Das Tri-Universum

Das Tri-Universum

Dass die Drei in der Eins enthalten ist, ist nicht nur eine Erfindung der frühen Kirchen-Väter, die in ihrer Theologie der göttlichen Wesenseinheit drei Personen bzw. Hyposta-sen (wesenhaften Unterstellungen) zuordneten. Schon lange vorher hatte der griechi-sche Mathematiker Euklid gesagt, dass die Eins in der Vielheit die Einheit enthält, ein fast mystischer Satz, doch er wohnt der griechischen Sprache inne. Denn man muss, sagte Euklid weiter, die Vielheit an den Anfang stellen und dann zweierlei Einsen, εν (hen) und µονος (monos) unterscheiden. Eine Eins, um die Vielheit der Reihe nach zu zählen und eine für das Ganze, das Totale der Vielheit. Man hat sich dann trotzdem Jahrhunderte lang auf die der Reihe nach zu zählenden Zahlen gestützt. Nur die Alchemisten haben weiter so mystische Aussagen gemacht und gesagt: ‚Aus eins mach zwei, aus zwei drei, dann wird aus dem ersten das vierte.’ Mit Lacan hat auch die Psychoanalyse sich wieder auf Euklid besonnen. Er sagte, dass eine Eins eine Null für eine andere Eins repräsentiert und damit das Gleiche ausgedrückt wie Euklids und die Alchemisten.


