Einführung in die Analytische Psychokatharsis mit Bildern

In vor ein paar Jahren gehaltenen Vorträgen benutzte ich das folgende Manuskript. Da es immer wieder angefordert wurde, lege ich es hier nun im Druck vor. Es geht um ein Verfahren, das in vielen Aspekten der Psychoanalyse entnommen ist, in der Praxis jedoch den Charakter eines meditativen Übungsver-fahrens hat. Vielen Menschen erscheint Psychoanalyse und Meditation als gegensätzlich; sie sind aber nicht widersprüchlich. Im Gegenteil, in vieler Hinsicht bestehen gleiche Gegebenheiten. So soll der Psychoanalytiker mit „gleichschwebender Aufmerksamkeit“ zuhören, während der Analysand „frei assoziieren“ soll. Der frei Assoziierende spricht unzusammenhängend vor sich hin, ja manche Therapeuten haben schon

gesagt, er solle „unter sich sprechen“, also die Worte fallen lassen wie ein Baum seine Blätter. Es ist also eine meditative Art, eine Form der Beinahe-Trance, so zu reden. Nicht anders verhält es sich beim Analytiker. Er muss von vornherein wie in halber Trance dasitzen und gerade noch so wach sein, dass er, „gleichschwebend“, hören kann, was sein Klient sagt.

Die oben-nebenstehende Abbildung zeigt ein im Kreis auf ein Hyperboloid geschriebens Folrmel-Wort, ein zentrales Element der Analytischen Psychokatharsis.

Man hat diese Form der „gleichschwebenden Aufmerksamkeit“, in der der Therapeut mit seinem Unbewussten das Unbewusste des Analysanden auffangen soll, als eine Art Unmöglichkeit bezeichnet. Denn wie soll er gleichzeitig nach außen hin hören und doch auch nach innen hin konzentriert sein? So ganz wurde dieses Problem bis heute nicht gelöst. Doch egal, hier geht es nur darum zu zeigen, dass Psychoanalyse und Meditation kein Widerspruch sind und man nur einen pragmatischen Weg, der beides verbindet, zeigen muss. Auf jeden Fall geht es in beiden Verfahren um eine von außen etwas zurückgezogene Aufmerksamkeit, nur dass es in der Meditation jetzt der Proband selber ist, der "gleichschwebend" zurückgezogen ist. Die freien Assoziationen jedoch besorgt ihm nun sein Unbewusstes selbst und direkt. Doch nochmals kurz zurück zu Freud, der bekanntlich davon ausging, dass man in der Natur stets zwei Grundtriebe finden kann: Selbsterhaltungstriebe und Arterhaltungs- bzw. Fortpflanzungstriebe. In der Abb. 1 ist dies anhand zweier Pfeile gezeichnet, wobei auch noch darauf hingewiesen ist, dass die Triebe in der Natur, besonders im tierischen Bereich, Instinkte sind. D. h. sind also fest, biologisch und wohl hauptsächlich im zentralen Nervensystem verankerte Strebungen. Entsprechend dem Evolutionsgedanken hat der über Jahrmillionen dauernde Einbruch einer „symbolischen Ordnung“, also der Sprachwelt, diese feste Verankerung völlig zerrissen. Schon im Tierreich gibt es zeitweilige Lockerungen des Triebgefüges wie es der Verhaltensforscher K. Lorenz im letzten Jahrhundert nachgewiesen hat. Diese Lockerungen sind nur kurzweilig und führen nur zu leichten, letztlich aber wieder fest verankerten Triebkräften. Beim Menschen ist das Triebgefüge jedoch völlig frei geworden und Freud sprach hier daher vom Auftreten vieler „Partial-Triebe“ wie es auch in der Abb. 2 dargestellt ist. Die Triebe gehen in alle möglichen Richtungen auseinander. Sie sind Teiltriebe, und der Mensch muss sie nun selber zusammenhalten, auch wenn ihm das in seiner Kindheit nur sehr selten in guter Form gelingt.


