Der borromäische Knoten I

In diesem Artikel beschreibe ich, was zum vorwiegend analytischen Verständnis bei Lacans Borromäischem Knoten notwendig ist, während ich im Artikel II darauf eingehe, wie ein Bezug aller Parameter bei dem vorwie-gend meditativen Verfahren der Analytischen Psychoka-tharsis aussieht. Die meisten Hinweise stammen aus dem Seminar XXII von Lacan, so dass ich sie hier nicht einzel aufführe. Der Borromäische Knoten (verkürzt Bo-Knoten genannt) besteht aus drei ineinander verwobenen Kreis-Schlingen, die sein grundlegendes Konzept, nämlich das sich alles auf die drei Kategorien des

Symbolischen, Imaginären und Realen hin einordnen lässt, darstellen. Diese Einordnung bezieht sich vor allem auf das unbewusste Seelenleben des Menschen. Die symbolischen Anteile (Sprachlich - Worthaftes, Spricht), die imaginären (Bildhaftes - Strahlt) und die realen (Mathematisches) sind so verknüpft, dass sie eine gewisse Konsistenz haben, die aber verloren geht, wenn man einen der Kreise aufschneiden würde. So prekär geknüpft und auch so gefährlich auflösbar, störbar, muss man sich also das seelisch Unbewusste vorstellen.


In der Mitte des Knotens, am Hauptüberschneidungs-punkt, befindet sich eigentlich eine Lücke, ein Loch, aber auch ‚a‘, das Objekt des Begehrens (z. B. das Oral-objekt, was für das Kind die Brust der Mutter ist, für den Gourmet der Gaumenkitzel, oder auch Blick und Stimme als Objekte des Schau- und Sprechtriebs) auch Objekt der Mehrlust genannt. Lacan hat diesen Begriff vom Marxschen Mehrwert abgeleitet, indem er sagte: „Der Mehrwert ist die Mehrlust von Marx,“ aber es handelt sich auch um den von Nietzsche geprägten Ausdruck: “alle Lust will Ewigkeit“. Meistens deckt ‚a‘ die-se Lücke zu, es ist das Objekt der eben stets nach Erneuerung drängenden Lust wie gerade am Oralobjekt definiert.
Im Rahmen der Ur-Verdrängung, dieser Kluft, Lücke, dieses Mangels, bleibt dem Kleinkind nichts anderes übrig als sich im Verhältnis zu seinen Bezugspersonen, vorwiegend natürlich zur Mutter, in Beziehung zu setzen, was jedoch zuerst nur über die Lippen-Mund-Besetzung verläuft. Der Gourmet hat das Ganze dann schon zum Gaumenkitzel hin verschoben, verkultiviert, verdinglicht und verabsolutiert. Es ist schwer ihn davon wieder abzubringen, sein ‚a‘ schließt für immer die Lücke. Die sollte jedoch gelegentlich offen bleiben, damit differenziertere Worte hindurch gehen könnten oder Empathie.


Nun haben die drei Schlingen untereinander die kom-plexesten Beziehungen. Der Kon-Sistenz des Imaginä-ren steht die In-Sistenz, das In, also das darin Sistieren, Bestehen, des Symbolischen  und die Ex-Sistenz, das Ex, das von ganz außen her Sistierenden des Realen gegenüber. So ist das Imaginäre zwar das Konsistente, das Bindemittel der drei Kreise, in seiner Bildhaftigkeit jedoch uferlos, und so kann bzw. muss es durch die beiden anderen, das Symbolische und Reale, vor seiner Maximalisierung gehemmt werden. Deswegen steht es auch für die psychische Hemmung, insofern diese un-bewusst ist. Von der Theorie her wird das Imaginäre nun noch mehr in die Schranken gewiesen, indem man es auf das Minimum schrumpft, das die Drei ist. Dies ist für eine theoretische Ausarbeitung die ideale Zahl.


