Trotzdem klingt hier schon das zentrale Strukturelement einer Überlappung, Überkreuzung, heraus. Der zweite Schritt ist der Lacans mit der Unterscheidung in Imaginäres, Symbolisches und Reales, wo-bei die Psychoanalyse schwergewichtig auf dem Symbolischen (Sprachlichen) und minder schwergewichtig auf dem Imaginären (Bildlichen) liegt, das Reale aber immer noch zu kurz kommt. Durch ein meditatives Übungsverfahren, in dem jeder auf seine innere ‚Realität‘ trifft, also auf den ‚perfektoiden Raum‘ des Unbewussten in besonders direkter und damit realnäherer Form, lässt sich der dritte Schritt als der beste erkennen. Hier übernimmt das Psycho.net von der Mathematik das Reale.
Denn was die zweite Abbildung mit den auf das Möbiusband geschriebenen Buchstaben verwirklicht, ist nicht allein dieser, nach den ersten zwei Schritten typische dritte Form. Die Buchstaben sind eben auch noch B(r)uchstaben, weil sie von verschiedenen Schnitt- bzw. Überlappungsstellen aus gelesen, jeweils eine andere Bedeutung freigeben, und damit ein zentrales Strukturelement in sich selbst sind, dass die anderen noch weiter festigt, klärt, stärkt und übertrumpft. Jetzt wird noch deutlicher sichtbar, wie das mathematisch Reale im Übungsverfahren des Psycho.net verwendet werden kann. Denn die Schnitt- bzw. Überlappungsstellen haben ja schon für die Gleichheit von Galois- und Fundamentalgruppen gesorgt, sie tun es nun auch in mehrfacher Hinsicht, imaginär, symbolisch und real. Das Übungsverfahren beginnt nämlich damit, sich dem imaginären inneren Raum zuzuwenden, indem man evtl. mit geschlossenen Augen darauf achtet, innerlich die genannte Raumhaftigkeit wahrzunehmen. Man kann sie als ein Hellerwerden wahrnehmen oder als Eindruck sich ineinander verschachtelnder Räume, auf jeden Fall etwas Bildhaftes, das ich – um es zu generalisieren – einfach ein Es Strahlt nenne.
So ausgedrückt hat es nämlich etwas mit dem Realen zu tun, das Lacan dem Subjektpunkt, dem Strahlungspunkt im Konkavspiegel des Gehirns innerhalb des Visuellen, des Wahrneh-mungstriebs zuweist. Es ist bekannt, dass nach langem Sitzen im völlig dunklen Raum Lichterscheinungen auftreten, genauso wie im völlig schalldichten und schallschluckenden Raum Laute oder Töne zu hören sind. Deswegen weist Lacan auch dem ‚Laut‘ oder ‚Ton‘ im Un-bewussten den Charakter des triebbezogenen Primärvorganges zu, also der Stelle, wo der Trieb sich in seiner Primärform, Anfangsform, psychisch repräsentiert zeigt. Ich nenne dies ein Es Verlautet, Es Spricht. Beides also, das Strahlt und das Spricht haben somit Bezug genau zu dem Realen, das die Mathematiker in der Kombination arithmetischer und topologischer Gruppen einkreisen und zunehmend präziser formulieren können. Präzise, aber eben sehr abstrakt, sehr theoretisch, weshalb die Psychoanalyse und noch mehr das von mir inaugurierte Übungsverfahren (als Analytische Psychokatharsis bezeichnet) mit der dazu gelieferten Praxis viel direkter das zentrale Strukturelement ansteuern können.