Doch mit der Zeit konnte Freud  zwei Grundtriebe als Hauptströmungen herausstellen, in denen sich die Partialstrebungen zusammenfassen ließen. Denn für ein wissenschaftliches Arbeiten muss man die Grundkräfte oder –prinzipien auf zwei oder drei begrenzen können, um das Ganze übersichtlich zu halten. Die Abb 3. Zeigt nunmehr die endgültige Fassung des Freud´schen Konzeptes. Im Eros-Lebens-Trieb kann man noch die Biologie des Tierreiches nachempfinden, doch der Todes-Trieb ist bis heute ein problematisches Konstrukt geblieben. Denn wie kann ein aktiver, dynamischer Trieb einfach das darstellen, was der normale Zerfall, der Abbruch einer Lebensform zurück in die materiellen Bausteine ist? Nun gibt es manchmal wirklich Menschen, die in schwerer Depression dennoch so agitiert sind, dass man sie kaum eine Sekunde aus den Augen lassen kann. Hier hat man wirklich das Gefühl, eine Triebkraft sucht die Vernichtung, Destruktion und Tod.

Natürlich kann man in der Psychoanalyse mit dem Todestrieb als Hintergrund arbeiten. Aber es ist mühsam und selten einleuchtend. Daher hat der französische Psychoanalytiker J. Lacan eine Umformulierung des Freud´schen Konzepts vorgenommen. Der Entäußerungs-Trieb oder der nach außen hin gerichtete Sprecht-Tieb ersetzt den Destruktions-Trieb und der Wahrnehmungs- oder Schau-Trieb den Eros-Trieb. D. h. sie ersetzen sie nicht wirklich, aber positionieren die Triebkräfte anders. Sie stellen das – wie man sagt: Trieb-Struktur-Konzept -  etwas um. Die Abb. 4rechts zeigt nur als Anspielung an den Evolutionsgedanken, dass der Mensch noch eine Kuhhaut trägt, doch sonst ist vieles anders. Das Aggressive der Entäußerungen geht beim Menschen sehr stark in seinem Trieb sich lautlich, sprachlich, zu äußern unter und die Erotik spielt sich hauptsächlich im Drang wahrzunehmen und zu schauen ab. Trieb, aktive konstante Kraft – wie Freud es nannte – sind sie alle. Auch der orale, phallische und genitale Trieb gehen als Kombination der Grundtriebe in diese neue Zusammenfassung ein.

Denn, um es mit anderen Worten zu sagen: das Objekt des Oral-Triebs, der Mund- und Schlinglust, das anfänglich die Brust der Mutter ist, geht ganz stark mit dem Schauen in die Augen der Mutter einher. Schwer zu sagen, was hier stärker psycho-erotisch besetzt ist. Wir essen auch nicht mehr nur aus Hunger, Appetit  und Gaumenkitzel, mit dem plaisir de la bouche also, sondern auch mit den Augen und der Schaulust. Ja vielleicht vielmehr sogar damit. Damit kann ich die psychischen „Objekte“ dieser beiden neuen Grundtriebe (Schau- und Sprech-Trieb) bevorzugt herausstellen. Diese „Objekte“ sind allerdings vom Trieb kaum noch zu trennen. Bei Freud steht das psychische Objekt des jeweiligen Triebs noch im Vordergrund und ist davon gut isolierbar. Die Objekte des Eros-Lebens-Triebs sind die mit seelischer, libidinöser Energie besetzten Dinge oder Menschen, so anfänglich also die Brust der Mutter beim Oraltrieb. Beim Schautrieb ist dies anders, er ist mit dem „Blick“ als seinem „Objekt“ eng verwachsen. Ich habe das „Objekt“ des Wahrnehmungs- bzw-. Schau-Triebs daher vereinfacht ein „Es Scheint“, „Strahlt“ genannt und das „Objekt“ des Entäußerungs- bzw. Sprach-Triebs ein „Es Verlautet“, „Spricht“. Damit haben wir nämlich eine ideale Möglichkeit nunmehr zur Meditation, zur psychoanalytischen Trance zurückzukehren.
Ich habe die beiden Verfahren gegenübergestellt und in der Mitte einen beide trennend / verbindenden Begriff gesetzt. Einen Begriff, der aus beiden einen wesentlichen Zug als neues Konzept herausstellt.

