Ehe oder ehe?

Es war gut der ehe für alle zu zustimmen. Sie ist allerdings an der sexuellen Identität orientiert. Freilich war die Orientierung an einem religiösen Überbau mit der Devise, dass die Ehe gottgemacht ist und die Ehen somit im Himmel geschlossen werden, auch einseitig und nicht idealer. Auch dass sie wie früher dringend der Staatserhaltung diente, weil der König einen männlichen Nachfolger brauchte und somit eine  Verbindung von Mann und ‚Frau‘ notwendig war,[1] ist heute nicht mehr so plausibel. Eine der Psychoanalyse nahestehende und gelungene Definition der Ehe findet sich jedoch bei den vom dem Ethnologen G. Devereux erforschten Mohave-Indianern. Die Eheleute müssen nur

unter ein gemeinsames Dach ziehen, dort jedoch wird die wirkliche eheliche Gemeinschaft erst dann geschlossen, wenn sie auch träumen, dass sie ein Ehepaar sind, eine aus dem Unbewussten heraus geschmiedete Vereinigung der Geschlechter. Erst wenn aus dem tiefsten Inneren die Botschaft, das Identitäts- oder Pass-Wort kommt, dass sie eine Gemeinschaft sind, ein Paar, eine völlige Verbindung der Geschlechter, waren sie richtig verheiratet.[2] Die Groß und Kleinschreibung (ehe, Ehe) soll einen fraglichen Unterschied markieren.

Denn was ist mit der monogamen Beziehung zwischen Mann und Frau, hinsichtlich der der Mann – bezogen auf seine Partnerin – letztendlich sagen muss, dass, um nur einer zu genügen, das Leben meist nicht ausreicht. Und so muss er sehen, wie er mit dieser einen dennoch Kinder in die Welt setzt und eine Familie zusammenbringt, in der sich viele Individuen verbinden, denn man heiratet ja auch die verschwiegerten und verschwägerten Personen, und die  Kinder haben wieder Kinder mit dem Rattenschwanz von weiteren Angehörigen. Wenn man Glück hat, erlebt man noch die Urenkel. Tanten, Cousinen, Neffen, und vieles andere mehr. Sexualität ist hier nicht das Hauptthema, aber jede Sexualität hat ein Schattenproblem, der Heterosexuelle ist auch einer, der alle Zeiten wieder eine andere Frau braucht, zumindest hat er viele davon im Kopf und verhält sich dementsprechend pervers.         

Das ist bei allen Sexualitäten genauso der Fall, auch wenn man davon – genauso wie von der heterosexuellen Promiskuität – von der Mutterfixierung der Homosexuellen und deren  Angst vor der Liebe des Vaters spricht oder bei den Lesbierinnen vom überhöhten Liebesanspruch.[3] Lacan meint auch, die Lesbierinnen verleugnen, dass der symbolische Phallus ein Signifikant ist, also rein signikativ Bedeutung hat. Und bei den Transsexuellen spricht er sogar vom Delir.

Demgegenüber scheint es praktisch unmöglich zu sein die monogame Ehe, sozusagen 'im Namen des Vaters' zu etablieren, wenn ich das einmal so ausdrücken darf. Denn der 'Name des Vaters' ist eine übergeordnete Metapher, in der es nicht nur um den Namen, um das Wort des ‚Vaters‘ geht, sondern auch um den ‚Vater‘ des Namens, um den ‚Vater‘ des Wortes, um den ‚Vater‘ der Sprache und des Symbols. Ich schreibe daher auch ‚Vater‘ in Anführungszeichen, weil er als solcher, als metaphorischer Schöpfer, für eine ebenso komplexe Identität steht, wie die ‚Frau‘.

Doch Gott sei Dank gilt für alle die ehe. Ich fände es also gut, dass man für uns alle, wenn die sexuelle Orientierung im Vordergrund steht, das Wort ehe kleinschreiben würde, damit man für die oben beschriebene Orientierung, einschließlich ihrer Traumverbindung und ihre dem ‚Vaternamen‘ unterstellte Beziehung bei der herkömmlichen Großschreibung bleiben könnte. Freilich ist dies alles nur ein äußerer, fraglicher  Rahmen, denn selbst bei den monogamen Royals passieren immer wieder ganz schreckliche Dinge: Vernachlässigungen, Missachtungen, Demütigungen, ja sogar Schlägereinen (z. B. bei Ernst August Prinz von Hannover). Sie haben eben nicht geträumt wie der Mohave-Indianer. Aber auch, wer träumt, dass sie ein ideales Paar der Geschlechter abgeben, weiß wahrscheinlich nicht, was das Wort Geschlechter genau sagen will. Und der symbolische ‚Vater‘ ist ein kaum lösbares Rätsel.

