Sirri Hustvedt, Frauen Literatur I

Die Romane von Siri Hustvedt sind spannend zu lesen. Sie sind, wie ich schon erwähnte, voll von Geist, Neurowissenschaft, Kunsttheorie, Feminismus, Genderdiskussion, und zig anderen Bereichen, die alle von großer Belesenheit zeugen. Auch in einem ihrer letzten Bücher ‚Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen‘ geht es wieder um die Thematik Mann und Frau. Die Autorin hat zu den Malern M. Beckmann und W. de Kooning sowie zum Schriftsteller O. Knausgard kritisch Stellung bezogen und deren einseitige und hoffnungslos Männer orientierte Lebensanschauung offen gelegt. Man muss nicht Feminist sein, um die rüde Machoart der Genannten zu verurteilen. Freilich hätte sie bei einer Untersuchung der Maler P. Klee, F. Marc und G. Richter wahrscheinlich freundlichere Ergebnisse zu Tage befördert, doch das ist kein ausreichend gutes Argument.

Man kann zwar verstehen, dass sie von Freuds Penisneid nichts hält. Diese biologistische Sprache war vielleicht vor mehr als hundert Jahren nicht ganz zu umgehen, Lacan spricht daher modernerweise von Φ (griech. Phi für den ‚phallus symbolique‘, Sexualstolz und -mäch-tigkeit) was also natürlich nur ein anderes, etwas abgehobeneres Symbol für das Gleiche ist, was Freud eruierte: das Sexuelle als solches, d. h. das Reden von ihm speziell in seiner infantilen Form. Φ ist ans Männliche angelehnt, gilt aber für beide Geschlechter in gleicher Weise. Doch es so zu sagen, bleibt weiterhin missverständlich. Ich habe in anderen Büchern daher dem Φ das Ψ zur Seite gestellt, das sich mehr an die weibliche Seite anlehnt und womit man die endlosen Genderdiskussionen leichter einer Lösung zuführen kann. Dennoch muss man diesbezüglich noch kurz eine Bemerkung zur Lacanschen Auffassung machen.

Lacan bezeichnet sich zwar als klaren Freudianer, hebt aber gegenüber dem „plaisier phallique“, der männlichen Lust, die „jouissance“, das weibliche Genießen heraus. Diese Unterscheidung lässt jedoch dem Φ weiterhin seinem seit Freud angestammten Platz, aber nicht mehr so umfassend, nicht mehr so ganzheitlich. Es geht Lacan hier um seine Signifikanten-Theorie, also um das, was ich gerne ein Wort-Wirkliches nenne, ein Symbolisch-Reales, das sich in der Behandlung psychisch Kranker stets im Unbewussten auffinden lässt. Wie ich oben zitierte, lautete Lacans Wahlspruch, dass die Beziehung der Geschlechter ohnehin nicht existiert, d. h. gerade in diesem Wort-Wirklichem lässt sie sich nicht definitiv festmachen, lässt sie sich nicht verorten, lässt sich logisch nichts davon verifizieren und schon gar nicht ‚quantifizieren‘ (was eine Lacansche Leidenschaft ist).

Was in der äußerlichen Scheinrealität an Sexualität passiert, sei – so Lacan – nur eine Freudsche Fehlleistung, ein Danebengehen, ein Patzer. Der Mann ejakuliert immer am Höhepunkt seiner Angst, am Punkt eines ihn überrumpelnden Nicht-Mehr-Weiter-Wissens. Und das hat eben mit Φ zu tun, dem Ψ fehlt. Dem korrelierend bleibt in den Freudschen Deutungen Ψ als ein kleiner Rest bestehen, bei dem es um das Bild-Wirkliche, um den Eigen-Körper-Spiegel geht. Insofern hat Siri Hustvedt natürlich Recht, wenn sie als gute Feministin die Schwächen, den Machoismus und die soziale und psychologische Desorientiertheit der auf Φ bezogenen Männerwelt detailliert beschreibt. Da gibt es nichts zu beschönigen. Auf einem anderen Blatt steht die Frage, warum die Frauen ihre Vorteile oft nicht nutzen und insbesondere ihre Fähigkeit zur ‚jouissance‘, dem Garanten von Ψ, der also mit der Körperspiegelung zusammenhängt, so gering schätzen.