Wenn die Konsistenz des Imaginären zu stark wird, drängt es zum Verkörperten, zum Körper oder wird zum Symptom, woraus hauptsächlich des Symbolische be-steht.  Das Symbolische insistiert wiederum in dem, was Lacan den Signifikanten nennt, also die Bedeutungseinheit, die Bedeutungsmacher, die nicht nur aus dem Ge-brauch der Worte bestehen, sondern auch aus der Art von Hervorstoßung  der Laute. Oft ist es gerade Letzte-res, was ins Reale hineinführt, das ansonsten nichts anderes ist, als ein Platzhalter, also etwas das von außen, von ‚ex‘ her ‚sistiert‘, verharrt.


Um diese Feinheiten besser sichtbar zu machen, füge ich hier das erweiterte Schema des Borromäischen Kno-tens ein. Es zeigt eine fast verwirrende Vielfalt an Hin-weisen, die jedoch das Verständnis wesentlich erleich-tern. Es sind wieder die drei Schlingen zu sehen, die als Real, Imaginär und Symbolisch bezeichnet sind. Auch ist zu sehen, dass das Imaginäre für das Wesen der Kon-sistenz steht, also für das Wesen des Zusammenhalts, der Dauerverbindung. Dies wird insbesondere dadurch sichtbar, dass es auch den Körper vermittelt, der als reines Körperbild, als ein konsistentes Bild hinter Bild, Molekül-, Gewebs-, Organbild gar nicht so sehr den realen zugehört, wie man gerne denken würde.


Schließlich ist der Körper ja auch so vergänglich, dass er schon von daher nicht als so real gelten kann. Eher an den Stellen, wo das von mir so konzipierte Strahlt und Spricht zu finden sind, nämlich im Bezug zum Netz-werk des Gehirns, zu den dort sich bildenden Kombina-toriken und damit zur Mathematik, spielt das Reale mit. Es definiert ja auch das Leben als das, was – wie Goethe im Faust sagt – uns „die Welt im Innersten zusammen-hält.“ Denn ausgerechnet das Symbolische repräsentiert den Tod, weil wir im Sprechen niemals alles so sagen können, dass es wirklich beim anderen als das ankommt, was gemeint war.


Nichts charakterisiert den Freudschen Todestrieb (auch wenn er kein aktiver Trieb ist, sondern nur ein Gesche-hen) besser, als das ständige aneinander vorbeireden, lügen, missverstehen und all die Wortverdrehungen und Ungenügsamkeiten der Sprache. Das Symbolische, das Worthafte, hat also Bezug zum Tod, ja, wie der Philo-soph Hegel argumentierte, ist „das Wort der Mord an der Sache,“ die sozusagen ursprünglicher ist, also These, während das Sprechen die Antithese wäre. Dies war doch auch der Grund, warum der chinesische Gelehrte und Philosoph Tschuang Tse, sagte: ‚Oh, würde ich nur einen Menschen kennen, der die Sprache vergisst, damit ich mit ihm reden könnte!‘ 

 
Erst dann kann man nämlich die wirklichen Phoneme hören, die direkt aus dem Unbewussten kommen, weil man alle anderen Phoneme und Grammatiken vergessen und verloren hat. Um wirklich zu sprechen müsste man ein ganz präzises, linguistisches Werkzeug haben, und nicht nur die uferlos vielseitigen Dialoge, die Albernhei-ten und Nonsens-Gespräche sind. Moderne Informatiker glauben ja, dass sie mit einer Unzahl von Algorithmen so etwas bauen könnten, dass dann lebendig und real wäre, weil das Symbolische darin völlig integriert ist. Mit Sicherheit wird es so etwas nicht geben.


Denn das Reale ist nicht fassbar, ist es doch Ex, also ganz außerhalb von allem, wenn es auch von daher – wie schon gesagt – sistiert, also eine Wirkung ausübt. Doch diese kommt nur als etwas Begrenzendes, als eine Blockade zum Ausdruck, also als etwas, wo man nicht mehr weiterkommt. Man muss das nicht immer spüren, dass man nicht weiterkommt, man denkt, das ist halt grundsätzlich so, fertig. Aber ein Wissenschaftler, ein Künstler, ein religiös Glaubender und natürlich jeder in schwieriger, beklemmender, scheinbar aussichtsloser Situation Befindlicher wird wissen, was es heißt, dem Realen zu begegnen. Auch das Ur-Verdrängte gehört vorwiegend dem Realen an.


