Bild und Sprache

BILD  UND  SPRACHE

In der Analytischen Psychokatharsis, einem psychoanalytisch-meditativen Verfahren,  sind Bild und Sprache, Bild- und Worthaftes eng verbunden. Diese beiden Elemente sind sogar bis auf ihr Grundgerüst, auf ihre Elementarstruktur  in dem Ausdruck des „Strahlt / Spricht"  reduziert zusammengefasst, weil das Bildhafte wie ein universelles Strahlen und das Worthafte wie das Sprechen des Unbewussten zu verstehen ist. Von daher fängt man auch an diese beiden Prinzipien, Kräfte, Triebe zu meditieren. Dennoch ist es von Vorteil sie z. B. in dem, was auch die Kunsttherapie tut, nämlich sie in künstlerisch bildhafter und in analytisch worthafter Form anschaulich zusammenzuführen. Das heißt, der Kunsttherapeut lässt seinen

Probanden selbst malen und die Bilder werden interpretiert, während ich hier in diesem Artikel versuchen will, bildende Kunst und psychoanalytisches Wort direkt zu kombinieren. Dadurch entstehen Beispiele, wie man sie in den Übungen der Analytischen Psychokatharsis oft selbst erfahren kann. Natürlich kann nichts die eigene Erfahrung ersetzen, aber Beispiele können dennoch nützlich sein.


Zu Anfang ein Bild, das ein Kind gemalt hat und das ihm den Titel „Vater und Mutter" gegeben hat. Natürlich ist das Kind kein Künstler, auch wenn Bild und Titel originell zusammenpassen. Doch deswegen stelle ich es vor. Es ist jeden sofort einsichtig, um was es hier geht. Bei diesem Kind zu Hause herrschen recht turbulente Zustände. Das ist knapp und präzise erfasst. Für mein Strahlt / Spricht - Konzept ist dies wichtig.

Auf jeden Fall sind Bild und Titel in sich und zudem aufeinander bezogen recht aussagekräftig. Nur eine sehr ausführliche, plastisch dargestellte Erklärung und eine zudem dramaturgisch gelungene Beschreibung könnten das Bild evtl. ersetzen, während der Titel wiederum nur schwer durch ein Bild zu vermitteln wäre. Freilich sind detailliertere Erkenntnisse über das Dreieck Vater, Mutter und Kind durch Bild samt Titel auch wieder nicht zu haben. Hier wäre vielleicht E. Noldes Bild „Familie" aussagekräftiger. Die Zeichnung des Kindes ist eben zu einfach, infantil, ein bisschen gedankenlos, während Nolde uns hier in die gleiche Thematik, vielleicht sogar gleiche Familiensituation samt psychologischen, psychoanalytischen Hintergrund einweiht. Hier das Bild von Nolde.

Damit wird bereits ein wenig klar, um was es hier im Sinne der Überschrift „Bild und Nolde_FamilieSprache" gehen soll. Nämlich nicht nur um eine wahllose Gegenüberstellung sprach­licher und bildlicher Ausdrücke, sondern gleichzeitig um eine Vertiefung im psychoanalytischen und kunsthistorischen Sinne, auch wenn der Begriff Kunst- historie hier etwas kritisch, heikelund schwierig zu handhaben ist. Denn es soll ja nicht speziell um Historie gehen, eher um Kunst. Doch der Begriff hat sich so eingebürgert und schon das nächste Bild verweist ausgerechnet auf tiefste und lange zurückliegende Historie. Es zeigt ein Bild von vor 40 000 Jahren, aus einer Zeit also, als der moderne Mensch aus Afrika nach Europa eingewandert ist, fast aus seiner Entstehungszeit also.

Und auch dies hat ja eben wieder wissenschaftlich psychologisches Interesse. Auch hier könnte wieder eine Familienkonstellation angezeigt sein, wie sie für die Psychoanalyse wichtig ist. Das Bild stammt von Felszeichnungen aus China und hat jetzt zwar nicht das gerade erwähnte extreme Alter, aber es ist dafür sehr typisch in seiner knappen stilisierten Art. Die Menschen sind einfach dahingesetzt und dennoch in affektvoller Bewegung. Auch hier also vielleicht wieder eine Familie in ihrer gegenseitigen Dynamik voll Freude oder Angst, voll Dramatik oder Tanz. Egal, wichtig ist der enge Zusammenhang zwischen Bild und Wort, wenn wir uns vorerst darauf einigen können, dass es im weitesten Sinne um „Familie" geht.


Felszeichnung aus Hua ´ an, China„Familie", dieser Hort größten Glücks und Unglücks zugleich, voll von Bindungs- aber auch Spannungsliebe, Hort zu naher und doch auch nur schwierig lebbaren Eros. Aus all den gezeigten Bildern könnte dies heraus zu lesen sein. Wir kämen somit einer Sprache / Bild - Wissenschaft (mit psychoanalytischem Hintergrund) zunehmend näher. Diese Wissenschaft liegt ja der Analytischen Psychokatharsis zugrunde, auf deren Seite ich daher diesen Artikel platziert habe. An anderer Stelle habe ich diese Wissenschaft ENS - CIS - NOM genannt (www.ens-cis-nom.com), weil ich eben keinen neuen akademischen, universitären oder sonst üblichen Namen dafür verwenden will. Ich will ja Worte und Bilder alleine sich einen wissenschaftlichen Wert geben lassen. Das Ding soll von alleine laufen. Es soll nicht Kunsttherapie heißen, nicht Bildwissenschaft oder Linguistik und auch nicht Psychoanalyse im herkömmlichen Sinne. Natürlich nenne ich das Verfahren, insofern es um praktische Übungen geht, Analytische Psychokatharsis. Aber das ist nur ein Hilfs-Untertitel. Der eigentliche Titel ist ENS - CIS - NOM, eine lateinische Formulierung, die mehrere Bedeutungen in sich enthält, so dass eben gerade keine wirklich gilt (Näheres siehe unter diesem Begriff).

Der Ausgangspunkt war, dass Bild- und Worthaftes eng verbunden sind. Das ist generell so. Ich kann mich auf viele Wissenschaften stützen (veröffentlicht in „Das konjekturale Denken", BoD, 2010). Hauptsächlich berufe ich mich auf J. Lacans Umformulierung der Freudschen Psychoanalyse mit der Setzung zweier Grundtriebe, -kräfte: vereinfacht Bildtrieb und Worttrieb. Ich muss das hier nicht wiederholen. Diese zwei Grundprinzipien zu- und gegeneinandergestellt fangen von selbst an ihre Wissenschaft zu etablieren. Hinter sie selbst geht nichts zurück. Mit ihnen habe ich mit dem anfänglichen Ausdruck „Strahlt / Spricht" begonnen. Bildhaftes / Worthaftes, Bildwort, Wortbild.