Sie glauben nicht daran oder „es fehlt ihnen etwas am symbolischen Material“ dazu, wie Lacan süffisant bemerkte. Nun, ich glaube nicht, dass man es so sagen kann. Es fehlt ihnen eher das, was uns allen fehlt, nämlich wie man Φ und Ψ in gelungener, passender, idealer Form zusammenbringt. Denn den Männern fehlt es an Ψ, am bildhaft Psychischen, an einer stabileren imaginären Ordnung oder am besser kontrollierten Bild-Wirklichem, Körperspiegelndem, wie ich es nennen würde, und genau dies zeigt Siri Hustvedt in allen Farben und Schattierungen. Aber was macht sie mit Ψ?

Für sie könnte Ψ perfekt gelten, indem es ihre ‚Zwischenheit‘, den ‚Möglichkeitsraum‘ (hier zitiert sie Winnikott), eine meiner Ansicht nach die von Weiblichen her bestimmte friedliche, warme und zärtliche Verbindlichkeit unter den Menschen herstellt. Aber genauso wie die sozial idealisierten Formen nicht vollkommen ausreichen und natürlich auch die Psychoanalyse mit (Φ) nicht alle gesellschaftlichen und neuropsychologischen Probleme löst, wird auch die Ψ-Verbindlichkeit nicht allem gerecht. Das Doppelgängermotiv, das in Siri Hustvedts Romanen (‚die gleissende Welt‘ und ‚Damals‘) steckt (sie ist immer sie selbst und die Hauptfigur, manchmal mit den gleichen Initialen), würde sich gut dazu eignen, eine Figur unter dem Motto Φ/Ψ zu erfinden und literarisch auszuweiten. Aber es würde sich dann wahrscheinlich wieder nur um eine Kunstfigur handeln, immerhin.

Wie erwähnt meinte schon Thomas von Aquin, die Frau sei das Abbild, die bildhaft strahlende Erscheinung Gottes, während der Mann mehr die Rolle des göttlichen Sprachrohrs innehätte. Doch obwohl die Frau diesen Zugang zu Ψ hat, zu dem unbewusst psychischen Bild-Wirklichen, gelingt es ihr meist nicht, Ψ genügend unter die Leute zu bringen beziehungsweise, es in ihrer Art auszudrücken. Doch was ist ihre Art? Siri Hustvedt beherrscht diese Art doch perfekt, die Leute lesen auch begeistert ihre Bücher, aber einen therapeutischen Effekt, eine Heilung durch die Wahrheit, wie es die Psychoanalyse behauptet zu tun (und was zum Teil nicht gelingt), gelingt auch ihr nicht – sowohl bei ihr selbst wie auch bei anderen nicht.

Denn die Frau, die den originäreren Zugang zu Ψ hat, kann das Bild-Wort-Wirkliche nicht in der gleichen weiblich originären Fassung an die Menschen herüberbringen, so wie ja auch zu recht kritisiert wird, wenn Männer wie Freud und Lacan Φ in der gleichen männlich originären Fassung weitergeben wollen. Lacan versucht dem brillant mit der Mathematik, Topologie, Linguistik und vielen anderen Bereichen beizukommen, aber er bleibt wie Siri Hustvedt irgendwo stecken. Obwohl er viele weibliche Leserinnen und Follower hat, geht es bei ihm an einer bestimmten Stelle nicht weiter, so wie Siri Hustvedts Bücher auch von zahlreichen Männern gelesen werden, aber sie können anscheinend die richtigen Konsequenzen nicht daraus ziehen, während sich Frauen immer bestätigt fühlen. Sie empfinden es, sie sehen tief in den Eigen-Körper-Spiegel hinein, sagen aber nichts logisch Definitives davon.