Schließlich will ich ja hier genauso wie ein Psychoanalytiker keine vorgefasste Definition abgeben, was letztlich eben nur der Einzelne in Fremd- oder Selbsttherapie entscheiden kann. Psychoanalytisch existiert der Aspekt der Ödipuskonstellation. Der Knabe braucht dieser Konstellation zufolge eine Mutter, bei der auch das Wesen ‚Frau‘ voll zum Zug kommt. Einer meiner Patienten sagte einmal, wir haben alle zwei Mütter, die gute, warmherzige, normale Mutter, und die interessante Mutter – letztere ist es natürlich, die den Knaben in die ödipale Konfliktzone treibt, die jedoch notwendig ist, damit er nicht in infantiler Abhängigkeit verbleibt, sondern zur vollen männlichen-väterlichen Identität reift.

Die Schattenseite aller Sexualitäten, speziell auch der heterosexuellen, besteht in der Psychoanalyse darin, diesen schmerzhaften Durchgang durch den Ödipuskomplex zu vermeiden. Doch ist dies nur eine psychoanalytische Weisheit, ich will nicht sagen, dass sie die allergültigste ist, auch wenn ich selbst mit einem Mann als 'interessanter Mutter', weil faszinierende, verführerische und geheimnisviolle Frau, nicht zurande gekommen wäre. Aber ich hätte auch dem verbietenden Vater in Form einer Frau versucht Paroli zu bieten. Könnte man es einem 15-Jährigem verübeln, der gerade seine phallische Muskelkraft und Männlichkeit entdeckt, wenn er damit droht, weil kein rivalisierender, starker Vater zugegen ist?

Das gleiche gilt für die biologische Seite, die hinsichtlich Ehe und ehe auch eine Rolle spielen kann. Die meisten Kinder wollen wissen, wer ihre biologischen Eltern sind. Treffen sie zum Beispiel  erst viel später auf ihren genetischen Vater, führt dies häufig zu heftigen Erfahrungen und Fragen (worin ist er mir gleich, sowohl vom Aussehen her als auch vom Charakter). Auch haben Eltern oft zu ihren leiblichen Kindern eine stärkere Beziehung, weil sie sich darin spiegeln (Beispiel wie ich es zweimal erlebt habe: nach einem adoptierten Kind kommt doch noch ein eigenes, das adoptierte ist vielleicht nur einen Nuance schwieriger und wird dann spürbar zurückgestellt). Aber auch diese biologischen Weisheiten sind nicht der wichtigste Maßstab, denn eigentlich geht es bei der Groß- und Kleinschreibung um einen symbolischen, eben signifikanten Unterschied.

Denn das Symbol hat große Wirkkraft. Die Reichen mehr zu besteuern ist sicher sinnvoll, aber nicht, weil damit viel Geld in die Steuerkasse kommt. Von 50 Millionen Steuerpflichtigen nur 20 Euro mehr zu verlagen, würde erheblich mehr erbringen, als die Reichensteuer auf 60 % zu erhöhen, die Masse macht's. Trotzdem ist eine deutliche Reichensteuer oder eine massive Verminderung von Boni- und Abfindungszahlungen ein gutes Symbol, ein starkes symbolisches Signal, für die soziale Gerechtigkeit, auch wenn die Geldsumme für die Gesamtheit der Menschen gar nicht so toll ausfällt wie man immer denkt. Und so ist eben Ehe ein Symbol für das Symbol als solches, für das also, was ich gerade den symbolischen Vater genannt habe, den Schöpfer des 'sprechenden Seins' (ein Ausdruck Lacans für den Menschen) bezüglich dessen wichtigsten Maßstabs  jeder selbst entscheiden mag, was für ihn ehe oder Ehe ist. Denn um ein Wortspiel zu benutzen, ehe die Ehe war, was war da? ehe oder Ehe?

 



[1] Ich habe ‚Frau‘ in Anführungszeichen geschrieben, weil das Wesen des Weiblichen viel komplexer definiert werden muss als das Männliche, das über eine (nicht Macht-) aber Mächtigkeitsmetapher leicht zu bestimmen ist. Auch soll die Groß und Kleinschreibung (ehe, Ehe) einen fraglichen Unterschied markiren.

[2] Rein theoretisch schließt dies nicht aus – auch wenn es bei Devereux so nicht beschrieben ist – dass ein männlicher und ein femininer Mann so etwas ebenfalls träumen könnten. Aber ist jeder feminine Mann wirklich eine ‚Frau‘? Ich schließe nicht aus, dass dies gelingen kann, aber es ist vielleicht nicht die Regel.