Bleiben wir bei „Familie". Hier ein weiteres Bild von T. Heydecker, das das gerade Gesagte wieder von einer anderen Seite her exakt bestätigt: die Familie als Hort einer engen Beziehungsgruppe, die Nähe und Distanz, Vertrautheit und Fremdheit deutlich wiederspiegeln. Vielleicht kommt sogar auch das Glück ein klein wenig zum Zug, wenn sich auch das Unglück des isolierten, unverstandenen Kindes hier deutlich zeigt.

Hier nochmals ein Bild gleichen Titels von E. Kirchner mit einem Kommentar, der von der Kunsthalle Erfurt anlässlich einer Austellung Anfang 2010 dazu geschrieben wurde:  „Das in den Jahren 1927-28 entstandene Gemälde "Die kirchner-familieFamilie" zeigt dies sehr deutlich. Es ist im Auftrag des Folkwang Museums in Essen entstanden, als Vorbereitung auf einen umfangreich geplanten Freskenzyklus, der jedoch nie ausgeführt wurde. Das Bild zeigt eine kleine Familie in freier Natur: Vater, Mutter und ein kleines Kind. Der links stehende Vater wendet sich der sitzenden Mutter liebevoll zu, während diese den Säugling an ihrer Brust hält. Sind an den Bildrändern verschiedene Naturdetails gut zu erkennen, so verselbständigen sich die Farbformen  innerhalb der Figurengruppe zu organisch wirkenden Verschlingungen, welche die Figuren unlösbar miteinander verbinden und auf diese Weise symbolisch jenen intensiven menschlichen Zusammenhalt herstellen, den sich Kirchner vorstellte. Die Gesichter von Mann und Frau als geistige und emotionale Zentren der Gruppe werden durch verzweigte grüne Formen miteinander verbunden. Die abnehmende Farbsättigung der Rosa- und Grüntöne hin zum Säugling verweist auf ein Leben, dass noch ganz am Anfang seiner Entwicklung steht. Gelbe Farbbänder wiederum verbinden den Kopf des Babys mit der Schulter des Vaters und den Nabel mit dem Kopf der Mutter. So wird nicht nur die äußere Zusammengehörigkeit dieser Personen visualisiert, sondern auch ein innerer Lebensstrom, der die drei miteinander verbindet."

Ich finde, dass der Kommentor das Bild gut erfasst. Vielleicht hätte er noch erwähnen sollen, dass das Bild ein bisschen an die „Heilige Familie" erinnert, und das wäre natürlich nicht in unserem Sinne, den ich will ja insbesondere psychoanalytische Hintergründe mit erwähnen (auch wenn es hier eben nicht um herkömmliche Psychoanalyse geht). Aber wenn sich eine derartige Assoziation zum Thema „Familie" aufdrängt, könnte es ja sein, dass der Künstler hier wirklich von einem konfessionellen Gedanken geführt war, und dann hat das Bild Aussagekrfat speziell in diesem konfessionellen Zusammenhang, von dem man als Psychoanalytiker sagen würde, er ist zu sehr geschönt, eben religiös verbrämt, ästhetisch konfessionell erhöht. Das mag in einem kirchlichen Zusammenhang wunderbar sein, aber ich wollte ja von Bildern ausgehen, die sich selbst artikulieren und „Familie" in ihrer ganzen Breite und Vielschichtigkeit, Schönheit und Gewalt, Nähe und Distanz etc. zeigen. Da aber der Kommentator sagt, das das Bild eine Familie in der Natur zeigt und der Freskenzyklus im Folkwang-Museum nicht einer konfessionellen Richtung gewidmet war, lasse ich das Bild so stehen.
Denn es ist wirklich großartig zu sehen, wie das gelbe Farbband und das Grün der Gesichter „organisch wirkende Verschlingungen" bilden, die doch genau das betonen, was von Anfang an hier zur Rede stand: die Verschlingung von Bild und Wort, von „Strahlt / Spricht". Durch die Farbbänder sind die Personen der Familie harmonisch verwoben aber auch gefesselt, organisch verwachsen, aber auch gebunden. Das hat das Kind in Bild Nr. 1 auch gefühlt, getan oder auch nur gekritzelt. Nolde hat es bereits reichhaltiger ausgestaltet und zwar ebenfalls ohne die Dynamik der Familie in eine einseitige Richtung zu lenken, auch wenn er gegenüber Kirchner spannungsgeladener, wilder, dramatischer wirkt. Und die chinesischen Felsmaler hatten wiederum ihre eigene Gestaltungsidee. Doch summa summarum ist dies alles nicht wichtig. Wichtig ist, dass uns „Familie" klarer, dichter geworden und näher gekommen ist.




Denn darauf will ich hinaus: Ohne jedes Bild und ohne jedes Wort könnten wir mit den Übungen der Analytischen Psychokatharsis auch dahin kommen. Fast immer streift man in derartigen psychologischen Übungen das Thema „Familie". Aber selbst wenn das nicht so ist, auch „Familie" war ja nur ein fürs Erste genommener Name, eine Chiffre, die durchaus ungelöst bleiben kann. Die Analytische Psychokatharsis ist nicht für dieses spezielle Thema gemacht, sondern für die Selbstenthüllung, -erkenntnis, Subjektklärung, für ENS - CIS - NOM, die Wissenschaft  v o m  Subjekt selbst. Kein Name, kein Begriff steht hier schon von vornherein dem Subjekt im Weg. Wenn Es Familie nicht braucht, dann eben nicht, dann war dies jetzt eben nur eine Einleitung. Es, das Subjekt ist sich Seins selber.