Vor daher wird klar, dass es nur darum gehen kann, Φ und Ψ in geeigneter Weise zu verbinden, so dass keine rein weibliche, keine rein männliche, keine irgendwie aufoktroyierte oder von vornherein schon definitive, festgelegte Meinung zu Zug kommt, sondern nur das menschliche Subjekt selbst fähig gemacht wird, diese Verbindung in sich selbst herzustellen. Es geht um eine Selbstanalyse, Selbstpraxis. Denn erneut kann ich konstatieren, „Was es vom EIN gibt“, kann niemand einem anderen vermitteln, Es, das Subjekt, EIN, muss sich in jedem selbst offenbaren. Dazu kann es allerdings nötig sein, eine Hilfestellung zu geben, mehr nicht.

Lacans Hilfe ist raffiniert. Er ordnet dem EIN weder Transzendenz noch Gott noch sonst etwas zu, sondern meint lediglich, dass der Psychoanalytiker, der ja den ersten Schritt in seine Praxis getan hat, EIN ist für den Anderen, der zu ihm kommt, obwohl dieser nur Einer unter anderen ist, wie Lacan maliziös vermerkt. Er ist zudem der, der sich  für EIN hält, obwohl er zwei, nämlich gespalten ist und deswegen ja in Therapie geht.[1] Klar, dass Siri Hustvedt hier nicht ganz mitkommt, da es für sie ja noch dazu immer zwei gibt, die künstlerische, schöne, intelligente, wenn auch manchmal neurotische Frau und den groben, schmalspurmentalen, sexistischen Mann. Der Vater als Koordinator kommt nicht vor, obwohl man spürt, dass er bei ihr eine geistvolle Statue ohne Zeichen von allzu viel Männlichkeit ist. Er ist fast Ψ, jedoch ohne Φ. Gewiss, auch Lacan bringt die beiden nicht gut zusammen, wenn auch sein Werk das große Yad‘lUn darstellt, von dem aus man – erfasst man es so einheitlich – Φ/Ψ kreieren wird.

Die Hilfe, die ich geben kann, liegt nun also in dieser Formulierung, die aus der lateinischen Sprache stammt und die ich nun schon mehrfach als Formel-Wort bezeichnet vorgestellt habe (siehe Abbildung oben). Sie besteht darin, dass sie keinen vordergründigen Sinn schon parat hat, sondern nur das Unbewusste anregt, ja provoziert einen solchen heraus zu geben. Das Formel-Wort ist Sprache am Rande des Sprachlichen angesiedelt, d. h. es repräsentiert genau dieses Bild-Wort-Wirkliche wie es auch im Unbewussten vorkommt, wenn auch nur rein f o r m a l. Beim Formel-Wort ist exakt genauso wie im Unbewussten das Wort in B(r)uchstaben zerteilt. Die Bedeutungen im oben gezeigten ENS – CIS – NOM (man kann es auch als O.M.E.N.S.C.I.S.N oder sonst wie schreiben, wobei eben die Kreisschreibung die eigentlich wichtige ist) stellen also perfekt diese linguistische Struktur dar, die gleichzeitig ‚kristallin‘ ist (Lacan bezeichnete das Unbewusste als ‚linguistischen Kristall). Das Kristalline wird durch die im Kreis geschriebenen Buchstabenbilder dargestellt, das Linguistische durch die Bedeutungsvielfalt). Denn der Sinn des Ganzen kann nur darin bestehen, das unbewusste Sehen, das Bild-Wirkliche wie auch das unbewusste Sprechen, das Wort-Wirkliche in ihrer Gemeinsamkeit, in ihrer gelungenen Verbindung, selbst aufzuwecken, zu animieren, von sich selbst den Film, den Text, das Strahlt/ Spricht-Stück herauszugeben, das die noch unbewusste Identität des Betreffenden ist.

Bei dem Formel-Wort  E N S - C I S -   N O M  muss der Leser sich nur hinsetzen und diese Formulierung, deren wissenschaftliche Begründung ich gleich noch nachliefern werde, auf sich wirken lassen, er kann es meditieren, um zu erfahren, dass hier wirklich ein subjekt- und wahrheitsbezogener ‚Anfang’ gefunden wird. Gelesen wer­den.soll im Uhrzeigersinn. In ENS – CIS – NOM überlappen sich die Bedeutungen. Geht man einmal vom M oben links aus, so heißt MENS CIS NO, der Gedanke diesseits, innerhalb von No, vom N ausgehend. NOMEN SCIS, du kennst den Namen, OMEN SCIS N, du kennst das Omen N,   CIS  NO,  MENS,  diesseits schwimme ich, oh Geist, ENS CIS NOM, das Ding diesseits von Nom, C IS NOMEN S, hundert dieser Name S, usw. So unsinnig einzelne der Bedeutungen auch sind, sie sind doch grammatikalisch und syntaktisch normal und sogar auch semantisch in Ordnung, spielen aber im weiteren Verlauf keine Rolle mehr.

