Ähnlichkeit und Assoziation: Schopenhauers Welt als Wille und Vorstellung

In Schopenhauers Buch 'Die Welt als Wille und Vorstellung' zeigt der Philosoph, dass Kants 'Ding an sich" nichts anderes ist als der menschliche Wille. Zurecht bemerkt Schopenhauer, dass das 'Ding an sich' kein Ding mehr ist, kein Objekt, keine Sache, nichts Festes und damit allgemein Standhaftes und Gültiges. Vielmehr hat es damit zu tun, dass Kant sein eigenes subjektbezogenes philosophisches Sprechen nicht anderes erfassen konnte. Er musste es Ding nennen, um ihm eben einen objektbezogenen Charakter zu geben, aber er musste auch von einem 'an sich/' sprechen, was eine Art von Hilflosigkeit bedeutet, von Transzendenz, von dem Bemühen, sich selbst aus dem Spiel zu lassen.

'Die Freiheit an sich', das 'Gute an sich', man will sich mit solchen Bemerkungen von Vorurteilen und Missverständnissen frei halten, aber es kommt nicht wirklich Konkretes dabei heraus. Zurecht hat also Schopenhauer erklärt, dass das 'Ding an sich' etwas Subjektbezogenes ist, nämlich der subjektbezogene Wille.

S. Freud hat dieser Feststellung allerdings eine weitere Nuance bzw. Uminterpretation hinzugefügt. Er sagt, dass es sich dabei nicht um den Willen handelt, sondern um das Wollen. Der Wille ist etwas zu Bewusstes, zu sehr mit dem eigenen Ego Verbundenes. Dagegen ist das Wollen mehr etwas Unbewusstes, ein Etwas, ein ES, das in uns will. Freud nennt es daher auch einen Trieb, eine psychophysische Strebung, die wir mit unserem Ich nicht so leicht kontrollieren können. Obwohl Freud also vom Trieb spricht, der seinen Weg geht so wie er will, erinnert das Ganze auch sehr an den Spruch in der Bibel, wonach der Geist weht wohin er will und die Sache also damit wieder verschoben wäre in den Bereich eines 'Ding an sich Willens', nämlich eines göttlichen Wollens. Damit ist das Ganze aber wirklich nur verschoben und für die heutige wissenschaftliche Zeit nicht besser geklärt. Mit diesem göttlichen Geist kann man natürlich alles erklären, aber noch weniger beweisen, als es Kant schon getan hat. Wie könnte man hier also weiterkommen?

Man muss sich dem zuwenden, was Schopenhauer außer dem Willen noch für das Weltverständnis für wichtig hält: die Vorstellung. Doch auch mit dem von Schopenhauer verwendeten Wort Vorstellung gibt es das gleiche Problem. Auch diese ist etwas viel zu Bewusstes und kann so den Willen weder im Gleichgewicht halten noch ihn konterkarieren, kontradiktorisch zu ihm sein. Wenn wir uns dagegen an das Freud´sche Unbewusste halten wollen, können wir erkennen, dass die eigentliche Vorstellung, um die es hier neben dem Willen - bzw. ja jetzt besser neben dem Wollen - gehen soll, nicht eine Vorstellung durch Imagination, durch Einbildungs- oder Vorstellungskraft ist. Es handelt sich vielmehr um eine primäre Wahrnehmung, um eine Erscheinung, um etwas, das sich zeigt, vorne hin stellt, ausstrahlt. Etwas, das sich selbst vorstellt. Aber wie kann man ein Wollen, ein Es will, mit einem Es stellt sich vor verbinden? Ich schlage daher für das Weitere ein anderes Vorgehen vor.

Ich stütze mich auf den Freud-Schüler Lacan. Bei ihm beginnt das Leben, vor allem das mit einer entsprechenden Psyche ausgestattete menschliche Sein, mit zwei Grundfunktionen: der der 'Ähnlichkeit', die er auch eine erste dialektische Kategorie nennt ( Seminar II, Walter, 1980, S. 180), und der der 'freien Assoziation' wie sie in der Psychoanalyse als etwas ebenso Grundlegendes verwendet wird. Bleiben wir zuerst einmal bei der Ähnlichkeit'. Sie ist an die Wahrnehmungsfunktion gebunden, d. h. vereinfacht, die ursprünglichste, primäre Wahrnehmung ist nichts anderes als ein Spiel, ein Vergleichsprobieren mit Ähnlichkeiten. Wir sind also wieder bei den Erscheinungen, bei dem etwas, das sich zeigt, ausstrahlt und nicht absichtlich und bewusst vorgestellt wird. Psychologisch und angewandt auf den Menschen heißt dies, dass die erste Identität des Menschen eine mit einem Objekt (Lacan spricht auch von einem wesentlichen Zug eines Objekts, z. B. der Mutter) ist, mit dem man sich eben irgendwie identisch fühlt oder weiß oder glaubt. Diesen Identifikationsmodi der Ähnlichkeiten stellt Lacan also das Wesen der 'freien Assoziation' gegenüber.

Hat man sich nämlich in die symbolische Welt der Sprache mehr und mehr hineingefunden - was beim Menschen ja von Anfang an der Fall ist -  taucht beim 'freien Assoziieren' nunmehr sofort dieser wesentliche Zug des Objekts wieder auf, ja strukturiert wahrscheinlich und wesentlich all die freien Äußerungen, die z. B. der Patient in einer Psychoanalyse von sich gibt. Der Psychoanalytiker kann sie dann deuten, am Ende steht das 'Ding an sich' nunmehr als das - wie viele Analytiker sagen - 'konstante Objekt' oder - wie man verbessern könnte - als 'ideales Objekt' da.