Trotzdem nochmals und abschließend:  „Familie". Denn so wichtig und wesentlich es ist, das Wesen, den Signifikanten, das „Ding" „Familie" sich selbst durch Analytische Psychokatharsis zu erarbeiten, es könnte ja doch noch eine vorbereitende Hilfe in Form eine Sprache / Bild -Elementes geben, das ich noch nicht gezeigt habe. „Familie" ist ja nach psychoanalytischer Auffassung ein Komplex. Es ist nicht ein biologisches Geschehen, gar ein Familieninstinkt wie bei manchen Tierarten, die sich oft in extremer Weise um die Aufzucht ihres Nachwuchses bemühen. Beim Menschen ist Familie sehr stark durch die Kultur beeinflusst. E. Durckheim hat den Begriff der „konjugalen Familie" geprägt, bei dem der Schwerpunkt zum Verständnis von „Familie" also auf der Ehe der Eltern liegt. Aber all das trifft es nicht ganz. Auch der herkömmliche und klassische psychoanalytische Ansatz eines Komplexes, der einfach von zwei oder drei elementaren Strebungen zusammengesetzt ist wie etwa dem Oralen (Oraltrieb mit besonderer Betonung der Beziehung zur Mutter), Invokativen (Sprechtrieb, Worttrieb, „Spricht") und Skopophilen (Schautrieb, Bildtrieb, „Strahlt") ist zwar wissenschaftlich konkreter, aber trifft er auch so gut wie die obigen Bilder?

Dieses Bild mit Figuren von T. Heydecker und der Bezeichnung „Der rote Faden" zeigt vielleicht noch authentischer, was „Familie" ist: eine Fama (Gerücht), ein Buchstabenknoten, verbunden und verstrickt, wobei der rote Faden hier auch vielleicht die Mutter ersetzt, die sonst nicht  zu  sehen  ist.  Man weiß es nicht, aber man kommt der Sache doch immer näher. Und so muss man zuletzt wohl doch noch die Analytische Psychokatharsis anwenden, um es ganz klar zu machen. Klarer und auch wissenschaftlich präziser und gesicherter als es in den Hellingerschen Familienaufstellungen geschieht, die nur eine kurz andauernde und mehr emotional intuitive Erfahrung vermitteln, was es mit der (natürlich speziell eigenen) „Familie" auf sich hat.

Verlassen wir also „Familie". Es gibt ja noch genug anderes. Nur mit was fängt man an, ohne auch hier schon wieder etwas Nicht-Eigenes zu voreilig zu suggerieren? Bild und Sprache sollen von sich aus die Wissenschaft, um die es geht, hervorbringen. Was den Schwerpunkt Sprache angeht, so kann man sich hier gut auf die klassische Psychoanalyse verlassen:  Vorwiegend das Subjekt soll sprechen, egal was, je spontaner und assoziativer, umso besser. Es handelt sich also um eine Subjekt-Sprache, die zugrunde liegt. Das ist keine subjektive Sprache, denn das Subjekt hält sich ja an die allgemein gültigen und funktionierenden Sprachvorgänge. Aber Es spricht sich aus. Es, das Subjekt. Und so muss es natürlich auch auf der Seite des Bildhaften etwas Entsprechendes geben. Das Subjekt-Bild.           (Folgenddes Bild: Asger Jorn, Paatraengende Vaesener)


Für jeden Menschen gibt es sein Subjekt-Bild, wenn auch die meisten davon nichts wissen. Aber die Maler machen es uns vor. Ich erinnere an Asgar Jorn und andere aus der Maler-Gruppe Cobra, die möglichst spontanen Einfällen entsprechend, sozusagen „frei assoziierend" gemalt haben. Sie haben möglichst spontan ihr Subjektsein ausdrücken wollen, so wie wir es in einer Psychoanalyse von unseren Patienten erwarten. Und vielleicht hat Asger Jorn hier sein Subjektbild gemalt, also das Bild, das sein Wesen subjektbezogen ausdrückt. Schließlich hat er im Titel von drängenden Wesen, Organismen gesprochen, wobei die Existenzbegründung sich durch deren Existenz bewährt, also tatsächlich geht es um so etwas wie Subjekte, die durch sich selbst sind. Genau um so etwas geht es auch in der Bildtheorie Lacans, die wohl das wissenschaftlich Neueste auf dem Gebiet von Bild und Sprache ist.


Leider haben viele Autoren diese Bildtheorie schrecklich umständlich erklärt. Lacan geht nämlich zuerst vom perspektivischen Sehen aus, so wie es sich bei uns Kulturmenschen seit dem Mittelalter verfestigt hat. Bei Kindern und Primärvölkern finden wir noch ein anderes Sehen vor, das ganz stark an Indentifizierungen gebunden ist. Das heißt, diese Menschen sind noch mit dem, was sie sehen, fast identisch, fühlen sich zumindest irgendwie so den Dingen und Objekten sehr, sehr nahe. Lacans Bildtheorie verbindet nun beide Arten des Sehens in einem Schema, das ich hier verändert und dadurch besser verständlich wiedergebe. Links findet sich dieser universelle, intermediäre „Blick", mit dessen „Licht" gesehen wird (und was ich immer als ein „Strahlt" bezeichnet habe), aber auch ich mich angesehen erfahre. In einem besonderen Punkt dieses „Strahlt" errichtet dieser Blick ein Bild von mir als Ich, also ein ich-bezogenes Bild auf der rechten Seite.

Das Ich selbst, also ich insofern ich denke, was ich bin, bin ganz rechts in einem Punkt, der ich unter vielen anderen Punkten bin. Dort sehe und „visiere" ich und bin somit ein „Bild-Ich".  Ich bin hier nur ein Subjekt der Vorstellung, ich bin hier mehr im Imaginären,  nicht  im  Realen.

Im Originalton J. Lacan heißt dies so:  „Vom Grund auf bestimmt mich im Sichtbaren der Blick, der im Außen ist [universelle, intermediäre Blick]. Durch den Blick trete ich ins Licht und über den Blick werde ich desselben teilhaftig. Daraus geht hervor, dass der Blick das Instrument darstellt, mit dessen Hilfe das Licht sich verkörpert, mund aus diesem Grund werde ich . . . photo - graphiert [bild-geschrieben, bild-gesprochen]. Es geht hier nicht um das Problem . . der Vorstellung, der Repräsentation. Wenn es um die Vorstellung geht . .  vergewissere ich mich als Bewusstsein, das weiß, dass es nur Vorstellung ist" (Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, Walter 1980).