  Psychoanalyse              Analyt. Psychokatharsis                  Meditation                
   Spricht/strahlt                    Formel-Wort                          Strahlt/spricht

Was soll das heißen? In der Psychoanalyse steht das assoziative Sprechen des Analysanden und das „Es Spricht“ aus dem Unbewussten im Vordergrund. Umgekehrt in der Meditation. Dort herrscht das kathartische „Es Strahlt“ vor. In der Analytischen Psychokatharsis wird nun daraus eine formelhafte Formulierung, die beiden wie in einem einzigen Knoten verbindet. Eine genauere Erklärung gebe ich im Folgenden später. Ein bisschen differenzierter ausgedrückt kann ich das nächste Schema so anschreiben:

Psychoanalyse             Analyt. Psychokatharsis                Meditation
frei assoziieren, Pein-             heilsame                 störende Gedanken weg-
liches sagen, sich dem           Entstel-               schieben, Auftauchen von
Unbewussten stellen                lung                          Bildern abstellen 
            
Zu „reden, was einem immer in den Sinn kommt“, wie die psychoanalytische Grundregel heißt, bedeutet ja schließlich auch eine gewisse Entstellung seiner selbst ertragen zu müssen. Man muss Dinge sagen, die man nicht sagen wollte und von Träumen etwas erzählen, die einen in irgendwie entstellter Form zeigen. Aber auch in der Meditation muss man sich entstellen, indem man alles was man sonst dauernd tut, nämlich denken, von sich wegschiebt, und Erinnerungen, die einem kommen, nur flüchtig an sich vorbei ziehen lässt. Es geht also um eine heilsame Entstellung. Schließlich setzt man sich nach jeder entstellenden Maßnahme wieder zusammen, neu, anders als vorher, reicher. Ich habe dies alles so zusammengestellt, weil in der Analytischen Psychokatharsis die heilsame Entstellung aus den Entstel-lungen beider Seiten den essentiellen Anteil zieht. Die freien Assoziationen stecken schon in den ja quasi entstellten Formel-Worten und dann muss man ja auch noch wie in einer Meditation Gedanken und Bilder wegschieben. Doch die Sache geht weiter wie die unten stehende Abbildung zeigt.


Psychoanalyse             Analyt. Psychokatharsis                Meditation
Gleichschwebend aufge-             emotionale                 kathartische Erfah-
fasste Einsicht, Über-           und intellektuelle             rungen, mythisch neue
tragungs-Deutungen                  Aufrichtung                  Identität


Auch hier ist es wieder so, dass die Psychoanalytiker von einer Aufrichtung des psychischen „Objekts“ sprechen, wenn dieses durch die Zuhörens- und Deutungs-Arbeit im Patienten als „gutes Objekt“ integriert und etabliert wird. Mit diesem“ Objekt“ kann man vor allem auf der sozialen Ebene (horizontal nach außen) handeln. Und auch in Meditationsverfahren wird man kathartische Entspannung  und eine neue Innerlichkeit und Identität finden, wenn auch nicht im präzisen, logisch und fundierten, sondern mehr im mythischen  Sinne. Gestärkt wird hier jetzt die Senkrechte wie  man z. B. oft aus Abbildungen im Yoga sehen kann. In der Analytischen Psychokatharsis ist die Auf-richtung neben emotional kathartischen Erfahrungen auch durch intellektuelle Einsichten gegeben. Gerade letztere werden durch sogenannte Pass-Worte gestützt. Dazu wieder ein Bild mit der Kuhhaut, die jetzt schon sehr formalisiert den Menschen im fortgeschrittenen Vorgang der Analytischen Psychokatharsis zeigt. Es handelt sich bei dieser Abbildung um eine Boysche Fläche.

Diese topologische Figur ist so gewölbt und in sich durchschlungen, so dass innen und außen nur eine Fläche bilden. Man kann dies leicht an dem Bild erkennen, bei dem die Erdkugel in ein solches Gebilde umgebogen, umgekrümmt und eben als Boy-Fläche ineinandergeschlungen ist. Dadurch liegt nämlich der vorne zu sehende Nordpol nach innen gestülpt direkt auf dem Südpol. Doch was die erste Boy-Abbildung zeigt hat mit der Entstellung und Aufrichtung und der dadurch erzeugten Verdrehung, Verknotung des psychischen „Objekts“ als eines von einem realen Objekt durch diese Topologie klar zu unterscheidenden Objekts zu tun. Durch die Buchstaben bekommt es eine wichtige Bedeutung, die im Anschluss an zwei erste Übungen erklärt wird.

Kurze Erklärung der praktischen Übungen.