Wichtig ist nur der einheitliche Schriftzug wie E N S C I S N O M, dernur meditativ, gedanklich, mental wiederholt werden muss, um das Unbewusste so wie erwähnt anzuregen. Ich lasse also die Probanden meditieren, jedoch nicht nach irgendwelchen ideologischen, neuropsychologischen, ‚spirituellen‘ oder rein herkömmlich psychoanalytischen Vorgaben. Jeder kann selbst nachlesen und studieren, wie die Formel-Worte aus den Konzepten Lacans und dem meditativen Vorgang als solchen (Zurückziehen von den eigenen Gedanken wie z. B. im Yoga) entwickelt wurden, wie sie nichts präjudizieren und doch wissenschaftlich im Sinne der Theorie früher Körperspiegelungen aufgebaut sind Teil eins der Methode).

Der andere, zweite Teil besteht darin, dass das Unbewusste auch ein Es Spricht in sich birgt, dass man also mit ihm auch sprechen kann. Denn das Unbewusste – ist es doch genauso wie kristallin eben auch sprachlich, linguistisch aufgebaut – wird durch einen gleich strukturierten, gleichermaßen aufgebauten Sprachkörper, durch gedankliches Wiederholen eines Formel-Wortes provoziert, etwas Eigenes herauszugeben, das ich ein Pass-Wort nenne. Denn es liefert Identität und eben diese muss man auffangen, erfahren und heraushören. Mehr ist in dem angekündigten Verfahren der Analytischen Psycho-katharsis nicht zu tun.

Die verschiedenen Bedeutungen beim Üben dieser Methode sind also zu disparat, also auf keinen Nenner zu bringen. Denn übt man sie in dem einheitlichen Schriftzug, wird man niemals das Diesseits (cis) von Nom mit dem Omen und der Tatsache, dass ich schwimme bei gleichzeitiger Anrufung des Geistes (mens) und dabei mein Ding (ens) mache usw. ins EIN eines Konzepts bringen. Es ist ganz klar, dass es insbesondere auf die monotone Wiederholung eines eben rein f o r m a l e n Ausdrucks ankommt und sonst nichts. Man wird so eine Art von Nonsens-Formel gedanklich wiederholen, die aber nicht Nonsens durch Mangel ist, sondern durch Vielheit, durch die Vielheit der Bedeutungen. Freud nannte dies die Überdeterminierung wie sie im Traum vorkommt, wo jedes Element viele Bedeutungen in sich zusammenführt.

Nun ist es ja so: die Wissenschaften, die Siri Hustvedt reichlich zitiert, weiter erforscht und durchschaut, haben je ihr eigenes Objekt, das sie untersuchen. Das Atom, die Biologie, das Netzwerk des Gehirns. Was letzteres angeht genügt meiner Ansicht nach die Unterteilung in Großhirn und Mittel-Zwischenhirn, der Hippocampus, die Amyg-dala und hundert andere Areale sind nur für Netzwerkfanatiker von Bedeutung. Das Großhirn (vielleicht noch mit Nucleus accumbens und Beziehungen zum Zwischenhirn) ist für die Selbstspiegelung im Anderen und für das Wort-Wirkliche, die verbalen Signifikanten, die „ultrareduzierten Phrasen“ (Lacan) zuständig. Für die Körper-Eigen-Spiegelung dagegen, für das direkte Strahlt und für die Widerhalleffekte, für das noch unreife Spricht, sind die tieferen Hirnregionen (Zwischen- und Mittelhirn mit Beziehungen zu noch tieferen Arealen) verantwortlich. Exakt die letzteren spielen in der Psychoanalyse, aber mehr noch in der Analytischen Psychokatharsis eine Rolle.