Nun kommt hinzu, dass speziell beim Menschen dieses ganze Feld der Visibilität oder Visualität gekreuzt wird von dem Schirm oder dem Filter des Sprechens und der Sprache. Während die Blick- und Lichtstrahlen hin- und hergehen, werden sie gebrochen von einem halbdurchlässigen oder maskenartigen beweglichen Schirm oder Filter. Somit weiter bei Lacan: „Das menschliche Subjekt, das Subjekt des Begehrens, welches das Wesen des Menschen ausmacht - unterliegt im Gegensatz zum Tier, nicht ganz diesem imaginären Befangensein. Es zeichnet sich aus. Wie das ? In dem Maße, wie es die Funktion des Schirm herauslöst und mit ihr spielt. Tatsächlich vermag der Mensch mit der Maske [dem Schirm oder Filter] zu spielen, ist er doch etwas, über dem jenseits der Blick ist [Licht-Blick]. Der Schirm ist hier Ort der Vermittlung." Und diese Vermittlung erreicht natürlich die Ausmaße des Symbolischen, der Sprache und des Sprechens. Daraus, speziell aus dieser Schirmfunktion will ich das entwickeln, was ich letztendlich das Subjekt-Bild nenne, das - wie erwähnt - zwar jeder für sich selbst finden muss, ich jedoch über ein generelles Subjekt-Bild (also eines, dass für viele Subjekte gelten kann) und somit fast in der Form eines Wappens, eines Gütesiegels, eines Logos oder heraldischen Zeichen als hilfreiche Stütze anbieten kann (also eine ideale Verbindung von Wort- und Bildhaften).

Ich nehme hier als Beispiel ein Gütesiegel von Veganern, das ganz geschickt dieses Worthafte und Bildhafte miteinander verbindet, indem es das „V" als Teil des Bildes und Stengel und Blätter wiederum als Teil des Namens verwendet. Vielleicht könnte man es - jetzt jedoch als ein Logo für vegetarisch, veganisch, vegetativ etc. - noch stärker stilisieren und nur „Veg" schreiben und das „e" und „g" ebenfalls noch zu Pflanzenteilen verformen.  Viele  hätten  zu „Veg"  dann  die  gleichen Assoziationen gehabt und somit wäre es in einem gewissen Bereich ein Subjekt-Bild für wohl sehr viele Menschen gewesen. Doch wie das nächste Bild zeigt, ist dies gar nicht mehr so sicher. ich will ja hier nicht für „Veg" mit Blume werben, sondern für Bild und Sprache, für Kunst und (psychoanalytische) Wissenschaft. Denn wer Kunst und Wissenschaft vereint, sagte schon Goethe, der hat auch Religion.

Nun gut, um Religion geht es mir auch nicht, da dieser Begriff schon zu sehr mit dem Konfessionellen, also  speziellen Bekenntnissen verbunden sind wie Christen und Moslems, die sich ja eher die Köpfe einschlagen. Sagen wir halt eben, wer Kunst und Wissenschaft vereint, findet auch etwas Übergeordnetes. Und deshalb lässt sich in dem als nächten angekündigten Bild gar nicht mehr so sicher sagen, was bei den einzelnen Betrachtern nunmehr passiert. Denn das „V" ist nun nicht mehr so einfach und direkt als „V" zu erkennen. Hätte man das erste Bild nicht gesehen, würde man also unvorbereitet an das Logo herangehen, sieht man vielleicht zuerst einmal mehr die Pflanze, ihre Blätter und Blüten im Vordergrund. Man liest vielleicht nur ein „eg". Der Blick würde überhaupt zwischen den bildhaften und worthaften Teilen eine Zeitlang hin- und herschwanken. Und genau dies findet ja - wie in den Ausführungen zur Bildtheorie zu lesen war - zum Subjekt-Bild.


Damit bin ich fast schon da angekommen, wohin ich gehen wollte: dass das visuelle Feld, das Schauen, das „Strahlt" beim Menschen gespalten ist, verwirrend, unklar. Bzw. zeigt sich hier am besten der in der Psychoanalyse so oft verwendetet Begriff der Subjekt- Spaltung in idealer  bild- und worthafter Form. Einem Tier würde das  nicht passieren, dass es zwischen zwei Darstellungen hin- und herschwankt. Es besitzt im imaginären Bereich gewisse Fixierungen, die ihm klar machen, was es sieht: Feind, Fressobjekt, Paarungspartner etc. Ein paar visuelle Entsprechungen klären sofort die Lage. Der Mensch ist jedoch einer komplexeren Bildbedeutung ausgeliefert. Reine zweidimensionale Bilder wird ein Tier kaum wahrnehmen, der Mensch dagegen muss in sich kämpfen, ob er dem Bild einen Titel, eine Bedeutung zuweist oder sich vom reinen Bild vollkommen faszinieren lässt. Der Maler zielt natürlich auf Letzteres ab, auch wenn er dem Bild noch zusätzlich einen Titel gibt.

 

Junges Mädchen oder alte Frau?


Doch gerade dadurch kommt der Mensch nur zur wirklichen Schau der Dinge, wenn es dem Maler gelingt, Bild und Sprache in einer derart eng vernetzten Form auszudrücken. Dies gelingt den Malern nicht oft, aber ich zeige nochmals ein Bild von Kirchner hier als Beispiel, in dem es doch gelungen ist. Auch  ohne Titel  errät  man, um  was es hier geht, nämlich um eine un­glaub­lich gut gelungene Verknotung, In­einanderverwindung und Verwo­ben­sein eines Paares. Zudem vermittelt das Bild den Charakter der Freudschen Urszene, bei der es sich bekanntlich um die meist verdrängte Erinnerung des Kindes an eine derartige Inein­ande­r­ver­win­dung der Eltern han­delt. Diese Szene beinhaltet für das Kind eine gemischt aggressiv - libidinöse Er­fah­rung, auch etwas Unheimliches und Gefährliches, was in dem isolierten oberen Auge, in der aus dem Tannenwald kommenden dunklen Hand und einigen anderen Aspekten deutlich wird. Dennoch ist es genau das, was der Maler im Titel nennt: ein Liebespaar.

Vielleicht hätte er es auch so nennen können, wie J. Lacan es tut: „Es gibt kein Geschlechtsverhältnis." Es gibt nichts, mit dem man die Vereinigung der Geschlechter in ihrer Gänze ausdrücken könnte, nicht mit der besten Sprache, nicht mit dem besten Bild. Wohl gibt es „Geschlechtliches", Libidinöses, Erotisches, Sexuelles, aber eben keine wirkliche Geschlechtsbeziehung., obwohl die meisten Menschen daran verzweifelt festhalten. Auch damit bin ich meinem Ziel wieder näher gekommen, denn es gibt so gesehen natürlich auch keine wirkliche Verbindung von Bild und Sprache, von „Strahlt" und „Spricht". D. h. es gibt sie nur, wenn jeder sie für sich selbst herstellt. Sie für sich selbst herstellen heißt, Wissenschaft und Kunst verbinden, heißt also wirklich Religion haben. Alle andere Religion ist nur äußerlich.