Um die Theorie nicht zu sehr zu strapazieren hier eine kurze Anleitung zur ersten von Zwei Übungen, die man ohne weiteres auch selbst zu Hause versuchen kann. „Radiat“ heißt lateinisch „Strahlt“, „Dicit“ „Spricht“. Wie betont ist das „Strahlt“ für mich nur eine Abkürzung für den eingangs erwähnten Wahrnehmungs-, Schautrieb, die Kraft des Optisch-Virtuellen,  und das „Spricht“ eine Abkürzung für den Sprechtrieb, die Kraft der Symbol-Entäußerung. Wenn wir beide lateinischen Ausdrücke zu „RADICIT“ zusammenziehen, haben wir ein Formel-Wort vor uns, dessen Charakter – wie ich noch zeigen werde - aus einer wissenschaftlich präzisen und klaren Zusammensetzung besteht und eine für den ersten Übungsschritt  brauchbare Formulierung darstellt. 

Wenn man sich nun (evtl. mit geschlossenen oder leicht geöffneten Augen) also mit der oben erwähnten zurückgezogenen Aufmerksamkeit hinsetzt, langsam, monoton und nur in Gedanken das „RADICIT“ wiederholt und gleichzeitig ein bisschen darauf achtet, ob man dabei etwas, das den Charakter des „Strahlt“ hat, wahrnimmt, wird man eine Entspannung, vielleicht sogar schon eine leichte Katharsis (Loslösung, Befreiung) bemerken. Das langsame, monotone Wiederholen des „RADICIT“ fördert nämlich den Rückzug nach innen und damit das Auftauchen der „Strahlt“ - Erfahrung, die nichts mit den Augen zu tun hat, sondern eben etwas mit dem unbewussten Körperbild, dem „Bildhaften“, den Spiegelungen des Schau- bzw. Wahrnehmungstriebs. Lacan spricht hier auch von einer „Phosphoreszenz“, also einer Art innerlich wahrnehmbarer Erhellung.  Das wird später noch ausführlicher erklärt werden, für den Anfang mag eine kleine Erfahrung genügen. Ich gebe hier absichtlich keine Suggestionen, was man „sehen“ oder erfahren soll. Ich sage nur, es soll diesen Charakter des „Strahlt“ haben, wie unterschiedlich jeder das auch erfahren mag, und man sollte dabei das Formel-Wort „RADICIT“ rein gedanklich wiederholen.

Man sitzt also in einer bequemen Haltung und achtet darauf, ob man nicht irgendetwas, was den Charakter von etwas Strahlendem hat, wahrnehmen kann. Wie schon gesagt kann es sich dabei auch einfach um das Erspüren eines Teils des „Körperbildes“, der „Phosphoreszenz“ handeln. Wenn man längere Zeit still dasitzt, hat man immer das Gefühl, dass der Körper sich leicht verändert anfühlt, Arme und Beine werden beispielsweise wie „taub“, leichter oder schwerer, während man am Rumpf vielleicht schon ein kathartisches „Durchrieseltwerden“ spürt. Ich erinnere nochmals an die Erfahrungen beim Einschlafen. Egal, indem man gleichzeitig das Formel-Wort „RADICIT“ gedanklich wiederholt, stellt sich eine Helligkeitswahr-nehmung, eine Entspannung, kurz: ein eher befreiendes Lösungsgefühl ein, das ich verkürzt ein „Strahlt“ genannt habe, weil es eben irgendwie den Charakter von etwas Strahlendem hat. Die geringste Erfahrung genügt.

Auch die Boysche Fläche hat den Charakter von etwas Strahlenden, was absolut nicht heißen soll, dass man sich so etwas vorstellen soll. Es soll ja gerade das jedem Eigene, Unbewusste, subjektbezogene Visionische zum Ausdruck kommen und nichts Suggeriertes oder Vorgestelltes. Ich gebe dieses Beispiel nur deswegen, weil sich im Endeffekt, wenn nämlich die zweite Übung mit dem „Spricht“ dazukommt, dieses Strahlende einen sehr einfachen, quasi topologischen Charakter annehmen wird. Auch dazu später noch eine theoretische Bemerkung.
Diese erste Übung soll nur für ein paar Minuten probiert werden, denn sie wird erst vollwertig im Zusammenhang mit der zweiten Übung. Würde man stunden- oder tagelang nur diese Übung machen, könnte man zu optischen Halluzinationen ähnlichen Erfahrungen kommen. Ich erinnere daran, dass man in allen Meditationsmethoden solche Erfahrungen sogar benötigt, was den unwissenschaftlichen Charakter dieser Methoden zeigt. Wenn man im Yoga oder Zen-Buddhismus beim Meditieren nicht dahin gelangt, so nur deswegen, weil man sich mit der entsprechenden religiösen oder asiatischen Ideologie stützt. Man muss also etwas Unpassendes in Kauf nehmen.

