Der Es-Widerstand und das Reale


S. Freud teilte die psychische Welt in Ich, Es und Überich auf. Das Es war der Bereich der Triebe, unbewusster Strebungen und Impulse, das Überich mehr der Bereich sprachlicher, symbolisch ausgedrückter Bedeutungen und Diktionen. Üblicherweise produziert der Patient in einer Psychoanalyse Widerstand gegen die Aufdeckung verdrängter, verpönter oder abgespaltener Inhalte in seiner Seele. Er macht sozusagen Widerstand gegen sich selbst, obwohl er das eigentlich nicht will und deswegen ja in einer Psychoanalyse gegangen ist. Die Widerstände gehen also hauptsächlich vom Ich aus. Besonders hartnäckige Überzeugungen und Ideologien sind dagegen Überich-Widerstände. Menschen mit ganz fest fixierten religiösen Überzeugungen oder politischen Ideologien gehen daher oft gar nicht in eine Analyse. Sie leisten ihren Widerstand schon vorher. Besonders zähe Widerstände glaubte Freud jedoch auch dem Es zuschreiben zu können. Doch wie sollte dies gehen? Wie kann ein  Trieb gegen sich selbst sein? Hat das Es einen Willen?


J. Lacan hat Freuds Konzept etwas umformuliert. Er unterscheidet grundsätzlich – also auch für die Handhabung anderer Wissenschaften – das Imaginäre, das Symbolische und das Reale. Die drei hängen eng zusammen, so dass man sie einzeln gar nicht beschreiben und behandeln kann. Aber man könnte in etwa das Imaginäre, also das Bildhafte, dem Ich zuordnen. Das Ich besteht aus ständig sich neu anlagernden Bildern, bildhaften Identitäten, von denen gleichzeitig auch immer wieder welche abgelegt und vergessen werden. Das Symbolische könnte man dem Überich zuordnen, denn es hat – wie oben erwähnt – mit dem Sprachlichen zu tun, mit Geboten, mit der Macht des Wortes. Für das Reale bleibt dann das Es übrig. Es ist tatsächlich von zwei Seiten her spürbar. Einerseits – wie ebenfalls oben zitiert – vom Trieb, vom Impuls, der so real sein kann, so eine – wie Freud es selbst nannte – ‚konstante Kraft’, dass man ihr etwas Reales zuordnen muss. Das Reale ist nicht die Realität. Es ist eben das Unwider-stehliche, damit aber auch das, das einem selbst widersteht, das man nicht überwinden kann, die seelische Grenze. Von daher könnte man von einem Es-Widerstand sprechen. Das Reale steht also dem Es-Widerstand nahe.
Nun ist aber das Reale auch mit dem Symbolischen verknüpft. Ich könnte hier gar nicht  R. e. a. und l.  schreiben, gäbe es das Symbolische nicht, das somit eine Spur ins Reale zeichnet. Nun könnte es gerade diese Kombinationsstelle zwischen den beiden sein, die für den Es-Widerstand besonders verantwortlich ist. Dann ließe sich auch erklären, wie die Sache mit dem Es-Widerstand funktioniert. Wenn diese Kombinationsstelle, an der ja zudem noch in geringem Maße auch das Imaginäre beteiligt ist, für das Leben eines Menschen im Vordergrund steht, kann man psychosomatische Symptome damit recht gut erklären. Es ist dann zwar schwer, mit psychoanalytischen Methoden etwas hinsichtlich dieser Symptome zu erreichen, die ‚Analytische Psychokatharsis’ als Verfahren, das genau an dieser Kombinationsstelle ansetzt, kann jedoch hilfreich sein. Um das alles anschaulich zu beschreiben, gehe ich zu etwas zurück, das man den Anfang des Lebens nennen kann.
Bekanntlich soll das Universum ja überhaupt mit dem ‚Urknall’ begonnen haben. Der Ausdruck ist gar nicht schlecht gewählt, obwohl es grundsätzlich nicht geknallt haben kann, da Schallwellen nicht möglich waren und schon gar nicht erfasst werden konnten. Astrophysiker behaupten jedoch, dass sogenannte Neutronensterne, bei denen die Gravitation eine besondere Rolle spielt,  ein ‚Zirpen’ von sich geben, das nach Art der Schallwellen konzipiert ist. Nun  kann man das ‚Zirpen’ nicht gleich als etwas Symbolisches verstehen, obwohl allein unterschiedliche, sich jedoch nach irgendwelchen Gesetzen formenden Laute, sehr wohl die Basis einer symbolischen Ordnung sein kann. Zwar ist die Gravitation auch etwas Reales, aber real in Richtung auf Realität lassen sich besser die Elementarteilchen und deren Strahlung bzw. Energie auffassen. Wir hätten also zumindest ein Bild, etwas Imaginäres von diesem Anfang der Kombination aus Realem und Symbolischen. Dies ist gewiss nur eine pauschale Feststellung, doch ist sie an neuesten Wissenschaften orientiert wie etwa der Supersymmetrie oder Stringtheorie und auch – interessanter Weise – der Psychoanalyse.