Kirchners Bild ist tatsächlich ein Subjekt - Bild, vielleicht nur für ihn, vielleicht für mehrere, viele. Denn wie gerade erwähnt, jeder muss sein Subjekt - Bild selber finden, der Maler tut es vielleicht viel intensiver als jeder andere und deswegen fällt ja manchmal auch von seinen Subjekt - Bildern ein wenig für die anderen Sterblichen ab. Aber auch er muss seinen Namen darin finden, seine Silbe, Syllabe. Seine Religion ohne Gott, sein Erotisches, seine Ineinanderverwindung, sein „Strahlt / Spricht".

Wechseln wir woanders hin. Vom ENS- CIS- NOM hatte ich schon gesprochen ohne zu erklären woher es kommt und was es soll. Es stellt mehr die „Spricht" - Seite der gerade erwähnten Ineinanderverwindung dar. Es gibt den Bildern einen Titel, auch wenn nicht klar ist, welchen. Oft benutzen allerdings auch die Maler diese unverbindliche und letztlich ja rücksichtslose Chiffre des „Ohne Titel". Sie sind zu faul oder zu unsicher, zu verlegen oder provokant und schreiben eine so lange Formulierung von immerhin zehn Buchstabe hin, nur um nichts damit zu sagen. Dennoch steckt darin eine Chance: eben gerade die, die ich ja auch suche, wenn ich sagte, es muss jeder von der Subjekt-Seite her herausfinden, um was es geht. In dem „Veg" -Bild genügten schon zwei, drei Buchstaben, um im Zusammenhang mit dem Bild eine treffende Aussage zu eruieren. Schauen wir uns doch das Umgekehrte an, wenn sich vorwiegend aus den Buchstaben, dem „Spricht", ein Bild eruieren lässt.

Mücken, die über dem Wasser tanzen - gibt es eine Mathematik dafür? Lassen sich die Bewegungen berechnen? Wiederholen sie sich? Schon A. Stifter hat sich rege mit derartigen Fragen beschäftigt. Er nannte es das „sanfte Gesetz", das durch das „Große im Kleinen" erwirkt wird. In glitzernden Steinen oder in dem für alle Wunder der Natur zuständigen „Wiesengrund", der bunten Mischung farbiger Blüten und Stengel durchflossen von einem kleinen Rinnsal, hat Stifter sich vielfach literarisch gespiegelt. Aber das Ganze ist ihm zu sentimentalisch geraten, für unsere heutige nüchterne Zeit nicht mehr so brauchbar. Aber auch kein Mathematiker, kein Topologe hat bisher den Tanz der Mücken erfassen oder im Gewebe ihrer Wissenschaft abbilden können. Über  Wochen abgelichtete Videostudien haben keine Regeln  erkennen lassen, die Mücken müssen sich also als Individuen vorkommen. Oder ist dies zu weit gesagt? Instinkte leiten sie umeinander zu schwirren, mehr eckig, zackig als rund und fließend weich. Es muss sich einfach um einen orgiastischen Bewegungsrausch handeln, den die  Mücken in einer Nische  der vorübergehenden  Geborgenheit  ausleben können. Andere Pflanzen und Tiere vollziehen ähnliche Bewegungs- oder Erregungsspiele, andere Muster oder Geschehnisse, die ihnen vielleicht vortäuschen, sie seinen Individuen. Wo soll das Große im Kleinen liegen?



Bild: Mückentanz

Ökopsychoanalytisch betrachtet ist der „Wiesengrund" samt aller anderen vom Menschen oft romantisierten Spiele der Natur nichts anderes als ein großer Spiegel, in den wir mit unseren anthropomorphen Blicken hineinschauen. Wir spiegeln uns darin. Wir glauben, es müsste schön sein so wie die Mücken tanzen zu können, schließlich sind deren Bewegungen ja ungleich schneller und ausgiebiger, ekstatischer, weder ein Walzer noch ein Technorock können da konkurrieren. Und damit ist klar: unser Blick verfängt sich. A. Stifter hat geträumt, phantasiert und gedichtet. Wir können uns in die Natur versetzen, aber selbst wenn sie uns ihr letztes Geheimnis preis gibt, sind wir gerade mal da angelangt, wo die Natur - oder was sonst? - und gezwungen hat, Mensch zu sein. Ich will hier kein Manuskript vorlegen, das außer ein paar Gefühlen und pauschalen Beschreibungen keine Konsequenzen hat.

Wir müssen uns also nicht in die Naturmystik begeben, müssen sie nicht einmal weiß Gott wie tief als Zoologie, Botanik oder sonst etwas studieren und natürlich auch nicht romantisieren. Wir könnten höchstens Gott für sie spielen, Überflieger, Weitergeher, eben: Ökopsychoanalytiker. Wir lassen die Mücken in uns selbst tanzen, besser noch: Es einfach, Es tanzen lassen. Denn die Natur ist nichts anderes als ein sicher sehr weit gehendes, umfassendes „Strahlt". Ein Es Scheint, Strahlt, Oszilliert und Spiegelt, dem wir jeweils einen Namen zuweisen können. Welchen Namen? Weder einen, den wir aus der Natur selbst entnehmen können - so wie es noch der Mystiker J. Böhme sich dachte: signatura rerum gäbe es, Zeichen, Signaturen, die den Dingen aufgedrückt sind, man müsste sie nur ablesen. Noch einen, den wir unseren Vokabular entnehmen können, das wir ja nur erfunden haben, um uns - angeblich - zu verständigen. Natürlich verständigen wir uns gar nicht, meistens reden wir aneinander vorbei oder lügen gar. Das gilt auch für alle herkömmlichen Wissenschaften, Dichter und Denker.