Nunmehr die zweite Vorübung
Nach einiger Zeit (vielleicht zehn Minuten) macht man dann die gleiche Übung mit dem „Spricht“. Während man im Hintergrund noch langsam (evtl. mit kleinen Unterbrechungen) das „R-A-D-I-C-I-T“ wiederholt hat und also die beginnende Katharsis spürt, achtet man jetzt darauf, etwas von der Art eines Tones, Klanges, Verlautens  zu vernehmen (die Umgebung muss dazu natürlich anfänglich ruhig sein). Dieses Verlauten scheint von tief innen und oben rechts oder zentral im Kopf her zu kommen.  Auch hier stellt sich eine entspannende Konzentration ein und manchmal kommt es zum Auftauchen einer wirklichen „Spricht“ – Erfahrung: ein Gedanke formuliert sich wie von weit her oder unerwartet spontan. Ein kurzer, in sich zusammengedrängter „Spruch“, ein fast befremdlicher Einfall entsteht wie aus dem Nichts, an das hinein man sich ja durch das Üben  gerichtet hat. Auf jeden Fall ist ein derartiger Gedanke klarer als man es wiederum im Sinne einer akustischen Halluzination ähnlichen Erfahrung erwarten könnte. Denn dieser Gedanke wird ja bereist durch die psycho-linguistische Struktur des Formel-Wortes geführt. Und diese ist nicht eine Ideologie, ein religiöses System etc. Was es wirklich ist und was am Schluss der Übungen steht, werde ich im Folgenden anhand der Pass-Worte zeigen. Es wird dann so etwas wie ein eigenes, wirkliches „RADICIT“, ein „Stahlt“, das „Spricht“ und umgekehrt, also eine nunmehr geordnete Erfahrung und Verbindung der Grundtriebe, -kräfte und der Deutung dieser Verbindung sein. All dies muss jetzt nicht gleich perfekt gelingen und verstanden worden sein, sondern soll nur eine Ersterfahrung darstellen, um das Ganze der Analytischen Psychokatharsis auch von der Praxisseite her besser zu verstehen.

Nochmals kurz zur Theorie
Warum ist das Formel-Wort so ein zentrales Element der Analytischen Psychokatharsis? Es vereint eben ideal das „Strahlt“ und „Spricht“ und kann zudem praktisch geübt werden. Man muss es nur gedanklich langsam und monoton wiederholen. Zudem zeigt es in Abb. 8 seinen „Strahlt“-Charakter, aber auch das Wesen seines „Spricht“. Bei dem Beispiel des „RADICIT“ ergeben sich nämlich außer dem radiat und dicit im Kreis geschrieben und von verschiedenen Buchstaben aus gelesen mehrere unterschiedliche Bedeutungen. So können wir hier z. B. auch „adi cit r“ (geh heran, es bewegt R) „C i tradi“ (hundert I  übergeben), „citra di“ (diesseits die Götter), „dicit ra“ (es sagt ra), „r adic it“ (füge r hinzu, es geht), „radi cit“ (gekratzt werden, es bewegt sich), „trad ici“ (erzähle, ich habe getroffen) etc. herauslesen, wobei vieles recht unsinnig klingt. Dies hat jedoch für den formalen Ausdruck keine Bedeutung. Ausschlaggebend ist hier nur, die wissenschaftliche Begründung klar darlegen zu können, und dies ist für das Verfahren sehr wichtig, weil man nur so volles Vertrauen in die Methode haben kann. Der Strahlt-Charakter des RADICIT ist in Abb. 9  links nochmals in anderer Weise zu sehen
Freud und auch Lacan haben diese Mehrdeutigkeit und vielschichtige Formulierbarkeit Überdeterminierung genannt. Sie ist ein klassisches Phänomen des Unbewussten.  Damit kann nur eine Struktur eine Formulierung, die genau in die digitalen Muster des Unbewussten passen, dieses zu Änderungen anregen und stimulieren. Exakt dies tun die Formel-Worte. Nur derartige Elemente sind daher in der Lage der Psychoanalyse präzise entsprechend zu wirken. Wie es durch die freien Assoziationen des Patienten zum Aufklaffen des Unbewussten und durch die synchrone gleichschwebende Aufmerksamkeit des Therapeuten zum Offenhalten dieser Kluft im Unbewussten kommt, so kann das Üben mit dem „Strahlt“ und den Formel-Worten und dann das „Spricht“ der Pass-Worte das Gleiche erreichen.

