Stringtheorie und Psychotherapie

Wie man mit der Stringtheorie Krankheiten heilen kann.

Der Titel dieser Abhandlung ist natürlich paradox. Die Stringtheorie - wie sie etwa von L. Randall vertreten wird[1] - ist eine ziemlich spekulative physikalisch-mathematische Theorie, die im Grunde genommen nichts mit Medizin und Psychoanalyse - wie es mein Schwerpunkt ist - zu tun hat. Dennoch lässt sich ein weiter Bogen zwischen diesen verschiedenen Welten spannen. In den Wissenschaften geht es meiner Ansicht nach nicht nur um falsch und richtig, sondern auch darum, ob etwas fair oder nicht fair ist.

So gehen die Stringtheoretiker z. B. davon aus, dass hinter der kleinsten Längeneinheit, die es gibt, der sogenannten Planck-Länge mit dem ungeheuren kleinen Ausmaß von 10 -33 cm, noch kleinere Objekte denkbar sind, eben die sogenannten hauchdünnen Strings, eine Art von „schwingenden Saiten", die alles durchziehen. Denkbar ist so etwas natürlich, aber wenn man doch die Planck-Länge aus guten Gründen so bestimmt hat, ist es dann fair sie durch eine Theoriegebilde wieder zu missachten?

Das Ganze erinnert an so etwas wie hinter dem Tod sich doch wieder ein Leben vorzustellen, wodurch der Tod als solcher wieder missachtet wird und überhaupt nicht mehr klar ist, was für ein Leben und welcher Tod gemeint ist. Wenn der Tod eben der Tod ist, der dem Leben absolut gegenübersteht, sind solche Vorstellungen nur verwirrend. Es gibt den Tod im Leben und vielleicht auch noch ein Leben im Sterben, das ist alles gut auseinander zu halten, aber zu behaupten, warum hinter dem vitalen Leben dann doch wieder eine Vita stehen soll, die mit dem gerade zuerst definierten Leben nichts zu tun haben kann, weil dieses ja tot ist, ist unfair. Ähnlich ergeht es einem mit dem Anfang des Universums, vor dem es dann doch noch weitere Anfänge gegeben haben soll und damit eigentlich Multiversen bestehen, die das Wort Anfang zu einem völlig absurden Wort machen. Auch eine Zahlengerade, die mit 1, 2, 3, 4, 5, etc. bis ins sogenannte Unendliche beginnt und dann aber auch nach rückwärts zu -1, -2, -3, -4 etc. verlängert werden kann, ist unsinnig. Es gibt bis heute keine empirisch bewiesene Theorie der ersten ganzen Zahlen, und dies ist auch sehr verständlich.

Ein einfaches numerisches Dahinrasen auf einer sogenannt unendlichen zahlengeraden ist irrelevant, weil selbst die Mathematik abhängig ist von einer symbolischen Ordnung (also einer Art Sprachordnung). Axiome müssen sprachlich formuliert werden. Lacan hat daher vorgeschlagen, was wir auch der ärztlichen Behandlung psychisch Kranker längst wissen, dass eine Eins eine Null repräsentiert für eine andere Eins. In der Psychoanalyse repräsentiert nämlich der Arzt (die eine Eins) für den Kranken (die zweite Eins) eine Null (und umgekehrt ist es genauso). Dazu muss man wissen, dass Arzt, Kranker und überhaupt das menschliche Wesen Subjekte sind, die aber gerade durch diese formelartige Zuschreibung von Null und Eins recht präzise definiert sind. In den Wissenschaften hat man ansonsten Schwierigkeiten mit dem Subjektbegriff, man hält sich hier an Objekte (was allerdings gerade anhand der Stringtheorie auch wieder fragwürdig klingt und auch in Bezug zu geistigen Objekten bei den Geisteswissenschaften problematisch ist). Die Stringtheoretiker lassen sich als Subjekt nämlich vollkommen aus dem Spiel, und damit kehren wir also zur Stringtheorie zurück.