Nein, es müsste ein Name sein, der aus sich selbst kommt. Eine creatio ex nihilo, wie man sie immer schon philosophiert hat. Nur - damit man nicht hintenherum wieder betrogen wird mit einem Namen, in dessen Namen eben schon jemand anderer seine ganz bestimmten Absichten untergebracht hat, müsste es also einer sein, bei dessen Entstehen man genau mit verfolgen kann, wie er entstanden ist. Genau das ist nämlich Wissenschaft, dass man weiß, wie das Wissen zu sich kommt. Dass man es nicht nur vorschwärmt oder mythisch aufdrängt wie es in der antiken oder daher auch mythisch genannten Wissenschaft passiert (z. B. auch in der Anthroposophie etc.).

So lange wir leben suchen wir den Tod in einer Form zu erreichen, in der wir noch so ein ganz klein bisschen über ihn frohlocken können. Es ist der Trick der Religion, dass sie behauptet, das zu können. Aber sie stützt sich auf Statuten, auf alte Bücher oder trockenes, rein literomanisches Schriftstudium. Auf uralte „Offenbarungen" oder gibt es jemand heute, der gezielte „Offenbarungen" hat? Und selbst wenn er sie hätte, was soll das sein, dass etwas sich offen, licht, klar, transparent und sozusagen druckreif darstellt? Wo spräche etwas aus sich selbst heraus? Wo barte sich etwas offen, wo namt es sich? Dass der Name sich gebiert, wissenschaftlich beobachtbar, nur so etwas könnten wir gelten lassen, und genau so etwas will ich mit dem Begriff Ökopsychoanalyse erreichen.

Dazu muss man zuerst einmal natürlich den Namen „Ökopsychoanalyse" wieder vergessen. Das wäre ja noch schönen, zu behaupten, Naturwissenschaft, Religion und alles andere seien reiner Humbug, aber Öko und Psychoanalyse könnten es leisten. Es soll nur das anzeigen, woher ich komme. Freilich werfen wir erst einmal alles hinter uns. Nur dass ich plappere, dass ich palavere, papperlappapere, das muss man mir zugestehen. Weil ich unglücklicherweise mit Papier und Buchstaben angefangen habe, muss ich jetzt auch beweisen, dass ich daraus das ziehen kann, um was es gehen soll. Es, das mit dem Namen als solchen.

Papperlapappere, das ist es auch, zu dem wir den Patienten in der Psychoanalyse auffordern. Nach manchmal erst Hunderten von Stunden ziehen wir dann daraus eine Deutung, Interpretation, z. B. das Wort :  „Mutterfixierung". Viel ist das nicht, weil es ohnehin heutzutage schon in aller Munde ist, dass man schließlich aus den wilden Wünschen und Süchten der Kindheit so etwas meist ziemlich Amoralisches herauszieht. Aber gut, es muss dennoch einen anderen und direkteren Weg geben. Man muss wieder beim Tanz der Mücken anfangen. Auch Goethe soll, laut Eckermann, den Tanz der Mücken erwähnt haben als Beispiel für Zustände unserer Beobachtung, die zwar nicht das große Besondere aber eben doch einen Beitrag darstellen zu „uns gemäßer und erwünschter Art", das zu erleben, ws uns „beglücke und fördere" (Eckermann, Beiträge zur Poesie, S. 133). Den Mückentanz uns also mathematisch, biologisch oder ethologisch - dass er ein Paarungstanz ist - zu erklären, bringt nichts. Aber dass Beglückung dabei sein kann? Das könnte etwas sagen. Beglückung in gemäßer Art soll heißen, nicht in pompösen Formen, sondern als Großes eben im Kleinen, wie es also schon A. Stifter meinte und wie es zu Ökopsychoanalyse passt.


Mückentanz - er hat die Musik in vielfältiger Weise inspiriert (Bela Bartok z. B.) oder Kinderlieder. So etwas - eine musikalische Version also - leuchtet noch am meisten ein, das Wesen dieses Tanzes wiederzugeben. Dennoch bleibt die Gefahr, dass wir uns wieder nur in Stimmungen verlieren, so wie die Ethologen uns also nur banale Erkenntnisse geben. Also bleibe ich weiter beim Papperlapappere, Lyrik etwa: Mücken, Wasser, Tanz - entzücken ganz, ent . .  Es gibt Rhythmik, es gibt Worte, Tanz und ganz machen die Syllaben voll, aber trotzdem: noch kein Name aus sich selbst. Mosquito Dance? Eine andere Sprache, die Es durch einen anderen Sound herüberbringt? Danza di Zanzare, was für ein Klang! Ballo moscerino, alles umsonst, oder? Lateinisch: culex salta, Mücke tanz! cu-le-xs-al-ta-cu-lex, das Gesetz (lex) tanze, Salz (sal), durch die Nadel (acu), aus der Höhe (ex alta) usw. usw.

Was ist jetzt passiert? Jetzt haben tatsächlich die Buchstaben, Silben, Wortwurzeln zu tanzen begonnen. Schreibt man culex salta im Kreis, ergeben sich viele unterschiedliche Bedeutungen, die einen Lateiner eher verwirren würden, als dass er genau verstünde, um was es geht. Aber das ist es doch! Der Psychoanalytiker wird durch die freien Assoziationen seines Pateinten verwirrt, dieser wiederum selbst durch seine Träume, und doch finden die beiden nach langem reden, zuhören und hin und her den tieferen Sinn, der sie verbindet! So ein Wortspiel kann also tiefere Bedeutung haben, man muss nur wissen wie, warum und wodurch. Vergessen wir alles Bisherige, ich papperlappapere weiter: Das Unbewusste ist strukturiert wie die Sprache des Anderen (des Anderen per se, des grundlegend Anderen, des bedeutenden Anderen)  ist eine der wesentlichsten Aussagen J. Lacans. Das Unbewusste ist genau so aufgebaut wie dieses lateinische Wortspiel, nämlich dass mehrere Bedeutungen (mindestens drei) in einer Formulierung stecken. Auch Gott ist ein solcher Wort-Formel-Knoten, eine Name, der aus sich selbst kommt. Denn dass die obige Formulierung nur bedeutet: Mücke tanz, stimmt nicht, ist einseitig. Sie bedeutet viel mehr, aber dies lässt sich nicht mehr auf einen Nenner bringen. Es, Es selbst muss sich auf einen Nenner bringen, und darin läge der Schlüssel zu der creatio ex nihilo, zu dem aus sich selbst genamten Namen. Indem man derartige Formel-Formulierungen meditiert, findet man ihn.
Nicht nur zufällig haben die letzten beiden Bilder wieder Ähnlichkeit mit dem ersten, einem Netz von Linien, die ein Ge­heim­nis einschließen. „Netz von Linien" ist ein unscharfer Begriff und doch sehr gut geeignet, auch Malerei in unsere wissen-schaftliche Betrachtung einzuschließen. Ex-akt dies ist ja Thema dieser Abhandlung.

