Lacan, Analytische Pschokatharsis und die "perfekte Liebe"

Während S. Freuds Psychoanalyse den Schwerpunkt auf die Vergangenheit setzt ist es in der Psychoanalyse Lacans eher die Zukunft, die für die psychoanalytische Konzeption wichtig ist. Bei Freud entstehen Dinge in der frühen Kindheit, die nicht verarbeitet sondern verdrängt oder gar ganz abgespalten sind und konstituieren so das Unbewusste. Lacan dagegen spricht hinsichtlich des Unbewussten oft von der „antizipierten Gewissheit“, die das Unbewusste bereithält, indem es auf die Zukunft hin ausgerichtet ist. Deshalb muss man bei Lacan auch nicht die frühen Dinge erinnern, um

gesund zu werden, sondern „man erinnert, weil man gesund wird.“ Gesundheit ist bei Lacan eine „Wiederkehr aus der Zukunft“, weil die Antriebe dazu schon im Unbewussten angelegt sind und nur wiedererweckt werden müssen, um eine positive Perspektive zu ergeben.  Es ist daher auch gar nicht so wichtig, was alles in einer Psychoanalyse geredet wird, sondern es kommt eher darauf an, der der Analytiker eine irritierende, konfrontierende, spaltende Figur ist, an der man gerade gestoßen wird. Als eine solche ist der Analytiker ein „sprechender Niemand“, der „mit der Stimme eines Toten redet“ und der gezwungenermaßen  „auf keinen Anspruch antwortet“ (Alle Zitate in Anführungszeichen sind den Schriften Lacans entnommen).  Er ist nicht ein „lebender Spiegel“ wie manche behauptet haben, sondern eher ein „leerer Spiegel“, also einer, in dem niemand drin ist und wo man sich daher ungeschminkt sehen kann und muss.

All dieses jemanden auf sein eigenes Unbewusstes Hinstoßen, dieses auf sich als seinen eigenen Feind Treffen-Lassen des Psychoanalytikers führt zur „subjektiven Verwirklichung des Seins zum Tode“, ein Begriff, den Kierkegaard geprägt hat und der diese Ausrichtung auf die Zukunft hin darstellt. Der Mensch ist gezwungen sich ständig auf eine Zukunft zu projizieren, in der sein Tod stattfinden wird, und allein diese Orientierung ist für die Lacan´sche Psychoanalyse wichtig. Der Mensch befindet sich unter der Fuchtel einer „virtuell symbolischen Ordnung“, d. h. er muss sich selbst verantworten und niemanden sonst. Doch es muss Ver-Antwortung sein, also Responsability, was heißt Fähigkeit zur Antwort, Fähigkeit das Finale zu meistern. Man muss sein Wort machen, muss sich selbst als in Rede Stehendem behaupten, jetzt und später. Dazu braucht man die Vergangenheit nur passager, denn diese „Schattenexistenz des Vergessenen“ ist nicht so bedeutsam, wie man es früher unter Psychoanalytikern geglaubt hat.

Der Psychoanalytiker F. Roustang sagt es so: „Der Patient erwartet, dass der Analytiker ihn aus der Affäre zieht, der Analytiker erwartet, dass der Patient sich selbst aus der Affäre zieht“ (Roustang, F., Comment faire rire un paranoïaque (Wie man einen Paranoiker zum Lachen bringt), (2010) S. 63). Genau dieses Letztere tritt dann auch ein, wenn der Patient sagt, dass es ihm jetzt reicht, dass er glaubt, er ist geheilt. Der eigentliche Heiler sitzt sozusagen zwischen dem Analytiker und seinem Patienten, er ist der virtuelle Dritte im Bunde. Sie flehen zwar keinen Gott an, aber es ist dieselbe virtuelle Instanz, die die eigentliche Arbeit macht bzw. das eigentliche Geschehen erzeugt. Sie ist der Schöpfer, der die Welt geschaffen hat und eben auch nachhilft, wenn es in ihr hapert.

Hier setze ich meine Analytische Psychokatharsis an. Sie stellt ein Verfahren dar, in dem der Therapeut ohnehin zum größten Teil gar nicht mehr auftreten muss. Er muss also gar nicht mehr all diese provokanten Kunststücke machen, die Lacan vollführte, um seine psychoanalytischen Sitzungen möglichst kurz zu halten und den Patienten wieder nach Hause zu schicken. Lacan bot zwar sein unendliches Zuhören an, aber nur dann, wenn etwas Echtes, Treffendes gesagt wurde, andernfalls beendete er die Sitzung häufig recht abrupt. Deswegen ist es von Vorteil, das analytische Verfahren gleich selbst (notfalls auch nur aus dem Internet) zu erlernen und den Therapeuten nur gelegentlich für Klärungen zu benötigen. Der Anspruch des Patienten wird dann nicht mehr an der leeren Spiegelhaltung, an der Totenstimme des Analytikers abpral-len, sondern gleich an dem zwar „kristallinen“, aber auch „linguisti-schem“ Objekt, das die Analytische Psychokatharsis beherrscht¨: das Formel-Wort.