Auch bei Lacan hat wieder das Wesen der Sprache die Grundlage für diese Aussage er-geben. Ein Signifikant (ein Bedeutungsschöpfer, Suggestivum) – so Lacan – repräsentiert ein (menschliches) Subjekt für einen anderen Signifikanten. Der Mensch ist zwischen zwei Bedeutungsschöpfungen, zwei Suggestiva, zwei – um die Theologie wieder aufzunehmen -  Wesenseinheiten gestellt und wird dadurch selbst zur dritten dieser Einheiten - vielleicht könnte man auch sagen: Hypostasen. Schon Freud war von dieser Drei-In-Eins ausgegangen. Er hatte dem Eros-Lebenstrieb einen Aggressions- bzw. Todestrieb zugeordnet, und den Menschen bezüglich seiner ihm selbst unbewussten Seele als den Spielball (das Dritte) dieser (Zwei) Triebe konstituiert. Und mein Lehranalytiker O. Graf Wittgenstein nannte sein Buch ‚Sagen, Hören, Sehen, Von den Entbindungen des Bewusstseins des dreiteilig einigen Menschen’. Also auch hier wird von der Triade gesprochen, die im Grunde eine Einheit ist. Doch ob man jetzt im Unbewussten von Bedeutungskräften oder Trieben spricht ist eigentlich für das, was ich hier aussagen will, egal. Ich will es vom Tri-Universum aus versuchen.
Bekanntlich sprechen Naturwissenschaftler, allen voran die Astrophysiker, von Paralleluniversen oder gar den Multiversen, unzähligen Universen, die nur durch ganz geringe Strukturen zusammenhängen. Es ist wahrscheinlich gleichgültig, ob man von mehreren parallelen Universen spricht oder sagt, das eine Universum weist Unterteilungen auf, die so stark sind, als wären sie fast unabhängige Universen. Dass das Universum nicht eine grundsätzlich einheitliche Struktur hat, und dass es Unterteilungen braucht, ist mehr oder weniger bewiesen. Dunkle Materie und Energie, das Problem des Zusammenwirkens aller vier Grundkräfte (elektr.magnet. Kraft, starke und schwache Kernkraft und Gravitation) können nur damit erklärt werden, dass es zumindest eine ausgeprägte Unterteilung bzw. Paralleluniversum geben muss. Allein die Wirkung der Gravitation scheint dies schon zu verlangen. Doch selbst wenn man zwei Universen oder Unterteilungen hat, bleibt trotzdem noch etwas übrig: der Mensch als ‚sprechendes Sein’, als Netzwerk seiner Gedanken, als das, was Transzendenz unterstellt. Zwei Universen hätten keinen Anfang und kein Ziel, ob sie sich zerstören oder fusionieren, es bleibt immer ein : ‚Was-Dann’?
Auch wenn der Mensch nicht im psychologischen Sinne ‚dreiteilig einig’ ist, so muss er sich doch fragen, was er dem mindest zweiteiligem Universum gegenüber darstellt. Muss man ihn nicht als ein dritten Teil des Universums konzipieren, der den anderen völlig gleichberechtigt gegenübersteht? Die Gleichberechtigung kann sich freilich nicht oder nicht nur auf Naturkräfte beziehen, sondern auf andere Kräfte, die man vielleicht besser gar nicht Kräfte nennt, sondern Signifikanten, Kräfte, die Bedeutungen tragen, Sinn-Kräfte, Wahrheits-Kräfte? Sollte man nicht besser als den Urknall die Wahrheit als Ursache von allem auffassen? Das mag abstrus klingen, doch es geht hier nicht um die alltäglichen Wahrheiten und Lügen, es geht eben um die Wahrheit als Ur-Sache, als das primäre ‚Ding’, wie es schon von Platon, I. Kant und nun auch von Lacan so tituliert wurde.
Das „Ding“ bei Lacan ist nicht la chose, die Sache, sondern eher etwas Körperhaftes, das leer ist, hohl wie ein fast unendliches Loch. Gerade, dass es kein Vorher vor dem Urknall gegeben haben kann, beweist doch, dass das Subjekt als sein „Ding“, seine Leere, seine Kluft und den Anfang gemacht hat. „Der Unterschied zwischen dem „Ding“ und dem Objekt, der Sache,  ist also zunächst der, dass das „Ding“ fundamental fremd ist, . . jedenfalls das erste Außen ist als das, woran sich der ganze Weg des Subjekts orientiert. Es ist ohne jeden Zweifel ein Weg der Kontrolle, der Referenz, im Verhältnis wozu? - zur Welt seiner Begehren." (Lacan, J., Seminar VII, Quadriga (1996) S. 66f)  Wir begehren zu viele Objekte, zu sehr objektbezogen,  und so bleiben wir unten, anstatt das Objekt – wie Lacan weiter ausführt – „zur Würde des „Dings“ zu erheben“, also zu sublimieren (zu verfeinern, erhöhen, transzendieren).
Doch der Sog des „Dings“ ist so stark, dass die Menschen es voll unbewusster Leidenschaft in der Sublimierung suchen, bei diesem Höhenflug aber in die Fänge des Narzissmus, der süch-tigen Eigenliebe, geraten: „Die Gesellschaft findet eine gewisse Befriedigung in den Täu-schungen, die ihr die Moralisten, Künstler, Kleider- und Hutmacher, die Schöpfer imaginärer Formen zur Verfügung stellen.“( Lacan, J., Seminar VII, Quadriga (1996) S. 123)  Der Nar-zissmus befriedigt also, aber nur durch Täuschung hinsichtlich des „Dings“. Auch die über-triebene Liebe zu einer einseitigen, schmalspurspezialistischen Wissenschaft führt zu dieser Täuschung. Lacan sagt ganz klar, dass die herkömmliche Wissenschaft den Fehler macht, das „Ding“ zwar zu setzen, aber nicht mit ihm zu rechnen. (Lacan, J., Seminar VII, Quadriga (1996) S. 162) Um mit dem „Ding“ rechnen zu können, muss man etwas in Richtung dieser transzen-denten Berauschtheit tun, die ja eine Sublimierung ohne Objekt, also auch ohne das Ich-Objekt beinhaltet. Dieses Genießen im Zustand totaler Zurückgezogenheit bietet dem „Ding“ eine Chance sich zu offenbaren.
Ist das jetzt nur Philosophie? Philosophiere ich das Tri-Universum als die Wahrheit von Leben, Tod und Genießen? Nein, jeder muss die Leere des „Dings“ selbst durchqueren, um zu verstehen, warum die Wahrheit die Ur-Sache ist. Und damit es eben nicht Philo-sophie bleibt, habe ich die Meditation des „Dings“ in seiner hypostatischen Art entwi-ckelt und in seiner Drei-Einheit als Übungsmethode beschrieben (siehe unter >analytic-psychocatharis.com<). Man muss die dort dargestellte Methode so verinnerlichen, in einer solchen Weise meditieren, dass raum-zeitliche Gefühle auftauchen, die das ‚Ding‘ in einer Weise erfassen lassen, dass man glaubt im anderen, jetzt also dritten Teil des Universum zu sein. Viele haben das Gefühl einen sich ständig weitenden Raum zu erfahren. Hildegard von Bingen erlebte es als den sich in ihrem Inneren öffnenden Sternhimmel, wobei der Unterschied zum herkömmlichen, nächtlichen Sternhimmel darin bestand, dass die Sterne sich bewegten. Sie meinte sogar, am Ende des Lebens, am Tag des Jüngsten Gerichts, würden die sonst als Fixsterne unbeweglichen Himmelskörper wild durcheinander wirbeln, und erst, je nach Urteil, zu erneuter Ruhe kommen. All das sind Bilder, die dem ‚Ding‘ näher kommen möchten, denn es selbst kann nur jeder für sich allein erfahren. Und in gewisser Weise muss er es auch erfahren, sonst wird er – wenn ich das einmal so pauschal sagen kann - nicht in voller Muße sterben können.
Aber er wird auch nicht die Physik und alle anderen Wissenschaften verstehen können, denn nur die selbst erfahrene Konzeption des Tri-Universums ermöglicht eine umfas-sende Kenntnis der Dinge samt der Annäherung an das ‚Ding‘ an sich.
(Artikel wird fortgesetzt)