Bild-Wort und Wort-Bild, die Synthese

Wir haben also aus den Bildern Worte gemacht und aus den Worten Bilder. Ein - wie gerade gesagt - Netz von Linien schließt beide zusammen. Selbst wenn wir bei der Sprache vom Wortklang, vom „akustischen Bild" reden, so besteht dennoch hier kein Unterschied zu den Linien der Buchstaben. Linien sind auch schon bei dem Familienbild mit dem „roten Faden" aufgefallen und auch in den anderen Bildern könnten wir Linien ausmachen, die die Signifikanz des Bildes betonen. So hatte der Kunstkommentator bei Kirchners „Familie" von den „Verschlingungen" der Farblinien gesprochen und bei Kirchners Bild „Liebespaar spürt man fast den Zwang, den Verschlingungslinien der beiden Körper nach zu gehen. Ich betone dies alles deswegen so, weil in der Psychoanalyse längst ebenfalls der Versuch gemacht worden ist, Liniennetze als Basis der Darstellung unbewusster seelischer Zustände zu verwenden. J. Lacan hat sich hier besonders auf die moderne Topologie gestützt, und ich zeige gleich im nächsten Bild eine zwar künstlerische Ausformung einer derartigen Topologie (moderne, Einsteinsche Geometrie), aber die Struktur des Möbiusbandes (eines Liniennetzes, um sich selbst um 180o verdrehten Bandes, das Lacan bevorzugt verwendet hat) wird trotzdem deutlich sichtbar. Auch versteht man nochmals sofort den Zusammenhang mit den Formel-Worten (hier nochmals das cu-le-xs-al-ta, allerdings mit einem weiteren t am Schluss: saltat, springt). Eine gute Topologie vermag mit der Sprache eine spezielle Verbindung einzugehen derart, dass sie unser Unbewusstes, unser Gehirn, unser „Strahlt / Spricht" besonders angeht, anregt, animiert.

Das kann bei Bildern einer ganz nüchternen Geometrie anfangen, wie z. B. einer Boyschen Fläche, weil deren Innen- und Außenseite so wie Bewusstes und Unbewusstes, begehrende Strebung und Anspruch, Eros und Aggression nur eine zusammenhängende Fläche darstellt, eine Einheit also, die wir nur schwer nachempfinden können, aber deren Zusammenhang wir lernend erfahren könnten. Auch hier, auf dieses geometrische „Strahlt"  könnte man sich wieder ein „Spricht" hineinverwoben vorstellen. Doch ist das nicht die Absicht dieser Abhandlung. Man könnte auch irgendeine Kunst heranziehen, um den gleichen Effekt zu betonen. Allerdings geht es nicht mit jeder Art von Kunst. Hier kommt ein problematischer Zug in das ganze Gewebe der Analytischen Psychokatharsis.  Freud sagte noch, dass er an die Kreativkraft des Künstlers mit seiner Wissenschaft nicht herangehen kann. Ich grenze dies hier etwas ein. Es ist in dem hier verwendeten Sinn nicht alles Kunst, was sich unter diesem Namen firmiert hat. Nicht jede Kunst eignet sich zur Psychotherapie, sonst wären wir - bei der Vielfalt der Bilder, die die Maler uns geschaffen haben - schon längst alle geheilt. Hier geht es natürlich auch um einen wissenschaftlich therapeutischen Ansatz, bei dem man mit einer Nähe  zur Mathematik oder Topologie natürlich (dieses Wörtchen zeigt den Bezug zur Naturwissenschaft) oder selbstverständlich (Bezug zur Geistswissenschaft) besser  reüssieren kann. Aber auch mit der Ästhetik kann man reüssieren. Nur wird es hier vielleicht noch schwieriger.

Nehmen wir ein anderes  Beispiel. Auch in dieses Bild von T. Heydecker habe ich das Formel-Wort hineingeschrieben. Man hätte vielleicht noch besser die Bälle mit Buchstaben markiert, egal, auch dieses Bild eignet sich dazu, dass die dargestel

lten Bälle / Buchstaben sich im Kreis zu bewegen anfangen, so wie es die Übung mit dem alleinigen mentalen Wiederholen des Formel-Wortes eben auch beabsichtigt. Kurz, ich behaupte, dass bestimmte Bilder unser Unbewusstes direkter beeinflussen können als andere, vielleicht im individuellen Rahmen etwas unterschiedlich, aber nicht restlos beliebig. So wie es also von Vorteil ist, ein bestimmtes „Spricht" (nämlich das Formel-Wort) für die Übungen zu verwenden, so gilt dies eben auch für ein bestimmtes „Strahlt" (Bilder, deren Topologie oder Semantik das Unbewusste mehr ansprechen).


Könnten wir - weiterhin ganz im Sinne der creatio ex nihilo also eine tiefere, zutreffendere und letztliche Synthese schaffen? Eine Synthese, um zwischen dem „Strahlt" und „Spricht" etwas Bildsprachliches zu schaffen, das es dem Subjekt erleichtert Unbewusstes in sich zu integrieren, wie es Freuds zentrales Bemühen kennzeichnete? Im letzten Sinne kann dies - ich betone nochmals: im wissenschaftlichen Sinn - nur mit der psychoanalytisch orientierten Selbsterfahrung gelingen, nur mit einem dynamischen Zugang zum eigenen Unbewussten auch wenn dies im Zusammenhang mit dem Unbewussten aller steht (das sogenannte kollektive Unbewusste ist ein im Endeffekt symbolisch geformtes Netz individueller Linien, eben das Bild-und-Sprache Netz, man kann es sich nicht einfach statisch vorstellen). Die Synthese des „Strahlt" / „Spricht", des Bild / Sprache kann also nur jeder selbst in Angriff nehmen, auch wenn es durch eine Spur vorgezeichnet werden kann, die mit der Analytischen Psychokatharsis gegenüber dem klassischen psychoanalytischen Verfahren noch abgekürzt ist. Man muss also selbst die Übungen machen, das „Durcharbeiten" (wie der Fachausdruck in der Psychoanalyse heißt) der eigenen Komplexe selbst angehen, den eigenen Organismus als Labor für die Erkenntnisexperimente verwenden. Dabei lege ich in diesem Artikel den Schwerpunkt auch auf die Bildhaftigkeit, während in der klassischen Psychoanalyse der Schwerpunkt zweifellos mehr auf der Worthaftigkeit der Dinge ruht.

