Deutung und Analytische Psychokatharsis

Die Dialektsprachler verschlucken meist Buchstaben oder Silben, wodurch die Wortvermittlung schneller, vereinfachter und direkter möglich wird, gleichzeitig aber nur ein bestimmter Kreis von Menschen, eine bestimmte abgegrenzte Region, darin eingeweiht ist. Nun könnte man sich vorstellen, dass es ein ganz simples Sprachprogramm gibt, dass den Dialekt in Hochsprache verwandelt. Beispiel aus dem Bayerischen:  ‚Habs alln gsagt‘. Das Sprachprogramm müsste jetzt nur noch an den Stellen der verschluckten Buchstaben automatisch ein e einfügen, damit ‘Habe es allen gesagt‘ herauskommt, was der Hochsprachler sofort und bestens verstehen würde. Gewisss, das Beispiel ist stark vereinfacht,

um jede bayerische Redewendung ins Hochsprachliche zu transformieren, würden komplexere Methoden nötig sein. Doch gehen wir weiter, z. B. zu einem Traumdeutungsprogramm.

In Freuds Schriften wird von einer Frau berichtet, die träumte ‚schwarzen Rettich‘ kaufen zu wollen, den sie jedoch nicht bekam. Freud zerlegte den Ausdruck in ‚Schwarzer: rett‘ dich!‘, und tatsächlich, die Frau hatte ein Problem mit einem Schwarzafrikaner, das sie nicht lösen konnte. Man würde also ein Programm benötigen, das Traumausdrücke in semantische Einheiten zerlegt, was freilich noch weitaus komplexer sein müsste, als das dialektsprachliche Programm. Doch hier kommt es nicht auf effektvolle Genauigkeiten an, denn ich will in diesem Artikel nur das logischere und mittelbarere Programm erklären, das die in der Analytischen Psychokatharsis verwendeten Formel-Worte in die dort notwendigen Pass-Worte verwandelt. Auch hier ein Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung.

Bei der meditativen Anwendung der Analytischen Psychokatharsis vernahm ich erst vor kurzem die Formulierung: ‚Kannst die Stufe haben‘. Mir war der Sinn sofort klar, aber um es jemanden anderen zu erklären muss ich noch kurz etwas zur Struktur des Unbewussten sagen. Lacan bezeichnet das Unbewusste als ein Myzel, also ein Geflecht, ein Netz aus Phonemen. Buchstaben, Wortklangbilder, Silben, Sprachfetzen oder nur Lauten, die sich hier scheinbar wahllos neben- und durcheinander herumtummeln. In Wirklichkeit drängt dieses oder jenes unbewusste Begehren aus diesem Knäuel von Strebungen oder – wie Lacan auch sagt – aus diesem ‚universellen Gemurmel‘ des Unbewussten verstärkt heraus. Die Formel-Worte, die in einem einzigen Schriftzug jedoch mehrere, dem Anwender des Verfahrens bekannte knappe Formulierungen enthalten, die ebenso neben- und durcheinander geschachtelt und überlappt sind wie in der Gemurmel-Struktur des Unbewussten, bringen durch diese ‚Überdeterminierung‘ (so ein  Ausdruck Freuds für die Sprache der Träume) einen Determinierungszwang ins Unbewusste, so dass eine relativ geordnete Formulierung herausgepresst, herausgedrückt, kurz: vernehmbar ausgedrückt oder – wie Lacan sagt – durch die ‚Engführungen der Signifikanten‘ geschleust wird.

Deswegen konnte ich die 'Stufe' in dem besagten Pass-Wort sofort als eine erkennen, die eine Stellung, eine Position, eine Orientierung oder einen Standort vorgibt. Das heißt nicht gerade, das es um die Stufe nach ganz oben geht, wo der Sieger hingestellt, aber auch nicht eine, von der man heruntergestoßen wird.  Das Pass-Wort meint nicht, ‚kannst die Stufe haben, von der du fallen oder auf der du gekrönt wirst‘, denn das Unbewusste ist nicht ironisch oder höhnisch verfasst, aber auch nicht pathetisch oder emporlobend. Es fungiert auf dem ebenen Level der Wahrheit, auf der schlichten Ebene einer ureinfachen Logik. Ich befand mich wieder einmal in einer kritischen Verfassung bezüglich meiner Arbeit an dem Verfahren der Analytischen Psychokatharsis, und da raunte mir eben das Unbewusste zu: ‚Du hast eine Stufe erreicht, mag es auch nur eine winzig kleine sein, du kannst sie haben, Hauptsache es ist eine.‘