All das hängt nämlich mit dem Genießen zusammen. Das Imaginäre des Genießens, so sagte Lacan einmal, ist die Körperlust, das Symbolische des Genießens ist die Sprechlust, und für das Reale des Genießens fungieren bei ihm eben die Mathematiker, die Informatiker und Topologiker.  Die Genießenszeichen JΦ und JȺ stehen daher im Ring des Realen, aber nur als Bezug zum Ima-ginären und Symbolischen. Das ‚phallische Genießen‘ (J steht für ‚Jouissance) JΦ, ist nicht das genitale Genie-ßen, die übliche sexuelle Lust, sondern das Genießen einer sexuellen Metapher, eines Sexualstolzes, nicht einer Macht, aber doch einer Mächtigkeit. Es beherrscht trotzdem die Geschlechterbeziehung und deren Diskurs, der mehr von der männlich-väterlichen, symbolischen Seite her bestimmt ist.


JȺ dagegen hat mit der ‘Jouissance’ zu tun, die einen mit dem Anderen verbindet, der aber hinsichtlich seiner Andersheit begrenzt ist, psychoanalytisch heißt dies: kastriert ist, d. h. man kann vom ihn nur sagen oder aufs Papier schreiben und dies nie gänzlich (deswegen der Querstrich durch das A). Ohne Querstrich wäre A nicht gehemmt, universal frei und ungebunden. Der ungebundene Andere nämlich hätte etwas mit enormer Selbstsublimierung zu tun, könnte aber auch geistig oder physisch ausschweifend sein. Im Idealfall könnte er das ‚Ding‘ verkörpern, würde man nur weit genug und wissenschaftlich gesichert sublimieren können.


JȺ betrifft also das unbewusst Andere, das mehr vom Weiblichen her bestimmt ist und ein von der frühen Kindheit herübergerettetes, gesamtkörperhaftes, kathar-tisches und am besten als ‚autochthon‘ zu bezeichnen-des Genießen beinhaltet. Auch wenn es dem Weiblichen näher steht, wird es – so Lacan – von den Frauen nicht so geschätzt, nicht so vermittelt und dem ihm eigenen Imaginären nicht so entsprochen. Freilich genügt auch das  dem Symbolischen zugewannte JΦ nicht endgültig.

 
Deswegen begnügt man sich mit dem Sinn, der – als Drittes dieser um ‚a’ herum eingetragenen Bezeichnun-gen –   zwischen dem Ring des Imaginären und Symbo-lische steht. Der ‚Sinn‘ kann auch abwegig und haltlos sein, denn er hat wenig Bezug zum Realen. Vom Imaginären her kann man ihm den Begriff der ‚guten Gestalt‘, der im Gestaltismus und in der sogenannten Gestalttherapie Verwendung findet, zuordnen. Vom Symbolischen her ist er auch der im Unbewussten zu ent-schlüsselnde Sinn. Auch das Hervorstoßen von Sprach-lauten hat mit dem Sinn zu tun, weil ihn eine besondere Betonung und Wiederholung ebenfalls hervorrufen kann. Wenn der Sinn ganz eingeklemmt ist, kann man vom Psychotischen sprechen.


Schließlich finden sich in den farbigen Bild des Bo-Knotens noch die von Freud eingebrachten Begriffe von „Hemmung, Symptom und Angst“ als Besonderheit eingetragen. Vereinfacht ordnet Lacan dem Realen die Angst, dem Imaginären die Hemmung und dem symbo-lischen das Symptom zu. Das Heimliche kann genauso Angst machen, wenn realer Körper im/zum anderen realen Körper des Genießen sucht, aber auch das auf der gleichen Ebene liegende Unheimliche hat mit der Angst zu tun. Wenn es zu real wird, gerät man in diese Grun-demotion des Menschen. Verdrängt man dagegen zu viele Bedeutungen, zu viele peinlichen Worte oder kompromittierende Sätze, wird dieses Symbolische zum Symptom. Und die Hemmung des Imaginären tritt ein, wenn man die Bilder, die Blicke, die Vorstellungen nicht mehr zusammenbekommt und sie konsistent, verklebt,  eingedickt werden lassen muss.