Eine derartige Wissenschaft v o m Subjekt hat nämlich – wie ich erwähnte – nur wenig mit dem Gehirn zu tun. Freud und mit ihm Lacan meinten, dass es sich bei dieser Subjektwissenschaft um das gespaltene menschliche Sein handelt, die sich auch in der Spiegelung der zwei wichtigen Gehirnareale zeigt, denn wie das Auge nicht sich selbst in seinem eigenen Kern sehen kann, so kann man sich selbst als Subjekt nicht objektivieren. René Descartes glaubte es in dem bekannten Satz vom „Ich denke jetzt, also bin ich“ definiert zu wissen, was auch Siri Hustvedt als die cartesianische Spaltung von Geist und Körper kritisiert, und was also nicht genügt.

Der Satz von Descartes beinhaltet zu sein, weil er denkt, und doch denkt er ja zu sein, dass er denkt, weil er ist, usw. Mal ist das Denken vom Sein abhängig, mal das Sein vom Denken. Lacan meint daher, dass das „Subjekt sich von daher spaltet, dass es zugleich Effekt seiner Markierung und Stütze ihres Mangels ist“. Mit anderen Worten: indem es sich nennt, also markiert, stützt es sein Nichtsein, denn das originäre Sein würde vor der Benennung existieren, es zieht sich also wie der Baron Münchhausen an seinem eigenen Schopf aus dem Sumpf.  

Descartes ist nämlich der Macho-Wissenschaftler, dem offensichtlich jede Kenntnis der Weiblichkeit fehlt. Keine Frau würde denken, dass sie ist, indem sie denkt, fertig. Doch noch dazu erging es Descartes ja gerade mit der Frau, die alle Frauen zu präsentieren schien, die ‚universelle Frau‘ und zwar der Königin Christina von Schweden (reich, üppige Schönheit, gebildet, Regentin, etc.), ähnlich wie Ödipus mit Iokaste, nämlich nicht so gut. Die Königin hatte Descartes nach Stockholm geladen, um von seiner Philosophie zu hören. Nach ein paar Treffen kam es in einer Januarnacht 1650 noch dazu, dass Descartes auch seine Fähigkeit als Liebhaber beweisen sollte. Ob es ihm gelungen ist, weiß man nicht so genau. Jedenfalls musste Descartes, der ein berüchtigter Langschläfer war, nach Philosophie- und Liebesstunde schon um fünf Uhr morgens das königliche Schloss wieder verlassen.

Schließlich sollte nicht irgendein Lakai ihn beim Hinausgehen beobachten, und so stapfte Descartes bei Minustemperaturen in sein Domizil nach Hause. Dort kam er jedoch schon sehr erschöpft an und erkrankte an einer Lungenentzündung. Damals gab es noch kein Penicillin oder andere Makrolide, die die Erkrankung schnell geheilt hätten, und so starb der berühmte Philosoph nach einigen Tagen in der Fremde. Einige Politikjongleure behaupteten, es habe eine Arsenvergiftung vorgelegen, denn die Schweden fürchteten, Descartes könnte die Königin zum Katholizismus bekehren, wo ihr Vater, Gustav Adolf, doch der Protestantenführer par excellence war. Aber in Wirklichkeit starb er an den Waffen der Frau, die das Φ des kopfbesessenen Mannes – wohl durch den amourösen Praxistest – entnervte und ihn so zur Strecke brachte.

Doch damit hat sich Königin Christina selbst als Φ-orientierte Powerfrau zur Geltung gebracht und gezeigt, dass sie vielleicht umgekehrt wieder nicht über genügend Ψ verfügt. Siri Hustfeldt hätte da anders gehandelt. Sie kennt sich mit Ψ zumindest aus und von den Malheurs des Φ weiß sie genug zu sagen. Denn selbst wenn Lacan behauptet, dass die Feministinnen verleugnen, dass Φ ein Signifikant ist, etwas Wort-Wirkliches, etwas Veri- und Quantifizierendes, so ist dies nur die halbe Wahrheit. Die ganze Wahrheit läge darin, beide Symbole, das Wort-Wirkliche und das Bild-Wirkliche, das Es Spricht und das Es Strahlt, ausreichend gut zu kennen und darüber hinaus eine gelungene, ideale oder wenigstens passende, glückliche, wissenschaftlich begründete Kombination, Verknotung (Topologie!) und Verschaltung gefunden zu haben, Φ/Ψ, Eigen-Körper-/Selbst-Anders-Spiegelung.