Eine derartige Deutung liegt zwar nicht ganz auf der Ebene der Freudschen Sexualtheorie, wo man – angenommen es wäre ein Satz im Traum gewesen – hätte nachfragen müssen, ob man – triebursächlich, begehrenskausal – die Stufe hinauf zur Traumfrau noch nicht geschafft hat, oder wegen Impotenz die Stufe zum sexuellen Höhepunkt nicht erreicht wird oder hunderterlei andere Aspekte zum Zug kommen. Ein Pass-Wort in der Analytischen Psychokatharsis ist nicht mehr so stark verhüllt und kann auch final, also zukunftsweisend, wie dies ja in der Antike üblich war, also kreativ anregend, gestaltet sein. Dies hat damit zu tun, dass die von Freud für seine Methode der Psychoanalyse abgeschaffte Katharsis, als erste Übung der Analytischen Psychokatharsis wieder eingesetzt nunmehr zur Zutreffendheit, Originalität, zum Primärtrieb (Freuds Eros-Lebenstrieb) und zur Wahrheit führt, ohne vom pessimistischen Todestrieb durchkreuzt zu werden.

Der Todestrieb ist ja kein aktiver Trieb, es handelt sich vielmehr um ein Geschehen, das zwar zurück zu einem Urzustand führt, das aber sein Werk außerhalb des psychisch Unbewussten, um das es ja hier geht, verrichtet. Der Tod als Endzustand müsste niemanden in seinem Leben tangieren, würde man sich nicht in Unzutreffendes, Unwahres, Sekundärtriebhaftes (Freuds Teiltriebe) oder Sonstiges verstricken, ohne die Hilfe von Pass-Worten, Identitätsworten, Wahrheitsworten, zu haben. Der Tod selbst nämlich, der letzte Schritt zu ihm hin, hat einen kathartischen Charakter. „Es gibt in der Liebe immer irgendeine Wonne des Todes, eines Todes jedoch, den wir uns nicht selbst auferlegen können.“[1] Es hat vielleicht etwas mit einer ‚Verschmelzungssehnsucht‘ zu tun, die ein mit der Liebe vermischtes Todesbegehren darstellt,[2] das jedoch auch nichts anderes als das Genießen des Liebestriebs, des Eros-Lebenstriebs als solchem und eben der Katharsis darstellt. Die Katharsis im Übungsverfahren immer wieder aufzusuchen, zu erfahren und als Sprungbrett in weitere Mitteilungen zu nutzen hält einen von negativen Todesgedanken fern.

Es bedarf also der Formel-Wort-Übung und der Katharsis, damit sich Pass-Wort einstellen können, die zu diesem Punkt der ‚Wonne des Todes‘ führen, die zwar je nach dem letztlichen Übungsergebnis nicht den Endzustand erreicht, aber doch zum Weitergenießen des Lebens und vor allem auch dessen Wahrheit beiträgt. Im Übergang von der ersten zur zweiten Übung der Analytischen Psychokatharsis hat die Katharsis nämlich einen Wahrheitszug, den Freud nicht nutzen konnte und den er andersherum durch enorm viele Gesprächsumrundungen, Wortumkurvungen, Deutungskonstruktionen herstellte. Denn er musste die Widerstände seiner Patienten, die diese gegen die Aufdeckung unbewusster Inhalte entwickelten, umständlich und langwierig einkreisen. In der Analytischen Psychokatharsis weiß man jedoch, dass die Pass-Worte aus einem selbst kommen. Dagegen Widerstand zu leisten hat keinen Sinn, wenn es auch Möglichkeiten gibt, den Wahrheitsgehalt des Pass-Wortes ein bisschen zu umgehen.

Die Pass-Worte wirken schon durch ihr reines Vorhandensein. Auch wenn mir die Aussage von der Stufe, die ich haben kann, nichts sagen würde, ist doch die Tatsache, dass sich das Unbewusste in dieser Form um mich kümmert, viel wert. Denn jetzt gibt es die Stufe, inneramtlich sozusagen. Das gleiche gilt für das reine Zuhören in der analytischen Psychotherapie. Doch die Schwerarbeit um die Widerstände herum muss in der Analytischen Psychokatharsis nicht in dieser Weise wie in der herkömmlichen Psychoanalyse geleistet werden. Irgendwann aber – wenn ich mich nochmals auf die ‚Wonnen des Todes‘ beziehen darf – ist dann genug genossen worden und man freut sich auf den allerletzten Tod als wonnigem Abschluss. Deswegen könnte man auch sagen: man muss im Leben mehrere kleine Tode sterben – Missgeschicke, Trauer, Unfälle etc., aber eben auch Psychoanalyse oder Analytische Psychokatharsis. In beiden Verfahren muss man sich preisgeben, enthüllen, das Ego wieder ein klein bisschen sterben lassen, doch wenn es dann mit Erkenntnis, mit neuer Vision, im Leben weitergeht, ist es doch das Beste, was passieren kann.

 



[1]    Lacan, J., Die Übertragung, Seminar VIII,  Sitzung  vom  15. 5. 61

[2]  Lacan, J., Seminar VIII, Passagen-verlag (2008) S. 234