Nun kann ich es mir leisten, einen Sprung zu machen. Aus diesen Anfängen hat sich unser Sonnensystem heraus entwickelt, eine raumzeitliche Besonderheit, eine Nische im ganzen Weltgeschehen. Nur in solchen Nischen, in denen das geeignete Maß an Wärme und andere Konstanten vorhanden sind, kann sich Leben entwickeln. Wie man sich dies jetzt vorstellen mag oder auch biologisch, paläologisch, biochemisch usw. eruiert hat, ist für meine Untersuchung hier gleichgültig. Ich kann mir leicht ausmalen, die Symbolisches, Imaginäres und reales hier zusammengewirkt haben. Das Reale war immer das, was hinterher hinkte, was sich Entwickelndes wieder bremste oder gar ganz zurückfallen ließ auf einen Ausgangspunkt. Im Endeffekt hinterlässt es sogar so etwas wie die Realität, also etwas, das uns als besonders hart, konstant und nahtlos erscheint. Als sich die ersten Aminosäuren zusammengetan haben oder erste kernlose Zel-len entstanden, wird Reales und Realität noch schwer zu unterscheiden gewesen sein. Wir hatten hier vielleicht zuerst eine Dominanz des Imaginären mit dem Real-Realistischen, denn die Vielformen anfänglichen Lebens, Muscheln z. B. sind eindrucksvoll in ihrer Bildhaftigkeit.
Das Symbolische – so sieht es aus - kommt erst zum Schluss. Es mag schon im ‚Zirpen’ der Gravitationswellen begonnen haben, aber viel mehr ist beim Entstehen anfänglichen Lebens noch nicht zu sehen bzw. zu hören. Zwar haben die Menschen (unterstellen wir mal uranfänglichste Beobachter) immer schon das Blitzen und Getöse von Gewittern, Vulkanausbrüchen und Erbeben als das Wirken der Götter, klassischer Symbol-Real-Kombinierer, angesehen, aber ob dies schon wirklich etwas heißen sollte, ist doch fraglich. Jedenfalls hören wir heute im Gewitter kaum noch die Donnerstimme Wotans oder sonst eins Machtwesens heraus, das den Umgang im Symbolisch-Realen einiger maßen beherrschte. Oder hat das Leben von Beginn an ein Raunen oder Murmeln an sich gehabt, das man erst hört, wenn man besondere Geräte einsetzt, um es wahrnehmbar zu machen? B. Krause, Musiker und Naturforscher hat in seinem umfangreichen Werk „Das große Orchester der Tiere“ auf jeden Fall eine derartige Grundlage plausibel gemacht. Tierstimmen und Laute der Natur hat er minutiös belauscht und auf Tonträgern aufgenommen. Er will allerdings damit den Ursprung der menschlichen Musik auf dieses Orchester der Biologie zurückführen. Genau so gut hätte er auch für die menschliche Sprache einen solchen Zusammenhang herzustellen gekonnt.
Der Verlag schreibt dazu folgendes: „Wenn B. Krause seine Mikrofone in ein gesundes Korallenriff senkt, ist der Reichtum der Klänge überwältigend. Dass kristallklare Wasser pulsiert mit der akustischen Bandbreite von Geräuschen, die Krustentiere und Fische, ja selbst Seeanemonen erzeugen. Einen Kilometer weiter, wo die Zerstörung sichtbar ist, hört man nur den Klang der Wellen und ein paar Krappen schnappen - trostlose Geräusche einer sterbenden Umwelt.“ Es klingt wirklich so, als würde das Leben in seiner Vielschichtigkeit ein Gespräch führen, mit sich selbst oder mit zwei in ihm tief verborgen liegenden Lebensprinzipien. Dem Prinzip der Selbst- und dem der Arterhaltung. Denn die Klänge, Töne, Laute, und Murmelungen haben in diesen beiden Prinzipien oder Trieben eine ganz unterschiedliche Akustik. Wir sehen nicht nur diese beiden Kräfte, wird könnten sie auch hören.
Freud hatte anfänglich auch für den Menschen diese beiden Triebe als wesentlich bestimmt. Später hatte er erkannt, dass sich beim Menschen das Symbolische doch fast noch über die Imaginär-Reale-Kombination hinausreicht. Hier übernimmt jetzt das Symbol-Real-Imaginäre seine volle Kombinationskraft, die nun ihre nicht mehr so sichtbaren Widerstände in sich trägt und somit auch nicht mehr so ideal mit der klassischen Psychoanalyse behandelt werden kann.
(Artikel wird fortgesetzt)