Mit den Pass-Worten habe ich nun das wieder aufgegriffen, was ich als Ergebnis der zweiten Übung angekündigt habe. Schlüsselpunkt ist wieder die Überdeterminierung. Bahnen die Formel-Worte und das „Strahlt“ einen genau ausgefrästen Weg in das Unbewusste, so werden entsprechend und folgerichtig genau daraus wieder Formulierungen frei werden, die neues Wissen aus dem Unbewussten offen legen. Jetzt wird nicht mehr nur ein Ton, ein Verlauten wahrzunehmen sein, sondern ein „Spricht“ in Form eines Spruchs, eines Halbsatzes oder einer wie Lacan es auch nennt „ultrareduzierten Phrase“. Ein Beispiel, das ich erst in letzter Zeit erfahren habe, mag dies beleuchten.
Jemand, der mit der Analytischen Psychokatharsis erst ganz kurze Zeit geübt hatte, vernahm inmitten der zweiten Übung plötzlich einen wie aus der Fremde auftauchenden Gedanken: „Hinsetzen, wo nichts reinpasst“. Paradoxer hätte selbst das Orakel von Delphi nicht sein können, und doch war der Probandin, die diese Erfahrung eines derartigen Pass-Wortes machte, sofort bewusst, was das heißen sollte. D. h. es war ihr ziemlich klar – einerseits, und andererseits könnte man auch sagen, zu so einem Spruch hat jeder eine Assoziation. Das ist keine ungewöhnliche Phrase. Hinsetzen, wo nichts reinpasst heißt trotzdem hinsetzen, auch wenn es nicht einfach ist, weil ja anscheinend kein Platz da ist. Aber vielleicht kann man es doch erzwingen, dass da noch gerade ein Plätzchen für einen ist, wie man das ja so oft erleben kann im Zug oder Bus, an einem Tisch oder einer sonst wo, wo es schon verdammt eng ist. Und so war es auch bei der Probandin. An ihrem Arbeitsplatz setzte sie sich jeden Tag hin, obwohl ihr – im Sinne von Mobbing -  oft vermittelt wurde, sie würde da gar nicht hinpassen. Doch all dies alleine ist gar nicht das Wesentliche des Spruchs.

Das Wesentliche liegt vielmehr darin, dass das Unbewusste „Spricht“ wie Lacan oft in seinen Seminaren demonstrierte. „Ça parle dans l´inconscient“, sagte er immer, „das spricht im Unbewussten“. Man denkt immer, das Unbewusste ist ein „Ding“, eine Höhle, eine Schachtel, in der was drin ist, bzw. die eben ein  S e i n  hat und nicht ein  S p r e c h e n. Dass man erfährt, dass es in einem wie bei einer Offenbarung sprechen kann, ist so eindrucksvoll, dass diese Pass-Worte einem auch als Schlüsselworte für vieles dienen können. Niemand andere kann einem so etwas sagen, jedenfalls nicht in dieser Art, die wesentlich ist. Der oben genannten Probandin half deswegen ihr Pass-Wort trotz ihres Arbeitsplatzproblems. Denn sie wusste jetzt, dass es etwas in ihr gibt, dass sich damit beschäftigt und das man wie einen Therapeuten ab und zu befragen kann: man ist nie allein.  Damit kann ich nunmehr zur Abbildung 5, zur Boyfläche mit aufgetragenen Buchstaben zurückkehren.