Denn für eine derartige Kombination genügen Siri Hustfeldts Romane und wissenschaftlich verfasste Essays nicht  ganz. Aber ich wüsste jetzt auch sonst keine Lichtgestalt, von der man das mit Sicherheit sagen könnte. Die großen Religionsstifter, Sokrates samt Platon, Mystiker und Philosophen, Freud und Lacan waren sicher solche leuchtenden Wesen, aber sie leben nicht mehr, und ihre Werke können sie nie ganz ersetzen. Ich selbst also bin es natürlich auch nicht, ich bin ja nur der, der dieses kathartisch und analytisch orientierte Verfahren entwickelt hat, mit Hilfe dessen ich hoffen kann, das jeder als Einzelner, als ein bisschen isolierter, vom Y a de L’Un faszinierter Proband die genannte Kombination finden mag.

Von den großen Frauen, die sich mit der genannten Kombination befasst haben, fiele mir außer Siri Hustvedt noch Simone de Beauvoir ein, die Lebensgefährtin des Philosophen J. P. Sartre. Sie hatte viel Erfolg mit ihrem Buch ‚Das zweite Geschlecht‘, doch Lacan spottete drüber und fragte, worin denn dieses bestehe: „Wie kann man über Frauen schreiben und sie das zweite Geschlecht nennen? Warum nicht das erste Geschlecht? Lächerlich!" Und weiter: „Sie [die Beauvoir] hasste die Frauen." Dabei hat Simone de Beauvoir ähnlich wie ihre Zeitgenossin, die Psychoanalytikerin J. Kristeva, so viele und gute Sachen über die Liebe geschrieben, aber man weiß nie genau, wie man damit umzugehen hat, denn sie selbst, die Beauvoir, macht eigentlich nicht den Eindruck, als wäre sie die große Liebende.

Mutter wollte sie nie werden, Babys haben sie nie interessiert.[2] Sie meinte, Sartre und sie hätten sich genügt, was nicht stimmt, wie inzwischen jeder weiß. Eine gewisse Kälte und Machtgier blieb zeitlebens an ihr haften. Im Fall der jungen Studentin B. Lamblin hat sie sich sogar – zusammen mit Sartre – ganz übel vergriffen. Sie machten sie beide zu ihrer Geliebten, zwei Elternfiguren, die sozusagen mit ihrer Tochter (Lamblin war viele Jahre jünger) ein körperliches Verhältnis hatten. [3]  Da braucht man nicht Psychoanalytiker zu sein, um zu wissen, dass all diese queeren Aussagen über die Liebe als sehr problematisch anzusehen sind. Bei Kristeva vielleicht, weil sie schwärmt, bei Sartre und Beauvoir, weil sie lügen. Siri Hustvedt allerdings verteidigt sie alle.

Simone de Beauvoir war ehrgeizig, sie machte beste Schul- und Highschool-Abschlüsse. Sie war an allen kulturellen Bereichen interessiert und zählte zu den engagierten linkssozialen Politaktivistinnen. Stets weilte sie im Café de Flore, wo sie all die interessanten Intellektuellen des damaligen Paris traf, unter anderen eben auch Sartre.  Einmal wollte sie ein paar Gesprächsstunden bei Lacan buchen, doch der meinte, nur ein paar Stunden genügen nicht. Es müsste ja nicht eine lange Psychoanalyse sein, aber vierzig Stunden wären wohl notwendig. Doch das war der Beauvoir wieder zu viel. Da wären vielleicht doch zu krasse Dinge – nicht nur aus ihrem Unbewussten – sondern auch von den schon bekannten persönlichen, heiklen Beziehungen zur Sprache gekommen.