Doch wir sind damit noch nicht am Ziel. So einfach ist es nicht. Ein 'ideales Objekt' gibt es in der Psychoanalyse eigentlich nicht. Kehren wir also nochmals zur Ähnlichkeit und zur primären Wahrnehmung zurück. Wenn die ersten Identifikationsmodi aus Ähnlichkeitsbeziehungen in der Wahrnehmung stammen, befinden wir uns tatsächlich in dem gleichen Teufelskreis, in dem Kant und Schopenhauer und z. T. auch noch Freud sich befunden haben. Wir taumeln von einer Identität in die nächste. Mal sind wir Mann, mal Steuerzahler, mal Angestellter, mal Autofahrer usw. Um das alles in einen einigermaßen geordneten Zusammenhang zu bringen, bedarf es ebenso tatsächlich der 'Assoziation', die - ob frei geäußert oder nicht - zu einer Konstanz, zu einem das Symbolische, die Sprechordnung nutzenden Halt gelangen muss.  Dieser Halt kann dann ein Staatswesen sein, eine allgemein verbindliche politische Ordnung, ein gesellschaftlicher Konsens oder etwas in dieser Art. Nur trotzdem, all das ist noch nicht ideal, kein 'ideales Objekt'. Um dahin zu gelangen müssen wir die Ähnlichkeit und die Assoziation in einem neuen und weiterführenden Verfahren bündeln. Denn selbst die klassische Psychoanalyse reicht hier nicht aus.

Ich habe dieses Verfahren Analytische Psychokatharsis genannt, die auf dieser Webseite ja auch das Wesentlichste darstellt. In ihr wird das Es will und das Es stellt sich vor, zeigt sich, laut Lacan 'freie Assoziation' und Ähnlichkeit also, zu einem Es SPRICHT und einen Es STRAHLT. Das  mag abstrakter klingen, trifft aber das Wesentliche insofern besser, als man diese beiden Prinzipien, Triebe oder Weltverständnisse direkt meditativ üben kann. Denn das Eine hält sich nur durch das Andere, der Wille nur durch die Vorstellung und umgekehrt, die 'freie Assoziation' nur durch die Ähnlichkeiten und umgekehrt, das SPRICHT nur durch das STRAHLT und eben auch umgekehrt. Damit aber diese beiden Wesentlichkeiten psychophysisch, meditativ geübt werden können, stellt die Analytische Psychokatharsis ein Instrument zur Verfügung, das eben nicht wieder ein Begriff, ein Ding oder sonst etwas ist, sondern etwas in sich selbst Kontradiktorisches, Konterkariertes (siehe unter Formel-Wort weitere Erklärungen).

Das Ganze hat auch etwas mit Mathematik zu tun und kann von daher noch besser dargestellt werden. Trotz des Fortschritts in der Mathematik durch die Mengenlehre ist immer noch nicht klar, wie man empirisch zu den ersten ganzen Zahlen kommt. Denn die Menge als solche ist nicht gleich einer EINS. Das hat dem Philosophen B. Russel seine Antinomie ermöglicht, mit der er von der "Menge aller Mengen sprach, die sich nicht selbst als Element enthalten". Man hat also dummerweise die Menge und die Elemente, man hat also von Anfang an wieder ZWEI, wo doch der Mengenbegriff das arithmetische Vorgehen doch einfach lösen sollte. Es gab dann zahlreiche mathematische Formulierungen etwa mit Hilfe der Prädikatenlogik, um diese Antinomie zu entschärfen. Aber eine wirkliche Lösung ist all dies dennoch nicht. Lacan schlägt daher Folgendes vor: nicht eine EINS steht am Anfang der Arithmetik, sondern ein "EINS fehlt", also die leere Menge. Sie wird erst zur Menge, wenn sie ein Element hat.

Das "EINS fehlt", die -1, steht deswegen am Anfang, weil auch die gesamte Psychoanalyse darauf aufbaut. Ein grundsätzlicher Mangel besteht nicht nur in jedem Leiden, sondern auch in jedem Sprechen davon. Dies hat bereits der große antike Skeptiker Pyrrhon so ausgedrückt. Er akzeptierte alle Erscheinungen, also das, was ich gerade das STRAHLT genannt habe, aber nicht, dass man darüber irgendetwas aussagen könne, also das SPRICHT. Und so ist es ja auch in der Psychoanalyse. Der Leidende muss selber sprechen und zwar von nichts Bestimmten, sondern von alldem, was ihm auch als Unsinniges, Peinliches etc. in den Sinn kommt. Er ist es, der - wenn überhaupt - SPRICHT. Sein Sprechen, das auch chaotisch sein kann wie das pure STRAHLT, ist die leere Menge, und erst durch die Deutungen und Interpretationen ergibt sich ein Zusammenhang zwischen diesen beiden Grundphänomenen oder Triebkräften oder wie man sie auch nennen will. In den Formel-Worten sind diese beiden nun rein formal, aufs Minimalste formalisiert zu haben, und nur so kann man eine Meditation aufbauen, die auch wissenschaftlich begründet und abgesichert ist.