Dessen Charakter aus einem Buchstabenkreis, der von den verschiedenen Buchstaben aus gelesen jeweils eine andere Bedeutung enthält, wirft den Übenden nicht lieblos auf sich selbst zurück. Vielmehr fängt er ihn im Schoß einer Katharsis und von Lauten bzw. Verlautungen auf, die aus dem eigenen Unbewussten stammen und so dem Übenden seine verloren gegangene und auf die Zukunft hin orientierte Identität zurückgeben. So war auch Lacan nicht lieblos, eher muss man sagen praktizierte er eine „vollständige Form der Liebe“, (Langlitz, N., Die Zeit der Psychoanalyse, stw (2005) S. 272), also eine, die die Selbstfindung- und Entwicklung eines jenen Subjekts förderte: frei von allen und von außen aufgezwungenen estimmungen. Insbesondere ist bei der Analytischen Psychokatharsis die Orientierung auf die Zukunft hin zu sehen. Allein bereits die normale Sprache ist ja nicht etwas, das die Menschen ihrer Vergangenheit näher gebracht hat, sondern mit der sie in der Gruppe komplexere Dinge artikulieren konnten und so die Evolution in eine neue weitergehende Richtung zu entwickeln vermochten. Erst recht geschieht dies, wenn man von vorherein in der psycholinguistischen Ebene verbleibend auf eine Antwort aus dem Unbewussten warten kann.

Diese Antwort gibt wiederum nicht ein Gott, sondern eben die gerade oben erwähnte Instanz, die auch vor allem im gemeinsamen Schweigen sich vernehmen lässt. Gemeinsam, weil  außer einem selbst ja auch das Unbewusste da ist, wartend und stets bereit seine Artikulation von sich zu geben. Üblicherweise kann es dies nur tun, wenn der Betreffende sich verspricht, also nicht aufpasst und nicht ganz auf der Höhe ist. Dann kann das Unbewusste -  wie Freud es formuliert hat - seinen Gedanken dazwischenschieben und der Redende verspricht sich. Diese Versprecher kann in der üblichen Sitzung dann der Patient selber oder auch der Analytiker - meist beide eben gemeinsam - deuten. In der Analytischen Psychokatharsis kommt die Deutung in Form der Passworte zu Tage. Wenn man sich selbst wie in einer Meditation zum Schweigen bringt, schiebt sich plötzlich dieses Wort oder dieser Kurzsatz ein und enthüllt das, um was es eigentlich geht: um die Wahrheit.

Weil dieses Passwort zusammen mit einer kathartischen Erfahrung eintritt, steht es der Wahrheit viel näher als ein Traumwort oder eben eines, dass man schließlich selbst durch einen Versprecher entstellt hat. „Es“, das Unbewusste, das Passwort ist dieser dritten virtuellen Instanz vergleichbar, ja ist eben auch eine ihrer Ausdrucksmöglichkeiten, die der „perfekten Liebe“ zugehören. Erstens, weil die Katharsis ja eine der Liebe verwandte Erfahrung ist. Zweitens, weil es etwas mit der Wahrheit der Liebe und der Liebe zur Wahrheit zu tun hat. Liebe und Wahrheit sind eng verbunden, das eine hat ohne das andere gar keinen Sinn. Doch bringen die Menschen diese Kombination untereinander nicht zustande. Es bedarf irgendeines Weges, eines X, eines bits oder eben des Zusammensitzens mit dem Therapeuten, auch wenn nichts Besonderes gesagt wird.

Nicht der Patient liebt seinen Analytiker, auch wenn man in der Psychoanalyse von der Übertragungsliebe spricht. Doch die Übertragungsliebe richtet sich nicht auf die Person des Analytikers, sondern auf „das Subjekt, dem Wissen unterstellt wird“. Übertragung und Unterstellung halten sich die Waage. Und auch der Analytiker liebt nicht seinen Patienten. Wie gesagt ist es vielmehr so, dass dieser sich von seinem Unbewussten geliebt erfährt. Schon Freud sagte, dass das Unbewusste – als Ersatz für die Vereinigung, Eros ist – und das ist Bejahung. Doch üblicherweise stören wir diesen Vorgang der Bejahung durch unsinnige Konflikte, durch zu viel Denken und Scham-Schuldverstrickungen. Im Passwort, das ein Hinweis für die Zukunft ist, steckt daher diese „vollständige Form der Liebe“, die ich hier verkürzt als „perfekt“ beschrieben habe. „Es“ ist es, das liebt, gerade auch angesichts des Todes.