Aber vielleicht sind gar nicht die berühmten Frauen die diejenigen, die die Welt bewegen. Vielleicht ist das Gros der Frauen in ihrer Verbindlichkeit (‚Zwischenheit‘) viel mächtiger, wichtiger und bedeutender als wir denken. Vielleicht gibt es eben wirklich nicht d i e, die alle repräsentiert, trotzdem könnte man um d i e herum genauso gut oder gar noch besser das Theoriegebäude der Psychoanalyse errichten, das in seiner klassischen, herkömmlichen Form um den ‚toten Vater‘ kreist, wie mehrfach schon angedeutet. Er hat zweifellos in Siri Hustvedts Leben eine große Rolle gespielt, nicht nur wegen des Zitterns, das er ihr noch aus dem Totenreich entgegen geschickt hat. Wie Hamlets Vater erscheint er relativ plötzlich als eine Gestalt, zu der große Distanz und Ferne bestand, wie Siri Hustvedt es von ihrem Vater erzählte.[4] Es bestand für sie das Rätsel einer ‚Unerkennbarkeit‘ in ihm, was ihr Angst machte. „die unausgesprochene Autorität meines Vaters war mächtig“, schreibt sie, was schlimmer klingt als der strafende Gott des Alten Testaments, der sich wenigstens vernehmen lies. Warum hat sie sich nicht gegen ihn gewehrt, fragt sie sich, als habe eine unbewusste Komplizenschaft bestanden, ein Geheimnis, das man besser gar nicht benannte. Aber ist es in ihrer Psychoanalyse nicht zur Sprache gekommen? Ich kann nur wieder auf Lacan und Judith Le Soldat verweisen, die da nachgebohrt hätten.

Als Gegengewicht will ich jetzt zur Frauen- und zur queeren Literatur noch weiter und entscheidender Stellung nehmen, nicht nur zu Siri Hustwedt und S. Beauvoir, sondern auch zu all den Beziehungsdramen, die den Literaturmarkt ganz generell durchziehen. Früher waren Beziehungsgeschichten wie M. Mitchells ‚Vom Winde verweht‘, T. Manns ‚Buddenbrooks‘, Fontanes ‚Effi Briest‘ oder Ingeborg Bachmanns ‚Werke und Briefe‘, wundervolle psychologische Epen über die Beziehungen der Menschen und insbesondere der Geschlechter, die gegenüber der überromantisierten Literatur Goethes packend modern erschienen.

Aber heute wirken sie albern. Heute sind es die von Transgendergeschichten durchwirkten Romane wie M. Nelsons ‚Die Argonauten‘, die den neuesten Zeitgeist beflügeln. Wo bei M. Mitchell nie klar wurde, warum Scarlett O’Hara den völlig unscheinbaren Ashley leidenschaftlich begehrte, und mit dem grandiosen Rhett Butler nie zurechtkam, geht es bei M. Nelson um die lesbische Freundin, die sich in einen Mann umwandeln lässt während sie selbst ein Kind bekommt, das männlich sein wird und somit die gleiche Problematik – zwei Männer zwei Frauen – wiederspiegelt. So sieht es zumindest die Autorin. Konstruktiv und queer?

Aber auch hier und jetzt funktioniert das sogenannte ‚queere‘ Beziehungsdrama nicht unbedingt einleuchtender als die Psychologie vor hundert Jahren. „Die Literatur liebt“ – so ein Rezensent über Nelsons Buch – „die Theo-rie, die Philosophie, unterwürfigen Sex und Fäkalien.“[5] Nun ja, ich weiß nicht, scheinbar ist das heute so, aber es klingt schon ein bisschen happig. Es ist wohl keine Erzählweise besser als die andere, so dass man sich fragt, warum es der Literatur trotz erheblicher Wandlungen nicht und wohl auch nie gelingen wird, das Beziehungsproblem – und vor allem das der Geschlechter – gut zu lösen.



[1] Lacan, J., Seminaire XIX, SEUIL (2011) S. 227

[2] De Beauvoir, S., In den besten Jahren, Rowohlt (1969) S. 14

[3] Lamblin, B., Memoiren eines enttäuschten Mädchens, Rowohlt (1994)

[4] Hustvedt, S.,  Wenn  Gefühle  auf  Worte  treffen,  Kampa (2019) S. 20 und 34

 

[5] Cranach, v, X., Literaturbeilage, SPIEGEL, 30.9.17