Sie ist spekulativ, aber dennoch sehr interessant und vielschichtig ausgearbeitet. Kurz: sie ist faszinierend. Das Problem, wie man die Quantenmechanik (die Theorie des ganz Kleinen) mit der Gravitation (der Theorie des Universums) verbindet lässt sich dadurch nämlich ideal lösen. Allerdings lässt es sich nur durch eine sehr komplex aufgebaute Konstruktion lösen, die man so schnell nicht beweisen kann. Beweisen lässt sie sich nur durch höher energetische Versuche im Large-Hadron-Collider (LHC in der Schweiz). In diesem enormen Teilchenbeschleuniger versucht man durch hochenergetischen Beschuss von Teilchen diese zu spalten und so die Theorie von Energie, Gravitation und Materie besser zu verstehen. Dabei ist eben die Erforschung von Energie-Materie-Problemen immer kleinerer Längen nur mit immer extremeren Energien zu bewerkstelligen. Man kann dabei schon jetzt kurzfristige und ungefährliche „Schwarze Löcher" erzeugen, bei erheblich höheren Energien wird jedoch der Erkenntnis-Effekt durch ebenso erheblich höhere Kosten und Risiken erkauft. Im Moment ist also gar nicht daran zu denken, die Stringtheorie wirklich physikalisch zu beweisen.

Trotzdem nützen uns diese Theorien aus analogischen Gründen, wenn es z. B. um Krankheiten, um ärztliche Kunst und Psychoanalyse geht. Ich habe den Subjektbegriff hier bereits ins Zentrum gestellt und betont, dass die Stringtheoretiker sich als Subjekt aus dem Spiel lassen wollen, weil sie glauben, sonst nicht mehr objektiv genug zu sein. Aber sind sie nach dem bisher Gesagten nicht ohnehin viel zu wenig objektiv, da sie ja hauptsächlich mit unbewiesenen und meist nur virtuellen Objekten hantieren? Haben wir - und jetzt drehe ich den Spieß einmal kurz um - nicht das Gefühl, dass die Stringtheoretiker ein bisschen paranoisch sind, wahnhafte Subjekte? Wenn wir einen Stringtheoretiker auf die psychoanalytische Couch legen, werden wir seine Strings vielleicht als verdrängte Erinnerungen an die Nabelschnur oder längliche Zeugungsorgane oder andere frühkindliche Konflikte um das Geburtstrauma herum deuten.

Wir werden ihm vielleicht präödipale Wünsche unterstellen, also Strebungen, die noch vor der Ausgestaltung des eigentlichen Ödipuskomplexes liegen, den ja inzwischen jeder kennt. Obwohl der Stringtheoretiker eine Eins ist, wird er sich mit seinen phantastischen Ausdrücken über die zehn oder elf eingerollten Raum-Zeit-Dimensionen, über den „Bulk" und die „Branen" und die „Krümmung der Raum-Zeit" der Null nähern, aus der wir ihm heraushelfen müssen, indem wir allerdings selbst Einsen sind, die der Null verfallen können.

Schaffen wir es aber, zu einem gemeinsamen Nenner zu kommen, dann würden wir uns wirklich zu einer echten Zwei addieren und könnten eine neue Mathematik begründen. Denn nur durch den Prozess des Hindurchgehens durch den Null-Eins-Abstand gewinnen wir das Maß, das es endlich möglich machen würde, weiter zu zählen, also auch den Abstand von der Eins zur Zwei und zu weiteren ganzzahligen Vielfachen zu kommen.

Wie könnte nun der gemeinsame Nenner aussehen? Nehmen wir den Begriff der „Raum-Zeit-Krümmung". Wir wissen, das das Licht, also das fast massenlose Photon um schwere Sternmassen herum wegen der von dort ausgehenden Gravitation abgelenkt, gekrümmt wird. Das war Einsteins Entdeckung. Doch diesem Phänomen haben nun die Stringtheoretiker etwas Neues hinzugefügt. All die Lichtenergie und die Sternmassen sind in ständiger Auflösung und Bewegung, was, dank der Strings, bis zu uns hier in die kleinsten Längen unserer selbst hineinwirkt. Da ist also Etwas, wir sind nicht allein im Weltall auch wenn wir keine anderen Planeten entdeckt haben, wo intelligente Wesen leben. Es ist da, diese raum-zeit-gekrümmten Bulk-Branen-Dimensionen gibt es (ich drücke mich jetzt hier absichtlich nicht ganz korrekt im Sinne der Stringtheorie aus, weil die Einzelheiten dieser Theorie hier und jetzt nicht so wichtig sind und gerade das Gefühl einer wabernden, komplex gewickelten Supermixtur uns genügt und doch schon Wichtigkeit genug ist). Es ist also da und wir sind nicht allein.