Auch im nebenstehend Bild ist die Verdrehung zu sehen, die in dreifa-cher Form die Boyfläche auszeichnet. Hier handelt es sich jetzt um ein Möbiusband. Die im Formel-Wort aufgelisteten Buchstaben kommen somit in beiden Bildern (Boy- und Möbius) auf der Vor- und Rückseite der gleichen Fläche zu liegen. So kann man sich die Schnittstellen, die zu den verschiedenen Bedeutungen führen, auch als topologische Verdrehungen denken. Das Unbewusste, aber auch das Gehirn mit seinen Verschaltungen, die je ebenso überdeterminiert sind, wird somit gut nachgeahmt. Und auch die Pass-Worte kommen offensichtlich auch dadurch zustande, weil sie je nach Drehung und Windung aus den Signifikanten (die man sich hier jeweils als eine Gruppe von Buchstaben vorstellen kann) herausklingen. Es sind die Teile des Sprechtriebs, des „Spricht“, die im Vorgang der Objektbesetzung oder durch das Zusammentreffen mit den Objekten des „Strahlt“ verdrängt oder abgespalten waren und sich nunmehr Geltung verschaffen.

Ausblick
Hinsichtlich der Handhabung der Praxis dürfte es jetzt kein Problem mehr geben. Die erste Übung mit dem Achten auf das „Strahlt“ bei gleichzeitigem gedanklichen Wiederholen mehrerer Formel-Worte für zehn Minuten und dann die zweite Übung mit dem Achten auf das Verlautet, das „Spricht“ habe ich hier klar beschrieben. Es finden sich in anderen Artikeln auf der Webseite >analytic-psychocatharsis.com< zahlreiche ähnliche Darstellungen zum weiteren und besseren Verständnis. Das Verfahren der Analytischen Psychokatharsis lässt sich gut mit der analytischen Psychotherapie oder auch der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie verbinden. Der Therapeut kann dann nach vielen Übungseinheiten immer wieder ein-mal befragt werden.

Erfahrungen mit der Analytischen Psychokatharsis streifen oft Bereiche, die an religiöse, esoterische oder quantenphilosophische Argumente erinnern. Es exsistieren eine große Reihe von Büchern zu derartigen Themen. Die meisten versuchen einen Zusammenhang von Neurowissenschaft und Quantenmechanik herzustellen. Sie glauben, dass es Strukturen im Gehirn gibt, z. B. Eiweißmoleküle, an denen Quantenprozesse ablaufen können, die mit Denkprozessen verwandt sind. Am beliebtesten sind sogenannte Verschränkungstheorien, in denen sich zwei Elementarteilchen, obwohl sie völlig räumlich getrennt sind, auch bei Außenwirkung nur auf eines der Teilchen gleich ver-halten. Doch sie machen alle den gleichen Fehler, den der Physiker M. Esfeld so beschreibt. „Wenn man definitive numerische Werte für Eigenschaften makroskopischer Objekte akzeptiert  . . . und wenn man die Quantenmechanik als vollständige Beschreibung der mikrophysi-kalischen Wirklichkeit anerkennt, dann muss man die Möglichkeit des Übergangs zu wohlbestimmten numerischen Werten in die Dynamik einbauen, die man für die Zeitentwicklung von Quantensystemen an-setzt.“ (Esfeld, M., Das Wesen der Natur, Spectrum der Wissenschaft, 6/11, S. 57).

Vereinfacht gesagt: zwischen unserer makroskopischen Welt und der Welt der submikroskopischen Quanten mag es manchmal unerklärliche Phänomene geben, die wir dann auf solche Verschränkungen beziehen. Trotzdem müssen diese Phänomene dann mit „wohlbestim-men numerischen Werten“, also mit normaler Mathematik, berechenbar sein. Ein Sprung aus der Quantenwelt in die Makrowelt von Molekülen ist so nicht möglich. Man muss das Ganze anders ange-hen.
Man kann z. B. sagen: Quantenprozesse spielen in der Astrophysik nur unter extremen Energie und Gravitationsbedingungen eine Rolle, also etwa am Anfang des Universums oder in extremen „Schwarzen Löchern“. Ansonsten ist der Kosmos makrophysikalisch normal wie wir hier auf der Erde eben auch. Man hat jedoch neuerdings zeigen können, dass in sogenannten „seltsamen Metallen“ Quanten-phänomene erzeugt, beobachtet und behandelt werden können. Diese „seltsamen Metalle“ sind – vereinfacht gesagt - eine Weiterentwicklung von supraleitenden Metallen. Bei extrem niedrigen Temperaturen leiten bekanntlich Metalle Elektronen, also Strom, ohne den üblichen Wider-stand. Die neben stehende Abbildung zeigt die Verhältnisse. Es gibt also Möglichkeiten hier auf Erden Quantenmechanik zu produzieren, jedoch nur in außergewöhnlichen Metallen, in denen da, also auch Billionen Elektronen wie gleichgeschaltet sind. Doch unser Gehirn ist kein Metall, mit den üblichen Atomen in der Natur lässt sich so etwas nicht machen. Und da auch extreme Energien und Gravitation in unserem Gehirn nicht möglich sind, muss man sich etwas anderes überlegen.