„Der zerstückelte Körper"

Die Welt, Gott, wir selbst - alles ist in sich zerstückelt, ist gespalten und so sehen wir die wahren Dinge nicht. Das ist eine alte philosophische Weisheit, die die Psychoanalyse nur auf wissenschaftlichem Wege neu formuliert hat. Deswegen habe ich hier bisher auch Bilder bevorzugt, die diese Zerstückelung etwas wiedergeben. Picassos Bilder brauche ich dazu nicht hier zu zeigen, jeder kennt sie, die Figuren sind fast mehr als zerstückelt und doch setzt der Betrachter sie wieder in irgendeiner, von ihm selbst etwas mit beeinflussten Weise wieder zusammen. Synthese. Doch die Synthese glückt nicht ganz, man müsste noch mehr über den Maler wissen, müsste die Stimme seiner Zeit und noch zusätzlich eines das Ganze abrundenden Gedankens hören, dann wäre die Synthese perfekt. Dann bräuchte man nicht einmal mehr Analytische Psychokatharsis üben. So aber werde ich noch ein paar Bilder und Buchstaben anfügen. Nehmen  wir z. B. einmal dieses hier. Es spricht nicht nur aus, dass es von seinem eigenen Begehren geschützt sein will, es bietet auch noch paradoxerweise seine begehrlichen Lippen an. Das was Lacan das psychische Stadium des „zerstückelten Körpers" nannte (das Kind erlebt sich in frühen Phasen  seiner  Entwicklung  wie  zerstückelt,  es   kann seine Motorik noch nicht koordinieren, seine Wünsche noch nicht gezielt äußern etc.), erleben wir als Erwachsene noch in Form aller möglichen Komplexe (vor allem solcher, die man präödipal nennt, da sie sich vor der Entwicklung des Ödipuskomplexes - Haß, Wut auf die gleichgeschlechtliche, Begehren zur gegengeschlechtlichen Bezugsperson - gebildet haben und somit psychoanalytisch schwerer zu behandeln sind. Dann befinden wir uns vielleicht  in dem dargestellten widersprüchlichen Zustand.

Der Maler R. Magritte war perfekt darin, die widersprüchlichsten Zustände darzu-stellen. Er malte das Bild einer Pfeife und schrieb dazu „Ceci n´est pas une pipe". Oder er malte „persönliche Werte" wie in dem nächsten Bild. Hier finden sich  alle Dinge in einem gewissen Gegensatz zueinander. Die kleinen Gebrauchsgegenstände sind größer, während die großen Möbel kleiner sind. Das Innen ist gleichzeitig das Außen und findet sich zudem noch gespiegelt im Spiegel des Schrankes wieder. Aber so ist auch das Unbewusste, paradox, irrational. Wir legen uns eine künstliche Ordnung zu, an die wir uns gewöhnen und sehen die Dinge nicht so, wie sie sind.

Natürlich sind sie auch nicht so, wie Magritte sie malt. Aber das Bild bewegt das Unbewusste in eine richtige Richtung. Was bedeutet das für die Analytische Psychokatharsis? Reduzier die Dinge bis auf ihr letztes „Strahlt", dann „Spricht" es, auch ohne den Titel, den der Maler gegeben hat (ähnlich ist es, wenn man nur das „Spricht" übt, in einer knappen Schlüsselformulierung „Strahlt" es dann). Gewiss ist Magrittes Methode die Dinge zu vermitteln zu abrupt, zu krass, zu dissonant. Eine Pfeife zu malen und dazu zu sagen, dies sei keine Pfeife, heißt zu sagen kein Haus ist ein Haus, kein Hund ein Hund, kein A ein A. Aber wenn A kein A ist, was dann? Für den Logiker gilt gerade dass A = A, und das ist nicht so dumm wie es klingt. Wir sagen ja auch Krieg ist Krieg, und damit drücken wir sehr wohl eine Meinung aus, denn wir betonen, verstärken noch das erste Wort Krieg durch das zweite. Wird so nicht klarer, warum ich ENS - CIS - NOM sagen kann? Es liegt genau zwischen der Magrittschen Vermittlung und der logischen Tautologie. Denn es sagt etwas, zweifellos. Es ist ein Statement, das jedoch nicht in seiner völligen Paradoxie untergeht wie Magrittes Pfeife. Aber es geht auch nicht über die Tautologie des Logikers hinaus, indem es ein Statement ist, das in Vielem zugleich nicht ganz definitiv Bestimmtes sagt. Es sagt nur, dass es „Sage" ist, „Schreibe", „Spreche". Und eben so etwas benötigt das Unbewusste um selbst etwas zu vermitteln.

Vielleicht hätte Magritte zu einer leicht entstellten Pfeife besser geschrieben: „Ist das eine Pfeife, ein Pfiff, ein Paff?" Schließlich pafft man mit dem Ding und doch ist es nach dem Pfeifen benannt, ein Wortspiel also, das wir in der Psychoanalyse oft benutzen, denn das Unbewusste arbeitet oft mit leicht verschobenen Wort- klangbildern. Dennoch möchte ich noch näher an die Vermittlung des Unbe- wussten heran, indem mich nicht nur das Klangbild, sondern auch das Bild als solches in die Vermittlung mit einbeziehe. Daher gleich wieder ein weiteres Bild, das aus „Spricht" und „Strahlt" zusammen-gesetzt ist. Es handelt sich um eine Skulptur, die anlässlich der Expo im Jahr 2008 in Zaragoza aufgestellt wurde. Es zeigt eine aus Buchstaben zusam-mengesetzte Figur, also wieder ein „Strahlt" / „Spricht" äußerst kompakter Natur. Leider kann man das Geheimnis dieser Gestalt nicht aus den Buchstaben selbst herauslesen. Es ist lediglich die gelungene Art der Gestaltung, die dem Betrachter nahebringt, dass der Mensch ein „etre parlant" ist, ein Sprechwesen, wie Lacan es ausdrückte (oft sprach er - um die Kompaktheit noch mehr zu betonnen - auch vom „Parletre".