Das ist auch in der ärztlichen oder psychoanalytischen Therapie so. Es, dieses existierende Etwas wird hier als die Übertragung von Bedeutungen auf den Arzt und deren Auflösung durch bestimmte Gespräche repräsentiert. Doch auch das Wort Gespräch ist hier schon wieder fraglich. Wenn ich diesen gewaltigen Bogen von den Stringtheoretikers zur Krankenbehandlung spannen will, gerät jedes Wort in einen fraglichen Zustand. Das konnte man sicher schon bemerken. Trotzdem hoffe ich, dass ich ein Gefühl (eine Ahnung, eine Vision) erzeugen konnte von Etwas, das da ist durch jede Raum-Zeit-Krümmung hindurch und auch durch jedes sich um Wahrheit (was ist das?) bemühende Sprechen, Palavern, Reden, Flüstern, Meditieren etc., etc. hindurch. Es gibt da Rhythmus, Schwingen von Saiten, Schillern und universalem Gemurmel. Hauptsache Es ist da was: Strings, Stränge, Abläufe, Ketten. Das sind nicht einfach Sachen, das sind Signifikanten, Bedeutungseinheiten. Das heißt, wir wechseln hier von einer Ordnung der Objekte zu einer der Subjekt-Zeichen. Da liegt der Hase im Pfeffer, denn auch wenn der Stringtheoretiker spricht, gibt er von sich als menschlichem Subjekt Zeichen

Das banale Zeichen ist ein Etwas für jemand, ein Signifikant jedoch ist das Zeichen eines Subjekts. Es geht genau um diesen Null / Eins - Abstand, der durch nichts definiert ist als nur durch diese Gegenseitigkeit der als Null geltenden ins für eine andere Eins. Nur zwischen zwei Subjekten kann dieser Abstand definitiv und in Form wohldefinierter Zeichen ausgehandelt werden, ja sich selbst aushandeln. Der String ist nicht eine objektive schwingende Saite, der String ist ein Skript bestimmter Pysiktheoretiker. Er ist eine mehr oder weniger metaphorische Größe, ein mit viel Mühe zusammengebrachtes symbolisches Objekt. Der String ist ein echtes „Ding an sich". Ein Drittes, das zwei Menschen ideal verbinden kann, weil es universal, kosmologisch oder gelebte Topologie ist. Ein String ist nicht ein fertig ablesbarer Satz, denn dann könnten wir ganz einfach in allen Dingen lesen, könnten die Quantengravitation für alle verständlich auf Papier schreiben. Der String ist ein Algorithmus, eine Wortformel, ein Formel- oder formalisiertes Wort. Er hat Teil am Realen wie auch am Symbolischen.

Ich habe derartige Formalisierungen für die praktische Anwendung gefunden. Was einem an den Stringtheoretikern ja etwas stört, ist ihre Art nur mit einer Gruppe von Gleich- oder zumindest sehr Ähnlichgesinnten in einer fast als Geheimsprache zu nennenden Form zu kommunizieren. Der normal Interessierte bleibt weitgehend ausgeschlossen. Mit einem formalisierten Sprachelement kann jedoch jeder in die Materie eindringen. Er wird vielleicht nicht alle Fachausdrücke lernen und verwenden, aber er wird das Wesen der Strings verstanden haben. Ich verweise dazu auf Artikel über die von mir inaugurierte Analytische Psychokatharsis und die Verwendung der darin wissenschaftlich entwickelten Formel-Worte. Letztlich ist dieses psychologische Verfahren nichts anderes als reine String-Praxis. Die Formel-Worte arbeiten mit Schnittstellen zwischen den Buchstaben und Phonemen lateinischer Kurzsätze, die exakt entsprechenden Schnittstellen im Unbewussten (neurologisch: in entsprechenden Verschaltungen) korrelieren.

Stringtheoretiker werden einwenden, dass die von ihnen formulierten Strings etwas anderes sind als die, wie ich sie verwende. Doch das stimmt nicht. Der Ausdruck String (Strang, Saite, Abfolge, Signifikanten-Kette etc.) ist zwar sehr vieldeutig, aber bei einer topologisch-mathematischen Verwendung gut zu präzisieren. Ich verweise hierzu auf Werke über die Mathematik des Unbewussten von Lacan und Bitch.[2] Für den Zugang zur Praxis ist jedoch eine Verwendung eben solcher formelartigen Strings in Art einer Meditation notwendig, wie sie in der Analytischen Psychokatharsis zu finden ist.

 


[1] Randall, L., Warped Passages, Unraveling the Mysteries oft the Universe´s Hidden Dimensions, Eco-Harper Publishers (2005)

[2] Bitsch, A., „always crashing in the same car", J. Lacans Mathematik des Unbewussten, Verlag für Geisteswissenschaft (2001). Bei Lacan finden sich diesbezügliche Ausführungen in fast allen seiner letzten Seminare (Seminaire XVIII bis XXV)