Dieses Andere kann ich nicht beschreiben, denn ich würde dann wieder versuchen von außen her den Menschen etwas aufzudrücken, was sie ja nur in sich selbst realisieren können. Dass diese Realisierung nicht völlig subjektiv ist, habe ich beschrieben. Ich habe mich an die psychoanalytischen Kräfte, die Triebe, die Grundprinzipien des „Strahlt“ und „Spricht“ gehalten, die in ihrer reinsten und primärsten Form so wie „Licht“ einen Strahltcharakter und so wie Töne, Laute, Verlautungen einen Sprichtcharakter haben. In ihrer kompaktesten, einfachsten und primärsten Kombination wird man etwas erfahren, dass das Wesen der Natur, der Quanten, des Sternhimmels usw. erhellen und klären kann. Der eine oder andere wird wie ich in einer Weise darüber schreiben, die wissenschaftlich, „praktisch logisch“ wie es die Psychoanalyse nennt, konjekturalwissenschaftlich wie man es in der Mathematik sagt, anerkannt ist. Was will man mehr? Ich habe auch ausführlich dazu in meinem Buch „Nach Lacan“ spekuliert.

Wenn Sokrates von der Unsterblichkeit der Seele geschwärmt hat, so hat es auch so eine Kombination von Kräften erahnt und gemeint, der man sich eben nur durch eigene Liebe zur Weisheit nähern kann. Mit Seele war etwas Überindividuelles gemeint, das man nicht sachlich objektivieren kann, aber man kann es erfahren und signifikant darüber schreiben. Auch die Philosophin N. Knapp versucht den Spagat zwischen dem Prozess des Denkens und der Quantenmechanik zu lösen, indem sie eine Art achtsam wahrnehmendes Denken propagiert (Knapp, N., Der Quantensprung des Denkens, Rowohlt (2011). So sollte nicht einfach nur achtlos durch die Welt gehen und Steine, Bäume und Möbel sehen, sondern intuitiv „das In-den-Himmel-Ragen des Baumes“ oder „das Auf-der-Erde-Liegens des Steines“ betrachten. Doch erscheint eine solche Methode willkürlich und wenig pragmatisch oder alltagstauglich. Knapps Versuch ist ein Rückfall in die antike, mythische Wis-senschaft, wie sie die alten Griechen gelehrt haben und wie sie von so vielen intuitiv oder „ganzheitlich“ Denkenden auch heute verwandt wird. Das mag gut sein, aber ist nicht die für heute ideale Form für das Quantensprungdenken, das ich oben schon eine Konjekturalwissenschaft genannt habe (Hummel, v. G., Das konjekturale Denken, BoD (2010). In Abbildung 12 habe ich daher nochmals ein Formel-Wort dargestellt, diesmal in die Quadratur des Kreises mit dem Menschen-Schema Leonardo da Vincis geschrieben, das jedoch zudem noch im Sinne des Evolutionsgedankens die Reste der Kuhhaut trägt (Bedeutungen siehe unter ENS-CIS-NOM).


Zusammengefasst: Die Wissenschaften stecken heute in einer Sackgasse. Sie berücksichtigen nicht, dass „der Geist in der Teilnehmerperspektive als Subjekt der Erkenntnis methodisch vorrangig ist gegenüber Geist und Körper als Erkenntnis-Objekten in der Beobachterperspektive“ (Hastedt,H., Das Leib-Seele Problem, Suhrkamp (1989) S. 291). Nur die Psychoanalyse macht hier eine Ausnahme, denn der Analysand ist teilnehmendes ist Subjekt und nicht nur kaltes Objekt. Ein Objektbezug stellt sich trotzdem her, was vor allem deutlich wird in der vom Psychoanalytischen abgeleiteten Analytischen Psychokatharsis. Hier überschneidet sich die symbolische Ordnung (Spricht) mit der des Imaginären (Strahlt), wobei in der kompaktesten und geradezu einfachsten und das heißt mathematischen Kombination dieser beiden das Reale als Objektbezug mit eingeschlossen ist.